Bundesfinanzhof, Urteil vom 24.11.2011, Az. V R 20/10

5. Senat | REWIS RS 2011, 1114

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Gegenstand

Wirkung des Tabelleneintrags im Insolvenzverfahren


Leitsatz

NV: § 178 Abs. 3 InsO ist dahingehend einschränkend auszulegen, dass der Eintragung zur Insolvenztabelle bei Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis dieselbe Wirkung wie der beim Bestreiten vorzunehmenden Feststellung gemäß § 185 InsO i.V.m. § 251 Abs. 3 AO zukommt und kann daher wie diese unter den Voraussetzungen des § 130 AO geändert werden.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Insolvenzverwalter über das Vermögen einer GmbH.

2

Mit Schreiben vom 22. Februar 2006 meldete der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) [X.] in Höhe von insgesamt [X.] zur Tabelle an. Darin war Umsatzsteuer 2006 in Höhe von 27.650 € enthalten. Grundlage war eine Steuerberechnung vom 9. März 2006. Am 17. Mai 2006 wurde der angemeldete Betrag von [X.] in voller Höhe festgestellt. Am 27. Juli 2006 ging eine Umsatzsteuererklärung für 2006 beim [X.] ein. Die Erklärung wies eine Umsatzsteuerschuld von 3.064,47 € aus. Mit Schreiben vom 31. Juli 2006 lehnte das [X.] eine Änderung der Umsatzsteuer 2006 unter Hinweis auf die Feststellung der Forderung zur Tabelle und die Wirkung der Eintragung in die Tabelle wie ein rechtskräftiges Urteil (§ 178 Abs. 3 der Insolvenzordnung --[X.]--) ab. Mit Schreiben vom 6. März 2007 beantragte der Kläger nochmals den Erlass eines ändernden Feststellungsbescheides hinsichtlich der angemeldeten Umsatzsteuer 2006. Diesen Antrag lehnte das [X.] mit Schreiben vom 21. März 2007 ab. Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Mit Einspruchsentscheidung vom 18. Oktober 2007 wies das [X.] den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung verwies das [X.] auf § 178 Abs. 3 [X.] und führte weiter aus, dass die unbestrittene Eintragung in die Tabelle bei Steuerforderungen wie ein bestandskräftiger Verwaltungsakt (Feststellungsbescheid nach § 251 Abs. 3 der Abgabenordnung --[X.]--) gelte und die Funktion einer Steuerfestsetzung übernehme. Die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 130 Abs. 1 [X.] lägen nicht vor. Der Umstand, dass es der Kläger pflichtwidrig versäumt habe, Widerspruch zu erheben, rechtfertige keine Korrektur nach § 130 [X.].

3

Auch die Klage zum Finanzgericht ([X.]) blieb erfolglos. Nach dem Urteil des [X.] hat die Eintragung der festgestellten Forderungen nach dem eindeutigen Wortlaut des § 178 Abs. 3 [X.] nicht nur die Wirkung eines bestandskräftigen Feststellungsbescheides oder eines bestandskräftigen Steuerbescheides, sondern die eines rechtskräftigen Urteils. Es bestehe keine Regelungslücke, die durch eine analoge Anwendung abgabenrechtlicher Verfahrensvorschriften zu schließen sei. Hierfür spreche auch der Grundsatz der Gleichbehandlung der Insolvenzgläubiger. Im Übrigen sei die Ermessensausübung durch das [X.] nicht zu beanstanden.

4

Mit seiner Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen Rechts. Die unbestrittene Eintragung einer Steuerforderung in die Insolvenztabelle führe nicht dazu, dass der Steueranspruch nur noch unter den Voraussetzungen des § 178 Abs. 3 [X.] geändert werden könne. Es entstehe sonst ein materiell-rechtlich nicht geschuldeter Umsatzsteueranspruch. Nicht vereinnahmte Entgelte verminderten nach § 17 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) die Umsatzsteuer. Es führe zu einer Missachtung des § 17 UStG, den Steueranspruch entgegen der geltenden Steuerrechtsregelung umzugestalten. Der Tabelleneintrag einer nicht bestrittenen Forderung trete im Hinblick auf das Verbot der Einzelzwangsvollstreckung an die Stelle der Steuerfestsetzung. Die Steuerfestsetzung diene der Erhebung des Steueranspruchs. Die nicht bestrittene Eintragung sei nur einer Steuerfestsetzung gleichzusetzen. Die Auffassung des [X.] führe zu einer Pflicht zum vorsorglichen Bestreiten, selbst wenn hierfür keine Veranlassung bestehe.

5

Der Kläger beantragt,

das Urteil des [X.] sowie die Umsatzsteuerfestsetzung 2006 gemäß Steuerberechnung vom 9. März 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18. Oktober 2007 aufzuheben.

6

Das [X.] beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

7

Für eine einengende Auslegung des § 178 Abs. 3 [X.] bestehe kein Bedürfnis.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Revision des [X.] ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass das [X.] nicht verpflichtet war, den beantragten Feststellungsbescheid zu erlassen.

9

1. Wie der [X.] mit Urteil vom 24. November 2011 [X.] ([X.], 137, Der Betrieb --DB-- 2011, 2818, unter [X.]) entschieden hat, ist § 178 Abs. 3 [X.] dahingehend einschränkend auszulegen, dass der Eintragung zur Insolvenztabelle bei Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis dieselbe Wirkung wie der beim Bestreiten vorzunehmenden Feststellung gemäß § 185 [X.] i.V.m. § 251 Abs. 3 AO zukommt und wie diese unter den Voraussetzungen des § [X.] geändert werden kann. Der [X.] nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen hierauf Bezug.

2. Das [X.] hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass das [X.] zum Erlass des beantragten Verwaltungsakts nicht verpflichtet war.

a) Mit Urteil in [X.], 137 hat der erkennende [X.] entschieden, dass der Eintragung in die Insolvenztabelle nach § 178 Abs. 3 [X.] die Wirkung einer behördlichen Feststellung nach Bestreiten gemäß § 185 [X.] i.V.m. § 251 Abs. 3 AO zukommt und wie diese unter den Voraussetzungen des § [X.] geändert werden kann. Bei der nach Maßgabe des § 130 Abs. 1 AO zu treffenden Ermessensentscheidung, ob einem Begehren auf ganze oder teilweise Rücknahme eines unanfechtbaren Verwaltungsakts und damit auf Einschränkung des Tabelleneintrags zu entsprechen ist, hat das [X.] im konkreten Fall abzuwägen, ob dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Gerechtigkeit im Einzelfall oder dem Interesse der Allgemeinheit am Eintritt von Rechtsfrieden und Rechtssicherheit der Vorzug zu geben ist. Dabei übt das [X.] sein Ermessen in der Regel ermessensfehlerfrei aus, wenn der Adressat die Gründe, die seiner Auffassung nach eine Rücknahme rechtfertigen, mit einem fristgerecht eingelegten Einspruch gegen den Bescheid hätte vorbringen können und keine besonderen Umstände vorliegen, nach denen vom Adressaten die Rechtsverfolgung im Einspruchsverfahren unter Berücksichtigung aller Umstände billigerweise nicht erwartet werden konnte.

b) Im Streitfall liegen die Voraussetzungen für eine Änderung der dem Tabelleneintrag zukommenden Feststellungswirkung gemäß § 110 Abs. 2 [X.]O i.V.m. § 130 Abs. 1 AO nicht vor.

Das [X.] hat sein Urteil im Rahmen der nach § 102 [X.]O vorzunehmenden Prüfung zu Recht darauf gestützt, dass das [X.] bei seiner Ermessensausübung in der Einspruchsentscheidung zutreffend berücksichtigt hat, dass für den Kläger die Möglichkeit bestand, durch Bestreiten gemäß § 178 Abs. 1 [X.] den Eintritt der Urteilswirkung zu verhindern. Dies führt entgegen der Auffassung des [X.] nicht dazu, dass Insolvenzverwalter gezwungen werden, Forderungen auf Verdacht zu bestreiten. Diese haben vielmehr ebenso wie bei Forderungen, die der Feststellung im ordentlichen Verfahren unterliegen, ihre Verpflichtung zur Prüfung und Abwehr zu Unrecht geltend gemachter Insolvenzforderungen zu erfüllen.

Weiter war zu berücksichtigen, dass das [X.] entsprechend den Grundsätzen des [X.]surteils in [X.], 137, unter [X.] die Forderungsanmeldung auf Grundlage einer Steuerberechnung nach §§ 16 ff. UStG für den Zeitraum vom Beginn des Kalenderjahres bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen hat. Wie der [X.] in diesem Urteil unter [X.] weiter entschieden hat, unterliegt diese Steuerberechnung nicht den Beschränkungen des insolvenzrechtlichen Aufrechnungs- und Anfechtungsrechts, die --in anderen Fällen als der Steuerberechnung nach §§ 16 ff. UStG-- bei einer "Verrechnung" mehrerer Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nach dem Urteil des [X.]. [X.]s des [X.] vom 2. November 2010 [X.] R 6/10 ([X.]E 231, 488, [X.], 374, Leitsatz) zu beachten wären.

Liegt der Forderungsanmeldung zur Insolvenztabelle eine derartige Steuerberechnung zugrunde, hat der Insolvenzverwalter die angemeldete Forderung zu überprüfen und Fehler durch Widerspruch (§ 178 Abs. 1 [X.]) geltend zu machen. Dies ist im Streitfall unterblieben. Der Kläger kann daher nicht mehr nachträglich die Fehlerhaftigkeit der der Forderungsanmeldung zugrunde liegenden Steuerberechnung wie z.B. die fehlerhafte Anwendung des § 17 UStG geltend machen.

Meta

V R 20/10

24.11.2011

Bundesfinanzhof 5. Senat

Urteil

vorgehend FG Düsseldorf, 21. April 2010, Az: 5 K 4305/07 U, Urteil

§ 130 Abs 1 AO, § 251 Abs 3 AO, § 178 InsO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 24.11.2011, Az. V R 20/10 (REWIS RS 2011, 1114)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 1114

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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