Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.07.2011, Az. X ZR 16/11

X. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 4635

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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
X ZR 16/11
vom
19. Juli 2011
in der Patentnichtigkeitssache

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Der X. Zivilsenat des [X.] hat am 19. Juli 2011 durch [X.], die Richterin [X.] und
die Richter [X.], Dr.
Grabinski und [X.]

beschlossen:

Der Beklagten wird nach Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung gegen das Urteil des 3. Senats ([X.]) des [X.] vom 21. September 2010 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
gewährt.

Gründe:

I.
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des u. a. mit Wirkung für die [X.] erteilten [X.] Patents 1 151 004 (Streit-patents). Mit Urteil vom 21. September 2010 hat
der 3. Senat (Nichtigkeits-senat) des [X.] auf die vor dem 1.
Oktober 2009
erhobene Klage das Streitpatent mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der [X.] im Umfang der Patentansprüche 1 bis 11 für nichtig
erklärt. Das Urteil ist
den Prozessbevollmächtigten
der Beklagten am 20. Januar 2011 zu-gestellt
worden. Dagegen hat
die Beklagte durch ihre Prozessbevollmächtigten mit Telefax vom 18. Februar 2011 Berufung eingelegt.

Mit bei den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 25. März 2011 eingegangener Mitteilung sind
diese darauf hingewiesen worden, dass eine Be-1
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gründung der Berufung innerhalb der gesetzlichen Frist nicht eingegangen ist. Am 20. April 2011 hat
die Beklagte Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Berufungsbegründung
beantragt und zugleich die Berufung begründet.

Die Klägerin tritt dem Wiedereinsetzungsantrag entgegen.

II.
Die Berufungsbegründungsschrift ist nicht innerhalb der Monatsfrist ab Einlegung der Berufung am 18. Februar 2011 und daher nicht fristgemäß eingegangen (§
111 Abs. 2 Satz 2 PatG
in der Fassung vom 1.
November 1998). Ein Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist ist innerhalb offener Berufungsbegründungsfrist nicht gestellt worden. Der Beklagten ist [X.] antragsgemäß Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegrün-dungsfrist zu gewähren.

1.
Der Wiedereinsetzungsantrag ist statthaft und auch sonst zulässig. Insbesondere ist die für die Antragstellung auch im Patentnichtigkeitsverfahren zugrunde zu legende Frist von einem Monat nach § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO (in der Fassung vom 1.
September 2004) eingehalten worden (vgl. Senat, Be-schluss vom
13.
November 2007

X
ZR
100/07, [X.], 280

Mykoplas-mennachweis). Denn zwischen dem Eingang des Hinweises des [X.] auf den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist bei den [X.] am 25. März 2011 und dem Eingang des Antrags der Beklagten auf Wiedereinsetzung beim [X.] am 20. April 2011 liegt ein kürzerer [X.]raum.

2.
Die Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist ist auch zu gewähren. Denn die Beklagte war ohne ihr Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten (§ 233 ZPO). Ein der Beklagten nach § 85 Abs. 2 ZPO zu-3
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zurechnendes Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten liegt nicht vor.
Die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beruht auf einem Fehler der Büro-kräfte der Prozessbevollmächtigten der Beklagten, welche diese nicht zu [X.] haben.

a)
Zur Begründung des [X.] hat die Beklagte un-ter Bezugnahme auf
eidesstattliche Versicherungen ihres [X.] Patentanwalt Dr. K.

und der Kanzleimitarbeiterinnen

S.

,

[X.]

und

[X.].

vorgetragen:

Die Fristenverwaltung in der Kanzlei ihrer Prozessbevollmächtigten ob-liege [X.]

und als deren Vertreterin Frau [X.]

. [X.]

sei seit 1971 in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Beklagten tätig und dort seit 1999 alleine unter anderem für die Führung des zentralen einheit-lichen [X.]s sowie die Berechnung und die Überwachung gerichtli-cher Fristen zuständig. In ihren 40 Berufsjahren sei ihr [X.] ein Fehler bei der Berechnung einer gerichtlichen Frist unterlaufen. Frau [X.]

,
die mehr als 20 Jahre Berufserfahrung
im [X.] habe, sei seit 2003 in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Beklagten tätig. Frau
[X.]

führe den zentralen [X.] bei urlaubs-
oder krankheitsbe-
dingter Abwesenheit von [X.]

, sei aber auch dann nicht befugt, ge-
richtliche Fristen eigenständig zu berechnen oder zu notieren. Für sie bestehe die Anweisung, sämtliche gerichtlichen Fristen von einem Sozius oder von Frau
S.

berechnen zu lassen und diese nur auf eine Einzelanweisung hin im
zentralen [X.] einzutragen. Frau [X.]

habe bislang auch noch
nie eine gerichtliche Frist ohne entsprechende Rückfrage eingetragen. Im [X.] auf die Neuregelung der Berufungsfrist durch das Gesetz zur Vereinfa-chung und Modernisierung des
Patentrechts vom 31. Juli 2009 sei [X.]

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angewiesen worden, die Fristen in [X.], die nach Inkraft-
treten des Gesetzes am 1. Oktober 2009 eingeleitet worden seien, nur [X.] mit einem Sozius zu berechnen und zu notieren.

Bei der Eintragung von Fristen, bei denen das die Frist auslösende Er-eignis die Versendung eines Schriftsatzes per Telefax sei, wie insbesondere auch bei Berufungsbegründungsfristen in Patentnichtigkeitsverfahren nach al-tem [X.]cht, sei vorgesehen, dass die jeweils mit der Sache befasste Sekretärin [X.]

das Sendeprotokoll vorlege. [X.]

trage die Frist im
Fristenbuch ein und dokumentiere die Eintragung der Frist durch Abzeichnung tzlich werde auch eine Vor-frist von 14 Tagen notiert. Neben der Eintragung im [X.] würden die Fristen auf sogenannten [X.] in der Akte und auf [X.] durch die zuständigen [X.]e notiert. Die [X.] würden von den jeweiligen [X.]en mit Hilfe des zentralen [X.]s erstellt und dabei ein nach [X.] unterschiedlicher Farbpunkt im [X.] an der Frist eingetragen. Daran sei allseits erkennbar, ob die Frist in der [X.] vermerkt worden sei. Die [X.]e seien angewiesen, die Aktenbearbeitung mit dem bearbeitenden Anwalt ausgehend von der [X.] zu planen und dann [X.] vor Fristablauf vorzulegen. [X.]

sei verpflichtet, eine Eintra-
gung der Berufungsbegründungsfrist bei Erhalt der Mitteilung des Bundes-gerichtshofs über den Zugang der Berufungsschrift nochmals zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren. Die Eintragungen in den [X.] würden von den Sozien anhand einzelner Akten durch einen Vergleich mit dem [X.] stichprobenartig kontrolliert.

Am 18. Februar 2011 sei [X.]

wegen ihres 60. Geburtstages
einen Tag abwesend gewesen. Nachdem die Berufung im hiesigen Verfahren 9
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durch Telefax eingelegt worden sei, habe Frau [X.].
, die im [X.] von Pa-
tentanwalt Dr. K.

mitarbeite, Frau [X.]

die Akte vorgelegt. Frau [X.]

habe Frau [X.].

mitgeteilt, dass sie die Berufungsfrist nicht streichen und die
Berufungsbegründungsfrist nicht notieren wolle, weil es sich um Fristen des Nichtigkeitsberufungsverfahrens handele. Auf Anregung von Frau [X.].
, die erst
einige Monate zuvor ihre [X.] abgeschlossen gehabt habe, habe Frau [X.]

die Berufungsfrist dann doch im Kalender gestrichen
und als Frist zur Berufungsbegründung
(vermeintlich)
entsprechend der Geset-zeslage den 20. April 2011 notiert. Frau [X.].

habe anschließend eine entspre-
chende Fristennotiz in das Aktenleitblatt eingetragen. Eine Vorfrist habe Frau
[X.]

nicht im [X.] eingetragen.

Nach ihrer Rückkehr am 21. Februar 2011 habe [X.]

zwar
die Einreichung der Berufungsschrift überprüft, nicht aber die im Kalender no-tierte Berufungsbegründungsfrist. Am 22. Februar habe [X.]

die am
selben Tag eingegangene Bestätigung des [X.] über den [X.] der Berufungsschrift abgestempelt, es aber erneut versäumt, die no-tierte Berufungsbegründungsfrist zu kontrollieren.

b)
Danach fällt den Prozessbevollmächtigten der Beklagten ein eigenes Verschulden nicht zur Last.

aa)
Nach ständiger [X.]chtsprechung des [X.] kann der [X.]chtsanwalt oder der Patentanwalt die Berechnung einfacher und in seinem Büro geläufiger Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Angestellten überlassen. Er hat jedoch durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden. Unverzichtbar sind insoweit eindeutige 11
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Anweisungen an das Büropersonal, die Festlegung klarer Zuständigkeiten und die zumindest stichprobenartige Kontrolle des Personals (etwa [X.], Beschluss vom
5.
Februar 2003

VIII
ZB
115/02, NJW 2003, 1815, 1816 und Beschluss vom
22.
Juni 2010

VIII
ZB
12/10 Rn. 9).

In dem hier zu entscheidenden Fall konnten sich die Prozess-bevollmächtigten der Beklagten darauf verlassen, dass Frau [X.]

bei
Abwesenheit von [X.]

keine Berufungsbegründungsfrist im
Terminkalender eintragen würde und [X.]

die von Frau [X.]

eingetragene Berufungsbegründungsfrist nach ihrer Rückkehr und noch einmal anlässlich des Eingangs der Bestätigung des [X.] über den Eingang der Berufung überprüfen würde, weil es nach dem glaubhaft gemachten Vorbringen der Beklagten entsprechende Anweisungen gab und [X.]

und Frau [X.]

sich in der Vergangenheit als zuverlässige
Bürokräfte erwiesen hatten. [X.] sich [X.]

und Frau [X.]

entsprechend den Anweisungen der Prozessbevollmächtigten der Beklagten verhalten, wäre es nicht zur
Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gekommen.

[X.])
Entgegen der Ansicht der Klägerin kann ein [X.] der Prozessbevollmächtigten der Beklagten nicht darin gesehen werden, dass diese die für das Fristenwesen zuständige Mitarbeiterin nicht angewiesen haben, eine Vorfrist von mindestens einem Monat zu notieren.

Nach der [X.]chtsprechung des [X.] muss in der [X.] einer Anwaltskanzlei zwar gewährleistet sein, dass außer der eigentlichen [X.]chtsmittelbegründungfrist auch eine Vorfrist notiert wird, mit der sichergestellt werden soll, dass dem sachbearbeitenden 14
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[X.]chts-
oder Patentanwalt für die Fertigung der [X.]chtsmittelbegründung hinreichend [X.] verbleibt ([X.], Beschluss vom 9. Juni 1994

I
ZB
5/94, NJW 1994, 2831). Dies erfordert es jedoch in aller [X.]gel nicht, dass die Akte dem Anwalt bereits einen Monat vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist vorgelegt wird, zumal etwa auch bei einer Vorfrist von zwei Wochen, wie sie den Anweisungen der Prozessbevollmächtigten der Beklagten im hiesigen Fall entspricht, noch hinreichend [X.] zur Erstellung der Berufungsbegründung verbleibt. Jedenfalls wäre es aber auch dann noch möglich gewesen, einen Fristverlängerungsantrag zu stellen, wenn sich die verbleibende [X.] wider Erwarten als insoweit nicht hinreichend herausgestellt hätte.

cc)
Die Klägerin meint weiterhin, der Wiedereinsetzungsantrag enthalte keine Angaben dazu, dass Frau [X.]

die Fristennotierung in gleicher Weise
habe vornehmen müssen wie [X.]

. Wäre dies nämlich der Fall
gewesen, hätte Frau [X.]

nicht nur gegen die anwaltliche Weisung
verstoßen, keine gerichtlichen Fristen zu bearbeiten, sondern auch gegen die anwaltliche Weisung, wie Fristen auf den Schreiben zu notieren
sind. Eine fehlerhafte Fristennotierung auf einem weißen Blatt in der Akte vor der per Telefax eingereichten Berufungsschrift hätte [X.]

auffallen müssen.
Es sei somit davon auszugehen, dass auch insoweit ein [X.] vorliege, weil keine klare Anweisung für die Fristennotierung durch Frau [X.]

existiere.

Auch in dieser Argumentation kann der Klägerin nicht gefolgt werden. Die Beklagte hat durch eidesstattliche Versicherungen von Patentanwalt
Dr.
K.

und Frau [X.]

glaubhaft gemacht, dass Frau [X.]

angewiesen war, gerichtliche Fristen nur auf [X.] im [X.] zu notieren. Die Prozessbevollmächtigten der Beklagten durften darauf 17
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vertrauen, dass Frau [X.]

diesen Anweisungen Folge leisten würde. Sie

waren deshalb nicht gehalten, Anordnungen auch für den Fall zu treffen, dass Frau [X.]

entgegen diesen Anweisungen

selbständig eine gerichtliche
Frist notieren würde.

[X.])
Die Klägerin ist schließlich der Ansicht, dass ein weiteres Organisationsverschulden darin liege, dass nicht sichergestellt gewesen sei, dass zumindest die End-
und die [X.] in die jeweilige [X.] übertragen würden. Es sei auch nichts dazu vorgetragen, was [X.]

zu
unternehmen habe, falls eine Übertragung in die [X.] nicht oder nur fehlerhaft stattgefunden habe. Eine Übertragung der (falschen) Fristen in die [X.] hätte aber bei der behaupteten Planung der Aktenbearbeitung durch das [X.] mit dem bearbeitenden Anwalt ausgehend von der [X.] dazu geführt, dass die fehlerhafte Frist rechtzeitig entdeckt worden wäre.

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Auch diesen Bedenken der Klägerin kann nicht gefolgt werden. Ein Organisationsverschulden liegt bereits deshalb nicht vor, weil es sich bei dem Führen von [X.] um eine überobligatorische Kontrollmaßnahme in der Büroorganisation der Beklagten handelt, die im Allgemeinen nicht zu einer Verschärfung der Sorgfaltspflichten des Anwalts führen kann ([X.], Beschluss vom 30.
April 1998

VII
ZB
5/97, NJW 1998, 2676).

Meier-Beck
[X.]
[X.]

Grabinski
Bacher
Vorinstanz:
[X.], Entscheidung vom 21.09.2010 -
3 Ni 12/09 ([X.]) -

20

Meta

X ZR 16/11

19.07.2011

Bundesgerichtshof X. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.07.2011, Az. X ZR 16/11 (REWIS RS 2011, 4635)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 4635

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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