Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.04.2009, Az. 5 StR 88/09

5. Strafsenat | REWIS RS 2009, 3905

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5 [X.][X.]BESCHLUSS vom 22. April 2009 in der Strafsache gegen wegen versuchten Totschlags u. a.

- 2 - Der 5. Strafsenat des [X.] hat am 22. April 2009 beschlossen: Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 4. September 2008 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben. Ausgenommen sind die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen, die [X.] erhalten bleiben. Insoweit wird die weitergehende Re-vision des Angeklagten nach § 349 Abs. 2 StPO als unbe-gründet verworfen. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landge-richts zurückverwiesen. [X.]e
Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seine hiergegen gerichtete Revision hat mit der Sachrüge im Umfang der Aufhebung Erfolg. 1 1. Das [X.] hat folgende Feststellungen und Wertungen getrof-fen: 2 a) Nachdem sich der Angeklagte und sein nicht revidierender Mitan-geklagter [X.] , die bereits zuvor Cannabis konsumiert hatten, mehrere Stunden gemeinsam in einem Lokal aufgehalten und dort eine Flasche [X.] getrunken hatten, kam es zu einem Streit zwischen [X.]

und dem [X.] - 3 - ter geschädigten Zeugen [X.]. Aus diesem entwickelte sich eine Rangelei zwischen beiden Personen. Als der Angeklagte von der Toilette zurückkehr-te, mischte auch er sich in die Auseinandersetzung ein und sagte zu dem Zeugen [X.] , er sei ein —böser [X.] Um die Auseinandersetzung zu beenden, begab sich der Zeuge nun zum [X.]. Der Angeklagte setzte ihm nach und klopfte ihm von hinten heftig auf die Schulter, woraufhin der Zeuge dessen Hand wegstieß und hinter den Tresen ging, um den dort an der Wand hängenden Knüppel zur —etwa notwendigen Verteidigungfi an sich zu nehmen. Nun zog der Angeklagte plötzlich ein Klappmesser mit einer Klingenlänge von ca. 6,5 cm und —[X.] viermal in Richtung des Hals- und Gesichtsbereichs des Geschädigten. Dieser erlitt eine Stichverletzung am linken Kiefernwinkel, eine Schnittverletzung am linken Nasenrücken, an der Vorderseite des Halses, an der rechten Halsseite sowie der linken Seite des Halses. 4 Der Geschädigte versuchte vergeblich, dem Angeklagten das Messer wegzunehmen. Auch einem weiteren Zeugen, der den Angeklagten von [X.] gepackt hatte, gelang dies nicht. Er zog jedoch den Angeklagten vom Geschädigten weg. Der Angeklagte flüchtete aus dem Lokal. Auf der Flucht stürzte er und blieb auf dem Gehweg liegen. Nach Eintreffen der [X.] er in ein Krankenhaus gebracht. Er war —nicht ausschließbar u. a. durch die Gegenwehr des Zeugen Y.

durch stumpfe Einwirkung verletztfi. Zwei Tage nach dem Geschehen erkundigte sich der Angeklagte auf dem betref-fenden Polizeiabschnitt nach den Einzelheiten des Geschehens. Die vom Geschädigten erlittenen Verletzungen waren oberflächlich und ungefährlich. Indes hatte der Angeklagte nach Annahme des Landge-richts erkannt, dass die von ihm gesetzten Stiche in den Hals- und Gesichts-bereich tödlich hätten sein können; er nahm dies zumindest billigend in Kauf. 5 b) Der Angeklagte hat sich dahingehend eingelassen, dass er bei [X.] Rückkehr von der Toilette einen kräftigen Faustschlag auf das Auge er-6 - 4 - halten habe, so dass er bewusstlos geworden und erst im Krankenhaus [X.] zu sich gekommen sei. Er habe den Geschädigten nicht mit dem Messer verletzt und ihn weder verletzen noch gar töten wollen. c) Den Schluss auf den Tötungsvorsatz des Angeklagten zieht das [X.] aus der Gefährlichkeit der Tatausführung, die ihm —den sicheren Blick auf die innere Tatseite eröffnetfi. Der Angeklagte habe in Körperteile des Zeugen gestochen und geschnitten, die auch aus Sicht eines medizini-schen Laien —geradezu klassischfi als Ziele eines tödlichen Angriffs geeignet seien. Jede Form der unkontrollierbar gesetzten Messerstiche gegen den Hals lege wegen der außergewöhnlichen Lebensgefahr den Schluss auf den Tötungsvorsatz nahe. Dies gelte hier insbesondere deshalb, weil der Ange-klagte mehrfach auf den Zeugen eingewirkt habe und er aufgrund der Dyna-mik des Geschehens nicht davon habe ausgehen können, dass sein Stich bzw. seine Schnitte nicht tödlich sein würden. Der Annahme eines Tötungs-vorsatzes stehe auch nicht entgegen, dass der Angeklagte alkoholisiert war und darüber hinaus Cannabis konsumiert habe. 7 2. Die Begründung des Tötungsvorsatzes hält sachlichrechtlicher [X.] nicht stand. 8 Zwar ist in der Rechtsprechung des [X.] anerkannt, dass bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen der Schluss auf einen zu-mindest bedingten Tötungsvorsatz nahe liegt. Angesichts der hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung ist jedoch immer die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass der Täter die Gefahr der Tötung nicht erkannt hat oder jedenfalls darauf vertraut hat, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten (BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 9 und 50). Deshalb ist der Schluss auf den bedingten Tötungsvorsatz nur dann rechtsfehlerfrei, wenn das Tatgericht alle nach Sachlage in Betracht kommenden Tatumstände in seine Erwägungen einbezogen hat, die dieses Ergebnis in Frage stellen [X.] (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 55). 9 - 5 - Das [X.] hat sich schon nicht mit der Frage auseinanderge-setzt, ob die nur oberflächlichen Verletzungen des Geschädigten dafür spre-chen können, dass der Angriff vom Angeklagten nicht mit der Entschlossen-heit geführt wurde, gefährliche Wunden zu verursachen. Insbesondere ist nicht festgestellt, dass etwa nur die Gegenwehr des Geschädigten oder das Eingreifen des weiteren Zeugen Schlimmeres verhindert hätte. 10 Zwar konnte aufgrund der Dynamik des Geschehens bei vernünftiger Betrachtung nicht von der Beherrschbarkeit der Folgen der [X.] ausgegangen werden. Diese Erwägung lässt aber nur dann einen Schluss auf den bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten zu, wenn dieser im Zeitpunkt der Tat über die insoweit notwendige Erkenntnisfähigkeit verfüg-te. Die Beweiswürdigung des [X.]s ist auch insoweit lückenhaft. 11 12 Es fehlt an einer ausreichenden Auseinandersetzung mit der erhebli-chen Alkoholisierung des Angeklagten. Zwar nimmt das [X.] unter Bezugnahme auf Ausführungen des medizinischen Sachverständigen an, dass die Alkoholisierung einem Tötungsvorsatz nicht entgegensteht. Die in diesem Zusammenhang zitierten Darlegungen des Sachverständigen tragen diesen Schluss jedoch nicht. Sie betreffen lediglich das Maß der [X.] und die Unbeachtlichkeit des zusätzlichen Cannabis-konsums und sagen nichts darüber aus, ob er durch die Wirkungen des [X.] in seiner Erkenntnisfähigkeit beeinträchtigt war (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 55). Eine Prüfung dieser Frage war indes erforderlich. Die Blutalkoholkonzentration des Angeklagten zur Tatzeit betrug 2,6 › und war mithin nicht unerheblich; von einer etwaigen, die Wirkungen mindernden Gewöhnung des Angeklagten an Alkohol geht das Urteil nicht aus. Schon vor der tätlichen Auseinandersetzung hatte sich der Angeklagte [X.] nahe liegend infolge des Alkoholgenusses [X.] auffällig verhalten: Er und sein Mitangeklagter hatten in ausgelassener Stimmung zur Musik im Lokal ge-tanzt; aufgrund der von den Tanzenden ausgehenden Störungen war es zu einem ersten, schnell geschlichteten Streit u. a. mit dem später [X.] - 6 - ten gekommen; danach war der Angeklagte an seinem Tisch kurzzeitig ein-geschlafen. Nach der Tat war er bei seiner offenbar unkoordinierten Flucht [X.] er trug nur noch [X.] [X.] nach einem Sturz bis zum Eintreffen der Polizei auf der Straße liegen geblieben. All dies spricht für ganz erhebliche alkoholbedingte Ausfälle. Zudem wurde der Angeklagte im Verlaufe der [X.] selbst in einem Maße [X.] nach seiner eigenen Einlassung am Kopf [X.] verletzt, das eine Behandlung im Krankenhaus erforderlich machte. Dass er diese Verletzungen, zu deren Art und Umfang das Urteil keine Feststellungen trifft, erst nach Ausführung seiner Tathandlungen erlitt, ist dem Urteil nicht zu entnehmen. Schließlich ist von einem auf Seiten des Angeklagten von [X.] Erregung getragenen Kampfgeschehen auszugehen, zumal es das [X.] selbst war, das mit seinem Streben nach Bewaffnung eine neue Dimensi-on der Gewalttätigkeiten einleitete. Das [X.] hätte daher prüfen müs-sen, ob die Alkoholisierung des Angeklagten gegebenenfalls in Wechselwir-kung mit seinen Verletzungen und seiner affektiven Erregung (vgl. [X.], 169) Einfluss auf sein Vorstellungsbild über die Folgen seines Tuns oder auf seinen Willen gewonnen haben. In die Begründung des Tötungsvorsatzes hätte hier schließlich auch das Nachtatverhalten des Angeklagten einbezogen werden müssen. Seine Nachfrage bei der zuständigen Polizeistation zwei Tage nach der Tat kann nicht nur ein Hinweis auf eine erhebliche Beeinträchtigung seiner [X.] sein. Sie kann auch [X.] dafür geben, dass der Angeklagte sich jedenfalls im Nachhinein nicht bewusst war, ein schwe-res Verbrechen, die Tötung des Geschädigten, gewollt zu haben und sich insoweit eines —reinen Gewissensfi vermeinte. 13 3. Da die genannten Gesichtspunkte weder für sich noch in ihrer [X.] der Feststellung bedingten Tötungsvorsatzes des Angeklagten von vornherein entgegenstehen, bedarf die subjektive Tatseite neuer tatgerichtli-cher Überprüfung. Im Übrigen ist die Revision zum Schuldspruch unbegrün-det im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Daher können die Feststellungen zum 14 - 7 - äußeren Geschehensablauf aufrecht erhalten bleiben; sie dürfen durch ihnen nicht widersprechende Feststellungen ergänzt werden. Die Schuldfähigkeit des Angeklagten bedarf erneuter tatgerichtlicher Überprüfung. In diesem Zusammenhang wird auch zu klären sein, ob ein-schlägige Vortaten unter alkoholischer Beeinflussung begangen wurden. Ein zur Schuldfähigkeit erneut zu hörender Sachverständiger wird auch zum Maß der Erkenntnisfähigkeit des Angeklagten in der [X.] Stellung nehmen müssen. 15 Zum Strafausspruch weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass die Ausführungen des Urteils nicht, wie geboten, eindeutig erkennen lassen, ob das [X.] den einfach oder den doppelt nach § 49 Abs. 1 StGB gemil-derten Strafrahmen des § 213 StGB zugrunde gelegt hat. 16 17 4. Der Schriftsatz der Verteidigung vom 21. April 2009 hat dem Senat vorgelegen. [X.] Raum Brause [X.]

Meta

5 StR 88/09

22.04.2009

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.04.2009, Az. 5 StR 88/09 (REWIS RS 2009, 3905)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2009, 3905

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