Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17.05.2011, Az. 1 AZR 797/09

1. Senat | REWIS RS 2011, 6623

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Gegenstand

Mitbestimmungsrecht in Fragen der betrieblichen Lohngestaltung - Entlohnungsgrundsätze - Tarifsukzession


Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 29. September 2009 - 1 [X.] a/09 - aufgehoben.

2. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 29. Januar 2009 - 1 Ca 2379 b/08 - wird zurückgewiesen.

3. Die Kosten der Berufung und der Revision hat die Beklagte zu tragen. Hiervon ausgenommen sind die Kosten der von der Klägerin eingelegten Berufung, die von ihr zu tragen sind.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Anwendung einer tariflichen Vergütungsordnung.

2

Die Klägerin ist bei der Beklagten seit dem 1. [X.]ovember 2004 als Gesundheits- und Krankenpflegerin beschäftigt. In dem zuletzt abgeschlossenen schriftlichen Arbeitsvertrag vom 31. Juli 2006 ist eine monatliche Bruttovergütung i[X.]v. 1.945,50 Euro und die Zahlung von Zeitzuschlägen für die Arbeit an Sonn- und Feiertagen sowie für [X.]achtarbeit vereinbart.

3

Die von der Beklagten betriebene Fachklinik in [X.] war ursprünglich eine Klinik für Psychiatrie, [X.]eurologie und Rehabilitation des tarifgebundenen [X.]. Mit dem [X.] (FKlG) vom 8. Dezember 1995 (GVBl. S. 452) errichtete das Land ua. die Fachklinik [X.] als Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR). [X.]ach § 11 Abs. 1 FKlG gingen die Arbeitsverhältnisse der in der Fachklinik beschäftigten Arbeitnehmer mit Wirkung zum 1. Januar 1996 auf diese über. Weiterhin heißt es in § 11 Abs. 2 FKlG:

        

„(2) Für die von Absatz 1 erfaßten Beschäftigten gelten die bis zum Zeitpunkt der Errichtung der Fachklinik maßgeblichen arbeitsvertraglichen Vereinbarungen und Tarifverträge in der jeweils geltenden Fassung weiter. Es gelten ferner die diese Tarifverträge künftig ändernden und ergänzenden Tarifverträge. Das Recht der Fachkliniken, für ihre Beschäftigten Tarifverträge abzuschließen, bleibt hiervon unberührt. ...“

4

Mit weiterem Landesgesetz zur [X.]euordnung der Fachkliniken (FKl[X.]G) des [X.] vom 25. [X.]ovember 2002 (GVBl. S. 237) wurde das Vermögen der Fachklinik [X.] - AöR - einschließlich der dort bestehenden Arbeitsverhältnisse auf die Fachklinik [X.] - AöR - übertragen, die nunmehr den [X.]amen „p“ trug. § 10 FKl[X.]G lautet:

        

„(1) Für die Beschäftigten der Fachklinik S und der p gelten die bisherigen arbeitsvertraglichen Vereinbarungen und Tarifverträge in der jeweils geltenden Fassung weiter. Sie sind gleichfalls bei der Einstellung Beschäftigter anzuwenden. ...“

5

Die p wurde durch Art. 1 des Gesetzes zur Umwandlung psychiatrischer Einrichtungen und Entziehungsanstalten ([X.]) vom 24. September 2004 (GVBl. S. 350) und der hierzu erlassenen Landesverordnung über den Formwechsel und die Veräußerung der p vom 13. Oktober 2004 (GVBl. S. 401) in eine Gmb[X.] umgewandelt, die am 4. Januar 2005 in das [X.]andelsregister eingetragen wurde. Das Land Schleswig-[X.]olstein hielt zunächst alle Gesellschaftsanteile. [X.]ach Art. 3 Abs. 3 [X.] trat § 10 FKl[X.]G am Tag nach der Verkündung des Gesetzes am 30. September 2004 außer [X.]. In einer zwischen dem Land Schleswig-[X.]olstein und dem Gesamtpersonalrat der p abgeschlossenen Sicherungsvereinbarung vom 1./21. Oktober 2004 ist in § 2 Abs. 1 Unterabs. 1 ua. bestimmt, „dass für die gem. § 1 gesicherten Mitarbeiterinnen die gegenwärtig für sie bei der [X.] findenden Tarifverträge bei den neuen Gesellschaften als dynamischer Besitzstand vereinbart werden“. Die Gesellschaftsanteile der Gmb[X.] wurden anschließend vom Land weiterveräußert und die Gmb[X.] in die jetzige Beklagte umfirmiert. Weder die Fachklinik [X.] AöR noch die p und noch die beklagte Gmb[X.] waren und sind tarifgebunden.

6

Die Beklagte wandte auch nach dem Außerkrafttreten von § 10 FKl[X.]G aufgrund der in den Arbeitsverträgen enthaltenen Bezugnahmeklauseln zunächst die jeweiligen Regelungen des [X.] und der ihn ergänzenden Tarifverträge auf die Arbeitsverhältnisse ihrer Mitarbeiter an. Zu einem nicht näher festgestellten Zeitpunkt im Jahre 2006 entschied sie sich, neu eingestellte und - wie die Klägerin - in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommene Arbeitnehmer nach einer „[X.] A P gGmb[X.]“ ([X.]) einzugruppieren. Diese enthält für 15 Entgeltstufen Festlegungen für das Grundentgelt und die Entwicklungsstufen. Ferner ist in der [X.] festgelegt, dass das Mindestentgelt die Grundlage für die Berechnung des Leistungsentgelts und der Jahressonderzahlung bildet. Das in der [X.] bestimmte Grundentgelt sowie die Entwicklungsstufen orientieren sich an den [X.]n des am 1. [X.]ovember 2006 in [X.] getretenen Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder vom 12. Oktober 2006 ([X.]).

7

Mit Schreiben vom 18. August 2008 forderte die Klägerin die Beklagte erfolglos zur [X.]achzahlung der [X.] i[X.]v. 1.500,00 Euro zwischen dem Entgelt für die [X.] 7a Stufe 3 [X.] i[X.]v. 2.195,00 Euro und der arbeitsvertraglich vereinbarten Bruttovergütung für die Zeit vom Januar bis Juni 2008 auf. Daneben hat sie die Zahlung von Zulagen für [X.]achtarbeit sowie für Sonn- und Feiertagsarbeit in [X.]öhe von 82,38 Euro verlangt.

8

Mit der Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie hat gemeint, die Beklagte sei aus der im Oktober 2004 abgeschlossenen Sicherungsvereinbarung verpflichtet, eine Vergütung nach [X.] zu bezahlen. Daneben sei der Betriebsrat bei der Einführung der [X.] entgegen § 87 Abs. 1 [X.]r. 10 BetrVG nicht beteiligt worden.

9

Die Klägerin hat beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.582,38 Euro brutto nebst Zinsen in [X.]öhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 3. September 2008 zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, sie habe die [X.] ohne Beteiligung des Betriebsrats einführen können. Diese enthalte die gleiche Vergütungsstruktur wie der [X.], lediglich die Vergütungshöhe sei im Verhältnis zu den sich aus dem [X.] ergebenden Vergütungsbeträgen gleichmäßig prozentual abgesenkt worden.

Das Arbeitsgericht hat die Klage in Bezug auf die Zulagen abgewiesen und ihr hinsichtlich der [X.] lediglich i[X.]v. 763,08 Euro entsprochen. Die hiergegen von der Klägerin eingelegte Berufung ist von dieser zurückgenommen worden. Das [X.] hat auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen. [X.]iergegen richtet sich die Revision der Klägerin, mit der diese die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils beantragt.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist begründet. Das [X.] hat die Klage in dem noch anhängigen Umfang zu Unrecht abgewiesen. Die Klägerin kann zumindest den vom Arbeitsgericht ausgeurteilten Bruttobetrag von 763,08 [X.] verlangen.

I. Der Anspruch der Klägerin auf Zahlung des noch im Streit stehenden Betrags von 763,08 [X.] als Differenzvergütung für die [X.] von Jan[X.]r bis Juni 2008 folgt aus dem Arbeitsvertrag vom 31. Juli 2006 iVm. den bei der [X.] geltenden [X.]n. Zu diesen gehören die Eingruppierungsvorschriften des [X.] und die dazu ergangenen Vergütungstabellen. Die Beklagte hat die dort enthaltenen [X.] durch die Einführung der [X.] mitbestimmungswidrig abgeändert. Diese Maßnahme ist nicht nur im Verhältnis zu ihrem Betriebsrat rechtswidrig. Vielmehr kann sich auch die Klägerin auf die Anwendung der im [X.] enthaltenen Eingruppierungsregelungen berufen.

1. Der Betriebsrat hat bei der Änderung der im Betrieb geltenden [X.] nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 [X.] mitzubestimmen.

a) Nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 [X.] hat der Betriebsrat in Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere bei der Aufstellung und Änderung von [X.]n und der Einführung und Anwendung von neuen [X.] sowie deren Änderung, mitzubestimmen. Das Beteiligungsrecht soll die Arbeitnehmer vor einer einseitig an den Interessen des Arbeitgebers orientierten Lohngestaltung schützen. Zugleich soll die Einbeziehung des Betriebsrats zur Wahrung der innerbetrieblichen Lohngerechtigkeit sowie zur Sicherung der Angemessenheit und Durchsichtigkeit des [X.] beitragen ([X.] 23. März 2010 - 1 [X.] - Rn. 13, AP [X.] 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 135 = EzA [X.] 2001 § 50 Nr. 7). Die betriebliche Lohngestaltung betrifft die Festlegung abstrakter Kriterien zur Bemessung der Leistung des Arbeitgebers, die dieser zur Abgeltung der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers oder sonst mit Rücksicht auf das Arbeitsverhältnis insgesamt erbringt ([X.] 28. März 2006 - 1 [X.] - Rn. 25, [X.]E 117, 337). Mitbestimmungspflichtig sind die Strukturformen des Entgelts einschließlich ihrer näheren Vollzugsformen (vgl. [X.] 3. Dezember 1991 - [X.] 2/90 - zu [X.] 3 der Gründe, [X.]E 69, 134; 15. April 2008 - 1 [X.] - Rn. 22, [X.]E 126, 237).

b) [X.] iSd. § 87 Abs. 1 Nr. 10 [X.] sind die abstrakt-generellen Grundsätze zur Lohnfindung. Sie bestimmen das System, nach welchem das Arbeitsentgelt für die Belegschaft oder Teile der Belegschaft ermittelt oder bemessen werden soll. [X.] sind damit die allgemeinen Vorgaben, aus denen sich die Vergütung der Arbeitnehmer des Betriebs in abstrakter Weise ergibt ([X.] 28. April 2009 - 1 [X.] - Rn. 19, [X.]E 131, 1). Zu ihnen zählen neben der Grundentscheidung für eine Vergütung nach [X.] oder nach Leistung die daraus folgenden Entscheidungen über die Ausgestaltung des jeweiligen Systems (Kreft FS Kreutz S. 263, 265).

c) Der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 [X.] unterliegt die Einführung von [X.]n und deren Änderung durch den Arbeitgeber ([X.] 3. Dezember 1991 - [X.] 1/90 - zu [X.] 3 c der Gründe, AP [X.] 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 52). Dabei kommt es für das Beteiligungsrecht des Betriebsrats nicht darauf an, auf welcher rechtlichen Grundlage die Anwendung der bisherigen [X.] erfolgt ist, ob etwa auf der Basis bindender Tarifverträge, einer Betriebsvereinbarung, einzelvertraglicher Absprachen oder einer vom Arbeitgeber einseitig praktizierten [X.]. Denn nach der Konzeption des § 87 Abs. 1 Nr. 10 [X.] hängt das Mitbestimmungsrecht nicht vom Geltungsgrund der Entgeltleistung, sondern nur vom Vorliegen eines kollektiven Tatbestands ab (st. Rspr. zuletzt [X.] 22. Juni 2010 - 1 [X.] 853/08 - Rn. 22, AP [X.] 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 136 = EzA [X.] 2001 § 87 [X.] Nr. 22).

d) Die konkrete Höhe des Arbeitsentgelts wird allerdings nicht vom Beteiligungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 [X.] erfasst ([X.] 3. Dezember 1991 - [X.] 2/90 - zu [X.] der Gründe, [X.]E 69, 134; 28. Febr[X.]r 2006 - 1 [X.] - Rn. 15 mwN, [X.]E 117, 130). Auch kann der Arbeitgeber ohne Beteiligung des Betriebsrats unter Beibehaltung des bisherigen Vergütungsschemas die absolute Höhe der Vergütung um einen bestimmten Prozentsatz verringern, wenn hierdurch der relative Abstand der [X.] zueinander unverändert bleibt ([X.] 15. April 2008 - 1 [X.] - Rn. 25, [X.]E 126, 237).

2. Die bei der [X.] und ihren Rechtsvorgängern geltende [X.] entsprach der jeweils für das [X.] maßgeblichen tariflichen Vergütungsstruktur. Dies war bis zum 31. Oktober 2006 die des [X.] und anschließend die des [X.] und [X.].

a) Bis zur Errichtung der [X.] als rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts galt für die tarifgebundenen und die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer in der Klinik für Psychiatrie, Neurologie und Rehabilitation N die im [X.] in seiner jeweils geltenden Fassung enthaltende Vergütungsstruktur als einheitliche [X.] für die dort beschäftigten Arbeitnehmer.

Das [X.] wandte auf alle Arbeitnehmer der Klinik unabhängig von ihrer Tarifgebundenheit die im [X.] enthaltende Vergütungsstruktur in ihrer jeweils geltenden Fassung an. Zwar hat das [X.] keine Feststellungen zum [X.]punkt der erstmaligen Anwendung der für das Land geltenden Tarifverträge getroffen. Dies ist jedoch unschädlich, weil das [X.] die Übernahme der tariflichen [X.] entweder aufgrund eines fehlenden Mitbestimmungstatbestands ohne Beteiligung des Personalrats vornehmen konnte oder dessen Mitbestimmungsrecht aufgrund eines im Personalvertretungsgesetz [X.] enthaltenen [X.] eingeschränkt war. Die Aufstellung von [X.]n unterlag erst seit der Änderung des [X.] durch das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Personalvertretungen in den öffentlichen Verwaltungen und Betrieben in [X.] vom 23. November 1957 (GVBl. S. 151, 154) dem Mitbestimmungsrecht des Personalrats. Bis zur Ablösung des [X.] durch das Gesetz über die Mitbestimmung der Personalräte vom 11. Dezember 1990 (GVBl. S. 577) stand das Beteiligungsrecht bei der Aufstellung von [X.]n unter dem Vorbehalt einer bestehenden gesetzlichen oder tariflichen Regelung. Das [X.] war aufgrund seiner Mitgliedschaft in der [X.] ([X.]) an die von dieser abgeschlossenen Tarifverträge gebunden, so dass das Mitbestimmungsrecht des Personalrats bei der Einführung der Vergütungsstruktur des [X.] eingeschränkt war. Die [X.] und die durch das [X.] errichtete p haben die Anwendung der jeweils für das [X.] geltenden Tarifverträge aufgrund der zuletzt in § 10 Abs. 1 [X.] enthaltenen Verpflichtung beibehalten und fortgeführt.

b) Die für das [X.] maßgebliche tarifliche Vergütungsstruktur stellte auch nach dem Außerkrafttreten des [X.] am 30. September 2004 die in der [X.] geltende [X.] dar. Die p sowie die am 4. Jan[X.]r 2005 aus der formwechselnden Umwandlung entstandene Rechtsvorgängerin der [X.], die [X.], wandten unverändert das Tarifwerk des [X.] in der Fachklinik N an.

c) An die Stelle der [X.] des [X.] ist bei der [X.] ab dem 1. November 2006 die des [X.] sowie des [X.] getreten.

Dies folgt aus § 2 Abs. 1 [X.] iVm. der Anlage 1 zum [X.]. Danach werden [X.]. der [X.] sowie der [X.] Nr. 35 zum [X.] vom 31. Jan[X.]r 2003 durch den [X.] ersetzt. Es handelt sich dabei nicht um einen Tarifwechsel, sondern um eine von denselben Tarifvertragsparteien vereinbarte Tarifsukzession innerhalb des Geltungsbereichs des bisherigen Tarifvertrags ([X.] 22. April 2009 - 4 [X.] - Rn. 28, [X.]E 130, 286). An diesem Wechsel der [X.] war der bei der [X.] gebildete Betriebsrat nicht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 [X.] zu beteiligen, weil die bisherige Vergütungsstruktur nicht von der [X.] geändert worden ist, sondern in deren Betrieb nach wie vor das jeweils für das [X.] geltende Tarifwerk Anwendung fand. Dies waren ab dem 1. November 2006 der [X.] und die in ihm enthaltenen Vergütungsregelungen.

3. Entgegen der Auffassung des [X.]s hat die Beklagte bei der Einführung der [X.] das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 [X.] verletzt. Dies führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung (§ 562 Abs. 1 ZPO). Dabei kann dahinstehen, ob das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen ist, dass die Beklagte die [X.] für neu eingestellte oder - wie die Klägerin - in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommene Mitarbeiter ab dem 1. November 2006 angewandt hat. Die Klägerin hat in der Klageschrift als [X.]punkt für die Einführung der [X.] [X.] 2006“ angegeben. Diesem Vorbringen ist die Beklagte in den Vorinstanzen nicht entgegengetreten. Einer hierauf gestützten Zurückverweisung nach § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO bedarf es indes nicht, da der Senat eine abschließende Entscheidung treffen kann (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Beklagte hat keinen ausreichenden Vortrag gehalten, nach dem eine Beteiligung des Betriebsrats bei der Einführung der [X.] zu einem beliebigen [X.]punkt bis zum 30. Juni 2008 entbehrlich gewesen wäre.

a) Soweit unterstellt würde, dass die [X.] von der [X.] vor dem Inkrafttreten des [X.] erstmals angewandt worden ist, hätte ihre Einführung schon deshalb der Zustimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 [X.] unterlegen, weil sie gegenüber dem [X.] eine geänderte Vergütungsstruktur vorsieht. Die im [X.] und den übrigen vergütungsrelevanten Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes enthaltenen [X.] zeichneten sich neben der Zahlung einer Grundvergütung und eines Ortszuschlags durch die Gewährung von allgemeinen Zulagen, von Zulagen für bestimmte - erschwerte - Arbeiten, von Zuschlägen für die Arbeit zu bestimmten Tageszeiten oder in Wechselschicht, von Zuschlägen für Arbeiten über ein bestimmtes zeitliches Maß hinaus und von Einmalzahlungen zu bestimmten Terminen des Jahres aus ([X.] 28. Febr[X.]r 2006 - 1 [X.] - Rn. 17, [X.]E 117, 130). Diese Vergütungsstruktur hat die Beklagte in der [X.] nicht mehr beibehalten. Nach dieser sollte sich die Vergütung nicht mehr nach einer altersabhängigen Grundvergütung bemessen, die um einen Ortszuschlag ergänzt wird, sondern nach einem zweistufigen Grundentgelt mit sich daran anschließenden Entwicklungsstufen, deren Erfüllung von der Beschäftigungszeit abhängig ist. Die im [X.] vorgesehenen Bewährungs-, [X.]- und Tätigkeitsaufstiege sind in der [X.] ebenso unberücksichtigt geblieben wie die familienbezogenen Entgeltbestandteile. Eine solche Änderung der Entgeltstruktur hätte die Beklagte nur mit ihrem Betriebsrat vornehmen können.

b) Aber selbst wenn zugunsten der [X.] unterstellt würde, dass die [X.] zeitgleich oder nach Inkrafttreten des [X.] eingeführt worden ist, hätte diese Maßnahme nur nach vorheriger Zustimmung des Betriebsrats erfolgen dürfen. Die Beklagte hat sich bei der Einführung der [X.] nicht auf eine Änderung der Vergütungsstruktur beschränkt, die sie ohne Beteiligung ihres Betriebsrats vornehmen konnte.

Die von der [X.] durchgeführte Maßnahme war nicht deshalb mitbestimmungsfrei, weil von ihr nur die absolute Höhe der Vergütung betroffen war und die bisherigen [X.] unverändert geblieben sind. Dies ist nicht der Fall. Die Annahme des [X.]s, die [X.] habe den [X.]n des [X.] mit um 20 % abgesenkten Vergütungssätzen entsprochen, ist unzutreffend. Die in der [X.] für die einzelnen [X.]n ausgewiesenen Grundentgelte und Entwicklungsstufen sind nicht linear, sondern prozent[X.]l zwischen 13,15 % und 40,55 % gegenüber dem ab dem 1. November 2006 geltenden tariflichen Tabellenentgelt ermäßigt. Daneben hätte die Beklagte ohne Beteiligung ihres Betriebsrats die Entgelte nur mitbestimmungsfrei absenken können, wenn auch die weiteren Vergütungsbestandteile wie etwa die nach dem [X.] zu zahlenden Zulagen und Zuschläge sowie die Jahressonderzahlung ohne Änderung des Verhältnisses der [X.] zueinander ermäßigt worden wären. Dies hat aber die Beklagte selbst nicht behauptet.

4. Die Beklagte ist nach der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung verpflichtet, der Klägerin für den [X.]raum von Jan[X.]r bis Juni 2008 den noch im Streit stehenden Bruttobetrag von 763,08 [X.] zu zahlen.

a) Der Senat hat in Fortführung der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung angenommen, dass der Arbeitnehmer bei einer unter Verstoß gegen das Beteiligungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 [X.] vorgenommenen Änderung der im Betrieb geltenden [X.] eine Vergütung auf der Grundlage der zuletzt mitbestimmten [X.] fordern kann. Die im Arbeitsvertrag getroffene Vereinbarung über die Vergütungshöhe wird danach von Gesetzes wegen ergänzt durch die Verpflichtung des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer nach den im Betrieb geltenden [X.]n zu vergüten ([X.] 22. Juni 2010 - 1 [X.] 853/08 - Rn. 43 mwN, AP [X.] 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 136 = EzA [X.] 2001 § 87 [X.] Nr. 22).

b) Danach hat die Klägerin Anspruch auf die Differenz zwischen der Vergütung nach der [X.] 7a Stufe 3 [X.] und ihrer vertraglich vereinbarten Vergütung. Denn die Beklagte hat die in ihrem Betrieb geltende Vergütungsstruktur, die [X.]. durch die Anwendung der für das [X.] geltenden [X.] gekennzeichnet ist, nicht durch die Einführung der [X.] wirksam geändert. Dass die von der Klägerin zu beanspruchende Differenzvergütung den noch streitgegenständlichen Betrag von 763,08 [X.] erreicht, steht zwischen den Parteien außer Streit.

II. Auf die von der Klägerin erhobene Verfahrensrüge kommt es danach nicht an. Ebenso bedarf es keiner Entscheidung, ob die Sicherungsvereinbarung vom 1./21. Oktober 2004 den erhobenen Vergütungsanspruch begründet.

        

    Schmidt    

        

    Linck    

        

    Koch    

        

        

        

    Federlin    

        

    Platow    

                 

Meta

1 AZR 797/09

17.05.2011

Bundesarbeitsgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Lübeck, 29. Januar 2009, Az: 1 Ca 2379 b/08, Urteil

§ 87 Abs 1 Nr 10 BetrVG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17.05.2011, Az. 1 AZR 797/09 (REWIS RS 2011, 6623)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 6623

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Referenzen
Wird zitiert von

3 TaBV 18/21

10 TaBV 14/18

14 TaBV 25/17

13 TaBV 21/13

2 Sa 745/12

17 TaBV 38/11

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