Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 02.08.2011, Az. 5 StR 259/11

5. Strafsenat | REWIS RS 2011, 4244

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen



5 StR 259/11

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS

vom 2. August 2011
in der Strafsache
gegen

wegen Totschlags

-
2
-

Der 5. Strafsenat des [X.] hat am 2. August 2011
beschlossen:

Auf die Revision des
Angeklagten wird
das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 28. Januar 2011 gemäß
§ 349 Abs. 4
StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Ju-gendkammer
des [X.]s zurückverwiesen.

[X.]e

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer [X.] verurteilt. Die dagegen erhobene Revision des Angeklagten greift mit der Sachrüge durch. Auf die Verfahrensrüge kommt es demnach nicht mehr an.

1. Das [X.] hat im Wesentlichen folgende Feststellungen ge-troffen:

a) Der in [X.] als drittes Kind [X.] Eltern in einer zehnköpfi-gen Geschwisterreihe geborene Angeklagte entwickelte sich zu einem ver-gleichsweise guten Schüler. Er hielt Distanz zu den subkulturellen Milieus und pflegte Kontakte zu seiner [X.] Umgebung. Die [X.] hat bisher lediglich im Juni 2009 gemäß § 45 Abs. 1 JGG von der Verfolgung einer dem Angeklagten angelasteten Körperverletzung (Schubsen einer Mitschülerin) abgesehen.

1
2
3
-
3
-

b) Der Vater des Angeklagten K.

F.

nahm die 1981 geborene [X.] Staatsangehörige O.

R.

nach muslimischem Recht zu seiner Zweitfrau. Aus dieser Verbindung gingen zwei Halbbrüder des Ange-klagten, der am 16. Januar 2007 geborene Ir.

F.

sowie der am 24.
Oktober 2008 geborene N.

F.

hervor. Die Kinder hielten sich re-gelmäßig

auch für Übernachtungen

in der Familienwohnung auf, wohin sie häufig auch von
dem
Angeklagten aus der Wohnung ihrer Mutter ver-bracht
worden waren.

O.

R.

war mit ihrem Leben unzufrieden und begann Ende des Jahres 2009 eine

freilich nur virtuelle

Liebesbeziehung zu [X.] in [X.]. K.

F.

versuchte,
die Kontakte seiner Lebensgefährtin zu überwachen. Er nahm ihr schließlich das
Notebook weg,
griff sie am 21. und 22. Februar 2010 mit Schlägen an und würgte sie. O.

R.

sprach offen von ihrem Entschluss, sich von
K.

F.

zu trennen und möglicherweise mit ihren Söhnen nach [X.] auszureisen.

c) Am 23. Februar 2010 fehlte der Angeklagte unentschuldigt bei dem um 8.50
Uhr beginnenden Schulausflug seiner Klasse. Auf Geheiß seines [X.] oder anderer Familienangehöriger suchte er gegen 9.00 Uhr die Wohnung der O.

R.

auf, um seine beiden Halbbrüder in die Fami-lienwohnung zu verbringen. Nachdem sich die junge Frau der Wegnahme ihrer Kinder widersetzt hatte, ergriff der gerade 16 Jahre alte Angeklagte ein großes Kochmesser mit einer Klingenlänge von 20 cm und tötete die Zweit-frau seines [X.]
mit 13
Stichen in den Oberkörper und den Rücken. O.

R.

verstarb binnen weniger Augenblicke.

d) Der Angeklagte meldete
im Wege eines anonymen Notrufs um 11.08 Uhr einen Unfall in der Wohnung
des [X.].

Kurz nach 11.30 Uhr teilte K.

F.

dem von dem Wirt eines [X.] Cafes herbeigerufenen Polizeibeamten Y.

mit, sein [X.] ha-4
5
6
7
8
-
4
-

be ihm gesagt, er hätte [X.] gemacht

und er glaube, dass sein [X.] seine Freundin mit dem Messer verletzt hätte.
Die Polizei gelangte [X.] später mit Hilfe eines von K.

F.

stammenden und vom Wirt vermittelten Schlüssels in die Wohnung und fand dort die Leiche vor.
K.

F.

, der die Wohnung des [X.] selbst nicht aufsuchte,
verbrachte die anschließende [X.] mit dem Bruder des Wirts, auf den er verstört wirkte und dem er von einem vorher stattgefundenen Arztbesuch berichtete.

Der Angeklagte bekundete anlässlich seiner Festnahme in der elterli-chen Wohnung am frühen Nachmittag, er hätte seine Halbbrüder dorthin ver-bracht,
und führte die Polizeibeamten zum Fundort des mit [X.] behaf-teten Tatmessers in einen nahe gelegenen Park.

Die am Abend des [X.] durchgeführte polizeiliche Vernehmung des K.

F.

als Zeuge wurde wegen geltend gemachter [X.] Probleme abgebrochen. Der Vater des Angeklagten war bis zu der am 2.
November 2011 begonnenen
Hauptverhandlung nicht erreichbar. Sein Rechtsanwalt trug dann vor, sein Mandant mache

wie es auch die übrigen Familienangehörigen taten

von seinem Zeugnisverweigerungsrecht nach §
52 StPO Gebrauch. Die Staatsanwaltschaft hat ein gegen K.

F.

wegen Beteiligung an dem [X.] geführtes Ermittlungsverfah-ren nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.

2. Das [X.] hat sich von der (alleinigen)
[X.]chaft des Ange-klagten, der sich zu keinem [X.]punkt des Verfahrens in einer Vernehmung zur Sache eingelassen hat, aufgrund einer Gesamtschau folgender [X.] überzeugt:

Sehr geringe Spuren von [X.] am [X.] des Angeklagten und am rechten Hosenbein seiner Jeanshose belegten
einen unmittelbaren Kontakt des Angeklagten mit dem Tatgeschehen.
Die Verteilung der Blutan-haftungen entlang einer Linie deute auf [X.] hin, wie sie typi-9
10
11
12
-
5
-

scherweise unter anderem bei schnell ausgeführten Bewegungen mit als Tatwerkzeug eingesetzten Messern entstehen können. [X.] des Angeklagten habe einen Abdruck am Tatort in unmittelbarem
zeitlichen
Zu-sammenhang mit der Tatbegehung hinterlassen. Der Angeklagte habe durch Offenbaren des Messerverstecks und die Äußerung gegenüber seinem Vater [X.] offenbart; den Notruf des Angeklagten hat das
[X.] le-diglich ergänzend herangezogen.

3. Die
Jugendkammer
hat aufgrund der Beweislage denkbare
alterna-tive Geschehensabläufe
verneint,
namentlich
ein Vorschieben des [X.] Angeklagten, um die Aufdeckung der [X.]chaft eines anderen Famili-enmitglieds, insbesondere des
verdächtigen [X.],
zu vermeiden, und eine Tatbegehung durch diesen im Beisein des Angeklagten, wobei es zu den [X.] hätte kommen können ([X.] f.).

Ein Vorschieben des Angeklagten nach der Tat sei ausgeschlossen, weil der Angeklagte bei dieser Annahme ab 8.50 Uhr am Schulausflug teil-genommen hätte. Hinweise auf eine Anwesenheit des K.

F.

am Tat-ort zur Tatzeit hätten sich nicht ergeben. Im Gegenteil sprächen die [X.], mit denen der Vater des Angeklagten die [X.] nach der Tat verbracht hatte, für dessen Alibi, einen Arztbesuch ([X.] f.).

4. Die Beweiswürdigung enthält

auch eingedenk des eingeschränk-ten revisionsgerichtlichen [X.]

sachlichrechtlich beachtliche Fehler. Sie geht zum Teil von einem unzutreffenden Beurteilungsmaßstab aus und ist lückenhaft. Hierdurch hat es das [X.] unterlassen,
ein sogar im Urteil [X.]

eine Beihilfehandlung des Angeklagten

näherer Prüfung und Würdigung zu unterziehen, ferner eine denkbare Mittäterschaft des Angeklagten oder eine Tat des Angeklagten nach Anstiftung durch Familienangehörige (vgl. [X.], Urteil vom 16. [X.]

3
StR 139/06, [X.], 384, 387, insoweit nicht in [X.]St 51, 144 abgedruckt).
13
14
15
-
6
-

a) Das [X.] hat seine Überzeugung von der (alleinigen)
Täter-schaft des Angeklagten auch auf Bekundungen von dessen Vater gegenüber Dritten gestützt, insbesondere dem eigens herbeigerufenen Polizeibeamten, dem [X.] des Angeklagten mitgeteilt worden sei. Dabei ist das Land-gericht ersichtlich von dem Beweiswert der Bekundungen des [X.] des Angeklagten als einer

spontan erfolgten

neutralen Zeugenaussage aus-gegangen, ohne darauf Bedacht zu nehmen, dass es
sich um die Darstellung eines wegen des Vorhandenseins eines Tatmotivs selbst verdächtigen [X.] handelt, der
seine Angaben zur eigenen Entlastung und hier sogar zur Belastung eines anderen eingesetzt haben könnte
(vgl. Brause NStZ 2007, 505, 510).

Gleiches gilt, soweit das [X.] ausschließlich
aus Bekundungen des [X.] des Angeklagten dessen Betroffensein über die angeblich nicht von ihm begangene Tat und sogar ein Alibi für die Tatzeit für erwiesen erach-tet hat. In der Sache hat das [X.] hierdurch ein allein von einem [X.] selbst bekundetes Alibi akzeptiert.
Auch der Notruf hätte unter dem Aspekt eines denkbaren [X.]s
betrachtet werden müssen.

b) Das [X.] hat die von dem psychiatrischen Sachverständigen vorgetragenen
Umstände, dass der jugendliche Angeklagte in
tradierte [X.] eingefügt sei,
die Existenz der Zweitfrau des [X.] als An-gelegenheit
der Erwachsenensphäre betrachte f-fenbar grundsätzlich nicht zur Gewaltanwendu,
als nicht entschei-dend gegen die
angenommene situativ entstandene
Tatmotivation des [X.] sprechend bewertet ([X.]). Eine hierfür
angesichts nicht fern-liegender abweichender Geschehensabläufe zur Erfüllung des Gebots der erschöpfenden Beweiswürdigung notwendige
Begründung hat das [X.] indes nicht dargelegt.

Die Prüfung, ob der Angeklagte zur Verbergung der [X.]chaft eines anderen vorgeschoben sein könnte, bleibt ebenfalls lückenhaft.
Das Landge-16
17
18
19
-
7
-

richt
behandelt lediglich den Fall, dass die Familie des Angeklagten diesen nach der Tat als Täter präsentiert
haben könnte ([X.]), nicht aber einen hier eher näher liegenden früher ansetzenden [X.], der mit dem fehlenden
Schulbesuch des Angeklagten in Einklang stünde.

c) Soweit das [X.] angenommen hat
([X.]), dass der An-geklagte anstelle seines [X.] die Kinder aus der Wohnung der Getöteten geholt haben könnte, weil dieser zu befürchten hatte, die Mutter
werde ihn nach den Übergriffen vom Vortage nicht einlassen, hätte dies als Ansatz ge-nommen werden müssen, ein
sich angesichts der Beweislage [X.], eine dolose Mitwirkung des Angeklagten als [X.] für den Haupttäter, in Betracht zu ziehen
(vgl. auch [X.], Beschlüsse
vom 16.
Februar 2005

5 StR 490/04

und vom 18. Januar 2009

5 [X.], [X.], 176, 177).

5. Die Sache bedarf demnach insgesamt neuer Aufklärung und Be-wertung. Der Senat, dem eine eigene Würdigung der Beweise versagt ist, darf keinesfalls

erst recht nicht entgegen
der Wertung des [X.]s

die Blutspur an der Hose des Angeklagten zur Begründung von dessen
Al-leintäterschaft heranziehen. Es ist deshalb nicht möglich, das
Beruhen des Urteils auf den Mängeln der Beweiswürdigung auszuschließen.

Nur ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die bisherige Würdi-gung von DNA-Spuren, ohne dass diese für sich als durchgreifend fehlerhaft betrachtet werden müsste, in weiteren Zusammenhängen Bedenken ausge-setzt ist.

Das [X.] hat erwogen, es mache für einen anderen innerfami-liären Täter wenig Sinn, den Angeklagten anzuweisen, er solle der Polizei den Fundort des Messers zeigen, um so möglicherweise den Verdacht auf ihn zu lenken. Dafür sei auch aus laienhafter Sicht das Risiko zu groß, dass
Spuren des wahren [X.] an dem Messer entdeckt werden würden ([X.] 20
21
22
23
-
8
-

S.
21). Diese Annahme steht in einem Spannungsverhältnis zu dem festge-stellten Umstand, dass DNA-Spuren
des [X.] auf dem Messer gar nicht zu erwarten gewesen wären ([X.] S. 21). Soweit hierfür
als ausschlaggebend auch die nur kurze [X.] des Hautkontakts des [X.] mit dem Messer ange-nommen worden ist, muss erörterungsbedürftig bleiben, warum 13 heftige Messerstiche [X.] von der

ersichtlich als unbedeckt bewerte-ten

Täterhand nicht
begründen müssen, demgegenüber aber DNA-Spuren beim Anpacken der Schuhe des Angeklagten beim Aufräumen ohne [X.] gelegt werden ([X.] S. 12).

Basdorf Brause

Schaal

König

Bellay

Meta

5 StR 259/11

02.08.2011

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 02.08.2011, Az. 5 StR 259/11 (REWIS RS 2011, 4244)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 4244

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 StR 408/10 (Bundesgerichtshof)

Strafverfahren: Beweiswert einer erlogenen Alibibehauptung


1 StR 408/10 (Bundesgerichtshof)


1 StR 200/01 (Bundesgerichtshof)


6 StR 109/22 (Bundesgerichtshof)

Freispruch: Relativierung von gesicherten DNA-Spuren an der Tatwaffe


5 StR 78/15 (Bundesgerichtshof)

Strafverfahren wegen Totschlags: Gesamtwürdigung aller Indizien bei Freispruch des Angeklagten


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.