Bundesfinanzhof, Urteil vom 11.12.2013, Az. XI R 22/11

11. Senat | REWIS RS 2013, 440

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Gegenstand

Wirkung und Änderbarkeit eines im Insolvenzverfahren ergangenen bestandskräftigen Feststellungsbescheides


Leitsatz

1. Ein bestandskräftiger Feststellungsbescheid über eine Umsatzsteuernachzahlung als Insolvenzforderung steht einer später begehrten anderweitigen Umsatzsteuerfestsetzung entgegen, wenn dieser Bescheid nicht mehr geändert werden kann.

2. Die Entscheidung des FA über die Rücknahme des Feststellungsbescheides nach § 130 Abs. 1 AO ist eine Ermessensentscheidung, die von den Gerichten nur eingeschränkt überprüft werden kann.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) begehrt als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin aus einer für das [X.] (Streitjahr) nachgereichten Umsatzsteuererklärung eine entsprechende Umsatzsteuerfestsetzung sowie die Änderung der nach § 251 Abs. 3 der Abgabenordnung ([X.]) bislang vorgenommenen Feststellung der steuerlichen Insolvenzforderung.

2

Unternehmensgegenstand der zum 1. Februar 2000 errichteten Insolvenzschuldnerin war die Beteiligung an Unternehmen sowie deren Verwaltung und Beratung im Bereich der neuen Technologien, insbesondere die Beteiligung an Internet-Unternehmen und die Dienstleistungs- und Entwicklungstätigkeit in diesem Umfeld. Über ihr Vermögen eröffnete das [X.] mit Beschluss vom 3. November 2004 das Insolvenzverfahren und bestellte den Kläger zum Insolvenzverwalter.

3

In dem vom Kläger als vorläufigen Insolvenzverwalter erstellten Ermittlungsbericht vom 2. November 2004 berichtete dieser, dass ein Jahresabschluss "angabegemäß für 2003 erstellt" worden sei, dieser ihm jedoch nicht vorliege. Am 6. Dezember 2004 zeigte der Kläger gemäß § 208 Abs. 1 der Insolvenzordnung ([X.]) die Masseunzulänglichkeit an.

4

Die Insolvenzschuldnerin gab für das Streitjahr zunächst keine Umsatzsteuer-Jahreserklärung ab. Nach vergeblicher Erinnerung ermittelte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) eine Umsatzsteuerforderung für das Streitjahr nach vorheriger Schätzung der Besteuerungsgrundlagen und übermittelte dem Kläger als Insolvenzverwalter am 16. November 2004 eine entsprechende Berechnungsmitteilung über einen Umsatzsteuerbetrag in Höhe von ... €. Daraus ergab sich ein Nachzahlungsbetrag von ... €, den das [X.] am 28. Januar 2005 --neben anderen [X.] gemäß § 174 Abs. 1 [X.] beim Kläger anmeldete.

5

Nachdem der Kläger die Forderungen bestritten hatte, erteilte ihm das [X.] am 28. November 2005 einen Bescheid nach § 251 Abs. 3 [X.], in dem u.a. die Umsatzsteuernachzahlung für 2003 als Insolvenzforderung festgestellt wurde. Auf den hiergegen eingelegten Einspruch des [X.] erließ das [X.] am 2. August 2006 einen nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a [X.] geänderten Feststellungsbescheid, mit dem es --neben Forderungen betreffend die Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für das 2. und 3. Kalendervierteljahr 2004 in Höhe von ... € bzw. ... € samt eines auf das 2. Quartal 2004 bezogenen Verspätungszuschlages in Höhe von ... € und eines Säumniszuschlages in Höhe von ... €-- die Umsatzsteuernachforderung für 2003 nunmehr auf ... € feststellte. Den Einspruch des [X.] bezeichnete das [X.] dadurch als erledigt.

6

Hinsichtlich des sich aus dem Bescheid vom 2. August 2006 ergebenden --in die (Insolvenz-)Tabelle eingetragenen-- Gesamtbetrages in Höhe von ... € erklärte der Kläger am 18. September 2006, diesen als (Insolvenz-)Forderung nachträglich anzuerkennen und lediglich die darüber hinausgehenden Mehrbeträge auch weiterhin bestreiten zu wollen.

7

Am 1. November 2007 reichte der Kläger für die Insolvenzschuldnerin eine Umsatzsteuererklärung für 2003 ein, aus der sich eine Umsatzsteuererstattung in Höhe von ... € ergab.

8

Das [X.] nahm die Erklärung mit Hinweis darauf zu den Akten, dass der vorangegangene Feststellungsbescheid vom 2. August 2006 bestandskräftig geworden sei und insofern eine Änderung der Eintragung in der (Insolvenz-)Tabelle aufgrund der nachgereichten Umsatzsteuererklärung nicht mehr möglich sei.

9

Der Kläger hielt mit einem Schreiben vom 3. März 2008 an der begehrten erklärungsgemäßen Durchführung der Umsatzsteuerfestsetzung für 2003 fest und vertrat die Auffassung, dass der streitbefangene Feststellungsbescheid nach §§ 130, 131 [X.] zu ändern sei.

Mit Bescheid vom 12. März 2008 lehnte das [X.] die Änderungsanträge des [X.] ab. Den hiergegen eingelegten Einspruch wies das [X.] mit Einspruchsentscheidung vom 29. Juli 2008 als unbegründet zurück. Der Erlass eines auf die nachgereichte Umsatzsteuererklärung für 2003 bezogenen Steuerbescheides verbiete sich angesichts der mit Bescheid vom 2. August 2006 bestandskräftig festgestellten und in die (Insolvenz-)Tabelle eingetragenen Umsatzsteuerforderung. Auch eine Änderung des Feststellungsbescheides vom 2. August 2006 komme bereits grundsätzlich nicht in Betracht, da nach Eintritt der Bestandskraft eines derartigen Feststellungsbescheides wieder der Vorrang des Insolvenzrechts zum Tragen komme und hiernach aus Gründen der Rechtssicherheit und -klarheit gegenüber sämtlichen anderen Gläubigern eine anderweitige Feststellung von Steuerforderungen ausscheide. Selbst wenn aber eine Änderungsmöglichkeit auf der Grundlage der §§ 130, 131 [X.] für allgemeine Steuerverwaltungsakte oder aber der §§ 172 ff. [X.] für Steuerbescheide bestehen sollte, sei es nicht ermessensgerecht, dem Kläger für die Insolvenzschuldnerin eine abweichende Feststellung auf der Grundlage von § 130 Abs. 1 [X.] zuzubilligen. Denn der Insolvenzschuldnerin sei das Vorliegen des Jahresabschlusses für das Streitjahr stets bekannt gewesen; die verspätete Kenntnisnahme des [X.] hiervon ginge zu ihren Lasten, zumal er von Anfang an die Verpflichtung gehabt habe, alle in den Unterlagen der Insolvenzschuldnerin vorhandenen Jahresabschlüsse herauszusuchen und ggf. unverzüglich einzureichen. Unter diesen Umständen habe der Kläger auch keinen Anspruch auf Änderung des Feststellungsbescheides nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 [X.].

Das Finanzgericht ([X.]) wies die hiergegen erhobene Klage ab. Es führte aus, dass einer Umsatzsteuerfestsetzung für das [X.] die bestandskräftige Feststellung in dem Bescheid vom 2. August 2006 entgegenstehe, mit dem das [X.] gegenüber dem Kläger die Umsatzsteuerforderung für das [X.] auf ... € nach § 251 Abs. 3 [X.] festgestellt und zur Insolvenztabelle angemeldet habe. Eine Feststellung der Forderung in der Insolvenztabelle sei das "insolvenzrechtliche Äquivalent" zur Steuerfestsetzung durch Verwaltungsakt (vgl. z.B. Urteil des [X.] --BFH-- vom 19. August 2008 VII R 36/07, [X.], 205, [X.], 90).

Eine Änderung des Feststellungsbescheides vom 2. August 2006 sei nicht möglich. Der [X.] könne offenlassen, ob die Vorschriften der §§ 172 ff. [X.] oder der §§ 130 ff. [X.] einschlägig seien, oder ob eine Änderung nur unter den Voraussetzungen einer sog. Restitutionsklage gemäß §§ 134 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O), 580 Nr. 7 Buchst. b der Zivilprozessordnung (ZPO) erfolgen könne. Denn im Streitfall seien für keine der genannten Möglichkeiten die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt.

Die Entscheidung des [X.] ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 20 veröffentlicht.

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Entgegen der Auffassung des [X.] fehle es an einer Steuerfestsetzung zur Umsatzsteuer für 2003. Die beantragte Festsetzung der Umsatzsteuer sei trotz der Regelung in § 87 [X.] grundsätzlich zulässig, da sie auf eine Umsatzsteuererstattung gerichtet sei (vgl. BFH-Urteil vom 13. Mai 2009 XI R 63/07, [X.], 278, [X.], 11). Das [X.] habe verkannt, dass der streitbefangene Feststellungsbescheid geändert werden müsse, weil sich die darin festgestellte Forderung nachträglich als materiell unrichtig herausgestellt habe. Entgegen der Auffassung des [X.] sei es ihm unzumutbar gewesen, den Jahresabschluss für 2003 schon früher zu beschaffen. Das dem [X.] bei der Entscheidung über die Rücknahme des rechtswidrigen Feststellungsbescheides in § 130 [X.] eingeräumte Ermessen sei daher auf "Null" reduziert gewesen.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das [X.]-Urteil aufzuheben und das [X.] zu verpflichten, unter Aufhebung des [X.] vom 12. März 2008 und der Einspruchsentscheidung vom 29. Juli 2008 die Umsatzsteuer für 2003 auf ... € festzusetzen, sowie den Feststellungsbescheid vom 2. August 2006 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuerforderung für das Streitjahr anstelle in Höhe von bisher ... € nunmehr in Höhe von 0 € als Insolvenzforderung festgestellt wird.

Das [X.] beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 [X.]O).

Das [X.] hat zu Recht entschieden, dass die vom Kläger beantragte Festsetzung einer Umsatzsteuer für 2003 entsprechend der nachgereichten Umsatzsteuererklärung der bestandskräftige Feststellungsbescheid vom 2. August 2006 entgegensteht. Das [X.] hat insoweit zutreffend angenommen, dass dieser Feststellungsbescheid einer Änderung nach § 130 Abs. [X.] nicht mehr zugänglich ist, weil die nur eingeschränkt überprüfbare ablehnende Ermessensentscheidung des [X.] nicht zu beanstanden ist.

1. Das [X.] ist zu Recht davon ausgegangen, dass das [X.] im Streitfall nicht schon aufgrund von § 251 Abs. [X.] i.V.m. § 87 [X.] gehindert war, entsprechend der nachgereichten Umsatzsteuer-Jahreserklärung eine Umsatzsteuerfestsetzung für 2003 vorzunehmen.

a) Nach § 87 [X.], der über die Verweisung in § 251 Abs. [X.] ("Unberührt bleiben die Vorschriften der Insolvenzordnung...") auch im Steuerrecht zu beachten ist, können die Insolvenzgläubiger zwar ihre Forderungen nur entsprechend den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen (vgl. dazu [X.]-Urteile vom 24. August 2004 VIII R 14/02, [X.], 10, [X.] 2005, 246 noch zur Rechtslage nach der Konkursordnung; vom 10. Dezember 2008 I R 41/07, [X.], 719, m.w.N.). Ebenso dürfen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens keine Bescheide mehr erlassen werden, in denen Besteuerungsgrundlagen festgestellt werden, welche die Höhe der zur Tabelle anzumeldenden Steuerforderungen beeinflussen könnten (vgl. [X.]-Urteil vom 2. Juli 1997 I R 11/97, [X.], 365, [X.] 1998, 428).

b) Der [X.] hat aber entsprechend dem Vorbringen des [X.] gleichfalls geklärt, dass das [X.] durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens grundsätzlich nicht gehindert ist, eine negative Umsatzsteuer festzusetzen, weil einem solchen Bescheid die abstrakte Eignung fehlt, sich auf anzumeldende Steuerforderungen auszuwirken. Denn mit einem solchen Bescheid setzt das [X.] keine [X.] fest, die nach § 87 [X.] nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgt werden kann, sondern einen Erstattungsbetrag, der nicht zur Tabelle anzumelden wäre (vgl. hierzu im Einzelnen [X.]-Urteil in [X.]E 225, 278, [X.] 2010, 11, unter II.2.). Deshalb scheidet hier auch eine Unterbrechung des [X.] mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens analog § 240 Satz 1 ZPO aus.

Da der Kläger mit seiner nachgereichten Umsatzsteuererklärung für 2003 eine Erstattung begehrt, würde die Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine entsprechende Umsatzsteuerfestsetzung durch das [X.] dem Grunde nach nicht hindern.

2. Das [X.] hat zu Recht entschieden, dass der begehrten Umsatzsteuerfestsetzung der bestandskräftige Feststellungsbescheid vom 2. August 2006 gemäß § 251 Abs. 3 [X.], der wegen der zutreffenden Ermessensentscheidung des [X.] keiner Änderung nach § 130 Abs. [X.] mehr zugänglich war, entgegensteht.

a) § 251 Abs. 3 [X.] sieht vor, dass bei Geltendmachung eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis als [X.] die Finanzbehörde erforderlichenfalls die [X.] durch schriftlichen Verwaltungsakt feststellt. Dieser Feststellungsbescheid ist mangels Festsetzung einer Steuer kein Steuerbescheid i.S. von § 155 [X.]. Er ist daher nach Eintritt der Bestandskraft nur nach §§ 130, 131 [X.] änderbar ([X.]-Urteile vom 24. November 2011 V R 13/11, [X.]E 235, 137, [X.] 2012, 298, und [X.], [X.]/NV 2012, 711; vom 6. Dezember 2012 V R 1/12, [X.]/NV 2013, 906; [X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 25[X.] Rz 68, m.w.N.).

Ein gemäß § 251 Abs. 3 [X.] erlassener Bescheid hat die Feststellung zum Inhalt, dass der bestrittene Anspruch in der geltend gemachten Höhe besteht und i.S. von § 38 [X.] begründet ist (vgl. [X.]-Urteil in [X.], 10, [X.] 2005, 246; [X.] in Tipke/[X.], a.a.[X.], § 25[X.] Rz 68). Festgestellte [X.] werden von der rechtskraftähnlichen Wirkung des Tabelleneintrages i.S. von § 178 Abs. 3 [X.] erfasst, so dass sie ohne Steuerbescheid durchgesetzt werden können (vgl. Braun/[X.], [X.], § 178 Rz 22; [X.] in [X.]/[X.]/ [X.] --[X.]--, § 25[X.] Rz 423, m.w.N.). Wird der Feststellungsbescheid unanfechtbar, wirkt er in entsprechender Anwendung der Regelung in § 183 Abs. 1 [X.] wie eine rechtskräftige Entscheidung gegenüber dem Insolvenzverwalter und allen Insolvenzgläubigern (vgl. [X.] in [X.], § 25[X.] Rz 423).

b) Im Streitfall ist der Feststellungsbescheid vom 2. August 2006 --nach einem Bestreiten der vom [X.] zur Insolvenztabelle angemeldeten Umsatzsteuerforderung ergangen und für 2003 mit einer Umsatzsteuerforderung von ... €-- bestandskräftig geworden.

Etwas Abweichendes ergibt sich nicht daraus, dass der Kläger gegen den früheren Feststellungsbescheid vom 28. November 2005 Einspruch eingelegt hatte und der streitbefangene Feststellungsbescheid vom 2. August 2006 nach § 365 Abs. 3 [X.] zunächst zum Gegenstand dieses [X.] wurde. Denn das Einspruchsverfahren hatte sich jedenfalls dadurch erledigt, dass der Kläger am 18. September 2006 erklärt hat, den sich aus dem Feststellungsbescheid vom 2. August 2006 ergebenden Gesamtbetrag von ... € anzuerkennen (vgl. dazu [X.]-Beschluss vom 10. November 2010 IV B 11/09, [X.]/NV 2011, 649).

c) Eine grundsätzlich mögliche Änderung des Feststellungsbescheides nach § 130 Abs. [X.] scheidet aus, weil das [X.] zutreffend entschieden hat, dass das [X.] das ihm insoweit zustehende Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat.

aa) Nach § 130 Abs. [X.] kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Im Streitfall kommt wegen der nunmehr eingereichten Steuererklärung für 2003 mit einem sich daraus ergebenden Erstattungsbetrag eine nachträgliche materielle Rechtswidrigkeit des Feststellungsbescheides i.S. von § 130 Abs. [X.] in Betracht.

bb) Die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts ist nach dem Wortlaut des § 130 Abs. [X.] ("kann") eine Ermessensentscheidung der Finanzbehörde i.S. des § 5 [X.], die grundsätzlich nur eingeschränkter gerichtlicher Nachprüfung unterliegt (§§ 102, 121 [X.]O). Sie kann im finanzgerichtlichen Verfahren nur dahin geprüft werden, ob die Ablehnung der Rücknahme rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde (vgl. [X.]-Urteile in [X.]E 235, 137, [X.] 2012, 298; in [X.]/NV 2012, 711, und in [X.]/NV 2013, 906). Stellt das Gericht einen Ermessensfehler fest, ist es grundsätzlich auf die Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung beschränkt. Nur in den Fällen der sog. Ermessensreduzierung auf "Null" ist es befugt, seine Entscheidung an die Stelle der Ermessensentscheidung der Verwaltungsbehörde zu setzen (ständige Rechtsprechung, vgl. hierzu statt vieler [X.]-Urteil vom 19. Juni 2013 XI R 41/10, [X.]E 242, 258, [X.]/NV 2013, 2041). Maßgeblicher Zeitpunkt für die durch das [X.] vorzunehmende Rechtskontrolle sind grundsätzlich die Ermessenserwägungen in der Einspruchsentscheidung, sofern das [X.] nicht seine Ermessenserwägungen danach im finanzgerichtlichen Verfahren gemäß § 102 Satz 2 [X.]O in zulässiger Weise ergänzt hat (vgl. dazu im Einzelnen Lange in [X.], § 102 [X.]O Rz 62, 65 ff.).

cc) Bei der Entscheidung, ob einem Begehren auf Rücknahme eines unanfechtbaren Verwaltungsakts zu entsprechen ist, hat die Verwaltung im konkreten Fall abzuwägen, ob dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Gerechtigkeit im Einzelfall oder dem Interesse der Allgemeinheit am Eintritt von Rechtsfrieden und Rechtssicherheit der Vorzug zu geben ist. Dabei kommt es auf die Schwere und Offensichtlichkeit des Rechtsverstoßes sowie darauf an, weshalb die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts erst nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist vom Steuerpflichtigen geltend gemacht wird ([X.]-Urteile in [X.]E 235, 137, [X.] 2012, 298; in [X.]/NV 2012, 711; in [X.]/NV 2013, 906, jeweils m.w.N.).

Das Ermessen ist in der Regel ermessensfehlerfrei ausgeübt, wenn der Adressat die Gründe, die seiner Auffassung nach eine Rücknahme rechtfertigen, mit einem fristgerecht eingelegten Einspruch gegen den Bescheid hätte vorbringen können und keine besonderen Umstände vorliegen, nach denen vom Adressaten die Rechtsverfolgung im Einspruchsverfahren unter Berücksichtigung aller Umstände nicht erwartet werden konnte ([X.]-Urteile in [X.]E 235, 137, [X.] 2012, 298; in [X.]/NV 2013, 906).

dd) Im Streitfall hat das [X.] im Rahmen der ihm obliegenden Prüfung nach § 102 [X.]O zutreffend angenommen, dass das [X.] die Rücknahme des streitbefangenen Feststellungsbescheides ermessensfehlerfrei abgelehnt hat.

(1) Das [X.] hatte im Ablehnungsbescheid vom 12. März 2008 zutreffend darauf hingewiesen, dass der Kläger die entsprechende Umsatzsteuerforderung ausdrücklich nachträglich anerkannt hat. In seiner Einspruchsentscheidung hat das [X.] im Zusammenhang mit einer möglichen Änderung des Feststellungsbescheides nach § 130 Abs. [X.] ferner ausgeführt, dass die eingereichte Umsatzsteuer-Jahreserklärung für 2003 innerhalb der Einspruchsfrist hätte eingehen müssen. Denn der bei der Insolvenzschuldnerin befindliche Jahresabschluss für 2003 sei nicht vom Kläger erstellt, sondern nur "entdeckt" worden. Der Kläger sei seiner Verpflichtung, sämtliche steuerlichen Pflichten der Insolvenzschuldnerin zu erfüllen und dazu alle erforderlichen Unterlagen einzusehen, nur unzureichend nachgekommen. Seine über ein Jahr verspätete Kenntnisnahme des Jahresabschlusses für das Streitjahr gehe daher zu Lasten der Insolvenzschuldnerin.

(2) Im Rahmen des Klageverfahrens hat das [X.] nach den den Senat bindenden Feststellungen des [X.] (§ 118 Abs. 2 [X.]O) ergänzend ausgeführt, dass nicht feststehe, wann und unter welchen Umständen der fragliche Jahresabschluss für die Insolvenzschuldnerin zum 31. Dezember 2003 "aufgetaucht" sei. Sollte er tatsächlich den bei der Insolvenzschuldnerin durch die Staatsanwaltschaft beschlagnahmten Geschäftsunterlagen beigelegen haben, hätte es dem Kläger oblegen, alsbald die Einsichtnahme in diese Unterlagen zu beantragen. Eine solche Recherche wäre zwar arbeitszeit- und kostenintensiver gewesen, hätte dem Kläger aber möglicherweise die Chance eröffnet, die richtigen Besteuerungsgrundlagen frühzeitig zu ermitteln.

(3) Die Entscheidung des [X.], dass diese Ermessenserwägungen des [X.] den aufgezeigten Rechtsgrundsätzen zu § 102 [X.]O genügen, ist zutreffend. Das [X.] hat sein Interesse als Insolvenzgläubiger am festgestellten Bestand der [X.]en erkennbar gegen die vom Kläger vorgetragenen Gesichtspunkte abgewogen. Insbesondere hat sich das [X.] ergänzend und hinreichend mit der vom Kläger im finanzgerichtlichen Verfahren zusätzlich aufgeworfenen Frage auseinandergesetzt, ob es ihm möglich und auch zumutbar gewesen wäre, die Umsatzsteuer-Jahreserklärung für 2003 zu einem früheren Zeitpunkt einzureichen.

ee) Die hiergegen erhobenen --weiteren-- Einwendungen des [X.] greifen nicht durch.

Soweit der Kläger ausführt, dass er nicht von der Existenz des Jahresabschlusses für 2003 überzeugt gewesen sei und es ihm nicht zumutbar gewesen sei, "ins Blaue hinein" etwa 100 Kartons mit 500 Ordnern durchsuchen zu lassen, vertritt er hinsichtlich der Zumutbarkeit insoweit lediglich eine andere Auffassung als das [X.]. Die Entscheidung des [X.] ist im Ergebnis auch deshalb nicht zu beanstanden, weil der Kläger seinerzeit trotz --insoweit unbestrittener-- Kenntnis des möglichen Vorhandenseins eines Jahresabschlusses für 2003 die entsprechende mit bestandskräftigem Feststellungsbescheid vom 2. August 2006 festgestellte [X.] am 18. September 2006 anerkannt hatte und gleichwohl erst mehr als ein Jahr danach --nämlich am 1. November 2007-- die Umsatzsteuererklärung für 2003 eingereicht hat. Auf dieses widersprüchliche Verhalten hatte das [X.] den Kläger bereits mit seinem angefochtenen Ablehnungsbescheid hingewiesen, ohne dass der Kläger dies --wie es geboten gewesen [X.] zu gegebener Zeit ausreichend erläutert hätte.

Soweit der Kläger nun geltend macht, das [X.] habe in seiner ursprünglichen Berechnungsmitteilung vom 16. November 2004 darauf hingewiesen, dass die "Festsetzung" unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehe und er daher darauf vertraut habe, dass jederzeit eine Änderung nach § 164 Abs. [X.] erfolgen könne, ist dieser Einwand schon deshalb unbeachtlich, weil die Berechnungsmitteilung des [X.] vom 16. November 2004 durch den Feststellungsbescheid vom 2. August 2006 ersetzt worden ist.

3. Dass der bestandskräftige Feststellungsbescheid vom 2. August 2006 auch nicht nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz [X.] oder nach § 134 [X.]O i.V.m. § 580 Nr. 7 ZPO geändert werden kann, hat das [X.] zutreffend im Einzelnen dargelegt. Darüber besteht kein Streit.

Meta

XI R 22/11

11.12.2013

Bundesfinanzhof 11. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 10. August 2011, Az: 7 K 7232/08, Urteil

§ 130 Abs 1 AO, § 251 Abs 3 AO, § 102 FGO, § 38 InsO, § 87 InsO, § 174 Abs 1 InsO, § 178 InsO, § 208 Abs 1 InsO, § 5 AO, § 251 Abs 2 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 11.12.2013, Az. XI R 22/11 (REWIS RS 2013, 440)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 440

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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