Bundesgerichtshof, Beschluss vom 31.05.2023, Az. 3 StR 32/23

3. Strafsenat | REWIS RS 2023, 3742

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Rücktritt vom versuchten Totschlag:  Notwendige Feststellungen zum Vorstellungsbild des Täters nach der letzten Ausführungshandlung


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 24. Oktober 2022 aufgehoben,

a) soweit der Angeklagte wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen verurteilt worden ist, mit den zugehörigen Feststellungen; jedoch werden die zugehörigen Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen aufrechterhalten;

b) in den Aussprüchen über

aa) die Gesamtfreiheitsstrafe und

bb) die Dauer des Vorwegvollzuges eines Teils der Gesamtfreiheitsstrafe vor der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt;

jedoch werden die jeweils zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen zweier Fälle des versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Zudem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass drei Jahre der erkannten Freiheitsstrafe vor der Unterbringung zu vollstrecken sind. Der Angeklagte beanstandet mit seiner Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat auf die Sachrüge den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet.

2

1. Nach den vom [X.] getroffenen Feststellungen schnitt der alkoholisierte Angeklagte nachts in einer Wohnung mit einem Messer einem anderen über die rechte Halsseite, um diesen zu verletzen. Anschließend stach er einer sich dort ebenfalls aufhaltenden Frau mit dem Messer in die Brust. Der Verletzten gelang es, das Gebäude zu verlassen, bevor sie kurz danach bewusstlos zusammenbrach. Deren auf einem Bett in der Wohnung liegenden Lebensgefährten fügte der Angeklagte schließlich zwei tiefe Stichverletzungen in den Brustkorb zu. Der [X.] begab sich in das Bad und brach dort zusammen. Als der Angeklagte auf die beiden zuletzt Angegriffenen einstach, wollte er diese jeweils töten.

3

2. Die Verfahrensrüge, mit der die Revision die Verwertung mittels eines körpernah getragenen Aufnahmegeräts („[X.]“) erstellter Bild- und Tonaufzeichnungen beanstandet und einen Verstoß gegen § 261 StPO geltend macht, bleibt ohne Erfolg.

4

Das [X.] genügt insofern nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, als die tatsächlichen Grundlagen für den Polizeieinsatz, etwa der Inhalt von Notrufen, nicht vollständig mitgeteilt wird und dem Senat daher eine abschließende Bewertung versagt ist, wie sich die Gefahrenlage im Zeitpunkt der Datenerhebung darstellte. Soweit das Grundrecht des Art. 13 GG herangezogen wird, fehlt zudem Vorbringen dazu, wer Wohnungsinhaber war. Zu einer etwaigen Einwilligung des aufgezeichneten Zeugen verhält sich die Revision ebenfalls nicht, obschon dazu mit Blick auf die wiedergegebene Verschriftung seiner Angaben Anlass bestand.

5

Soweit sich die Sachlage dem [X.] entnehmen lässt, ergibt sich angesichts der konkreten Umstände im Übrigen nicht, dass die Voraussetzungen für eine Datenerhebung nach § 15c [X.] (vgl. dazu auch VV[X.]) nicht vorlagen und „die Maßnahme ganz offensichtlich nur unter dem Deckmantel angeblicher Eigensicherung durchgeführt wurde“.

6

3. Die Sachrüge ist hinsichtlich der Verurteilung wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen begründet, weil die [X.] einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch nicht in den Blick genommen hat.

7

a) In Anbetracht der Urteilsfeststellungen hätte das [X.] prüfen und erörtern müssen, ob ein strafbefreiender Rücktritt von den versuchten Taten gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB anzunehmen gewesen ist; denn sie belegen weder, dass die beiden Versuche fehlgeschlagen waren, noch schließen sie insbesondere aus, dass der Angeklagte freiwillig vom jeweils unbeendeten Versuch des Totschlags zurücktrat.

8

aa) Für die Frage, ob ein unbeendeter oder beendeter Versuch vorliegt, kommt es - ebenso wie für die Annahme eines Fehlschlags - maßgebend darauf an, welche Vorstellung der Täter nach seiner letzten Ausführungshandlung von der Tat hat. Danach liegt ein unbeendeter Versuch vor, wenn er aus seiner Sicht noch nicht alles getan hat, was zur Tatbestandsverwirklichung erforderlich ist; in diesem Fall kann er allein durch das freiwillige Unterlassen weiterer auf den [X.] abzielender Handlungen strafbefreiend vom Versuch zurücktreten (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 StGB). [X.] er dagegen den Eintritt des [X.]s weiterhin für möglich, so ist der Versuch beendet; der strafbefreiende Rücktritt setzt dann voraus, dass der Täter den [X.] freiwillig durch [X.] verhindert (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 StGB) oder zumindest entsprechende ernsthafte Bemühungen entfaltet, wenn der Erfolg ohne sein Zutun ausbleibt ([X.], Beschluss vom 21. August 2018 - 3 [X.], [X.], 718 Rn. 13 mwN).

9

bb) Hieran gemessen belegen die Urteilsgründe keine beendeten - oder gar fehlgeschlagenen - Versuche. Es fehlen jegliche Feststellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten nach den jeweils letzten Ausführungshandlungen. Dieses ergibt sich nach den konkret gegebenen Umständen auch nicht ausnahmsweise von selbst. Vor dem Hintergrund, dass die beiden Verletzten den unmittelbaren [X.] noch selbst verlassen konnten, erst danach zusammenbrachen und der Angeklagte dies möglicherweise nicht bemerkte, hätte der maßgebliche Rücktrittshorizont hier näherer Erörterung bedurft (vgl. etwa [X.], Beschluss vom 23. Juni 2020 - 5 [X.], NStZ-RR 2020, 272). Obschon ein beendeter Versuch bereits anzunehmen ist, wenn sich ein Täter nach der letzten Ausführungshandlung - namentlich nach besonders gefährlichen Gewalthandlungen, die zu schweren Verletzungen geführt haben - keine Vorstellungen über die Folgen seines Tuns macht (s. [X.], Urteil vom 8. Dezember 2010 - 2 StR 536/10, [X.], 209), lassen sich diese Voraussetzungen nicht aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe entnehmen, die sich nicht zu inneren Umständen des Angeklagten nach den Tathandlungen verhalten.

b) Die danach erforderliche Aufhebung der Schuldsprüche wegen versuchten Totschlags erstreckt sich auf die jeweils tateinheitliche, für sich genommen nicht zu beanstandende Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung. Zudem zieht der darauf beruhende Wegfall der beiden für die Taten festgesetzten Einzelstrafen die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich. Da der Rechtsfehler die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen nicht im Sinne des § 353 Abs. 2 StPO betrifft, können diese aufrechterhalten werden. Ergänzende Feststellungen, die den bisher getroffenen nicht widersprechen, bleiben möglich.

c) In Bezug auf den Schuldspruch allein wegen gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil des zuerst Geschädigten hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund der [X.] keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

d) Die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt kann bestehen bleiben, weil die von der Aufhebung unberührte Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung die Anordnung bereits für sich genommen trägt. Allerdings ist der Bestimmung der Dauer des [X.] (§ 67 Abs. 2 Satz 2 und 3 StGB) die Grundlage entzogen. Diese ist mithin aufzuheben (vgl. [X.], Urteil vom 26. Januar 2023 - 3 StR 154/22, juris Rn. 22 mwN).

Schäfer     

      

Berg     

      

Hohoff

      

Anstötz     

      

Voigt     

      

Meta

3 StR 32/23

31.05.2023

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Düsseldorf, 24. Oktober 2022, Az: 1 Ks 6/22

§ 22 StGB, § 23 StGB, § 24 Abs 1 S 1 Alt 1 StGB, § 24 Abs 1 S 1 Alt 2 StGB, § 52 StGB, § 212 StGB, § 224 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 31.05.2023, Az. 3 StR 32/23 (REWIS RS 2023, 3742)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 3742

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

2 StR 147/21 (Bundesgerichtshof)

Versuchter Totschlag: Strafbefreiender Rücktritt bei Einwirkung auf den Täter durch einen Dritten


2 StR 312/18 (Bundesgerichtshof)

Rücktritt vom Versuch eines Tötungsdelikts: Korrektur des Rücktrittshorizonts; Abgrenzung zwischen beendetem und unbeendetem Versuch


4 StR 464/18 (Bundesgerichtshof)

Tötungsdelikt: Abgrenzung unbeendeter/beendeter Versuch


3 StR 5/16 (Bundesgerichtshof)

Strafverfahren wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung: Einvernehmlicher Rücktritt bei mehreren Tatbeteiligten


2 StR 317/21 (Bundesgerichtshof)

Rücktritt vom versuchten Mord: Beurteilung des Rücktrittshorizonts bei einem mehraktigen Geschehen


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.