Bundesgerichtshof, Urteil vom 01.02.2024, Az. VII ZR 688/21

7. Zivilsenat | REWIS RS 2024, 1598

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Tenor

Auf die Revision des [X.] wird der Beschluss des 21. Zivilsenats des [X.] vom 31. Mai 2021 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis zu 65.000 € festgesetzt.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte hinsichtlich eines von ihm im März 2013 als Gebrauchtwagen erworbenen und von der Beklagten hergestellten Fahrzeugs [X.] 3.0 [X.] (180 kw) in Anspruch. Den Kaufpreis finanzierte der Kläger durch ein Darlehen der [X.]. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs [X.] oder [X.]. 2 ([X.]) ausgestattet. Die Abgasrückführung erfolgt unter anderem [X.] mittels eines sogenannten Thermofensters. Ob das Fahrzeug von einem Rückrufbescheid des [X.] ([X.]) wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen betroffen ist, ist streitig.

2

Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte habe ihn im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe er den Kaufvertrag für das Fahrzeug nicht abgeschlossen. Mit der Klage hat er die Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 57.300 € nebst Delikts- und Verzugszinsen abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 8.337,68 € Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs, insoweit hilfsweise die Rückabwicklung des Kaufvertrags unter Freistellung von den Verbindlichkeiten aus dem Darlehensvertrag mit der [X.], weiter die Feststellung, dass sich die Beklagte im Annahmeverzug befinde sowie die Erstattung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangt.

3

Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung des [X.] hatte keinen Erfolg. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision hat Erfolg.

I.

5

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, wie folgt begründet:

6

Die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung lägen nicht vor. Es könne offenbleiben, ob es sich bei dem [X.] um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele. Denn das allein begründe eine Haftung nach § 826 BGB nicht. Anders als die "Umschaltlogik" unterscheide die hier eingesetzte temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befinde. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte zum Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses in Bezug auf das [X.] in dem Bewusstsein der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung gehandelt habe, habe der Kläger weder dargetan noch seien sie sonst ersichtlich. Auch in Bezug auf sonstige unzulässige Abschalteinrichtungen sei die Berufung erfolglos, weil der Kläger dazu keinen schlüssigen und erheblichen Sachvortrag gehalten habe. Zwar dürfe eine [X.] eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Umstände verlangen, über die sie kein zuverlässiges Wissen besitze und auch nicht erlangen könne. Eine Behauptung sei aber dann unbeachtlich, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich "aufs Geratewohl" oder "ins Blaue hinein" aufgestellt worden sei. So liege es hier:

7

Nicht zu beanstanden sei die landgerichtliche Feststellung, das Klägerfahrzeug sei nicht von einem Rückruf des [X.] wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung betroffen. Dies ergebe sich aus der vom [X.] veröffentlichten, allgemein zugänglichen Übersicht zu Rückrufen. Der Klägervortrag zu einem Rückruf Nr. 7130 vom 2. Dezember 2019 betreffend Fahrzeuge des Typs [X.], [X.] und [X.] wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form einer Lenkwinkelerkennung, welche die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unzulässig reduziere, sei überholt. [X.] des [X.] sei der [X.] dahin berichtigt worden, dass es um eine Konformitätsabweichung der [X.] gehe, und der Rückruf sei auf Fahrzeuge des Typs Audi [X.] und [X.] beschränkt worden. Der erstmals in der Stellungnahme zum Hinweisbeschluss gehaltene Vortrag zu einem "[X.]", das mittels Lenkwinkelerkennung nur auf dem Prüfstand initiiert werde, sei verspätet. Der Vortrag sei jedenfalls unerheblich, da sich aus ihm kein Indiz für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung ergebe. Der bloße Umstand, dass das Fahrzeug aufgrund bestimmter Parameter den Prüfstandslauf erkennen könne, genüge nicht zur Annahme einer unzulässigen Abschalteinrichtung zur prüfstandsbezogenen Manipulation der Stickoxidemissionen. Die Prüfstandserkennung sei vielmehr erforderlich, um technische Einrichtungen wie etwa das [X.] zur Vermeidung von Sicherheitsrisiken oder Messverfälschungen zu deaktivieren. Unzulässig und objektiv sittenwidrig seien solche Einrichtungen nur, wenn damit gezielt Emissionen in grenzwertrelevanter Weise zur Erschleichung der Typgenehmigung auf dem Prüfstand manipuliert würden. Dies behaupte der Kläger zwar, die vorgelegten Unterlagen bestätigten dies jedoch gerade nicht. Aus ihnen ergebe sich vielmehr, dass die [X.] eingehalten oder zumeist eingehalten würden. Dies trage den Vorwurf des objektiv sittenwidrigen Verhaltens im Sinne des § 826 BGB nicht. Darüber hinaus habe das [X.] diese Getriebesteuerung gerade nicht als unzulässige Abschalteinrichtung, sondern als bloße Konformitätsabweichung eingestuft. Der Vortrag zu einem Ergänzungsgutachten in einem Verfahren vor dem [X.] sei ebenfalls nicht nur verspätet, sondern ebenso unerheblich. Ohne greifbare Anhaltspunkte für das Bestehen einer unzulässigen Abschalteinrichtung stelle sich die Vorsatzproblematik nicht. Eine Haftung gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 [X.]-FGV scheide mangels drittschützenden Charakters der Normen aus.

II.

8

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

9

1. Allerdings begegnet es auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen keinen revisionsrechtlichen Zweifeln, dass das Berufungsgericht eine Haftung der [X.] gemäß §§ 826, 31 BGB mangels vorsätzlichen und sittenwidrigen Verhaltens verneint hat. Die Revision zeigt nicht auf, dass dem Berufungsgericht insoweit bei der Würdigung der von ihm festgestellten Tatsachen und des von ihm als zutreffend unterstellten Sachvortrags des [X.] ein Rechtsfehler unterlaufen wäre (vgl. zur eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfung [X.], Urteil vom 25. November 2021 - [X.] Rn. 32 m.w.N., [X.], 87). Sie legt auch nicht dar, dass das Berufungsgericht relevanten Sachvortrag oder Beweisantritte des darlegungs- und beweisbelasteten [X.] (vgl. [X.], Urteil vom 13. Juli 2021 - [X.] Rn. 14, [X.], 1252; Beschluss vom 19. Januar 2021 - [X.]/19 Rn. 19, NJW 2021, 921; Beschluss vom 9. März 2021 - [X.] 889/20 Rn. 29, NJW 2021, 1814; Beschluss vom 14. März 2022 - [X.] Rn. 21, juris) übergangen hätte.

Gegen die Abweisung eines Anspruchs gemäß § 826 BGB in Bezug auf das unstreitig im Klägerfahrzeug enthaltene [X.] mangels Vortrags zur Sittenwidrigkeit wendet sich die Revision nicht konkret.

Das Berufungsgericht unterstellt zwar, dass das Klägerfahrzeug über eine Prüfstandserkennung in Form der Lenkwinkelerkennung verfügt. Das Berufungsgericht führt aber zutreffend aus, dass allein der bloße Umstand, dass das Fahrzeug aufgrund bestimmter Parameter den Prüfstandslauf erkennen könne, nicht die Annahme einer unzulässigen Abschalteinrichtung zur prüfstandsbezogenen Manipulation der Stickoxidemissionen rechtfertige. Eine Prüfstandserkennung indiziert nur dann die für eine Haftung gemäß § 826 BGB erforderliche arglistige Täuschung der Genehmigungsbehörden, wenn eine Manipulationssoftware ausschließlich im Prüfstand die Abgasreinigung verstärkt aktiviert (vgl. [X.], Beschluss vom 29. September 2021 - [X.]/21 Rn. 18, juris; Urteil vom 16. September 2021 - [X.]/20 Rn. 19, [X.], 2108; Beschluss vom 9. März 2021 - [X.] 889/20 Rn. 27, [X.], 661; Beschluss vom 19. Januar 2021 - [X.]/19 Rn. 18, [X.], 297). Die Behauptung des [X.], mit der Prüfstandserkennung in Form der Lenkwinkelerkennung gehe analog zur "Umschaltlogik" bei dem den sogenannten [X.] auslösenden [X.] ein Umschalten in den "gesetzlich vorgeschriebenen sauberen Modus" beziehungsweise in ein "[X.]" einher, hat das Berufungsgericht als prozessual unbeachtlich angesehen. Hieran ist das Revisionsgericht gemäß § 559 Abs. 2 ZPO in Ermangelung eines zulässigen und begründeten Revisionsangriffs gebunden. Welche Anhaltspunkte das Berufungsgericht bei seiner Würdigung des [X.] verfahrensfehlerhaft übergangen haben soll, legt die Revision nicht dar. Sie setzt nur ihre Bewertung des [X.] an die Stelle der Würdigung des Berufungsgerichts.

Entgegen der Auffassung der Revision kommt es damit auf eine sogenannte Grenzwertkausalität nicht an, wie die Revisionserwiderung zutreffend ausführt. Denn die Frage, ob eine unzulässige Abschalteinrichtung lediglich dann als sittenwidrig-manipulativ einzustufen ist, wenn sie zu einer Einhaltung der Emissionsgrenzwerte nur auf dem Prüfstand führt, stellt sich hier nicht.

2. Im Lichte der nach Erlass der Entscheidung des Berufungsgerichts ergangenen neueren Rechtsprechung des [X.] kann allerdings eine Haftung der [X.] nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV auf Ersatz des [X.] nicht ausgeschlossen werden (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.], [X.] 2023, 1421 ff.).

Der [X.]. Zivilsenat des [X.] hat am 26. Juni 2023 entschieden, dass von § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV nach der gebotenen unionsrechtlichen Lesart das Interesse des Käufers geschützt ist, durch den Abschluss eines Kaufvertrags über ein Kraftfahrzeug nicht wegen eines Verstoßes des Fahrzeugherstellers gegen das [X.] Abgasrecht eine Vermögenseinbuße im Sinne der [X.] zu erleiden. Der [X.] habe in seinem Urteil vom 21. März 2023 (Az. [X.]/21) Art. 3 Nr. 36, Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46/[X.] im Sinne des Schutzes auch der individuellen Interessen des Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO ([X.]) Nr. 715/2007 ausgerüsteten Kraftfahrzeugs gegenüber dem Fahrzeughersteller ausgelegt. Den Schutz der individuellen Interessen des [X.] im Verhältnis zum Hersteller habe er dabei aus der in Art. 26 Abs. 1 der Richtlinie 2007/46/[X.] vorgesehenen Beifügung einer Übereinstimmungsbescheinigung für die Zulassung, den Verkauf oder die Inbetriebnahme des Fahrzeugs abgeleitet. Der [X.] habe das auf der Übereinstimmungsbescheinigung beruhende und unionsrechtlich geschützte Vertrauen des Käufers mit dessen Kaufentscheidung verknüpft und dem Unionsrecht auf diesem Weg einen von einer vertraglichen Sonderverbindung unabhängigen Anspruch des [X.] gegen den Fahrzeughersteller auf Schadensersatz "wegen des Erwerbs" eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs entnommen. Das trage dem engen tatsächlichen Zusammenhang zwischen dem Vertrauen des Käufers auf die Ordnungsmäßigkeit des erworbenen Kraftfahrzeugs einerseits und der Kaufentscheidung andererseits Rechnung. Dieser Zusammenhang wiederum liege der Rechtsprechung des [X.] zu dem Erfahrungssatz zugrunde, dass ein Käufer, der ein Fahrzeug zur eigenen Nutzung erwerbe, in Kenntnis der Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung von dem Erwerb des Fahrzeugs abgesehen hätte. Dementsprechend könne der vom Gerichtshof geforderte Schutz des Käufervertrauens im Verhältnis zum Fahrzeughersteller, sollten [X.] vermieden werden, nur unter einer Einbeziehung auch der Kaufentscheidung gewährleistet werden (vgl. Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.], [X.] 2023, 1421 ff.; ebenso [X.], Urteil vom 20. Juli 2023 - [X.]/20 Rn. 22, [X.] 2023, 1903). Der erkennende Senat hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen (vgl. Urteile vom 26. Oktober 2023- [X.]/21 und [X.], juris).

III.

Danach hat der angefochtene Beschluss keinen Bestand. Er ist aufzuheben und die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Eine Entscheidung in der Sache durch den Senat kommt nicht in Betracht, weil der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).

[X.]     

      

[X.]     

      

Jurgeleit

      

Brenneisen     

      

[X.]     

      

Meta

VII ZR 688/21

01.02.2024

Bundesgerichtshof 7. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG München, 31. Mai 2021, Az: 21 U 5477/20

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 01.02.2024, Az. VII ZR 688/21 (REWIS RS 2024, 1598)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 1598

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