Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 08.12.2011, Az. 2 B 106/11

2. Senat | REWIS RS 2011, 667

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Gegenstand

Abschluss des Konkurrentenstreitverfahrens nach § 123 VwGO vor dem Oberverwaltungsgericht; Wartefrist des Dienstherrn vor Ernennung des ausgewählten Bewerbers; Mitteilung der Auswahlentscheidung an unterlegenen Bewerber


Gründe

1

Die Beschwerde des [X.] kann keinen Erfolg haben. Der Kläger hat nicht dargelegt, dass die geltend gemachten Revisionszulassungsgründe der Divergenz und der grundsätzlichen Bedeutung vorliegen.

2

Der Kläger steht als Stadtbauamtsrat (Besoldungsgruppe [X.]) im Dienst der [X.]. Im September 2007 bewarb er sich um die Beförderungsstelle des [X.] der städtischen Bauverwaltung (Besoldungsgruppe [X.]). Die Bürgermeisterin der [X.] wählte die Beigeladene aus und setzte diese mit Wirkung vom 1. Januar 2008 vorläufig als Amtsleiterin ein. Der Kläger beschritt den Rechtsweg, um die Beförderung der Beigeladenen zu verhindern: Seinen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung lehnte das Verwaltungsgericht ab; die hiergegen gerichtete Beschwerde wies das Oberverwaltungsgericht zurück. Dessen Beschluss wurde am 24. September 2008 an die Beteiligten versandt. Nachdem der Rat der [X.] am 25. September 2008 der Besetzung der Stelle mit der Beigeladenen zugestimmt hatte, wurde diese am 21. Oktober 2008 zur Stadtoberamtsrätin (Besoldungsgruppe [X.]) ernannt.

3

Die Klage, mit der der Kläger in erster Linie die Ernennung aufgehoben, hilfsweise die Rechtswidrigkeit der Auswahlentscheidung festgestellt wissen will, ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. In dem Berufungsurteil hat das Oberverwaltungsgericht ausgeführt, die Ernennung sei aus Gründen der Ämterstabilität rechtsbeständig, weil kein Fall der Verhinderung effektiven Rechtsschutzes vorliege. Der Dienstherr müsse nach einem für ihn erfolgreichen Abschluss des [X.] nach § 123 VwGO vor dem Oberverwaltungsgericht mit der Ernennung des ausgewählten Bewerbers noch zwei Wochen zuwarten, um dem unterlegenen Bewerber die Anrufung des [X.] zu ermöglichen. Die Beigeladene sei erst rund drei Wochen nach Bekanntgabe der Beschwerdeentscheidung ernannt worden. Der Kläger habe nicht mitgeteilt, er beabsichtige die Anrufung des [X.]. Der Hilfsantrag sei unzulässig, weil dem Kläger wegen der Rechtsbeständigkeit der Ernennung ein berechtigtes Interesse an der nochmaligen Prüfung der Auswahlentscheidung fehle. Im Übrigen stehe die Auswahl der Beigeladenen in Einklang mit Art. 33 Abs. 2 GG.

4

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger geltend, in Bezug auf zwei Rechtsfragen seien die Zulassungsgründe der Divergenz gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO und der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gegeben: Zum einen habe das Oberverwaltungsgericht eine Wartefrist von zwei Wochen für die Anrufung des [X.] als angemessen erachtet. Dies stehe in Widerspruch zur Rechtsprechung von Bundesverfassungs- und [X.]. Der Dienstherr müsse mit der Ernennung des ausgewählten Bewerbers bis zum Ablauf der Monatsfrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 [X.] für die Einlegung der Verfassungsbeschwerde zuwarten. Zum anderen habe das Oberverwaltungsgericht verkannt, dass es sich nach der Rechtsprechung des [X.] bei Auswahlentscheidung und Ernennung um eigenständige Rechtsakte handele. Aufgrund dessen habe es [X.] nicht beanstandet, dass die Beklagte dem Kläger die bevorstehende Ernennung der Beigeladenen nicht gesondert mitgeteilt habe. Die Beigeladene sei zu Unrecht befördert worden. Die Bürgermeisterin habe die dem Rat vorbehaltene Auswahlentscheidung unter Verstoß gegen das Satzungsrecht der [X.] an sich gezogen. Die Auswahl der Beigeladenen verletze die Rechte des [X.] aus Art. 33 Abs. 2 GG, weil die ihm erteilte dienstliche Beurteilung der Bürgermeisterin aus mehreren Gründen rechtswidrig gewesen sei.

5

1. Der Zulassungsgrund der Divergenz gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO setzt voraus, dass die Entscheidung des Berufungsgerichts auf einem abstrakten Rechtssatz beruht, den Bundesverfassungs- oder [X.] in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt haben. Zwischen beiden Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Inhalt einer Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen (stRspr; vgl. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - [X.] 310 § 133 VwGO Nr. 26). Danach liegen die vom Kläger behaupteten Divergenzen nicht vor, weil die tragenden Erwägungen des [X.] nicht in Widerspruch zu einem Rechtssatz des Bundesverfassungs- oder des [X.] stehen:

6

Dies gilt zum einen für den Rechtssatz des [X.], der Dienstherr müsse mit der Ernennung des ausgewählten Bewerbers nach Obsiegen im [X.] nach § 123 VwGO vor dem Oberverwaltungsgericht noch zwei Wochen zuwarten, um dem unterlegenen Bewerber Gelegenheit zur Anrufung des [X.] zu geben. Das [X.] hat zur Länge dieser Wartefrist keinen abweichenden Rechtssatz aufgestellt. In dem Urteil vom 4. November 2010 - BVerwG 2 C 16.09 - BVerwGE 138, 102 = [X.] 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 47 = NJW 2011, 695 ) heißt es nur, diese Wartefrist müsse "angemessen" sein. Auch der Kammerrechtsprechung des [X.] lässt sich nicht - wie vom Kläger behauptet - der Rechtssatz entnehmen, die Wartefrist müsse entsprechend § 93 Abs. 1 Satz 1 [X.] einen Monat betragen. In dem [X.] vom 9. Juli 2009 - 2 BvR 706/09 - (NVwZ 2009, 1430) heißt es:

"Im Fall dringender dienstlicher Bedürfnisse können Ausnahmen von der grundsätzlich anzuerkennenden Wartefrist gegeben sein. Diese entziehen sich allerdings - ebenso wie die Bestimmung der Länge der Wartefrist - einer schematischen Beurteilung; vielmehr kommt es maßgeblich auf die Umstände des Einzelfalls an. ... In der obergerichtlichen Rechtsprechung hat sich teilweise eine Wartefrist von zwei Wochen nach Zustellung der zweitinstanzlichen Eilentscheidung eingebürgert, ... Zur Vermeidung von Missverständnissen ist allerdings darauf hinzuweisen, dass für die Einlegung der Verfassungsbeschwerde die Monatsfrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 [X.] gilt, die der Beschwerdeführer zur Substanziierung seines Vortrags bzw. gegebenenfalls zur Nachreichung von Unterlagen ausschöpfen kann. ..."

7

Danach hat das [X.] eine Wartefrist von einem Monat nicht generell für erforderlich gehalten, um die Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG i.V.m. Art. 33 Abs. 2 GG sicherzustellen. Vielmehr hat das Gericht den Umständen des Einzelfalls Bedeutung für die Länge der Wartefrist beigemessen.

8

Der tragende Rechtssatz des [X.], unterlegenen Bewerbern müsse die Auswahlentscheidung zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG i.V.m. Art. 33 Abs. 2 GG rechtzeitig vor der Ernennung des ausgewählten Bewerbers mitgeteilt werden, steht in Einklang mit der Rechtsprechung von Bundesverfassungs- und [X.]. Eine weitere Mitteilung über die bevorstehende Ernennung im [X.] an ein [X.] nach § 123 VwGO oder nach dem Verstreichen einer Wartefrist wird von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG i.V.m. Art. 33 Abs. 2 GG nicht gefordert ([X.], [X.] vom 28. April 2005 - 1 BvR 2231/02 u.a. - NJW-RR 2005, 998, vom 9. Juli 2007 - 2 BvR 206/07 - NVwZ 2007, 1178 und vom 9. Juli 2009 a.a.[X.]; BVerwG, Urteil vom 4. November 2010 a.a.[X.] Rn. 33 f.).

9

2. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt voraus, dass die Rechtssache eine Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die sowohl im konkreten Fall entscheidungserheblich als auch allgemein klärungsbedürftig ist, d.h. im Interesse der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung der Nachprüfung in einem Revisionsverfahren bedarf (Beschluss vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> = [X.] 310 § 132 VwGO Nr. 18 S. 21 f., stRspr). An der allgemeinen Bedeutung einer von der Beschwerde aufgeworfenen Frage fehlt es, wenn sie bereits geklärt ist, auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie nur einzelfallbezogen zu beantworten ist (stRspr; vgl. zuletzt Beschluss vom 24. Januar 2011 - BVerwG 2 B 2.11 - juris Rn. 4 = NVwZ-RR 2011, 329 ). Dies ist in Bezug auf die vom Kläger aufgeworfenen Fragen der Fall:

Die Frage nach der Bedeutung der Monatsfrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 [X.] für die Länge der Wartefrist bedarf im vorliegenden Fall in Anbetracht des oben dargestellten [X.]es des [X.] vom 9. Juli 2009 (a.a.[X.]) keiner weiteren rechtsgrundsätzlichen Klärung. Es liegt nahe, dass der Dienstherr nach seinem Obsiegen im [X.] nach § 123 VwGO vor dem Oberverwaltungsgericht mit der Ernennung des ausgewählten Bewerbers regelmäßig einen Monat ab Bekanntgabe der obergerichtlichen Entscheidung warten sollte, wenn der unterlegene Bewerber rechtzeitig, nämlich vor oder spätestens zwei Wochen nach der Bekanntgabe mitgeteilt hat, er werde das [X.] anrufen. In diesem Fall sollte ihm Gelegenheit gegeben werden, die Monatsfrist für die Einlegung der Verfassungsbeschwerde nach § 93 Abs. 1 Satz 1 [X.] auszuschöpfen. Weitergehende verallgemeinerungsfähige Fragen stellen sich hier nicht.

Nach den gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindenden, weil nicht mit einer Verfahrensrüge angegriffenen Tatsachenfeststellungen des [X.] hat der Kläger nicht geäußert, er beabsichtige die Anrufung des [X.]. Daher ist die Ernennung der Beigeladenen rund drei Wochen nach der Bekanntgabe der Beschwerdeentscheidung des [X.] verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Dem vom Kläger thematisierten Verhältnis von Auswahlentscheidung und Ernennung kommt keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Die Beklagte hat die [X.], die ihr nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG i.V.m. Art. 33 Abs. 2 GG gegenüber dem Kläger oblegen haben, erfüllt. Sie hat ihm damit die Möglichkeit eröffnet, seine Rechtsschutzmöglichkeiten vor der Ernennung der Beigeladenen auszuschöpfen. Damit waren die grundgesetzlichen Ansprüche des [X.] zum Zeitpunkt der Ernennung der Beigeladenen erfüllt. Dies gilt grundsätzlich unabhängig davon, ob der abschließenden obergerichtlichen Entscheidung im [X.] materiell-rechtliche oder prozessuale Mängel anhaften. Das Grundrecht auf gerichtlichen Rechtsschutz gibt weder einen Anspruch auf eine "richtige" Entscheidung noch darauf, dass das Bestehen eines Anspruchs des unterlegenen Bewerbers auf Beachtung seiner Rechte aus Art. 33 Abs. 2 GG zweimal, nämlich vor und nach der Ernennung gerichtlich geprüft wird (Urteil vom 4. November 2010 a.a.[X.] Rn. 33 bis 36). Daher kommt es nicht darauf an, ob die Einwendungen des [X.] gegen die Beschwerdeentscheidung des [X.] in der Sache zutreffen.

Darüber hinaus bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, welcher Zweck mit der Mitteilung der Auswahlentscheidung an unterlegene Bewerber verfolgt wird. Es liegt auf der Hand, dass diese von der Absicht des Dienstherrn in Kenntnis gesetzt werden sollen, den ausgewählten Bewerber zu ernennen. Die Mitteilung kündigt die Ernennung, d.h. den Erlass eines Verwaltungsakts mit Drittwirkung, für den Fall an, dass eine Wartefrist verstreicht oder die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes erfolglos bleibt. Sie soll unterlegenen Bewerbern Gelegenheit geben, vorbeugend gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen, um die Ernennung zu verhindern (Urteil vom 4. November 2010 a.a.[X.] Rn. 31). Ein Bewerber, der davon Gebrauch macht, verfolgt einen aus Art. 33 Abs. 2 GG folgenden Anspruch auf vorbeugende Unterlassung der Ernennung.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht nicht der Billigkeit, dem Kläger die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, weil für diese im Beschwerdeverfahren kein Kostenrisiko bestanden hat. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Satz 1 Nr. 1 GKG).

Meta

2 B 106/11

08.12.2011

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 30. Mai 2011, Az: 1 A 1757/09, Urteil

Art 19 Abs 4 S 1 GG, Art 33 Abs 2 GG, § 93 Abs 1 S 1 BVerfGG, § 123 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 08.12.2011, Az. 2 B 106/11 (REWIS RS 2011, 667)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 667

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Wird zitiert von

2 BvR 120/16

4 CE 15.273

4 CE 15/273

15 L 908/21

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