Bundesfinanzhof, Beschluss vom 20.08.2015, Az. VII B 54/15

7. Senat | REWIS RS 2015, 6346

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Gegenstand

(Im Wesentlichen inhaltsgleich mit BFH-Beschluss vom 16.04.2015 VII B 44/14 - Rechtmäßigkeit der Vorschriften über die Milchabgabe - Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht - Keine grundsätzliche Bedeutung)


Leitsatz

1. NV: Die Vereinbarkeit der Vorschriften über die Milchabgabe mit höherrangigem Recht und insbesondere mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit war wiederholt Gegenstand höchstrichterlicher Entscheidungen. An der Gültigkeit der der Milchabgabe zugrunde liegenden unionsrechtlichen Vorschriften bestehen keine Zweifel (vgl. BFH-Rechtsprechung) .

2. NV: Etwaige zur Nichtigkeit der Verordnung (EG) Nr. 1788/2003 führende Verstöße gegen wesentliche Formvorschriften im europäischen Gesetzgebungsverfahren rechtfertigen die Zulassung der Revision nicht (Festhaltung an BFH-Beschlüssen vom 27.11.2013 VII B 86/12 und VII B 87/12) .

Tenor

Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des [X.] vom 19. März 2015  4 K 21/14 (6) wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist Milcherzeuger und Inhaber einer Milchquote. Aus der beim Beklagten und Beschwerdegegner (Hauptzollamt) am 6. Juli 2012 eingegangenen [X.] für den Zwölfmonatszeitraum ([X.]) 2011/2012 ergab sich für den Kläger eine Überlieferung von 31 260 kg Milch nach Bundessaldierung und somit eine Abgabenforderung in Höhe von 8.699,66 €.

2

Einspruch und Klage gegen die [X.] blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, die Abgabenberechnung sei rechtmäßig und die hierfür herangezogenen Rechtsgrundlagen in Gestalt der nationalen Verordnung zur Durchführung der [X.] ([X.] --[X.]--, [X.], 775) sowie der unionsrechtlichen Verordnung ([X.]) Nr. 1234/2007 ([X.] 1234/2007) des Rates vom 22. Oktober 2007 über eine gemeinsame Organisation der Agrarmärkte und mit Sondervorschriften für bestimmte landwirtschaftliche Erzeugnisse (Verordnung über die einheitliche [X.]) --Amtsblatt der [X.] ([X.]) Nr. L 299/1-- und der Verordnung ([X.]) Nr. 595/2004 der [X.] vom 30. März 2004 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung ([X.]) Nr. 1788/2003 des Rates über die Erhebung einer Abgabe im Milchsektor ([X.] Nr. L 94/22) seien entgegen der Ansicht des [X.] nicht nichtig. Die höchstrichterliche Feststellung der Rechtmäßigkeit der Milchabgabe im Zusammenhang mit den Vorschriften der Verordnung ([X.]) Nr. 1788/2003 ([X.] 1788/2003) des Rates vom 29. September 2003 über die Erhebung einer Abgabe im Milchsektor ([X.] Nr. L 270/123) könne auf die Abgabenerhebung nach den im Wesentlichen identischen Regelungen der VO Nr. 1234/2007 übertragen werden. Mit den Regelungen des Gesetzes zur Durchführung der gemeinsamen [X.] und der Direktzahlungen (Marktorganisationsgesetz) lägen ausreichende gesetzliche Ermächtigungsgrundlagen i.S. des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) für den Erlass der [X.] vor. Das Zitiergebot gemäß Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG sei ebenso wenig verletzt wie der Gesetzesvorbehalt; ein Verstoß der Saldierungsregelungen gegen Art. 3 GG sei nicht ersichtlich. Eine Unverhältnismäßigkeit des [X.] insgesamt sei nicht feststellbar.

3

Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.], die er auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) stützt. Er macht weiterhin geltend, die im Streitfall maßgebenden unionsrechtlichen und nationalen Vorschriften über die Erhebung der Milchabgabe seien nichtig und die ersatzweise Anwendung der Verordnung ([X.]) Nr. 3950/92 ([X.] 3950/92) des Rates vom 28. Dezember 1992 über die Erhebung einer Zusatzabgabe im Milchsektor ([X.] Nr. L 405/1) als Grundlage zur Berechnung einer festzusetzenden Milchabgabe sei ausgeschlossen. Er bezeichnet diesbezüglich acht Fragen als grundsätzlich klärungsbedürftig.

Entscheidungsgründe

4

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Die mit der Beschwerde formulierten Fragen sind höchstrichterlich geklärt bzw. lassen sich nur so beantworten, wie es das [X.] getan hat.

5

1. Mit Beschluss vom 16. April 2015 VII B 44/14 hat der Senat bereits festgestellt, dass die Vereinbarkeit der Vorschriften über die Milchabgabe mit höherrangigem Recht und insbesondere mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wiederholt Gegenstand höchstrichterlicher Entscheidungen gewesen ist (vgl. Urteil des Gerichtshofs der [X.] --[X.]-- [X.] Disarò [X.] u.a. vom 14. Mai 2009 [X.], [X.]:[X.], [X.]schrift für Zölle und Verbrauchsteuern --ZfZ-- 2009, 219, und [X.]beschluss vom 7. Oktober 2009 VII B 253/08, [X.], 267, m.w.N.). An der Gültigkeit der der Milchabgabe zugrunde liegenden unionsrechtlichen Vorschriften bestehen keine Zweifel (vgl. [X.]beschlüsse vom 27. November 2013 VII B 86/12, [X.] 2014, 585, und VII B 87/12, [X.] 2014, 741).

6

a) Wie vom [X.] in seinem Urteil [X.] Disarò [X.] u.a. ([X.]:[X.], Rz 44 ff., [X.], 219, 221) ausgeführt, verfügt der Gesetzgeber im Bereich der gemeinsamen Agrarpolitik (Art. 33 des Vertrags zur Gründung der [X.] --[X.]--) über ein weites Ermessen, das er mit Erlass der [X.] 1788/2003 --und nachfolgend der [X.] 1234/[X.] nicht überschritten hat, indem er das in Art. 33 Abs. 1 Buchst. [X.] ausdrücklich erwähnte Ziel der Stabilisierung der Märkte verfolgt und diesem Ziel Vorrang eingeräumt hat. Die in der [X.] 1788/2003 und der [X.] 1234/2007 vorgesehene Abgabenregelung zielt darauf ab, auf dem durch strukturelle Überschüsse gekennzeichneten Milchmarkt durch eine Beschränkung der Milcherzeugung das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage wiederherzustellen, und hält sich daher im Rahmen der Ziele, die Milcherzeugung zu rationalisieren und für die betroffene landwirtschaftliche Bevölkerung durch einen Beitrag zur Stabilisierung ihres Einkommens eine angemessene Lebenshaltung aufrechtzuerhalten. Auch mit den in Art. 33 Abs. 1 Buchst. a und b [X.] genannten Zielen ist die [X.] 1788/2003 vereinbar (siehe auch [X.]beschlüsse in [X.] 2014, 585, 587, und in [X.] 2014, 741, 743). Dies gilt gleichermaßen für die [X.] 1234/2007 (vgl. Erwägungsgrund Nr. 30 [X.] 1234/2007).

7

b) Dass der [X.] dazu berechtigt ist, die Milchproduktion in der [X.] zu beschränken, indem er Überproduktion mit einer Abgabe belegt, steht also nach der Rechtsprechung des [X.] und des [X.] fest. Dabei liegt es im Ermessen des Verordnungsgebers, die Milcherzeuger auch unabhängig von einem [X.] zur Einhaltung einer bestimmten Produktionsmenge mithilfe einer Milchabgabe anzuhalten (vgl. [X.]-Urteile Cooperativa Lattepiù u.a. vom 25. März 2004 [X.]/00, [X.]:C:2004:178, und [X.] Disarò [X.] u.a., [X.]:[X.], [X.], 219; [X.]beschlüsse in [X.], 267, 268; vom 13. Juli 2011 VII B 223/10, [X.] 2011, 1732; in [X.] 2014, 585, 588; in [X.] 2014, 741, 743, sowie zuletzt [X.]beschluss vom 16. April 2015 VII B 44/14, n.v.). Eine Überschreitung des diesbezüglich unionsrechtlich eingeräumten Ermessensspielraums ist nicht erkennbar.

8

2. Wie bereits in den [X.]beschlüssen in [X.] 2014, 585, 588 und in [X.] 2014, 741, 743 f. ausgeführt, rechtfertigen nach Auffassung des [X.] selbst etwaige zur Nichtigkeit der [X.] 1788/2003 führende Verstöße gegen wesentliche Formvorschriften im [X.] Gesetzgebungsverfahren die Zulassung der Revision nicht. An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Selbst wenn die gesamte (inzwischen außer [X.] getretene) VO Nr. 1788/2003 wegen Missachtung des [X.] durch den Rat sowie des nicht einstimmig gefassten Beschlusses über ihre Verabschiedung nichtig gewesen sein sollte, wäre auch Art. 25 [X.] 1788/2003 über die Aufhebung der [X.] 3950/92 nichtig. Die [X.] 3950/92 hätte weiter gegolten und wäre weiterhin die unionsrechtliche Grundlage für die Erhebung der Milchabgabe geblieben. Dass bei Fortgeltung der [X.] 3950/92 keine oder eine geringere Milchabgabe gegen den Kläger festzusetzen gewesen wäre, ist nicht ersichtlich. Vielmehr wäre auch die im Zusammenhang mit der VO Nr. 1788/2003 erlassene Verordnung ([X.]) Nr. 1787/2003 des Rates vom 29. September 2003 zur Änderung der Verordnung ([X.]) Nr. 1255/1999 über die gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse in diesem Fall nichtig und der [X.] nicht aufgehoben worden. Es wäre der Richtpreis gemäß der Verordnung ([X.]) Nr. 1255/1999 (VO Nr. 1255/1999) des Rates vom 17. Mai 1999 über die gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse anzuwenden. Der sich daraus ergebende Milchabgabensatz wäre letztlich höher als der sich aus Art. 2 [X.] 1788/2003 und der sich aus Art. 78 Abs. 1 Satz 2 [X.] 1234/2007 ergebende Abgabensatz.

9

Die vom Kläger vorgebrachten Bedenken bezüglich der Wirksamkeit der [X.] 1788/2003 mit Hinweis auf einen weiteren Verstoß gegen wesentliche Formvorschriften im [X.] Gesetzgebungsverfahren ändern an dieser Beurteilung nichts; auch sie rechtfertigen die Zulassung der Revision nicht. Gleiches gilt im Hinblick auf etwaige Verstöße gegen wesentliche Formvorschriften beim Erlass der [X.] 1234/2007 als Nachfolgeverordnung der [X.] 1788/2003.

3. Weitere Bedenken hinsichtlich der Fortgeltung der VO Nr. 1255/1999 über den 1. April 2004 hinaus und somit nach dem Beitritt neuer Mitgliedstaaten zur [X.] spielen im Streitfall bereits mangels Betroffenheit des [X.] keine Rolle. Eine etwaige Diskriminierung von [X.] anderer Länder kann der Kläger nicht geltend machen. Darüber hinaus haben sich die Beitrittsländer 2004 dem System der Milchabgabenpflicht für Erzeuger im Fall einer Überproduktion unterworfen, indem sie auf der Grundlage der Beitrittsakte seit dem 1. Mai 2004 als neue Mitgliedstaaten den [X.]-Besitzstand einschließlich der vollständigen Milchquotenregelung anwenden. Entgegen der Auffassung des [X.], die Erhebung einer Milchabgabe entspreche für die [X.] nach 2004 nicht mehr der gemeinsamen Agrarpolitik aller Mitgliedstaaten, ist die Festsetzung einer Milchabgabe nach der Rechtsprechung des [X.] also weiterhin ein geeignetes und verhältnismäßiges Mittel zur Einhaltung einer bestimmten Produktionsmenge.

Der Hinweis auf die kritische Stellungnahme des juristischen Dienstes des [X.] kann die Argumentation des [X.] nicht stützen, da sie sich lediglich auf das [X.] 2014/2015 bezieht und somit die Besonderheit des letzten [X.] vor Ende der Milchquotenregelung betrifft.

4. Im Übrigen ergeht der Beschluss nach § 116 Abs. 5 Satz 2 [X.]O ohne Begründung.

Meta

VII B 54/15

20.08.2015

Bundesfinanzhof 7. Senat

Beschluss

vorgehend FG Bremen, 19. März 2015, Az: 4 K 21/14 (6), Urteil

Art 33 EG, EGV 1788/2003, EGV 1234/2007, MOG, Art 80 Abs 1 GG, § 115 Abs 2 Nr 1 FGO, EGV 595/2004, EWGV 3950/92

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 20.08.2015, Az. VII B 54/15 (REWIS RS 2015, 6346)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 6346


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 1 BvR 2560/15

Bundesverfassungsgericht, 1 BvR 2560/15, 09.09.2017.


Az. VII B 54/15

Bundesfinanzhof, VII B 54/15, 20.08.2015.


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