Bundessozialgericht, Urteil vom 26.05.2011, Az. B 10 EG 11/10 R

10. Senat | REWIS RS 2011, 6219

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Elterngeld - Mutterschaftsgeld - Anrechnung - Anspruchsdauer - Bezugszeitraum - Lebensmonatsprinzip - Bezugsmonat - Fiktion - Doppelleistung - anspruchsberechtigter Personenkreis - Erwerbstätigkeit


Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 22. Juni 2010 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des [X.] auch für das Revisionsverfahren zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist die Bezugsdauer des dem Kläger nach dem [X.] ([X.]) zustehenden [X.]es.

2

Der Kläger und seine Ehefrau sind die Eltern der am 2007 geborenen A Sie beantragten am [X.] [X.]; dabei bestimmten sie den Kläger zum Bezugsberechtigten für den ersten bis zwölften Lebensmonat des Kindes. Außerdem legten sie eine Bescheinigung der [X.] vom 15.2.2007 vor, wonach die Ehefrau des [X.] vom 31.12.2006 bis [X.] Mutterschaftsgeld beziehen werde.

3

Das beklagte Land bewilligte dem Kläger daraufhin [X.] für den ersten bis elften Lebensmonat des Kindes ([X.]) in Höhe von 580,16 Euro monatlich. Die Versagung des [X.]es für den zwölften Lebensmonat wurde damit begründet, dass die Ehefrau auch im dritten Lebensmonat des Kindes (nämlich am [X.]) Mutterschaftsgeld beziehe. Dies führe nach § 4 Abs 3 Satz 2 [X.] dazu, dass drei der vierzehn Lebensmonate, für die die Eltern insgesamt Anspruch auf [X.] hätten, als von der Mutter verbraucht gelten würden. Dem Vater könne deshalb nur für die Dauer von elf Lebensmonaten [X.] gewährt werden (Bescheid vom [X.] in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom [X.]).

4

Nachdem der Kläger mit dem Begehren, ihm [X.] für einen weiteren Lebensmonat des Kindes zu gewähren, vor dem [X.] erfolglos war (Urteil vom [X.]), hat das [X.] ([X.]) auf die Berufung des [X.] die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und den Beklagten unter Abänderung der Verwaltungsentscheidung verurteilt, "dem Kläger [X.] für weitere 30 Tage in gesetzlicher Höhe zu zahlen" (Urteil vom [X.]). Diese Entscheidung hat es auf folgende Erwägungen gestützt:
Es sei zwar zutreffend, dass die Ehefrau des [X.] während der ersten zwei Lebensmonate des Kindes sowie am ersten Tag des dritten Lebensmonats Mutterschaftsgeld bezogen habe, das auf das [X.] anzurechnen sei. Dies habe jedoch nicht zur Folge, dass auch der dritte Lebensmonat insgesamt als von der Mutter verbraucht gelten würde. Eine diesbezügliche Auslegung lasse sich nicht aus dem Wortlaut des § 4 Abs 3 Satz 2 [X.] ableiten. Diese Vorschrift enthalte keine Regelung, wie zu verfahren sei, wenn die anzurechnende Leistung lediglich für einen Teil des Lebensmonats des Kindes bezogen worden sei. Es sei mit Art 3 Abs 1 GG nicht vereinbar, wegen des Bezuges von Mutterschaftsgeld an einem einzigen Tag den Vater von dem Bezug des [X.]es für einen ganzen Monat auszuschließen. Die Vorschrift des § 4 Abs 3 Satz 2 [X.] sei daher verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass Lebensmonate des Kindes, in denen anzurechnende Leistungen wie Mutterschaftsgeld nur anteilig zustünden, auch nur anteilig als fiktive [X.]bezugszeit gälten. Es stelle keinen [X.] dar, die taggenaue Berechnung des § 3 Abs 1 Satz 4 [X.] auch auf die Fiktion des § 4 Abs 3 Satz 2 [X.] anzuwenden. Dem Kläger stehe deshalb noch ein Anspruch auf [X.] für weitere 30 Tage zu, weil lediglich der erste Tag des dritten Lebensmonats des Kindes durch den Bezug von Mutterschaftsgeld verbraucht sei.

5

Der Beklagte hat die vom [X.] zugelassene Revision eingelegt, mit der er eine Verletzung des § 4 Abs 3 Satz 2 [X.] rügt. Die Gesetzesbegründung zu dieser Vorschrift sei eindeutig. Danach würden diejenigen Lebensmonate, für die [X.] bezogen würden, als verbraucht gelten. Zudem würde [X.] nach § 4 Abs 2 [X.] nur in vollen Monatsbeträgen für Lebensmonate des Kindes gezahlt. Der Wortlaut lasse eine weite Auslegung, wonach bei anteiligem Bezug nur ein anteiliger Verbrauch in Betracht komme, nicht zu. Es sei auch keine verfassungskonforme Auslegung vorzunehmen, denn Art 3 Abs 1 GG sei nicht verletzt. Es sei grundsätzlich Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, welche Merkmale er beim Vergleich von Lebenssachverhalten als maßgebend ansehe, insbesondere im Bereich der gewährenden Verwaltung bei steuerfinanzierten Leistungen.

6

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des [X.] vom 22. Juni 2010 aufzuheben und die Berufung des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 21. Januar 2008 zurückzuweisen.

7

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Er hält das Urteil des [X.] für zutreffend.

9

Im Revisionsverfahren hat der Kläger auf Anfrage des Senats ua eine Bescheinigung des Arbeitgebers seiner Ehefrau vom 10.5.2011 vorgelegt, wonach diese am [X.] ihre berufliche Tätigkeit als Krankenschwester mit einer wöchentlichen Stundenzahl von 40 Stunden wieder aufgenommen habe. In der mündlichen Verhandlung haben die Beteiligten übereinstimmend erklärt, dass sie diese Angaben für zutreffend halten.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten ist zulässig, aber unbegründet.

1. Einer Sachentscheidung des erkennenden Senats stehen keine prozessualen Hindernisse entgegen. Klage und Berufung sind zulässig. Die Berufung war nach dem im Zeitpunkt ihrer Einlegung (3.3.2008) geltenden Recht ohne Zulassung statthaft, denn der Wert des [X.] überstieg mit 561,45 Euro (Elterngeldanspruch des [X.] für einen Lebensmonat des Kindes in Höhe von 580,16 Euro : 31 x 30) die in § 144 Abs 1 Satz 1 [X.] [X.] (idF von Art 22 [X.] Buchst a 4. [X.] vom 21.12.2000 <[X.] 1983>) festgelegte Grenze von 500 Euro (zur Erhöhung des Grenzwertes auf 750 Euro ab [X.] vgl Art 1 [X.] a Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom [X.] <[X.] 444>).

2. Die Revision des Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Sie ist nach § 170 Abs 1 Satz 2 [X.] zurückzuweisen, weil die angefochtene Entscheidung des [X.] revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden ist. Der erkennende Senat vermag zwar dem berufungsgerichtlichen Verständnis des § 4 Abs 3 Satz 2 [X.] nicht zu folgen. Das mit der Revision angegriffene Urteil des [X.] hat jedoch deshalb Bestand, weil dem Kläger aus anderen Gründen ein Anspruch auf Elterngeld für einen weiteren Lebensmonat des Kindes und damit auch für die ihm vom [X.] zugesprochenen 30 Tage zusteht.

a) Der Anspruch des [X.] auf Elterngeld richtet sich nach den am 1.1.2007 in [X.] getretenen Vorschriften des [X.] vom 5.12.2006 ([X.] 2748). § 1 Abs 1 [X.] sieht vor, dass Anspruch auf Elterngeld hat, wer einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in [X.] hat ([X.]), mit seinem Kind in einem Haushalt lebt ([X.]), dieses Kind selbst betreut und erzieht ([X.] 3) und keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt ([X.] 4). Das [X.] hat in seinem Urteil ausdrücklich festgestellt, dass der Kläger diese Anspruchsvoraussetzungen tatsächlich erfüllt (vgl Seite 6 oben). Davon gehen auch die Beteiligten übereinstimmend aus.

b) Regelungen zum Bezugszeitraum von Elterngeld enthält § 4 [X.]. Nach dessen Abs 1 Satz 1 kann Elterngeld in der [X.] bis zur Vollendung des vierzehnten Lebensmonats des Kindes bezogen werden. Nach § 4 Abs 2 Satz 1 [X.] wird Elterngeld in [X.] für Lebensmonate gezahlt (sog [X.] - hierzu BSG Teilurteil vom [X.] EG 9/09 R, Rd[X.] 38, zur Veröffentlichung in [X.] und [X.] vorgesehen). Nach § 4 Abs 2 Satz 2 [X.] haben Eltern (also beide Elternteile zusammen) insgesamt Anspruch auf zwölf [X.]. Sie haben Anspruch auf zwei weitere [X.], wenn für zwei Monate eine Minderung des Einkommens aus Erwerbstätigkeit erfolgt (§ 4 Abs 2 Satz 3 [X.]; dazu BT-Drucks 16/1889 [X.] zu § 4 Abs 2). Waren beide Elternteile - wie hier - vor der Geburt erwerbstätig und unterbricht mindestens ein Elternteil nach der Geburt seine Erwerbstätigkeit (oder schränkt sie in relevantem Umfang ein), haben die Eltern demnach insgesamt für die Dauer von vierzehn Lebensmonaten des Kindes Anspruch auf Elterngeld. Diesen [X.] können die Eltern im Rahmen der gesetzlichen Regelung untereinander aufteilen. Nach § 4 Abs 2 Satz 4 [X.] können die Eltern dabei die (zwölf oder vierzehn) [X.] abwechselnd oder gleichzeitig beziehen. Erfüllen beide Elternteile die Anspruchsvoraussetzungen, bestimmen sie nach § 5 Abs 1 [X.] grundsätzlich, wer von ihnen welche [X.] in Anspruch nimmt. Diese Bestimmung ist im Antrag vorzunehmen (§ 7 Abs 1 Satz 1, Abs 2 [X.]).

Nach § 4 Abs 3 Satz 1 [X.] kann ein Elternteil höchstens für zwölf Monate Elterngeld beziehen. Dabei gelten gemäß § 4 Abs 3 Satz 2 [X.] die Lebensmonate des Kindes, in denen ua nach § 3 Abs 1 [X.] anzurechnende Leistungen - wie Mutterschaftsgeld - zustehen, als Monate, für die die berechtigte Person Elterngeld bezieht. Durch diese gesetzliche Fiktion von Elterngeldbezugsmonaten werden die Lebensmonate des Kindes mit zeitlich kongruenten anzurechnenden Leistungen, wie das nach § 3 Abs 1 Satz 1 [X.] anzurechnende Mutterschaftsgeld, kraft Gesetzes zwingend der Person zugeordnet, die Anspruch auf die anzurechnende Leistung hat. Dies ist beim Mutterschaftsgeld nach § 200 Abs 1 [X.] die Mutter. Im Hinblick auf das im Elterngeldrecht geltende [X.] (§ 4 Abs 2 Satz 1 [X.]) erfasst die Fiktion des § 4 Abs 3 Satz 2 [X.] jeweils auch dann den ganzen Lebensmonat des Kindes, wenn - wie hier - nur für den ersten Tag Mutterschaftsgeld zusteht (so auch Senatsurteil vom heutigen Tage - B 10 EG 12/10 R - zur Veröffentlichung in [X.] vorgesehen).

c) Der Senat vermag der Auffassung des [X.] nicht zu folgen, dass zur Vermeidung des vorgenannten Ergebnisses § 3 Abs 1 Satz 4 [X.] auf die in § 4 Abs 3 Satz 2 [X.] geregelte Fiktion von [X.] entsprechend anzuwenden sei. Anders als das [X.] sieht er keine Möglichkeit oder Veranlassung zu einer derartigen Rechtsfortbildung. Denn es fehlt hier an einer planwidrigen Regelungslücke (im Sinne einer Unvollständigkeit des Gesetzes), die nach Maßgabe des Gleichheitssatzes und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen durch eine analoge Anwendung einer anderen Rechtsnorm zu schließen wäre (hierzu etwa BSG [X.] 4-5870 § 1 [X.] Rd[X.]1 ua unter Hinweis auf [X.] 82, 6, 11 ff; 82, 286, 304 f).

Wie der Senat schon entschieden hat (Teilurteil vom [X.] EG 9/09 R, Rd[X.] 38, zur Veröffentlichung in [X.] und [X.] vorgesehen), ist § 4 Abs 2 Satz 1 [X.] dahin zu verstehen, dass er im Grundsatz das [X.] bei der Gewährung von Elterngeld festlegt; dieses ist, wie sich aus § 4 Abs 2 Satz 2 und 3, Abs 3 Satz 1 und 2 [X.] ergibt, insbesondere für die Anspruchsdauer maßgebend (zwölf bzw vierzehn [X.]). Eine Durchbrechung dieses Prinzips sieht § 3 Abs 1 Satz 4 [X.] vor, der für die Anrechnung von Mutterschaftsgeld auf das Elterngeld eine taggenaue Quotelungsregelung enthält, wenn die anzurechnende Leistung nur für einen Teil des Lebensmonats zu erbringen ist. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollten die (vorrangigen) anzurechnenden Leistungen nur in diesem (zeitlichen) Umfang das Elterngeld verdrängen (vgl BT-Drucks 16/1889 [X.] zu § 3 Abs 1). Die taggenaue Anrechnung des [X.] auf das der Mutter zustehende Elterngeld schließt jedoch die Fiktion von [X.] nach dem [X.] gemäß § 4 Abs 3 Satz 2 [X.] nicht aus (so auch [X.] in [X.]/[X.], MuSchG - [X.], 8. Aufl 2008, § 3 [X.] Rd[X.] 8).

Dass von der zwingenden Zuordnungsregelung des § 4 Abs 3 Satz 2 [X.] nur (ganze) Bezugsmonate erfasst werden, hat der Gesetzgeber ausdrücklich gewollt; in den Gesetzesmaterialien wird unter Hinweis auf die [X.] in § 3 Abs 1 und 3 [X.] ausgeführt: "… die betreffenden Monate gelten als von der für die betreffende Leistung anspruchsberechtigten Person verbraucht" (vgl BT-Drucks 16/1889 [X.] zu § 4 Abs 3). Gerade die Regelung über die taggenaue Anrechnung des [X.] auf das Elterngeld zeigt, dass der Gesetzgeber damit gerechnet hat, dass der [X.] typischerweise nicht genau mit einem Lebensmonat des Kindes endet. Dementsprechend hätte er im Rahmen des § 4 Abs 3 Satz 2 [X.] eine taggenaue Fiktion vorsehen können, wenn er eine solche Regelung gewollt hätte. Aus der Entstehungsgeschichte und dem [X.] des [X.] lässt sich demnach keine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes entnehmen (vgl zur Feststellung von Gesetzeslücken: [X.]/[X.], Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl 1995, [X.] ff; [X.], [X.] im Gesetz, 2. Aufl 1983, [X.] ff; [X.] in [X.]/[X.], Im Dienste der Gerechtigkeit - Festschrift für [X.], 2002, [X.] ff; [X.], Einführung in das juristische Denken, 10. Aufl 2005, [X.] ff).

d) Zutreffend hat das [X.] allerdings erkannt, dass § 4 Abs 3 Satz 2 [X.] der Auslegung bedarf. Insbesondere ergibt sich aus dem Wortlaut nicht eindeutig, wie der Begriff der "anzurechnenden Leistungen" zu verstehen ist. Insoweit bestehen drei Auslegungsmöglichkeiten: Diese Vorschrift kann - wie vom Beklagten - weit verstanden werden. Danach soll es für den Eintritt der Fiktion von [X.] genügen, dass der berechtigten Person (hier der Mutter) in dem betreffenden Monat ihrer Art nach "anzurechnende Leistungen" (hier das Mutterschaftsgeld) zustehen, unabhängig davon, ob im konkreten Fall überhaupt ein Elterngeldanspruch bestehen kann, auf den diese Leistungen anrechenbar wären. Die Vorschrift kann aber auch eng dahin ausgelegt werden, dass "anzurechnende Leistungen" nur dann vorliegen, wenn diese im konkreten Fall im betreffenden Lebensmonat auch tatsächlich angerechnet werden. Weiter ist es möglich, den Begriff "anzurechnende Leistung" so aufzufassen, dass in dem betreffenden Lebensmonat jedenfalls eine Anrechnung der Leistung auf das Elterngeld rechtlich konkret möglich sein muss, also die Person, der die anzurechnende Leistung zusteht, aufgrund objektiver Gegebenheiten auch zum elterngeldberechtigten Personenkreis im Sinne des § 1 [X.] gehört. Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Systematik sowie Sinn und Zweck des § 4 Abs 3 Satz 2 [X.] sprechen nach Auffassung des erkennenden Senats für das letztgenannte Begriffsverständnis (so auch Senatsurteil vom heutigen Tage - B 10 EG 12/10 R).

Der Wortlaut des § 4 Abs 3 Satz 2 [X.] enthält eine Fiktion von Elterngeldbezugsmonaten ("Lebensmonate des Kindes … gelten als Monate, für die die berechtigte Person Elterngeld bezieht"). Die "berechtigte Person", der eine "anzurechnende Leistung" (wie Mutterschaftsgeld) zusteht, wird durch diese Fiktion so behandelt, als ob sie tatsächlich in den betreffenden Monaten Elterngeld bezogen hätte. Rechtsfolge der Fiktion ist es, dass die davon erfassten Lebensmonate auch dann kraft Gesetzes zwingend der Person, der zeitlich kongruent anzurechnende Leistungen zustehen, zugeordnet werden, wenn diese in den Monaten kein Elterngeld beansprucht hat. Dabei kann der Begriff der "berechtigten Person" in doppelter Richtung verstanden werden. Zum einen muss die Person in den betreffenden Monaten eine Berechtigung zum Bezug der "anzurechnenden Leistung" (wie des [X.]) haben. Zum anderen muss es dieser Person zumindest rechtlich möglich sein, in dieser Zeit Elterngeld zu beziehen. Dies ist dann nicht der Fall, wenn sie in diesen betreffenden Lebensmonaten aufgrund objektiver Gegebenheiten überhaupt nicht zum anspruchsberechtigten Personenkreis im Sinne des § 1 [X.] gehört. Eine solche fehlende Anspruchsvoraussetzung wird nach dem Wortlaut des § 4 Abs 3 Satz 2 [X.] nicht fingiert.

Auch die Gesetzesmaterialien sprechen dafür, dass von der Fiktion des § 4 Abs 3 Satz 2 [X.] nur Bezugsmonate erfasst werden, in denen ein Bezug von Elterngeld rechtlich möglich ist. Die Begründung zu § 4 Abs 3 Satz 2 [X.] geht lediglich von einer Anrechnung dieser Zeiten auf den Bezugszeitraum des Elterngeldes aus, mit der Folge, dass die betreffenden Monate "als verbraucht gelten". Wörtlich heißt es dort (vgl BT-Drucks 16/1889 [X.]):
"Satz 2 stellt klar, dass Lebensmonate des Kindes, für die [X.] nach § 3 Abs. 1 oder dem Elterngeld vergleichbare Leistungen nach § 3 Abs. 3 bezogen werden, auch auf den Bezugszeitraum des Elterngeldes anzurechnen sind; die betreffenden Monate gelten als von der für die betreffende Leistung anspruchsberechtigten Person verbraucht."

Systematische Stellung und Sinn und Zweck der in § 4 Abs 3 Satz 2 [X.] geregelten Fiktion von [X.] bestätigen ebenfalls die vom Senat vorgenommene Auslegung:
§ 4 Abs 3 Satz 2 [X.] ergänzt die [X.] des § 3 Abs 1 und 3 [X.]. Durch eine zwingende gesetzliche Zuordnung von [X.], in denen nach diesen Vorschriften anzurechnende Leistungen zustehen, werden die sich aus § 5 Abs 1 und 2 [X.] ergebenden Gestaltungsmöglichkeiten der Eltern (Bestimmung des anspruchsberechtigten Elternteils) eingeschränkt (dazu Fuchsloch/[X.], Leitfaden Elterngeld, Rd[X.]73 ff; [X.] in [X.]/[X.], MuSchG - [X.], 8. Aufl 2008, § 4 [X.] Rd[X.]2, § 5 [X.] Rd[X.] 4). Diese Vorschrift stellt damit sicher, dass die [X.] des § 3 Abs 1 und 3 [X.] nicht durch eine entsprechende Gestaltung der Bezugsberechtigung von den Eltern umgangen werden. Sie dient - wie die [X.] - dazu, zweckidentische Doppelleistungen für zeitlich kongruente Bezugszeiträume zu vermeiden (zum Zweck der Anrechnung des [X.] auf das Mutterschaftsgeld: [X.] 69, 95, 98 ff = [X.] 3-7833 § 7 [X.] S 4 ff; zur Anrechnung nach § 3 [X.]: [X.] in [X.]/[X.], MuSchG - [X.], 8. Aufl 2008, § 3 [X.] Rd[X.] 3, 20 ff; [X.] in [X.], [X.] - EStG - [X.], Stand Dezember 2009, § 3 [X.] Rd[X.] 4, 13). Mit der Anrechnung verdrängt das vorrangige Mutterschaftsgeld das Elterngeld, soweit es für denselben Bezugszeitraum zu erbringen wäre.

In der Gesetzesbegründung zu § 3 Abs 1 [X.] heißt es dazu (vgl BT-Drucks 16/1889 [X.]):
"Absatz 1 betrifft das Verhältnis von Elterngeld und [X.] … Diese Leistungen und das Elterngeld dienen insoweit dem gleichen Zweck, als sie für den gleichen Leistungszeitraum aus demselben Anlass, nämlich der Geburt des Kindes, dieselben Einkommenseinbußen ganz oder teilweise ersetzen oder ausgleichen. Sie können deshalb nicht nebeneinander gewährt werden. Der Zweck des Elterngeldes, Eltern individuell bei der Sicherung ihrer Lebensgrundlage zu unterstützen, wenn sie nach einer Geburt die Betreuung ihres Kindes übernehmen, ist im Falle gezahlter [X.] bereits erfüllt. Die in den Sätzen 1 und 2 genannten Leistungen sind für den beschränkten Zeitraum und den eingeschränkten Berechtigtenkreis auch wegen des grundsätzlich weitergehenden Umfangs als vorrangige Leistung gegenüber dem Elterngeld anzusehen und deshalb auf das Elterngeld anzurechnen."

Eine durch die Anrechnung zu vermeidende Gewährung von Doppelleistungen (zB Mutterschaftsgeld und Elterngeld) kann nur insoweit eintreten, als derselben Person für einen zeitlich kongruenten Zeitraum dem Grunde nach sowohl ein Anspruch auf [X.] als auch ein Anspruch auf Elterngeld zusteht. Letzterer ist dann nicht gegeben, wenn diese Person in den betreffenden Lebensmonaten aufgrund objektiver Gegebenheiten nicht zum anspruchsberechtigten Personenkreis im Sinne des § 1 [X.] gehört.

e) Grundvoraussetzung für den Eintritt der Fiktion von [X.] nach § 4 Abs 3 Satz 2 [X.] ist demnach, dass in den betreffenden Lebensmonaten diejenige Person, der die anzurechnende Leistung zusteht, nach objektiven Gegebenheiten die Anspruchsvoraussetzungen des § 1 [X.] erfüllt, also zum anspruchsberechtigten Personenkreis im Sinne dieser Vorschrift gehört. Dies ist vorliegend im dritten Lebensmonat des Kindes nicht der Fall. Aus der im Revisionsverfahren vorgelegten und in der mündlichen Verhandlung von den Beteiligten unstreitig gestellten Arbeitgeberbescheinigung vom 10.5.2011 ergibt sich, dass die Ehefrau des [X.] am [X.] ihre berufliche Tätigkeit als Krankenschwester mit einer wöchentlichen Stundenzahl von 40 Stunden wieder aufgenommen hat. Dieser vom [X.] nicht festgestellte Umstand (vgl dazu § 163 [X.]) wird vom Senat ausnahmsweise aus Gründen der [X.] - zur Vermeidung einer Zurückverweisung nach § 170 Abs 2 Satz 2 [X.] - berücksichtigt (vgl dazu [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], 9. Aufl 2008, § 163 Rd[X.] 5d mwN). Da die Ehefrau des [X.] damit im dritten Lebensmonat des Kindes eine Erwerbstätigkeit ausgeübt hat, die nicht im Sinne des § 1 Abs 1 [X.] 4 iVm Abs 6 1. Alt [X.] ("wöchentliche Arbeitszeit 30 Wochenstunden im Durchschnitt des Monats") für das Elterngeld unschädlich war, hatte sie für diesen Zeitraum keinen Anspruch auf Elterngeld, auf den nach § 3 Abs 1 Satz 1 [X.] das Mutterschaftsgeld anzurechnen gewesen wäre. Die Anwendung der Fiktion des § 4 Abs 3 Satz 2 [X.] ist demnach für diesen Lebensmonat ausgeschlossen. Der dritte Lebensmonat gilt mithin nicht als von der Mutter "verbraucht". Dies hat zur Folge, dass der Kläger - wie von ihm begehrt - noch für einen weiteren (zwölften) Lebensmonat des Kindes Anspruch auf Elterngeld hat. Die vom Beklagten mit der Revision angegriffene Verurteilung, "dem Kläger Elterngeld für weitere 30 Tage in gesetzlicher Höhe zu zahlen", bleibt dahinter zurück.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 [X.].

Meta

B 10 EG 11/10 R

26.05.2011

Bundessozialgericht 10. Senat

Urteil

Sachgebiet: EG

vorgehend SG Marburg, 21. Januar 2008, Az: S 4 EG 2/07, Urteil

§ 1 Abs 1 BEEG vom 05.12.2006, § 3 BEEG vom 05.12.2006, § 4 Abs 1 S 1 BEEG vom 05.12.2006, § 4 Abs 2 S 1 BEEG vom 05.12.2006, § 4 Abs 2 S 4 BEEG vom 05.12.2006, § 4 Abs 3 S 1 BEEG vom 05.12.2006, § 4 Abs 3 S 2 BEEG vom 05.12.2006, § 5 Abs 1 BEEG vom 05.12.2006, § 7 BEEG vom 05.12.2006, § 200 Abs 1 RVO

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 26.05.2011, Az. B 10 EG 11/10 R (REWIS RS 2011, 6219)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 6219

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