Bundespatentgericht, Urteil vom 23.09.2010, Az. 4 Ni 13/08

4. Senat | REWIS RS 2010, 3063

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Gegenstand

Patentnichtigkeitsklageverfahren - kein Verstoß gegen Treu und Glauben - kein kollusives Zusammenwirken


Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das [X.] Patent 197 31 532

hat der 4. Senat (Nichtigkeitssenat) des [X.] auf die mündliche Verhandlung vom 23. September 2010 durch [X.], die Richterin Friehe, [X.]. [X.], [X.] und Dipl.-Phys. Dr. Müller

für Recht erkannt:

1. Das [X.] Patent 197 31 532 wird für nichtig erklärt.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Der Beklagte ist eingetragener Inhaber des [X.] Patents 197 31 532 (Streitpatent), das am 25. Juli 1997 angemeldet und am 25. Februar 1999 veröffentlicht wurde. Es betrifft einen [X.] und umfasst einen Patentanspruch mit folgendem Wortlaut:

2

[X.], bei dem die Verbindung zwischen [X.] und [X.] aus einem flachen Transmitterkörper besteht, dadurch gekennzeichnet, dass der Transmitterkörper (4a, 4b) leicht oder stark abgewinkelt ist.

3

Die Klägerin ist der Ansicht, der Gegenstand des Streitpatent sei gegenüber der vor dem Anmeldetag des Streitpatents angemeldeten, nachveröffentlichten Druckschrift

4

[X.] WO 98/02132 [X.],

5

aus der ein auch mit Wirkung für [X.] erteiltes europäisches Patent hervorging, nicht neu und daher nicht patentfähig.

6

Die Klägerin beantragt,

7

das [X.] Patent 197 31 532 für nichtig zu erklären.

8

Der Beklagte beantragt

9

Klageabweisung.

Er ist der Ansicht, die Nichtigkeitsklage sei unzulässig. Denn zwischen dem Patentinhaber und einer Firma [X.] gebe es einen Lizenzvertrag, der eine Nichtangriffsverpflichtung beinhalte. Bei der [X.] handele es sich um einen Werkzeughersteller, der möglicherweise Werkzeuge für die Herstellung der [X.] herstelle. Es sei nahe liegend, dass es eine Verbindung zwischen der [X.] und der Fa. [X.] gebe und dass durch die Klage die Nichtangriffsverpflichtung der [X.] umgangen werden solle.

Die [X.] weist hierzu darauf hin, dass eine Nichtigkeitsklage gegen ein bestehendes Patent ein Rechtsschutzinteresse nicht voraussetzt. Sie müsse ein solches auch nicht darlegen; die vom [X.] behaupteten Indizien reichten nicht aus, um ihr eine Darlegungslast aufzubürden. Soweit der Beklagte ein gemeinsames Interesse der [X.] und der Fa. [X.] vermute, würde ein solches gemeinsames Interesse dazu führen, dass unabhängig von der Nichtangriffsverpflichtung der Fa. [X.] die vorliegende Nichtigkeitsklage zulässig wäre. Zwischen der [X.] und der Fa. [X.] bestünden keine geschäftlichen Beziehungen.

Im Übrigen ist der Beklagte der Ansicht, dass der Gegenstand des Streitpatents patentfähig und insbesondere die Merkmale des Gegenstands des Streitpatents durch die [X.] nicht vorweggenommen seien.

Entscheidungsgründe

I.

[X.] ist zulässig. Insbesondere gibt es keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte dafür, dass die [X.] als Strohmann für die wegen des Lizenzvertrags von der Erhebung einer Nichtigkeitsklage ausgeschlossene [X.] tätig war, als sie die Nichtigkeitsklage erhob. Die entsprechenden Vermutungen des Beklagten sind nicht geeignet, der [X.] eine entsprechende Darlegungslast aufzubürden.

Ausgangspunkt ist zunächst, dass die Nichtigkeitsklage eine Popularklage ist, mit der der Kläger das öffentliche Interesse an der Nichtigerklärung eines zu Unrecht erteilten Patents wahrnimmt. Entsprechend ist der Nachweis eines rechtlichen Interesses für eine auf den Mangel der Patentfähigkeit gestützte Nichtigkeitsklage grundsätzlich nicht erforderlich, solange das Patent in [X.] ist ([X.], 904 ff. - [X.]).

Ausnahmsweise ist eine Nichtigkeitsklage aber dann unzulässig, wenn sich ihre Erhebung als Verstoß gegen Treu und Glauben darstellt, zum Beispiel wenn der Kläger als Strohmann mit einem Dritten zum Zweck der Umgehung einer für diesen geltenden [X.] kollusiv zusammenwirkt, wie dies vorliegend der Beklagte vermutet. Die materielle Beweislast hierfür liegt bei dem Beklagten. Dessen Vortrag erschöpft sich allerdings insoweit in vagen Vermutungen, die den hinreichenden Verdacht eines kollusiven Zusammenwirkens der [X.] und der [X.] nicht ausreichend nahelegen.

Zunächst trägt der [X.] selbst vor, die [X.] habe sich für die Details der vorliegenden Nichtigkeitsklage weder interessiert noch dem [X.] beitreten wollen. Das ist entgegen der Ansicht des Beklagten gut nachvollziehbar: Die vorliegende Nichtigkeitsklage ist - jedenfalls für sich allein - nicht geeignet, die [X.] im Hinblick auf den Lizenzvertrag in eine entscheidend bessere Lage zu bringen. Denn nach dem vom Beklagten vorgelegten Lizenzvertrag ist die Lizenzgebühr zu zahlen, wenn der Gegenstand mindestens eines Schutzanspruchs eines der lizenzierten Schutzrechte benutzt wird. Verurteilt wurde die [X.] durch [X.] und O[X.] Düsseldorf wegen der Benutzung des Gegenstands des Patents [X.] 27 787 (und nicht wegen der Benutzung des Streitpatents). Allein die Nichtigerklärung des Streitpatents würde an der Situation der [X.] mithin nichts Entscheidendes ändern.

Hinzu kommt, dass die [X.] erklärt hat, dass zwischen ihr und der [X.] keine geschäftlichen Beziehungen bestehen.

Es mag ungewöhnlich sein, dass ein Werkzeughersteller eine Nichtigkeitsklage gegen ein Patent für einen Kindernuckel erhebt. Der Vertreter des Beklagten hat aber in der mündlichen Verhandlung selbst gemutmaßt, dass die [X.] möglicherweise Werkzeuge für die Herstellung von [X.] herstellt oder herstellen will. Das würde ein eigenes Interesse der Klägerin an der Nichtigerklärung des Patents begründen.

Jedenfalls gibt es keine hinreichenden Indizien für ein kollusives Zusammenwirken der [X.] und der [X.] und damit auch keinen Ausnahmefall, in dem es geboten erschiene, der [X.] aufzugeben, ihr eigenes Interesse an der Nichtigerklärung des Patents konkret darzulegen.

II.

[X.] ist auch begründet. Der Gegenstand des Streitpatents ist nicht patentfähig, weil er nicht die erforderliche Neuheit aufweist (§ 22 Abs. 1, § 21 Abs. 1 Nr. 1 i. V. mit § 3 [X.]).

1. Das Streitpatent betrifft einen Kindernuckel, bei dem die Verbindung zwischen [X.] und [X.] aus einem flachen [X.] besteht (vgl. [X.], erster Absatz).

Wie in der Streitpatentschrift ausgeführt ist, werden zur Beruhigung von Kleinkindern häufig sogenannte Beruhigungssauger oder andere [X.] eingesetzt. Darüber hinaus saugten Kleinkinder zur Beruhigung an ihrem eigenen Daumen. Hierdurch werde, insbesondere bei häufigem Saugen an dem Daumen oder an entsprechenden [X.]n, ein sogenannter lutschoffener oder frontaloffener Biss hervorgerufen, der in späterer [X.] nur mühsam, insbesondere durch kieferorthopädische Maßnahmen, wieder beseitigt werden könne (vgl. [X.], zweiter Absatz).

Bisher angebotene Beruhigungssauger wiesen einen sogenannten [X.], der sich in der Einsatzlage im [X.] befinde, und ein sogenanntes [X.] auf, das außerhalb des [X.] vor den [X.] verbleibe, um ein Verschlucken des Kindernuckels zu verhindern. Beide Teile seien herkömmlich in der Weise miteinander verbunden, dass eine Verlängerung des [X.]s die Verbindung und Befestigung zum [X.] herstelle. Dies habe zur Folge, dass das Kleinkind die Zahnreihen nicht vollständig schließen könne und infolgedessen ein lutsch- oder frontaloffener Biss entstehe (vgl. [X.], dritter Absatz).

Es seien auch bereits Beruhigungssauger bekannt geworden, bei denen die Verbindung zwischen [X.] und [X.] aus einem flachen [X.] bestehe. So werde in der [X.]/20687 ein Kindernuckel mit einem hohlen und/oder mit Gel gefüllten [X.] beschrieben. Durch den hohlen [X.] solle ein Luftkanal gebildet werden, durch den der Druckunterschied zwischen Mundinnerem und [X.], der beim Saugen entstehe, ausgeglichen werden solle (vgl. [X.], vierter Absatz).

2. Dementsprechend stellt sich das Streitpatent die Aufgabe, einen Kindernuckel der gattungsgemäßen Art derart weiterzubilden, dass die Entstehung eines offenen Bisses besser verhindert und ein vorhandener offener Biss besser geschlossen werden könne (vgl. [X.], fünfter Absatz).

3. Der mit Gliederungspunkten versehene Patentanspruch des Streitpatents beschreibt daher einen

M1 Kindernuckel,

M2 bei dem die Verbindung zwischen Lutschkörper und [X.] aus einem flachen Transmitterkörper besteht,

dadurch gekennzeichnet,

M3 dass der Transmitterkörper (4a, 4b) leicht oder stark abgewinkelt ist.

4. Der zuständige Fachmann ist ein mit der Entwicklung von [X.] befasster und mit der Behandlung eines offenen Bisses vertrauter berufserfahrener Kieferorthopäde.

N3 .

N3 stellt Stand der Technik gem. § 3 Abs. 2 Nr. 3 [X.] dar und ist daher nur für die Frage der Neuheit zu berücksichtigen.

N3 (vgl. Seite 1, erster Absatz) ist ein Kindernuckel (pacifier) ( M1 ) bekannt.

Bei diesem Kindernuckel (vgl. die Figuren 1 bis 3 mit Beschreibung) besteht die Verbindung zwischen [X.] (bubble body 18) und [X.] ([X.]) aus einem flachen [X.] (transition and connection portion 20).

M2 als Ganzes flach sei, meint. Ein flacher Transmitter kann auch Verdickungen am [X.] bzw. im [X.]bereich oder kerbenartige Vertiefungen aufweisen; ausreichend ist, dass er - wie der Gegenstand der Entgegenhaltung - im entscheidenden Bereich eine geringe Dicke und eine große Breite hat.

N3 ist im zweiten Absatz hierzu ausgeführt: „[X.] exhibits a small thickness and a relatively large width…“.

N3 , wonach der Transmitterkörper eine geringe Dicke und eine relativ große Breite aufweist, um diesen als flach ausgebildet zu verstehen.

M3 aus der N3 bekannt ist. Dies ist ersichtlich aus den Figuren 1 bis 3 und der Beschreibung Seite 8, dritter Absatz: „…The transition and connection portion 20 exhibits two oppositely directed, in [X.] cross-sections notch-like grooves 30 and 32…“ sowie aus dem Patentanspruch 10: „…follows an [X.]“.

Dass die kerbenartigen Vertiefungen (grooves 30, 32) im [X.] diesen leicht oder stark abgewinkelt ausbilden, ergibt sich von selbst und ist auch aus den Figuren 1 bis 3 ersichtlich.

N3 bekannt.

6. [X.] beruht auf § 84 Abs. 2 [X.] i. V. m. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 [X.] i. V. m. § 709 ZPO.

Meta

4 Ni 13/08

23.09.2010

Bundespatentgericht 4. Senat

Urteil

Sachgebiet: Ni

§ 242 BGB

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Urteil vom 23.09.2010, Az. 4 Ni 13/08 (REWIS RS 2010, 3063)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 3063

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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