Bundesfinanzhof, Beschluss vom 26.07.2010, Az. VIII B 198/09

8. Senat | REWIS RS 2010, 4456

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Gegenstand

Unmittelbare Beweisaufnahme im Finanzgerichtsprozess


Leitsatz

NV: Die Tatsacheninstanz darf grundsätzlich keine Zeugenaussage würdigen, ohne die Zeugen in der mündlichen Verhandlung tatsächlich zu vernehmen.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist Garten- und Landschaftsbauarchitekt. In den [X.]treitjahren betrieb er als Einzelunternehmer einen Gartenbaubetrieb und ermittelte seinen Gewinn durch [X.] nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes. Der Kläger sowie seine 2005 verstorbene Ehefrau waren an verschiedenen Gesellschaften beteiligt. Im Zeitraum von Oktober 1999 bis Mai 2001 führte das Finanzamt für Fahndung und [X.]trafsachen bei dem Kläger sowie der [X.] und der [X.] ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren durch. In der Folgezeit änderte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) die Einkommensteuerbescheide 1993 bis 1997 in Bezug auf die Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit sowie in Bezug auf die Kapitaleinkünfte, wobei das [X.] für das [X.] die Eheleute antragsgemäß getrennt veranlagte.

2

Die gegen die Einspruchsbescheide gerichteten Klagen hatten teilweise Erfolg. Der Kläger unterlag vor dem Finanzgericht ([X.]) nur noch hinsichtlich folgender [X.]treitpunkte:

3

1. Zahlungen an das Unternehmen [X.] in den Jahren 1993 und 1994 erkannte das [X.] nicht als Betriebsausgaben im Einzelunternehmen des [X.] an, weil es von fingierten Vertragsverhältnissen ausging. Zur [X.]achverhaltsaufklärung verwies das [X.] umfassend auf die Ergebnisse des [X.]teuerstrafverfahrens sowie der Umsatzsteuerverfahren gegen den Kläger. Das [X.] würdigte die aktenkundigen Aussagen von Zeugen aus diesen Verfahren als "nachvollziehbar und glaubhaft", obwohl es keine eigene Zeugenvernehmung durchführte.

4

2. Zahlungen der [X.] in den [X.]treitjahren 1993 und 1994 erfasste das [X.] als verdeckte Gewinnausschüttungen beim Kläger. [X.]treitig ist, ob den Zahlungen ein Darlehen des [X.] zugrunde liegt. Auch hier stützte sich das [X.] auf Zeugenaussagen im [X.]trafverfahren, ohne selbst Zeugen vernommen zu haben.

5

3. In den [X.]treitjahren 1994 bis 1997 rechnete das [X.] dem Kläger Einkünfte aus einer Kapitalanlage in [X.] zu. Diese Anlage erfolgte im Namen des [X.]. Aus [X.]icht des [X.] bestand kein Treuhandverhältnis zugunsten der [X.].

6

4. Eine Einzahlung in 1996 wertete das [X.] nicht als Bareinlage, da der Kläger nicht nachweisen konnte, woher das Geld stamme.

7

Mit der gegen das Urteil gerichteten Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Kläger Verfahrensfehler i.[X.]. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) und beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die [X.]ache an das [X.] zurückzuverweisen.

8

Das [X.] beantragt, die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

II. Die Beschwerde ist teilweise begründet. Hinsichtlich der Streitjahre 1993 und 1994 beruht die Vorentscheidung auf einem Verfahrensfehler. Dieser führt insoweit zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [[X.].] gemäß § 116 Abs. 6 [[X.].]O.

1. Die Vorentscheidung ist hinsichtlich der Einkommensteuer 1993 und 1994 aufzuheben, weil das [[X.].] den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme verletzt hat.

a) Nach § 81 Abs. 1 Satz 1 [[X.].]O hat das Gericht den Beweis in der mündlichen Verhandlung zu erheben. Der Sinn des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme und des aus ihm folgenden Gebots, Zeugen grundsätzlich selbst zu hören und sich nicht mit nur schriftlich übermittelten Bekundungen derselben zu begnügen, besteht darin, es dem Gericht zu ermöglichen, aufgrund des persönlichen Eindrucks von den Zeugen und durch kritische Nachfrage die Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen zu überprüfen (vgl. Urteile des [[X.].] --BFH-- vom 23. Januar 1985 [[X.].]/81, [[X.].], 117, [[X.].] 1985, 305; vom 17. Mai 2005 [[X.].]/04, [[X.].], 70).

b) [[X.].] aus anderen Verfahren können im [[X.].] grundsätzlich als [[X.].] im finanzgerichtlichen Verfahren verwertet werden, wenn die Beteiligten damit einverstanden sind (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile vom 18. November 1971 VIII 21/65, [[X.].], 409, [[X.].] 1972, 399; vom 22. Februar 1972 VII R 80/69, [[X.].], 220, [[X.].] 1972, 544; [[X.].] in Tipke/[[X.].], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 81 [[X.].]O Rz 27, m.w.N.).

Die Rechtsprechung lässt es damit zu, dass sich das [[X.].] die tatsächlichen Feststellungen, Beweiswürdigungen und rechtlichen Beurteilungen eines Strafverfahrens zu eigen machen kann, wenn und soweit es zu der Überzeugung gelangt ist, dass diese zutreffend sind und keine substantiierten Einwendungen gegen die Feststellungen des Strafurteils erhoben werden (vgl. hierzu BFH-Urteile vom 13. Juli 1994 [[X.].], [[X.].], 489, [[X.].] 1995, 198; vom 2. Dezember 2003 [[X.].], [[X.].], 380; [[X.].] vom 5. Februar 1993 [[X.].], [[X.].] 1993, 351; vom 14. November 2003 [[X.].]/02, [[X.].] 2004, 513; vom 20. April 2006 [[X.].], [[X.].] 2006, 1338; vom 17. März 2010 [[X.].]/09, [[X.].] 2010, 1240).

c) Das [[X.].] begeht aber einen Verfahrensfehler, wenn es [[X.].] aus anderen Verfahren als Zeugenbeweis bezeichnet und daher im Urteil nicht zum Ausdruck kommt, dass der unterschiedliche Beweiswert von Urkunden- und Zeugenbeweis vom [[X.].] gesehen und berücksichtigt wurde (vgl. zum [[X.].] in Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 1996, [[X.].], 429).

2. Im Streitfall verwies das [[X.].] zur Sachverhaltsaufklärung umfassend auf die Ergebnisse des Steuerstrafverfahrens sowie der Umsatzsteuerverfahren gegen den Kläger. Obwohl das [[X.].] in der mündlichen Verhandlung keine Zeugen vernommen hat, würdigte es in den Entscheidungsgründen auf S. 18 des Urteils die Aussage der Zeugin [X.], die diese im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren abgelegt hatte, als nachvollziehbar und glaubhaft. Ebenso werden --ohne tatsächliche Vernehmung in der mündlichen [X.] auf S. 22 die Aussagen weiterer Zeugen gewürdigt. Damit verstieß das [[X.].] gegen den Grundsatz der formellen Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme.

3. Da das [[X.].] den protokollierten Zeugenaussagen wesentliches Gewicht beigelegt hat, beruht das Urteil auf dem [X.]. Die Möglichkeit, dass es ohne den Fehler anders ausgefallen wäre, lässt sich nicht mit Sicherheit ausschließen. Die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 3 [[X.].]O liegen damit vor. Der Senat hält es für angezeigt, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [[X.].] zurückzuverweisen (§ 116 Abs. 6 [[X.].]O).

III.

Hinsichtlich der Streitjahre 1996 und 1997 ist die Beschwerde unbegründet und daher zurückzuweisen.

1. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt nicht vor.

a) Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes i.V.m. § 96 Abs. 2 [[X.].]O gewährleisten den Verfahrensbeteiligten die Gelegenheit, sich zu den der Entscheidung zu Grunde liegenden Tatsachen und Beweisergebnissen zu äußern und ihre für wesentlich gehaltenen Rechtsansichten vorzutragen (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 119 Rz 10a, m.w.N.).

Eine unzulässige Überraschungsentscheidung liegt nach der Rechtsprechung nur vor, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger [X.] nicht rechnen musste. Der Anspruch auf rechtliches Gehör verlangt jedoch nicht, dass das Gericht die maßgebenden Rechtsfragen mit den Beteiligten umfassend erörtert oder sogar die einzelnen für die Entscheidung erheblichen (rechtlichen oder tatsächlichen) Gesichtspunkte im Voraus andeutet (vgl. [X.] in [[X.].] 2010, 1240, m.w.N.).

b) Nach diesen Grundsätzen liegt kein [X.] vor. Der Kläger trägt vor, er habe die mündliche Verhandlung lediglich als Vorbesprechung angesehen. Aus der Gerichtsakte des [[X.].] ergibt sich aber, dass das Gericht den Kläger bereits einige Monate vor der mündlichen Verhandlung aufforderte, genau bezeichnete Unterlagen beizubringen. Ferner wurde er ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung geladen. Es sind keine Gründe ersichtlich, wonach der Kläger lediglich von einer Vorbesprechung ausgehen konnte. Insbesondere konnte der Kläger aus der unterlassenen Ladung von Zeugen keine Schlüsse ziehen, da es im Hinblick auf die oben unter [X.] zitierte Rechtsprechung denkbar ist, dass das [[X.].] die Ergebnisse des Strafverfahrens im Wege des [[X.].]es hätte übernehmen können. Ein Urteil ist schließlich nicht deshalb Überraschungsentscheidung, weil es nicht den Erwartungen und Hoffnungen eines Beteiligten entspricht.

c) Soweit der Kläger das Unterlassen von Hinweisen nach § 76 Abs. 2 [[X.].]O rügt, fehlt es an Ausführungen, welche (weiteren) Anträge der Kläger gestellt hätte.

2. In Wirklichkeit wendet sich der Kläger gegen die materielle Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde sind Einwände gegen die Richtigkeit des angefochtenen Urteils, die nur im Rahmen einer Revisionsbegründung relevant sein können, von vornherein unbeachtlich. Gleiches gilt hinsichtlich der vom Kläger behaupteten unzulänglichen Beweiswürdigung. Die Beweiswürdigung ist revisionsrechtlich ebenfalls dem materiellen Recht zuzuordnen (vgl. [X.] vom 17. Januar 2006 [X.]/05, [[X.].] 2006, 799, m.w.N.) und kann daher im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde grundsätzlich nicht angegriffen werden.

IV.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 [[X.].]O ab.

Meta

VIII B 198/09

26.07.2010

Bundesfinanzhof 8. Senat

Beschluss

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 16. Juni 2009, Az: 8 K 22681/04, Urteil

§ 81 Abs 1 S 1 FGO, § 96 Abs 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 26.07.2010, Az. VIII B 198/09 (REWIS RS 2010, 4456)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 4456

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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