Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26.02.2019, Az. 4 StR 464/18

4. Strafsenat | REWIS RS 2019, 9933

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Gegenstand

Tötungsdelikt: Abgrenzung unbeendeter/beendeter Versuch


Tenor

1.Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 4. Juni 2018

a) mit den Feststellungen aufgehoben, mit Ausnahme der Entscheidung über den [X.],

b) im [X.] dahin abgeändert, dass Zinsen seit dem 5. Juni 2018 zu zahlen sind.

2.Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat im Wesentlichen Erfolg.

2

1. Die Verneinung eines strafbefreienden Rücktritts des Angeklagten von dem Versuch des Totschlags hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

3

a) Nach den Feststellungen begab sich der Angeklagte am Abend des 4. November 2017 zusammen mit Bekannten auf die Kirmesveranstaltung „S.        “, wo sich auch der Nebenkläger mit mehreren Freunden aufhielt. Einer der Bekannten des Angeklagten begann einen Streit mit dem Nebenkläger, der in eine Schlägerei zwischen Mitgliedern beider Gruppen mündete. Der Angeklagte, der sich an der Auseinandersetzung zunächst nicht beteiligt hatte, beschloss nun, den Nebenkläger mit seinem Messer zu attackieren. Er lief, das Messer mit 5 cm langer Klinge in der erhobenen Hand haltend, von hinten auf den Nebenkläger zu und stach gezielt in dessen linke Halsseite. Ihm war bewusst, dass der Stich tödliche Verletzungen zur Folge haben konnte; das war ihm egal. Unmittelbar anschließend ergriff er die Flucht. Der Nebenkläger erlitt eine 3 cm lange Stichverletzung an der linken Halsseite, die komplikationslos verheilt ist.

4

b) Die Frage eines strafbefreienden Rücktritts hat das [X.] im Rahmen der rechtlichen Würdigung wie folgt erörtert: „Der Angeklagte ist auch nicht gem. § 24 Abs. 1 StGB strafbefreiend vom versuchten Totschlag zurückgetreten. Der Versuch ist fehlgeschlagen. Ein Fehlschlag liegt vor, wenn aus Sicht des [X.] nach seiner letzten Ausführungshandlung der [X.] mit den eingesetzten oder zur Verfügung stehenden Mitteln nicht mehr ohne In-Gang-Setzen einer völlig neuen [X.] erreicht werden kann [X.], StGB, § 24 Rn. 7 m.w.N.). Der Angeklagte war ersichtlich der Meinung, mit dem Stich in den Hals des [X.] alles für die Herbeiführung des [X.]s, namentlich dessen Tötung, Erforderliche getan zu haben. Dies entsprach auch seiner Vorstellung von der Tat, da er durch den Stich die Auseinandersetzung zugunsten seiner Gruppe entscheiden wollte. Der ganze Tatablauf zeigt, dass der Angeklagte nur einmal, gezielt in den Halsbereich seines Opfers zustechen wollte.“.

5

c) Diese Begründung lässt besorgen, dass die Strafkammer dem [X.] für die Beurteilung der Rücktrittsfrage eine Bedeutung zugemessen hat, die ihr nach der neueren Rechtsprechung des [X.] nicht mehr zukommt (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschlüsse vom 19. Mai 1993 - [X.], [X.]St 39, 221, 227; vom 24. Oktober 2017 - 1 StR 393/17, [X.], 715 f., mwN). Danach gilt das Folgende:

6

Fehlgeschlagen ist ein Versuch nur dann, wenn die Tat nach [X.] des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt, oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält. Dabei kommt es auf die Sicht des [X.] nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung an (Rücktrittshorizont). [X.] ein Fehlschlag aus, kommt es auf die Abgrenzung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch an (vgl. [X.], Beschluss vom 22. April 2015 - 2 [X.], [X.], 687).

7

Ein unbeendeter Versuch eines Tötungsdelikts, bei dem allein der Abbruch der begonnenen Tathandlung zum strafbefreienden Rücktritt vom Versuch führt, liegt vor, wenn der Täter nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung noch nicht alles getan hat, was nach seiner Vorstellung zur Herbeiführung des Todes erforderlich ist. Ein beendeter [X.], bei dem der Täter für einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch den Tod des Opfers durch eigene Rettungsbemühungen verhindern oder sich darum zumindest freiwillig und ernsthaft bemühen muss, ist hingegen anzunehmen, wenn er zu diesem Zeitpunkt den Eintritt des Todes bereits für möglich hält oder sich keine Vorstellungen über die Folgen seines Tuns macht.

8

Allen Fällen aber ist gemeinsam, dass das Vorstellungsbild des [X.] im entscheidungserheblichen Zeitpunkt unmittelbar nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung von maßgebender Bedeutung ist. Lässt sich den Urteilsfeststellungen das entsprechende Vorstellungsbild des Angeklagten, das zur revisionsrechtlichen Prüfung des Vorliegens eines freiwilligen Rücktritts vom Versuch unerlässlich ist, nicht hinreichend entnehmen, hält das Urteil sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteile vom 19. März 2013 - 1 [X.], [X.], 273; und vom 13. August 2015 - 4 StR 99/15, [X.], 470, jeweils mwN). So liegt der Fall hier.

9

Den Urteilsausführungen ist nicht zu entnehmen, ob der Angeklagte unmittelbar nach Zufügung des Stiches davon ausging, bereits die beigefügte Verletzung sei dazu geeignet gewesen, den Tod des Opfers herbeizuführen - dann beendeter Versuch -, oder ob er der Ansicht war, dazu seien weitere Maßnahmen erforderlich, die ihm aber nicht möglich seien - dann fehlgeschlagener Versuch. In diesem Zusammenhang fehlen insbesondere Feststellungen zum Zustand des [X.] unmittelbar nach der Tat und zur Wahrnehmung desselben durch den Angeklagten, die im Regelfall einen Rückschluss auf das Vorstellungsbild des [X.] zulassen. Sollte der Angeklagte die Verletzung des [X.] für nicht ausreichend gehalten haben, dessen Tod herbeizuführen, die Vollendung der Tat im unmittelbaren Fortgang aber für möglich gehalten haben, wird zu prüfen sein, ob er freiwillig davon Abstand nahm. Die vollständige Durchführung eines [X.]s stünde einem freiwilligen Rücktritt vom unbeendeten Versuch nicht entgegen ([X.], Beschluss vom 28. Februar 1989 - 1 StR 36/89, [X.] 1989, 317).

Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.

2. Die Adhäsionsentscheidung wird von der Aufhebung nicht erfasst ([X.], Urteil vom 28. November 2007 - 2 [X.], [X.]St 52, 96, 97 f.; [X.]/[X.], 3. Aufl., § 406a Rn. 7). Über die Aufhebung oder Änderung der Adhäsionsentscheidung hat der neue Tatrichter auf der Grundlage des Ergebnisses der neuen Hauptverhandlung zu entscheiden ([X.] aaO). Die Revision des Angeklagten führt allerdings zur Abänderung des [X.] im Zinsbeginn.

Der Nebenkläger hat Anspruch auf [X.] auf den ausgeurteilten Schmerzensgeldbetrag in Höhe von 3.500 Euro sowie auf den Schadensersatzbetrag in Höhe von 187 Euro gemäß § 404 Abs. 2 StPO, § 291 Satz 1 BGB, § 187 Abs. 1 BGB analog erst ab dem auf den Eintritt der Rechtshängigkeit des Zahlungsanspruchs folgenden Tag (vgl. [X.], Beschlüsse vom 5. Dezember 2018 - 4 StR 292/18, [X.]-RR 2019, 96 mwN; vom 15. Januar 2019 - 4 StR 531/18, juris Rn. 2). Eine Anspruchsgrundlage für eine Verzinsung des [X.] ab dem Tattag besteht nicht; für einen Eintritt des Verzugs vor Rechtshängigkeit des Adhäsionsanspruchs ist nichts vorgetragen.

Rechtshängigkeit ist vorliegend mit Adhäsionsantragsstellung am 4. Juni 2018 eingetreten, so dass [X.] ab dem 5. Juni 2018 zu zahlen sind. Der [X.] hat die Entscheidung daher in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO abgeändert.

Sost-Scheible     

        

Roggenbuck     

        

Quentin

        

Feilcke     

        

Bartel     

        

Meta

4 StR 464/18

26.02.2019

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Detmold, 4. Juni 2018, Az: 21 Ks 3/18

§ 22 StGB, § 23 StGB, § 24 Abs 1 S 1 StGB, § 212 StGB, § 261 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26.02.2019, Az. 4 StR 464/18 (REWIS RS 2019, 9933)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 9933

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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