Bundesgerichtshof, Versäumnisurteil vom 02.03.2012, Az. V ZR 159/11

5. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 8589

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Gegenstand

Erbbaurechtsvertrag: Voraussetzungen einer Erbbauzinsanpassung nach der Entwicklung des Verbraucherpreisindexes


Leitsatz

Bemisst sich die vereinbarte Anpassung der Höhe des Erbbauzinses statt nach der Entwicklung des seit 2003 nicht mehr festgestellten Lebenshaltungskostenindexes eines 4-Personen-Arbeitnehmerhaushalts mit mittlerem Einkommen des allein verdienenden Haushaltsvorstands nunmehr nach der Entwicklung des Verbraucherpreisindexes (VPI), bleiben die ursprünglich vereinbarten Anpassungsvoraussetzungen maßgeblich.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil der 2. Zivilkammer des [X.] vom 25. Mai 2011 - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels - im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Beklagte zur Zahlung verurteilt und festgestellt worden ist, dass sie Erbbauzins in Höhe von 2.514,05 € schuldet.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 14. Dezember 2010 teilweise abgeändert: Die Klage wird abgewiesen, soweit festgestellt worden ist, dass die Beklagte Erbbauzins in Höhe von 2.514,05 € jährlich schuldet.

Im Übrigen wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Beklagte ist Erbbauberechtigte eines dem Kläger gehörenden Grundstücks. In Abschnitt II § 4 des [X.] vom 1. April 1974 heißt es u.a.:

"Die Vertragsparteien werden bei einer wesentlichen Veränderung der allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse die Höhe des [X.] den neuen veränderten Verhältnissen angleichen.

Sollte sich daher der vom [X.] in [X.] herausgegebene Lebenshaltungskostenindex eines 4-Personen-Arbeitnehmer-Haushaltes mit mittlerem Einkommen des alleinverdienenden [X.] gegenüber dem [X.] oder gegenüber dem Tage einer später eintretenden Änderung des [X.] auf der Basis von 1962 um zehn oder mehr Punkte erhöhen, so ist der Erbbauberechtigte auf Antrag des Grundeigentümers verpflichtet, einen zusätzlichen Erbbauzins im gleichen Verhältnis zu der Erhöhung des Indexes zu zahlen und entsprechend ein weiteres dingliches Erbbaurecht zu bestellen. Das Gleiche gilt entsprechend, wenn sich der Index um zehn oder mehr Punkte ermäßigt mit der Folge, dass sich der zu zahlende Erbbauzins entsprechend ermäßigt.

Eine Verpflichtung des Erbbauberechtigten, einen zusätzlichen Erbbauzins zu zahlen und entsprechend ein weiteres dingliches Erbbauzinsrecht zu bestellen, soll wiederholt in Betracht kommen, wenn die Voraussetzungen der Erhöhung des [X.] wiederholt eintreten sollten.

… Eine Überprüfung und ggfls. Veränderung des [X.] soll jedoch erstmals nach Ablauf von drei Jahren, also am 1. April 1977, möglich sein."

2

Die letzte Anpassung des [X.] erfolgte zum 1. Oktober 2005 auf 2.338,16 € jährlich. Mit Schreiben vom 21. Oktober 2008 verlangte der Kläger eine Erhöhung auf 2.514,05 € jährlich ab dem 1. Januar 2009; seine Berechnung stützte er auf Veränderungen des [X.], weil der vertraglich vereinbarte Index am 1. Januar 2003 weggefallen war.

3

Der auf die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 131,91 € nebst Zinsen und 64,41 € vorgerichtlicher Kosten sowie auf die Feststellung, dass die Beklagte Erbbauzins in Höhe von 2.514,05 € jährlich schulde und für die künftigen Erbbauzinsanpassungen der Verbraucherpreisindex als Berechnungsgrundlage anzuwenden sei, gerichteten Klage hat das - sachverständig beratene - Amtsgericht mit Ausnahme des zweiten Feststellungsantrags stattgegeben. Die Berufung des [X.] ist erfolgreich gewesen, die der Beklagten nicht.

4

Mit der von dem [X.] zugelassenen Revision will die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage erreichen. Der Kläger ist in dem Revisionsverfahren anwaltlich nicht vertreten.

Entscheidungsgründe

I.

5

Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist eine "automatische Ersetzung" des für die [X.]anpassung vereinbarten, ab dem 1. Januar 2003 weggefallenen Indexes durch den Verbraucherpreisindex gerechtfertigt. Auf dieser Grundlage schulde die Beklagte den von dem Amtsgericht ausgeurteilten und festgestellten [X.]. Der für die Anpassung vereinbarten Erhöhung des [X.] um zehn oder mehr Punkte entspreche eine Erhöhung des [X.] um 2,93 Punkte oder mehr. Dieser Wert sei überschritten; der für die letzte Erhöhung maßgebliche Wert von Mai 2005 habe sich bis zu dem für die jetzt verlangte Erhöhung maßgeblichen Zeitpunkt im September 2008 um 7,5 Punkte erhöht. Daraus ergebe sich ein jährlicher [X.] von 2.514,05 €.

II.

6

Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

7

1. Der Kläger war trotz rechtzeitiger Bekanntmachung in dem Verhandlungstermin nicht erschienen. Deshalb ist über die Revision der Beklagten durch Versäumnisurteil zu entscheiden. Inhaltlich beruht das Urteil jedoch nicht auf der Säumnis, sondern auf einer Sachprüfung (vgl. [X.], Urteil vom 4. April 1962 - [X.], [X.], 79, 82).

8

2. Die Revision ist statthaft (§ 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Zwar ist ihre Zulassung in dem Berufungsurteil rechtswidrig, weil keiner der in § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO genannten Zulassungsgründe vorliegt; entgegen der Ansicht des Berufungsgericht ist nämlich eine höchstrichterliche Entscheidung, um, wie es formuliert, "eine Vielzahl von Fällen zu regulieren, in denen eine Anpassung eines [X.], der üblicherweise auf die früheren [X.] beruhten", nicht mehr erforderlich, weil der [X.] sie bereits am 31. Oktober 2008 ([X.], [X.], 679) getroffen hat. Aber das Revisionsgericht ist nach § 543 Abs. 2 Satz 2 ZPO an die Zulassung gebunden. Auch im Übrigen ist das Rechtsmittel zulässig (§§ 548 ff. ZPO).

[X.]

9

1. Die Revision ist begründet, soweit sie sich dagegen richtet, dass das Berufungsgericht die vertraglichen Voraussetzungen für die Erhöhung des [X.] auf 2.514,05 € jährlich für gegeben hält.

a) Da der in dem Erbbaurechtsbestellungsvertrag für die Anpassung des [X.] vereinbarte Lebenshaltungskostenindex seit dem 1. Januar 2003 weggefallen ist, muss die dadurch entstandene Lücke im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung geschlossen werden. Dabei ist darauf abzustellen, was die Parteien bei Abwägung ihrer Interessen nach [X.] und Glauben als redliche Vertragspartner vereinbart hätten, wobei zunächst an die in dem Vertrag enthaltenen Regelungen und Wertungen anzuknüpfen ist. Die fortgefallene Bemessungsgrundlage ist durch diejenige zu ersetzen, die dem weggefallenen Index am nächsten kommt und deshalb am besten geeignet ist, den in Abschnitt II § 4 des [X.] zum Ausdruck gekommenen Willen der [X.] umzusetzen (vgl. [X.], Urteil vom 31. Oktober 2008 - [X.], [X.], 679 mwN). Ob sich das Berufungsgericht dieser Notwendigkeit bewusst war, ist angesichts des [X.] der Notwendigkeit einer "automatisierten" Vertragsanpassung zweifelhaft, kann jedoch offenbleiben. Denn es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass es seiner Berechnung den Verbraucherpreisindex zugrunde gelegt hat; es entspricht allgemeiner Auffassung, dass dieser dem seit 2003 nicht mehr festgestellten Preisindex für die Lebenshaltung eines [X.] mit mittlerem Einkommen am nächsten kommt ([X.], Urteil vom 31. Oktober 2008 - [X.], [X.], 679, 680 mwN).

b) Rechtsfehlerhaft bejaht das Berufungsgericht jedoch generell einen Erhöhungsanspruch des [X.]. Es hat nämlich die Regelung in Abschnitt II § 4 Abs. 3 Satz 2 des [X.] übergangen, nach der die Anpassung des [X.] nur bei einer wesentlichen Änderung der allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse möglich ist. Zu dieser Voraussetzung verhält sich das Berufungsurteil nicht. Feststellungen hierzu sind jedoch schon deshalb notwendig, weil nicht ohne Weiteres erkennbar ist, weshalb die von dem gerichtlich bestellten Sachverständigen ermittelte Änderung von 2,93 Punkten bei Zugrundelegung des [X.] der vertraglich vereinbarten Änderung von zehn Punkten bei Zugrundelegung des [X.], ab der von einer wesentlichen Veränderung der allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse auszugehen ist, entsprechen soll, obwohl der neue Index dem weggefallenen Index am nächsten kommt.

c) Ebenfalls rechtsfehlerhaft ist die Ermittlung der Bemessungsgrundlage für das Erhöhungsverlangen, bei der das Berufungsgericht ohne eigene Erwägungen den Berechnungen des Amtsgerichts gefolgt ist, das die Ausführungen des von ihm bestellten Sachverständigen übernommen hat. Die Beklagte weist zutreffend darauf hin, dass das Berufungsgericht - ebenso wie das Amtsgericht - die von ihr vorgelegten Hinweise des [X.] von Februar 2008 zu dem Verbraucherpreisindex für [X.] unberücksichtigt gelassen hat, in denen für den Umgang mit Punkteregelungen in alten [X.] empfohlen wird, für Anpassungen nur noch die Berechnung der reinen prozentualen Veränderung und keine Punkteberechnungen mehr durchzuführen sowie die Verträge auf [X.] umzustellen. Ob die Umsetzung dieser Empfehlungen dem mutmaßlichen Willen der Parteien des [X.] entsprochen hätte, wenn sie den Wegfall des vereinbarten [X.] vorhergesehen hätten, musste das Berufungsgericht im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung ermitteln.

d) Nach den vorstehenden Ausführungen hat das Berufungsurteil keinen Bestand, soweit die Beklagte zur Zahlung verurteilt worden ist. Es ist deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO); die Sache ist insoweit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO), damit es auf nachvollziehbarer Grundlage die Feststellung nachholen kann, ob sich die allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse im Sinne der Vertragsklausel seit der letzten [X.]anpassung wesentlich verändert haben, und damit es die notwendige ergänzende Vertragsauslegung zur Ermittlung der Berechnungsgrundlage für das Erhöhungsverlangen bei Anwendung des [X.] vornimmt.

2. Begründet ist die Revision auch, soweit sie sich gegen die Feststellung richtet, die Beklagte schulde [X.] in Höhe von 2.514,05 € jährlich. Der diesem [X.] zugrunde liegende Klageantrag ist unzulässig, weil der Kläger eine Leistungsklage hätte erheben können (st. Rspr. des [X.], siehe schon Beschluss vom 4. April 1952 - [X.]/52, [X.]Z 5, 314, 315). Denn ein rechtliches Interesse im Sinne von § 256 ZPO ist regelmäßig dann zu verneinen, wenn hinsichtlich des positiv festzustellenden Anspruchs eine Leistungsklage möglich und zulässig ist. So ist es hier. Der [X.] hat bereits entschieden, dass die Verpflichtung zur Zahlung künftigen [X.] auch dann Gegenstand einer Leistungsklage nach § 258 ZPO sein kann, wenn sich - wie hier - die Höhe des [X.] aufgrund einer vereinbarten Wertsicherungsklausel ändern kann (Urteil vom 17. November 2006 - [X.], [X.], 294 f.). Auch insoweit ist das Berufungsurteil somit aufzuheben. Da die Sache in diesem Punkt zur Endentscheidung reif ist, hat der [X.] selbst zu entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Das führt - auf die Berufung der Beklagten hin - zur Abweisung der Klage insoweit.

3. Unbegründet ist die Revision jedoch, soweit sie sich gegen die weitere Feststellung richtet, dass für die künftigen [X.]anpassungen der Verbraucherpreisindex als Berechnungsgrundlage anzuwenden sei. Der diesem [X.] zugrunde liegende Klageantrag ist zulässig und begründet.

a) Gegenstand einer Feststellungsklage nach § 256 ZPO kann nur das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses sein, d.h. der aus einem konkreten Lebenssachverhalt entstandenen Rechtsbeziehungen von Personen zu Personen oder von Personen zu Sachen; nicht zulässig ist eine Feststellung zur Klärung einzelner Vorfragen, zur Klärung der Elemente eines Rechtsverhältnisses oder zur Klärung der Berechnungsgrundlagen eines Anspruchs oder einer Leistungspflicht ([X.], Urteil vom 3. März 1982 - [X.], NJW 1982, 1878, 1879). Auf Letzteres läuft der zweite Feststellungsantrag des [X.] zwar seinem Wortlaut nach hinaus. Aber er ist dahingehend auszulegen, dass der Kläger die Verpflichtung der Beklagten festgestellt haben will, den Verbraucherpreisindex als Grundlage für künftige Anpassungen des [X.] zu akzeptieren. Dabei handelt es sich um die Feststellung eines durch Auslegung ermittelten Teils des [X.] und damit um die Feststellung eines Rechtsverhältnisses im Sinne von § 256 ZPO (vgl. [X.], Urteil vom 3. März 1982 - [X.], aaO). Dem so verstandenen Antrag fehlt es nicht an dem notwendigen Feststellungsinteresse (siehe vorstehend unter 2.); der Kläger könnte zwar eine Klage auf künftige Zahlung erheben und zur Begründung der [X.] auf den Verbraucherpreisindex abstellen. Bei Erfolg der Klage stünde aber nicht mit Rechtskraft fest, dass die Beklagte diesen Index auch für künftige [X.]anpassungen akzeptieren muss.

b) Zur Begründetheit des [X.] wird - um bloße Wiederholungen zu vermeiden - auf die vorstehenden Ausführungen unter [X.] 1. a) verwiesen.

[X.]                                            Schmidt-Räntsch

                          Brückner                                               Weinland

Meta

V ZR 159/11

02.03.2012

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Versäumnisurteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Stade, 25. Mai 2011, Az: 2 S 3/11

§ 9a ErbbauV, § 133 BGB, § 157 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Versäumnisurteil vom 02.03.2012, Az. V ZR 159/11 (REWIS RS 2012, 8589)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 8589

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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