Bundespatentgericht, Urteil vom 20.06.2012, Az. 5 Ni 57/10 (EP)

5. Senat | REWIS RS 2012, 5445

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Gegenstand

Patentnichtigkeitsklageverfahren – Irrtum bezüglich der im Hinweis nach § 83 Abs. 2 PatG mitgeteilten Auffassung des Senats – Berücksichtigung des Vorbringens aus Billigkeitsgründen trotz Fristversäumnis


Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das europäische Patent 1 046 281

([X.])

hat der 5. Senat (Nichtigkeitssenat) des [X.] auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 20. Juni 2012 durch die Richterin [X.] als Vorsitzende, die Richterin [X.] sowie [X.], [X.] und [X.]. Dr. Wollny

für Recht erkannt:

[X.] Das [X.] Patent 1 046 281 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der [X.] für nichtig erklärt.

I[X.] Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

II[X.] [X.] ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 7. Januar 1999 angemeldeten [X.] Patents 1 046 281 ([X.]), das auch mit Wirkung für die [X.] erteilt wurde und eine Vorrichtung und ein Verfahren zum Erzeugen einer Verzögerung für die Videolippensynchronisation betrifft. Das beim [X.] unter der Nummer [X.] geführte [X.] nimmt die Priorität der Anmeldung [X.] 70640 P vom 7. Januar 1998 in Anspruch. Es umfasst 10 Patentansprüche, die alle mit der Nichtigkeitsklage angegriffen sind.

2

Die unabhängigen Patentansprüche 1 und 8 lauten in der [X.] wie folgt:

Abbildung

Abbildung

3

Wegen der abhängigen Patentansprüche 2 bis 7 sowie 9 und 10 wird auf die [X.]schrift EP 1 046 281 B1 Bezug genommen.

4

Mit ihrer Nichtigkeitsklage macht die Klägerin geltend, die Gegenstände des [X.]s gingen zum Einen über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus (Art. 138 Abs. 1c EPÜ, Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG), zum Anderen fehle ihnen die Patentfähigkeit (Art. 138 Abs. 1a EPÜ i. V. m. Art. 52 bis 57 EPÜ, Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG).

5

Zur Stützung ihres Vortrags beruft sie sich auf folgende Unterlagen:

6

[X.] [X.]schrift EP 1 046 281 B1

7

[X.] [X.] T 2 ([X.] Übersetzung des [X.]s)

8

[X.] Registerauszug des [X.]s

9

[X.] Merkmalsgliederung des Anspruchs 1 und des Anspruchs 8

NK5 EP 0 700 205 A2

NK6 EP 0 766 462 A2

[X.] EP 0 604 035 A2

[X.] EP 0 598 295 A1

[X.] EP 0 577 216 A1

[X.]0 [X.] 4,933,768

[X.]1 EP 0 639 029 A2

[X.]2 WO 99/35824 (Offenlegungsschrift zum [X.])

[X.]3 NAB Engineering Handbook, 8. Auflage, 1992, überreicht in Auszügen

[X.]4 Sachverständigengutachten von Prof. Dr.-Ing. S….

Die Klägerin beantragt,

das [X.] Patent 1 046 281 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der [X.] für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Hilfsweise verteidigt sie das [X.] mit dem in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrag, der sich von der erteilten Fassung dadurch unterscheidet, dass in den Patentansprüchen 1 und 8 jeweils in das Merkmal nach dem vorletzten Spiegelstrich nach den Worten "digitised audio signal" eingefügt wird: "by insertion of a delay in the audio processing".

Die Beklagte tritt den Ausführungen der Klägerin in allen Punkten entgegen. Weder sei der Gegenstand des [X.]s gegenüber der Ursprungsoffenbarung in den verteidigten Fassungen unzulässig geändert noch führe der entgegengehaltene Stand der Technik dazu, dass der Gegenstand der Ansprüche 1 und 8 vorweggenommen oder nahegelegt sei.

Die Klägerin rügt den in der mündlichen Verhandlung überreichten Hilfsantrag als verspätet und beantragt dessen Zurückweisung.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf den gerichtlichen Hinweis vom 27. März 2012, die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen sowie das Sitzungsprotokoll vom 20. Juni 2012 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage, mit der die Nichtigkeitsgründe der unzulässigen Erweiterung gegenüber dem Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 [X.], Art. 138 Abs. 1 lit. c EPÜ) sowie der mangelnden Patentfähigkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 [X.], Art. 138 Abs. 1 lit. a EPÜ i. V. m. Art. 52 bis Art. 57 EPÜ) geltend gemacht werden, ist zulässig und begründet.

[X.]

1. Das [X.] betrifft eine Vorrichtung und ein Verfahren zum Erzeugen einer Verzögerung für die [X.]. Der Begriff "[X.]" umschreibt, dass die Bewegung der Lippen einer sprechenden Person auf einem Fernsehbild mit dem Ton korrespondiert. Ist dies nicht der Fall, wird der Betrachter des Fernsehbildes irritiert. Dementsprechend sind in diesem Fall Maßnahmen angezeigt, die den [X.]fehler zwischen Bild und Ton so kompensieren, dass Lippenbewegung und Ton wieder synchronisiert sind. Die beanspruchte Vorrichtung und das Verfahren dienen also dazu, ein Audiosignal eines Normfernsehsignals (bspw. [X.], SECAM, [X.]) zu verzögern, um die Synchronizität zwischen Videobild und Audioausgang herzustellen bzw. aufrechtzuerhalten. Das [X.] geht davon aus, dass Wiedergabegeräte so ausgelegt werden müssen, dass sie neben analogen Fernsehsignalen in Normauflösung wie [X.], SECAM, oder [X.], die unter dem Sammelbegriff [X.] (Standard Definition TV) zusammengefasst werden, auch digitale Fernsehsignale empfangen und wiedergeben können. Die digitalen Fernsehsignale werden dabei in Form eines Stroms von digitalen Datenpaketen empfangen, welche Video- und Audio-Informationen in komprimierter Form gemäß einer vorbestimmten digitalen Kompressions-Norm, bspw. [X.], darstellen (vgl. [X.] [0002]). Wird ein digitaler HDTV-Empfänger (High Definition TV) zum Empfang hochauflösender Signale auch für den Empfang von [X.]-Signalen ausgelegt, ergibt sich das Problem, dass die Anzeige eines [X.] nicht synchron mit dem hörbaren Ausgang ist (vgl. [X.] [0004]).

Dieses Problem soll offensichtlich mit dem Empfänger nach dem Patentanspruch 1 und mit dem Verfahren zur Verarbeitung eines Eingangssignals nach dem Patentanspruch 8 überwunden werden.

Der Empfänger nach dem Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag lässt sich in folgende Merkmale gliedern ([X.] Fassung kursiv):

1.1 Empfänger, umfassend:

1.2 Mittel (1500, 1501) zum Empfang eines paketisierten Eingangs-Datenstroms, der gemultiplexte und komprimierte Datenpakete enthält, von denen jedes Paket wenigstens Header- und [X.] aufweist;

1.3 Mittel (1500) zum Empfang eines analogen Signals;

1.4 Mittel (1507, 1509) zum Unterteilen des paketisierten Datenstroms, um eine [X.] und eine [X.] zu erzeugen;

1.5 Mittel (1540, 1550, 1560) zur Verarbeitung des analogen Signals, um ein digitalisiertes Audiosignal und ein digitalisiertes Videosignal zu erzeugen;

1.6 erste Mittel (1511) um ein [X.] zu erzeugen

1.6.1 zur digitalen Signalverarbeitung und Dekompression der [X.] des paketisierten Datenstroms und

1.6.2 zur digitalen Signalverarbeitung des digitalisierten [X.];

1.7 zweite Mittel (1613) um ein [X.] zu erzeugen

1.7.1 zur digitalen Signalverarbeitung und Dekompression der [X.] des paketisierten Datenstroms und

1.7.2 zur digitalen Signalverarbeitung des digitalisierten Audiosignals;

1.8 Mittel (1605,1607) zur selektiven Verzögerung der Verarbeitung des digitalisierten Audiosignals, um ein hörbares Audiosignal mit einem anzeigbaren Videosignal zu synchronisieren;

1.9 Mittel (1519, 1523, 1525, 1529), um das [X.] in das anzeigbare Videosignal und das [X.] in das hörbare Audiosignal umzusetzen.

Das Verfahren zur Verarbeitung eines Eingangssignals nach dem Patentanspruch 8 lässt sich in folgende Merkmale gliedern (Gliederung in Anlehnung an die Klägerin, [X.] Fassung kursiv):

8.1 Verfahren zur Verarbeitung eines Eingangssignals, das eine Video- und eine [X.] aufweist, wobei das Verfahren umfasst:

8.2 Empfangen von einem paketisierten Eingangs-Datenstrom;

8.3 Empfangen eines digitalisierten Signals, das ein digitalisiertes Videosignal und ein digitalisiertes Audiosignal enthält;

8.4 Unterteilen des paketisierten Datenstroms, um eine [X.] und eine [X.] zu erzeugen;

8.5 Verarbeiten des digitalisierten [X.] und des digitalisierten Audiosignals;

8.6 Verarbeiten und Dekomprimieren der [X.] des paketisierten Datenstroms und Verarbeiten des digitalisierten [X.], um ein [X.] zu erzeugen;

8.7 Verarbeiten und Dekomprimieren der [X.] des paketisierten Datenstroms und Verarbeiten des digitalisierten Audiosignals, um ein [X.] zu erzeugen;

8.8 selektives Verzögern der Verarbeitung des digitalisierten Audiosignals, um ein hörbares Audiosignal mit einem anzeigbaren Videosignal zu synchronisieren;

8.9 Umsetzen des [X.]s in das anzeigbare Videosignal und des [X.]s in das hörbare Ausgangssignal.

2.1 Das [X.] wendet sich bezüglich der anstehenden Fragen nach der ursprünglichen Offenbarung, der Neuheit und des Zugrundeliegens einer erfinderischen Tätigkeit an einen Diplomingenieur (FH) der elektrischen Nachrichtentechnik mit fachlicher Ausrichtung auf die Fernsehtechnik. Von diesem Fachmann kann erwartet werden, dass ihm die auf diesem Gebiet zur Anwendung kommenden und im [X.] vorausgesetzten Standards, wie die analogen Fernsehsignalstandards [X.], SECAM oder [X.], sowie die digitalen Fernsehsignalstandards, einschließlich der darin verwendeten Kodierverfahren, wie etwa die Kodierung und Komprimierung von Video- und Audiosignalen nach dem [X.]- bzw. [X.]-2-Standard, geläufig sind. Bezüglich dieser zum Prioritätszeitpunkt angewendeten Standards dürfte dem Fachmann bekannt sein, dass die Übertragung in Form eines paketisierten Transportstroms erfolgt, der sich aus mehreren Datenübertragungspaketen zusammensetzt, deren Nutzdatenteil jeweils wiederum eine entsprechende Headerinformation vorangestellt ist.

2.2 Ausgehend vom Fach- und Erfahrungswissen des Fachmanns legt der [X.] den Patentanspruch 1 und den Patentanspruch 8 derart aus, dass ausgehend von der Allgemeinbedeutung des Begriffs selektiv (ausgewählt, wahlweise, zielgerichtet, trennscharf, unter einem "Mittel zur selektiven Verzögerung der Verarbeitung des digitalisierten Audiosignals" (

Verzögerung der Verarbeitung (eines Signals sind gemeinhin alle die Verarbeitungseinrichtung direkt beeinflussenden Maßnahmen zu verstehen, welche geeignet sind, Verarbeitungsschritte, die der Extrahierung von Signalinformationen, der Aufbereitung des Signals oder der Signalformung dienen (> Signalverarbeitung, so da wären A/D- oder D/A-Wandlung, [X.], Filterung usw.) verzögert auszuführen oder anders gesagt, die Signalverarbeitungsvorrichtung verzögert zu aktivieren bzw. die Signalverarbeitung verlangsamt ablaufen zu lassen.

Verzögerung eines Signals an sich, bspw. mittels einer Verzögerungsschaltung, unterscheidet sich von einer verzögerten Signalverarbeitung im vorstehenden Sinne dadurch, dass das durch die Verzögerungseinrichtung geleitete Signal weder in seiner Signalinformation noch in seiner Signalform verändert ausgegeben wird. Gleichwohl kann auch die Verzögerung eines Signals vor dessen Zuleitung zu einer Verarbeitungseinrichtung zu einer Verzögerung der Verarbeitung führen.

digitalisiertes Signal lediglich gefordert, dass als Ergebnis einer Signalumwandlung ein digitales Signal vorliegt, worunter neben einem einfachen analog-digital gewandelten Signal auch kodierte und paketisierte Daten zu subsumieren sind.

Die übrigen in den Ansprüchen enthaltenen Begriffe bedürfen, da sie zum Einen durch die ihnen zugeordneten Funktionalitäten verständlich beschrieben werden, zum Anderen dem etablierten Fachjargon entlehnt sind und damit deren Bedeutungen für den Fachmann unmissverständlich definiert sind, keiner näheren Erläuterung.

3. Das [X.] geht in seiner mit dem Hauptantrag verteidigten erteilten Fassung über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 lit. c EPÜ).

[X.]) so nicht entnommen werden könnten.

der Verarbeitung in den ursprünglichen Unterlagen (vgl. [X.]) dadurch offenbart, dass der Textstelle Seite 8, Zeilen 12 bis 23 zu entnehmen sei, dass eine Synchronisation des Audio- und des [X.] dadurch erreicht werde, dass eine Verzögerung in die Audioverarbeitung eingefügt werde (in die Verarbeitung einzufügen, unmittelbar und eindeutig nur entnehmen kann, dass an irgendeiner Stelle in der signalverarbeitenden Vorrichtung eine Verzögerung in den Signalablauf eingefügt wird, was im weiteren Kontext der [X.] durch die konkrete Verwendung eines Verzögerungsmittels gestützt wird. Dies mag sich über den Gesamtprozess betrachtet zwar in einer Verzögerung der Verarbeitung auswirken, die sich aber auch, wie im qualifizierten Hinweis des [X.]s vom 27. März 2012 bereits aufgezeigt und in der mündlichen Verhandlung noch einmal im Einzelnen erläutert, durch eine Verlangsamung des [X.] selbst, bspw. durch Reduzierung der Taktrate des Audioprozessors gegenüber der Taktrate des Videoprozessors, realisieren lässt.

Der diesbezügliche Einwand der Beklagten, dass mit letzterer Methode die gewünschte Synchronisierung nicht erreicht werden könnte, da dadurch das Audiosignal nur in sich verlangsamt würde, geht fehl, denn bei Zugrundelegung einer paketweisen Verarbeitung von [X.], die infolge des systembedingt wesentlich geringeren Dateninhalts gegenüber dem Dateninhalt der Videopakete schneller verarbeitet werden, kann mittels einer entsprechenden Verlangsamung der Taktrate bei der Audiosignalverarbeitung wieder ein Gleichklang zwischen den zusammengehörigen Video- und Audiodatenpaketen erreicht werden.

Einfügen einer Verzögerung in die Audioverarbeitung lesen. Eine Verzögerung der Verarbeitung in der Breite ihrer allgemeinen Bedeutung ist in den ursprünglichen Unterlagen folglich nicht offenbart. Diese unzulässige Änderung enthält auch der in seinem sachlichen Gehalt entsprechend zu beurteilende nebengeordnete Verfahrensanspruch 8 (vgl. Merkmal 8.8).

selektive Verzögerung (selektiv zur Überzeugung des [X.]s damit lediglich zum Ausdruck kommen soll, dass ausschließlich das [X.] gegenüber dem [X.] zu verzögern ist. Dies deckt sich aber mit der ursprünglichen Offenbarung.

digitalisierten Audiosignals ([X.]), wo es unter anderem heißt: "Wie oben erwähnt wurde, ist die [X.] zur Verarbeitung des digitalisierten [X.]-Audio-Eingangssignals kleiner als die [X.], die für die Verarbeitung des entsprechenden digitalisierten [X.] benötigt wird, wodurch die Einfügung einer Verzögerung in die Audio-Verarbeitung notwendig ist, um die Synchronisation zwischen diesen beiden Signalen aufrechtzuerhalten." Dass im weiteren Kontext die Signalverarbeitung dahingehend konkretisiert wird, dass ein [X.] Eingangssignal dem Verzögerungsmittel 1607 zugeführt wird, schränkt zur Überzeugung des [X.]s den allgemeinen Offenbarungsgehalt der vorgenannten Textstelle nicht ein.

Da die Patentansprüche 1 und 8 gemäß Hauptantrag mit der Formulierung "Verzögerung der Verarbeitung" den Umfang dessen überschreiten, was ursprünglich als zur Erfindung gehörig offenbart ist, können diese keinen Bestand haben.

4. Die Patentansprüche 1 und 8 gemäß Hauptantrag umfassen jeweils die Merkmale der enger gefassten Patentansprüche 1 und 8 gemäß Hilfsantrag. Nachdem letztere - wie die nachfolgenden Ausführungen zum Hilfsantrag zeigen - nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen, haben die Patentansprüche 1 und 8 nach Hauptantrag auch aus diesem Grunde keinen Bestand.

I[X.] Zum Hilfsantrag

1. Entgegen der Ansicht der Klägerin war die Patentinhaberin mit ihrem erstmals in der mündlichen Verhandlung gestellten Hilfsantrag, mit dem sie beabsichtigte, die bereits im Hinweis des [X.]s vom 27. März 2012 angesprochene unzulässige Erweiterung der erteilten Fassung auszuräumen, nicht ausgeschlossen. Auch nach Ablauf der im Hinweis nach § 83 Abs. 2 [X.] gesetzten Fristen war ihr Vorbringen aus Billigkeitsgründen (vgl. hierzu [X.]sentscheidung vom 25. April 2012, Aktenzeichen 5 Ni 28/10, - Wiedergabeschutzverfahren; zur Veröffentlichung vorgesehen; abrufbar unter [X.] sowie in juris) noch zu berücksichtigen, da sie nachvollziehbar dargetan hat, der im Hinweis mitgeteilten vorläufigen Auffassung des [X.]s irrig entnommen zu haben, dieser gehe diesbezüglich von einem - nicht mehr zu beseitigendem - [X.] der erteilten Fassung im Vergleich zu der ursprünglich offenbarten Lehre des [X.]s aus. Nachdem sich dieses Missverständnis für die Beklagte erst zu Beginn der mündlichen Verhandlung aufgeklärt hatte, war ihr Hilfsantrag in Reaktion darauf nicht unverschuldet verspätet und damit zuzulassen. Im Übrigen handelte es sich bei der [X.] Verteidigung der Beklagten um eine nach dem Vortrag der Parteien zu erwartende Korrektur in der Anspruchsfassung, zu der die Klägerin auch sachlich Stellung genommen hat.

2. Die Patentansprüche 1 und 8 in ihrer hilfsweise verteidigten Fassung unterscheiden sich von den Patentansprüchen 1 und 8 in der erteilten Fassung jeweils durch die Merkmale 1.8H und 8.8H, die nunmehr folgenden Wortlaut haben (Änderungen gegenüber erteilter Fassung unterstrichen):

H Mittel (1605, 1607) zur selektiven Verzögerung der Verarbeitung des digitalisierten Audiosignals durch Einfügen einer Verzögerung in die Audioverarbeitung, um ein hörbares Audiosignal mit einem anzeigbaren Videosignal zu synchronisieren;

H selektives Verzögern der Verarbeitung des digitalisierten Audiosignals durch Einfügen einer Verzögerung in die Audioverarbeitung, um ein hörbares Audiosignal mit einem anzeigbaren Videosignal zu synchronisieren;

3. Die Änderungen in den Merkmalen 1.8H und 8.8H sind den ursprünglichen Unterlagen ([X.]) auf Seite 8, Zeilen 12 bis 16 als zur Erfindung gehörig entnehmbar und führen die wegen Verallgemeinerung der Merkmale 1.8. und 8.8 unzulässig erweiterten erteilten Patentansprüche 1 und 8 in zulässiger Weise auf das ursprünglich Offenbarte zurück.

4. Die Patentansprüche 1 und 8 in ihrer hilfsweise verteidigten Fassung beruhen jedoch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

[X.] ist ein Empfänger für Fernsehsignale bekannt (vgl. Titel; Merkmal 1.1), der sowohl analoge Fernsehsignale nach dem [X.]-Standard als auch digitale Fernsehsignale, wie terrestrische Fernsehsignale, Satelliten- oder Kabelfernsehsignale, empfangen kann (vgl. Spalte 8, Zeilen 13 bis 16).

Wie in dem Blockschaltbild in [X.]. 1 dargestellt, werden die mittels diverser Antennen (vgl. terrestrische Antenne 318 und Satellitenantenne 319) empfangenen Fernsehsignale einer Mischeinrichtung 320 zugeführt, die einmal das empfangene analoge [X.]-Signal an ein [X.]-Dekodiermodul 303 ausgibt, in dem eine Hochfrequenz-Empfangseinheit enthalten ist (vgl. Spalte 8, Zeilen 49 bis 52) (Merkmal 1.3), ein andermal die digitalen Signale an ein digitales [X.] liefert, in dem diese in einen Bitdatenstrom konvertiert werden (vgl. Spalte 10, Zeilen 38 bis 43).

Wie aus der detaillierten Darstellung des Moduls 303 in der [X.]. 30 ersichtlich, werden dort die analogen Fernsehsignale demoduliert (vgl. [X.] 3 bis 5) und mittels A/[X.] 6 und 8 in digitale Video- und Audiosignale umgesetzt (vgl. Spalte 44, Zeilen 45 bis 52 sowie Spalte 8, Zeilen 52 bis 54 und Spalte 10, Zeilen 5 bis 10) (Merkmal 1.5).

Der im digitalen [X.] generierte Bitstrom wird anschließend in einem [X.] in einen [X.] Datenstrom konvertiert (vgl. Spalte 10, Zeilen 44 bis 47). Der Empfänger enthält mithin Mittel zum Empfang eines paketisierten Eingangs-Datenstroms, der gemultiplexte und komprimierte Datenpakete enthält. Um weiter verarbeitet werden zu können, weist funktionsnotwendigerweise jedes Paket wenigstens [X.] und [X.] auf (Merkmal 1.2). In entsprechender Weise wird mit einem empfangenen digitalen Kabelfernsehsignal (CATV signal) verfahren (vgl. Spalte 11, Zeilen 20 bis 29).

Der vom [X.] ausgegebene [X.]-Datenstrom unterteilt sich in einen [X.] und einen Audiodatenstrom (vgl. Spalte 10, Zeilen 47 bis 49 und Spalte 11, Zeilen 29 bis 31) (Merkmal 1.4).

[X.] sog. erste Mittel für die Erzeugung eines [X.]s realisiert im Sinne des [X.]s (Merkmal 1.6).

Ebenso sind sog. zweite Mittel vorhanden, um ein [X.] zu erzeugen (Merkmal 1.7), die dadurch realisiert sind, dass der erzeugte Audiodatenstrom in einem [X.]-Audio-Modul 308 normgemäß dekomprimiert und in entsprechende Sprachdaten decodiert wird (vgl. Spalte 10, Zeilen 49 bis 54 und Spalte 11, Zeilen 34 bis 36) (Merkmal, 1.7.1), die wiederum über den Bus 302 dem Verstärker 315 zugeführt werden, in dem die digitalisierten Tonsignale mit einem im Verstärker implementierten [X.] (Digital Signal Processor) in ein [X.] umgewandelt werden (vgl. Spalte 10, Zeile 53 bis Spalte 11, Zeile 5 und Spalte 42, Zeilen 35 bis 40) (Merkmal, 1.7.2).

Für die [X.] wahrnehmbare Anzeige des [X.]s und Ausgabe des [X.]s sind die üblichen Umsetzungsmittel in Form eines Bildschirms 317 und eines Lautsprechers 316 vorgesehen (Merkmal 1.9).

[X.] schon dadurch unterscheide, dass patentgemäß für die Verarbeitung der digitalen und digitalisierten Video- oder [X.]e jeweils nur ein (im Sinne von einziges) Mittel verwendet würde, kann sich der [X.] nicht anschließen. Dieser Auslegung der Beklagten widerspricht eindeutig die Verwendung des Plurals des Begriffs Mittel (

An dieser Sichtweise kann auch der Hinweis der Beklagten auf das Ausführungsbeispiel nichts ändern, da die Anspruchsfassung in diesem Punkt klar und eindeutig abgefasst ist und eine Auslegung der Patentansprüche unterhalb des Wortlauts generell nicht zulässig ist (vgl. [X.], [X.], 309, Rn. 17 - Schussfädentransport).

[X.] ist damit ein Empfänger als vorbekannt entnehmbar, der bis auf eine explizit ausgewiesene Einfügung einer Verzögerung in die Verarbeitung des digitalisierten Audiosignals (Merkmal 1.8H) alle Merkmale des verteidigten Patentanspruchs 1 aufweist.

[X.] nicht in Betracht ziehen, weil dort die Problematik der Lippensynchronizität explizit nicht erwähnt sei und an keiner Stelle ein Verzögerungsmittel ausgewiesen sei. Die Lehre der [X.] ziele vielmehr darauf ab, bei einem rechnergesteuerten Fernsehempfänger dem Nutzer bereits während des Bootens des Rechners (→ Starten des Betriebssystems) den Empfang und die Anzeige eines Fernsehprogramms zu ermöglichen, für deren Steuerung eine [X.] vorgesehen sei, die während des [X.] den sonst chaotischen Datenfluss auf dem alle Module des Empfängers verbindenden Bussystem so ordne, dass von Anfang an dem Nutzer eine störungsfreie Wiedergabe des gewünschten Fernsehkanals angeboten werden könne.

[X.] kann sich der [X.] zwar noch anschließen, die weitere von der Beklagten vertretene Auffassung, dass die in Spalte 45, Zeilen 10 bis 13 beschriebene Synchronisation des Audio- und [X.] durch die [X.] nur als eine voneinander unabhängige Synchronisation der beiden Signale jeweils in sich zu verstehen sei, geht dagegen fehl, zumal eine derartige Synchronisation das von der Beklagten ins Feld geführte Chaos auf dem Bus dann nur für den jeweiligen Signalanteil in sich beseitigen könnte, was für den Fachmann erkennbar bei weitem noch zu keiner für den Benutzer befriedigenden Anzeige eines kombinierten [X.] führen würde.

[X.] zwar explizit keine Mittel oder Maßnahmen ausgewiesen, dem Fachmann ist aber angesichts der getrennten Verarbeitung von digitalisierten Video- und Audiodaten durchaus bewusst, dass für die Verarbeitung der digitalisierten Videodaten, deren Datenmenge die Datenmenge der digitalisierten Audiodaten in der Regel bei Weitem übersteigt, entschieden mehr Verarbeitungszeit benötigt wird als für die Verarbeitung der Audiodaten. Die verarbeiteten Audiosignaldaten stehen für die Wiedergabe systembedingt folglich früher an als die verarbeiteten Videosignaldaten, was, wie bspw. in der [X.] vorbeschrieben, zum Verlust der Lippensynchronizität (vgl. Spalte 1, Zeilen 8 bis 21 und Zeilen 30 bis 33) und damit zu einer für den Nutzer inakzeptablen Wiedergabe des gewünschten Fernsehkanals führt. Der Fachmann ist folglich veranlasst, die bei der Signalverarbeitung entstehenden Laufzeitunterschiede zwischen [X.] auszugleichen. Als geeignete Maßnahme ist dafür insbesondere bei Systemen, die wie das [X.] und die [X.] digitalisierte Audio- und Videosignale getrennten Verarbeitungswegen unterwerfen, im Stand der Technik durchgehend die Einführung einer Verzögerung in den Weg der voreilenden Audiosignalverarbeitung in Form eines Verzögerungsmittels vorgesehen (vgl. [X.], [X.]. 1 [X.] 14; [X.], [X.]. 3 steuerbare Audio Verzögerung 339 i. V. m. Spalte 6, Zeilen 47 bis 52 und [X.], [X.]. 2, Audioverarbeitung 230 mit Verzögerung 100 in Form eines FIFO i. V. m. Spalte 8, Zeilen 13 bis 22).

[X.] bekannten Empfängerschaltung durch zielgerechtes Einfügen eines durch die [X.] gesteuerten Verzögerungsgliedes in den Datenübertragungsbus 302 umsetzen.

Der Fachmann ist damit zur Überzeugung des [X.]s, ohne selbst erfinderisch tätig werden zu müssen, bereits bei einem Empfänger gemäß dem hilfsweise verteidigten Patentanspruch 1 angelangt. Da sich der Patentanspruch 8 gemäß Hilfsantrag in seinen funktionalen Merkmalen vom Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag nicht unterscheidet, gelten die vorstehenden Ausführungen auch für diesen gleichermaßen.

[X.] und [X.]) oder eines Speicherbausteins (vgl. [X.]), durch den abgehandelten Stand der Technik bereits einschlägig vorbekannt ist.

5. Mit den Patentansprüchen 1 und 8 in der mit dem Hilfsantrag verteidigten Fassung kann das Patent somit keinen Bestand haben. Dass in den rückbezogenen Unteransprüchen eigenständig erfinderische Gegenstände enthalten seien, hat die Beklagte weder geltend gemacht, noch ist dies für den [X.] ersichtlich.

II[X.]

Als Unterlegene hat die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits gemäß § 84 Abs. 2 [X.] i. V. m. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 99 Abs. 1 [X.], § 709 ZPO.

Meta

5 Ni 57/10 (EP)

20.06.2012

Bundespatentgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: Ni

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Urteil vom 20.06.2012, Az. 5 Ni 57/10 (EP) (REWIS RS 2012, 5445)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 5445

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