Bundessozialgericht, Beschluss vom 05.10.2010, Az. B 8 SO 62/10 B

8. Senat | REWIS RS 2010, 2681

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Entscheidungsgründe des Urteils - Nichterwähnen einzelnen Vorbringens - rechtliches Gehör


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 28. April 2010 - L 6 [X.] 34/09 - wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Im Streit ist, ob die [X.]eklagte höhere Grundsicherungsleistungen im Alter und bei Erwerbsminderung, insbesondere unter [X.]eachtung eines behinderungsbedingten Mehrbedarfs, zu gewähren hat.

2

Der Kläger bezieht seit Anfang 2005 Leistungen der Grundsicherung. Die monatlichen Leistungen der [X.]eklagten setzen sich zusammen aus dem Regelsatz in Höhe von 347 Euro, einem Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung, Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen, der Grundmiete sowie den Heizkosten. Im Februar 2008 beantragte der Kläger unter Hinweis auf seinen Einkommensteuerbescheid 2006, der einen [X.]ehindertenpauschbetrag von 720 Euro jährlich ausweise, die Überprüfung aller [X.] rückwirkend ab dem 1.1.2005 mit dem Ziel, diesen [X.]etrag bei der [X.]emessung der Leistungen nach dem [X.] - ([X.]) als Sonderbedarf berücksichtigt zu erhalten. Die [X.]eklagte lehnte den Antrag ab, weil der Pauschbetrag des § 33b Einkommensteuergesetz (EStG) lediglich mit einer Einkommenserzielung verbundene besondere [X.]elastungen abgelten solle ([X.]escheid vom 28.2.2008; Widerspruchsbescheid vom [X.]). Klage und [X.]erufung des [X.] sind erfolglos geblieben (Gerichtsbescheid des [X.] vom 15.1.2009; Urteil des [X.] <[X.]> vom [X.]). In seiner [X.]egründung hat das [X.] ausgeführt, die von der [X.]eklagten ab 1.1.2005 erlassenen [X.]escheide hätten weder das Recht unrichtig angewandt noch seien sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen; auch aus dem Urteil des [X.] ([X.]) vom [X.] (1 [X.]vL 1/09 ua) könne nichts anderes hergeleitet werden, weil "die streitigen Vorschriften" jedenfalls bis zum Ende des laufenden Kalenderjahrs weiter anzuwenden seien.

3

Mit seiner [X.]eschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht der Kläger das Vorliegen eines Verfahrensfehlers (§ 160 Abs 2 [X.] Sozialgerichtsgesetz ) geltend. Das Urteil des [X.] befasse sich nicht mit seinem - des [X.] - Schriftsatz vom [X.], in dem er auf die Entscheidung des [X.]undessozialgerichts ([X.]SG) vom [X.] ([X.] AS 29/09 R) hingewiesen habe, wonach ein besonderer atypischer [X.]edarf - z[X.] auf Grund von Schwerbehinderung - vorhanden und zu decken sei. Es müsse davon ausgegangen werden, dass das [X.] sein Vorbringen nicht zur Kenntnis, jedenfalls aber nicht erwogen habe. Es sei nicht auszuschließen, dass das Urteil des [X.] auf diesem Verfahrensfehler beruhe. Denn das [X.] wäre nicht umhingekommen, anders zu entscheiden, wenn es den Schriftsatz mit dem Hinweis auf die [X.] zur Kenntnis genommen hätte.

4

Trotz eines Hinweises des [X.] auf die Möglichkeit, von der weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen zu können (§ 153 Abs 2 SGG), sei die Entscheidung des [X.] so lückenhaft begründet, dass im Sinne eines absoluten Revisionsgrunds von einem Verstoß gegen die [X.]egründungspflicht von Entscheidungen (§ 136 Abs 1 [X.] SGG) auszugehen sei. Die für erfüllt oder nicht erfüllt gehaltenen Tatbestandsmerkmale und die dafür ausschlaggebenden tatsächlichen und rechtlichen Gründe als zu fordernde Mindestvoraussetzungen einer [X.]egründung müssten vorhanden sein. Diese seien aber so lückenhaft, widersprüchlich und nicht nachvollziehbar, dass vom Fehlen der Entscheidungsgründe auszugehen sei.

5

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund eines [X.], auf dem die Entscheidung des [X.] beruhen kann (§ 160 Abs 2 [X.] SGG), nicht in der erforderlichen Weise bezeichnet worden ist (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Der [X.] konnte deshalb über die [X.]eschwerde ohne Zuziehung [X.] gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG iVm § 169 SGG entscheiden.

6

Macht ein Kläger das Vorliegen eines [X.] geltend, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann, so muss er bei der [X.]ezeichnung des [X.] wie bei einer Verfahrensrüge innerhalb einer zugelassenen Revision zunächst die diesen Verfahrensmangel des [X.] (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dartun ([X.] § 160a [X.], 24, 34 und 36). Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des [X.] - ausgehend von dessen Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit der [X.]eeinflussung des Urteils besteht ([X.] § 160a [X.] und 36), es sei denn, es werden absolute Revisionsgründe gerügt, bei denen gemäß § 202 SGG iVm § 547 Zivilprozessordnung (ZPO) der Einfluss auf die Entscheidung unwiderlegbar vermutet wird ([X.] 4, 281, 288; [X.] § 136 [X.] 8).

7

Gemäß § 202 SGG iVm § 547 [X.] ZPO liegt ein absoluter Revisionsgrund vor, wenn die Entscheidung entgegen den [X.]estimmungen des Gesetzes nicht mit Gründen versehen ist. Um die Nichtzulassungsbeschwerde hierauf stützen zu können, muss ein [X.]eschwerdeführer darlegen, dass die Entscheidung entweder überhaupt keine [X.]egründung enthält oder dass die Gründe in so extremem Maß mangelhaft sind, dass sie ihre Funktion (Unterrichtung der [X.]eteiligten über die dem Urteil zugrunde liegenden Erwägungen) nicht erfüllen können ([X.]undesverwaltungsgericht <[X.]VerwG> [X.] 310 § 138 Ziff 6 VwGO [X.]2). Die [X.]egründungspflicht ist nicht schon dann verletzt, wenn die Ausführungen des Gerichts zu den rechtlichen Voraussetzungen und zum tatsächlichen Geschehen aus der Sicht eines Dritten falsch, oberflächlich oder wenig überzeugend sind (vgl [X.]-4300 § 223 [X.] 1; [X.]SG, [X.]eschluss vom 12.2.2004 - [X.] RA 67/03 [X.]). Vom Fehlen der Entscheidungsgründe ist hiernach nur auszugehen, wenn die Entscheidungsgründe rational nicht nachvollziehbar, sachlich inhaltslos oder sonst derart unbrauchbar sind, dass sie unter keinem denkbaren Gesichtspunkt geeignet sind, den [X.] zu tragen ([X.]VerwG aaO; [X.]VerwGE 117, 228 ff), oder wenn die angeführten Gründe verworren sind oder nur nichtssagende Redensarten enthalten oder zu einer von einem [X.]eteiligten aufgeworfenen, eingehend begründeten und für die Entscheidung nach Ansicht des Gerichts erheblichen Rechtsfrage nur angeführt wird, dass diese Auffassung nicht zutreffe ([X.]SG, [X.]eschluss vom 12.2.2004 - [X.] RA 67/03 [X.] -, mit [X.], [X.] 18/2004 Anm 4).

8

Der Kläger behauptet nicht, dass die Entscheidung des [X.] keine [X.]egründung enthalte. Er hält die [X.]egründung lediglich für "lückenhaft, widersprüchlich und nicht nachvollziehbar begründet", weil die Ausführungen des Gerichts zu den rechtlichen Voraussetzungen und zum tatsächlichen Geschehen unvollständig seien. Dies reicht nach der Rechtsprechung des [X.]SG ([X.]-4300 § 223 [X.] 1; [X.]SG, [X.]eschluss vom 12.2.2004 - [X.] RA 67/03 [X.]) für die [X.]ezeichnung eines [X.] (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) aber nicht aus. Auch dass die [X.]egründung des angefochtenen Urteils den Tenor der [X.]-Entscheidung nicht trage, behauptet der Kläger nicht. Dass er sie für inhaltlich unzutreffend hält, eröffnet die Revisionsinstanz nicht (vgl [X.] § 160a [X.] 7).

9

Auch die bloße [X.]ehauptung, ein bestimmter Vortrag des [X.] (in seinem Schriftsatz vom [X.]) sei vom [X.] nicht berücksichtigt worden, genügt den Anforderungen an die [X.]ezeichnung eines [X.] nicht. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen eines [X.]eteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Das Gericht ist dabei nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen auch in der [X.]egründung seiner Entscheidung ausdrücklich zu befassen. Insbesondere ist es nicht verpflichtet, auf sämtliche Tatsachen und Rechtsansichten einzugehen, die im Laufe des Verfahrens von der einen oder der anderen Seite zur Sprache gebracht worden sind ([X.]E 96, 205, 217). Deshalb kann ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör (§ 62 SGG; Art 103 Abs 1 GG) nicht angenommen werden, wenn das Gericht Ausführungen eines [X.]eteiligten unerwähnt lässt, die nach seinem Rechtsstandpunkt unerheblich oder offensichtlich haltlos sind ([X.]E 70, 288, 293 f). Um einen Verstoß gegen das rechtliche Gehör darzulegen, hätte der Kläger deshalb substantiiert vortragen müssen, dass es sich bei dem Vortrag in seinem Schriftsatz vom [X.] um seinen Kernvortrag handelt und sich das [X.] - auch ausgehend von seiner Rechtsansicht - damit hätte befassen müssen. [X.] Vortrag fehlt indes. Unter diesen Voraussetzungen ist es ohne [X.]edeutung, ob die Klage in diesem Verfahren nicht ohnedies mit Rücksicht auf die im Verfahren [X.] [X.] 61/10 [X.] zuvor erhobene Klage wegen bereits bestehender Rechtshängigkeit unzulässig war.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Meta

B 8 SO 62/10 B

05.10.2010

Bundessozialgericht 8. Senat

Beschluss

Sachgebiet: SO

vorgehend SG Kassel, 15. Januar 2009, Az: S 11 SO 108/08, Gerichtsbescheid

§ 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG, § 136 Abs 1 Nr 6 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 05.10.2010, Az. B 8 SO 62/10 B (REWIS RS 2010, 2681)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 2681

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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