Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.02.2005, Az. 3 StR 230/04

3. Strafsenat | REWIS RS 2005, 5045

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[X.] vom 14. Februar 2005 in der Strafsache gegen

wegen Vergewaltigung u. a.
- 2 - Der 3. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des [X.] - zu 2. auf dessen Antrag - am 14. Fe-bruar 2005 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen: 1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 1. März 2004 mit den zugehörigen Fest-stellungen aufgehoben a) soweit der Angeklagte in den Fällen [X.], 6. und 10. der Ur-teilsgründe verurteilt worden ist sowie b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels und die den [X.] dadurch entstandenen not-wendigen Auslagen, an eine andere [X.] des Landge-richts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe: Das [X.] hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung, sexueller Nötigung in drei Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit sexuellem [X.], wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern, exhibitionisti-scher Handlungen in drei Fällen, davon einmal in Tateinheit mit Beleidigung und einmal mit Nötigung sowie wegen Beleidigung und Körperverletzung zur Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. - 3 - Mit seiner Revision rügt der Angeklagte allgemein die Verletzung sachli-chen Rechts. Das Rechtsmittel erweist sich hinsichtlich der Verurteilung in den Fällen [X.] 1. bis 4. und 7. bis 9. der Urteilsgründe als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Hinsichtlich der Fälle [X.], 6. und 10. der Urteilsgründe führt es zur Aufhebung und Zurückverweisung.
1. In den Fällen [X.] und 6. der Urteilsgründe hat das [X.] den Angeklagten jeweils wegen sexueller Nötigung gemäß § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB - im Fall 5. tateinheitlich mit sexuellem Mißbrauch eines Kindes gemäß § 176 Abs. 1 StGB - verurteilt. Nach den Feststellungen nahm der als Fernfahrer be-schäftigte Angeklagte im Fall 5. seine neunjährige Stieftochter und im Fall 6. seine vierzehnjährige Stieftochter auf eine Fahrt in seinem LKW mit. Jeweils während eines nächtlichen Halts auf einem Rastplatz kam es auf Veranlassung des Angeklagten zu sexuellen Handlungen beider Mädchen an ihm, im Fall 6. auch zu sexuellen Handlungen des Angeklagten an seiner älteren Stieftochter. Auf der Grundlage dieser Feststellungen kann die Verurteilung wegen sexuel-ler Nötigung gemäß § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB in beiden Fällen keinen Bestand haben. a) Es bestehen bereits Bedenken, ob sich die beiden Mädchen - wie von § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB vorausgesetzt - objektiv in einer Lage befanden, in der sie der Einwirkung des Angeklagten schutzlos ausgeliefert waren. Eine schutz-lose Lage ist gegeben, wenn die Schutz- und Verteidigungsmöglichkeiten des Opfers in einem solchen Maße verringert sind, daß es dem ungehemmten [X.] ist (vgl. [X.], 30; NStZ-RR 2003, 42, 44). Dies versteht sich für den Aufenthalt in einem Lastkraftwagen bei einem - 4 - Halt auf einem Rastplatz zur Nachtzeit - auch unter Berücksichtigung des [X.] - nicht von selbst. Genauere Feststellungen zur Tatsituation, etwa zur Frequentierung des [X.] und zur Anwesenheit Dritter in [X.] des Fahrzeugs, sind vom [X.] nicht getroffen worden. b) Davon abgesehen belegen die Feststellungen auch nicht, daß der Angeklagte die [X.] unter Ausnutzung der schutzlosen Lage - deren [X.] unterstellt - zur Duldung oder Vornahme sexueller Handlungen genötigt hat.
Die Bedeutung dieses Tatbestandsmerkmals einer Nötigung durch [X.] der schutzlosen Lage ist in Rechtsprechung und Schrifttum noch nicht abschließend geklärt. Es besteht zwar - weitgehend - Einigkeit, daß § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB kein zweiaktiges Delikt ist und keine den Voraussetzungen des § 240 Abs. 1 StGB genügende Nötigungshandlung voraussetzt (vgl. BGHSt 45, 253, 257 ff.; [X.], 42, 44; [X.] Tröndle/[X.], StGB 52. Aufl. § 177 Rdn. 46), wohl aber - ebenso wie die beiden anderen Tatbe-standsvarianten in § 177 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB - ein Handeln gegen den Willen des [X.]. Umstritten ist aber, ob dem Merkmal eine darüber hinausgehende Be-deutung zukommt. Insofern ist nach Auffassung des 2. Strafsenats des Bun-desgerichtshofs eine weite Auslegung geboten: Wenn die sexuelle Handlung in einer schutzlosen Lage vorgenommen wird, soll die mit ihr verbundene [X.] ausreichen; die Kenntnis des Opfers von seiner Schutzlosigkeit und etwa seine Furcht vor Zwangshandlungen oder der Zufügung sonstiger - 5 - Übel müssen nicht hinzukommen (vgl. BGHR StGB § 177 Abs. 1 Schutzlose Lage 6). Ausgehend davon hätte hier, wenn bei dem Geschehen auf dem Rastplatz eine schutzlose Lage der beiden Mädchen gegeben war, nach den Gesamtumständen die Annahme eines objektiv tatbestandsmäßigen [X.] des Angeklagten jedenfalls nicht fern gelegen. Der Senat hätte indes Bedenken, dieser weiten Auslegung, die [X.] nicht gegen Art. 103 Abs. 2 GG verstößt ([X.] NJW 2004, 3768), zu folgen. Sie liegt schon nach dem Wortlaut des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB, auch wenn er sie nicht ausschließt, nicht nahe. Die Vorschrift läßt es nicht genügen, daß der Täter sexuelle Handlungen an einem Opfer vornimmt, das sich in einer schutzlosen Lage befindet, oder ein solches Opfer zur Vornahme sexueller Handlungen veranlaßt. Das "Nötigen unter Ausnutzung" der schutzlosen Lage setzt schon nach allgemeinem Sprachgebrauch eine engere Beziehung zwi-schen schutzloser Lage und sexueller Handlung voraus. Erforderlich ist, daß die auf die sexuelle Handlung bezogene Beugung des [X.] gerade durch die schutzlose Lage gefördert wird. Das [X.] muß also - wie der [X.] bereits für Konstellationen entschieden hat, in denen die schutzlose Lage nicht in äußeren Umständen, sondern in Besonderheiten der Opferpersönlich-keit angelegt ist (vgl. BGHR StGB § 177 Abs. 1 Schutzlose Lage 5) - dem Täter gegenüber von Widerstand absehen, weil es diesen aufgrund des [X.] für sinnlos erachtet. Hieraus ergibt sich zugleich, daß auf Seiten des Opfers die Kenntnis der schutzlosen Lage notwendige Voraussetzung eines objektiv tatbestandsmäßigen Verhaltens ist. - 6 - Für diese Auslegung sprechen - auch mit Blick auf Fallgestaltungen, in denen sich die schutzlose Lage aus den äußeren [X.], insbesondere den Eigenarten des Tatorts ergibt ([X.] § 177 Abs. 1 Schutzlose Lage 6) - neben dem Wortlaut des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB auch die Motive für die Einführung der Vorschrift durch das [X.]. Mit ihr sollten [X.] geschlossen werden, die nach Auffassung des [X.] entstehen können, in denen zwar die Tatbe-standsmerkmale des § 177 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB nicht erfüllt sind, das Opfer aber in Erkenntnis seiner schutzlosen Lage auf Verteidigung verzichtet, weil es diese für sinnlos hält (BTDrucks. 13/7324 [X.]). Die Notwendigkeit einer in dem beschriebenen Sinne einschränkenden Auslegung des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB ergibt sich ferner aus einem Vergleich des Strafrahmens der Vorschrift mit den Strafdrohungen verwandter Straftatbestände vergleichbarer Schutzrichtung. Aus den gleiche Strafrahmen eröffnenden Tatvarianten des § 177 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB ist zu schließen, daß der im Fall des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB auf das Opfer einwirkende [X.] demjenigen vergleichbar sein muß, der durch den Einsatz qualifizierter Nötigungsmittel entsteht. Dagegen führt der Einsatz nur "einfacher" Nötigungsmittel im Falle einer sexuellen Handlung le-diglich zu der deutlich geringeren Strafdrohung der Nötigung gemäß § 240 Abs. 4 Nr. 1 StGB. Hieraus folgt, daß die bloße Ausführung der sexuellen Handlung gegen den Willen des Opfers ohne die hinzutretende, durch die [X.] beim Opfer entstehende Zwangslage die Verbrechensqualität des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht zu begründen vermag. Schließlich stünden einer weiten Auslegung des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB auch mit Blick auf § 179 Abs. 1 und 2 StGB systematische Erwägungen entgegen. Nur wenn für § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB verlangt wird, daß das [X.] seine schutzlose Lage erkennt und angesichts dessen von sinnlosem Widerstand - 7 - absieht, bleibt der für den Tatbestand des sexuellen Mißbrauchs widerstands-unfähiger Personen (mit ihrer geringeren Strafandrohung) ein eigener Anwen-dungsbereich. c) Die Frage, welche Anforderungen bei zutreffender Auslegung des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB an die Art und Weise der Beugung des [X.] zu stellen sind, insbesondere, ob das Opfer die schutzlose Lage erkannt haben muß, bedarf hier indessen keiner abschließenden Entscheidung. Denn [X.] sind die Voraussetzungen des subjektiven Tatbestands vom [X.] nicht festgestellt. Es fehlen die erforderlichen ausdrücklichen Feststellungen dazu, daß sich der Angeklagte bei Tatbegehung bewußt war, unter Ausnutzung der schutzlosen Lage der Mädchen vorzugehen. Ein derart verstandenes [X.]sbewußtsein, das als Voraussetzung des subjektiven Tatbestands auch vom 2. Strafsenat für erforderlich erachtet wird - was im übrigen dafür spricht, daß die Nötigung durch Ausnutzen der schutzlosen Lage auch ein den objekti-ven Tatbestand beschränkendes Merkmal ist -, ergibt sich hier auch nicht aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe. Diese legen vielmehr nahe, daß für den Angeklagten bei der Vornahme sexueller Handlungen eine schutz-lose Lage seiner Opfer gerade nicht von Bedeutung war. Insbesondere im Fall [X.] konnte das Opfer die verlangte sexuelle Handlung nach kurzer Zeit von sich aus abbrechen, ohne daß der Angeklagte unter Ausnutzung der äußeren Gegebenheiten auf ihre Fortsetzung gedrungen hätte. Auch nahm der Ange-klagte in anderen abgeurteilten Fällen, in denen nach den Feststellungen eine schutzlose Lage seiner Stieftöchter nicht gegeben war, sexuelle Handlungen an und vor diesen vor. - 8 - d) Die rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes (§ 176 Abs. 1 StGB) im Fall [X.] kann wegen der gegebenen Tateinheit ebenfalls nicht bestehen bleiben (vgl. BGHR StPO § 353 Aufhebung 1). 2. Die Verurteilung im Fall [X.] 10. der Urteilsgründe wegen sexueller Nö-tigung gemäß § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist ebenfalls rechtsfehlerhaft. Die bishe-rigen Feststellungen belegen nicht hinreichend die Nötigung des Opfers durch Gewalt. Das [X.] hat folgendes festgestellt: Nachdem die Nebenklägerin der Aufforderung des Angeklagten, selbst ihre Hose auszuziehen, nicht [X.] war, zog er deren Hose und Unterhose herunter und setze das Mädchen auf seinen unbekleideten Schoß, wobei er sie am Bauch anfaßte und festhielt. Nachdem es zur Berührung der beiden nackten [X.] war, gelang es dem Mädchen aufzustehen. Gewalt im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB setzt regelmäßig voraus, daß eine gegen den Körper des Opfers gerichtete Kraftentfaltung erfolgt, die von diesem als körperlicher Zwang empfunden wird und diese Gewalt Mittel zur Überwindung geleisteten oder erwarteten Widerstands des Opfers ist. Die Feststellungen der [X.] lassen insoweit nicht erkennen, daß das [X.] sich dagegen wehrte, als der Angeklagte es auszog und auf seinen unbe-kleideten Schoß setzte oder daß es von einem beabsichtigten Widerstand ab-sah, weil es diesen wegen der vom Angeklagten eingesetzten Kraft für [X.] hielt. Gegen die gewaltsame Überwindung von geleistetem oder erwartetem Widerstand des Opfers spricht auch, daß das Mädchen sofort - und ohne daß - 9 - der Angeklagte es daran hinderte oder zu hindern versuchte - wieder aufstehen konnte. Auch hier kann die von dem Rechtsfehler nicht betroffene tateinheitliche Verurteilung wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes gemäß § 176 Abs. 1 StGB keinen Bestand haben. 3. Soweit der Angeklagte im Fall [X.] 7. infolge der nicht nachvollziehbar begründeten Verneinung der von § 177 Abs. 2 StGB ausgehenden Regelwir-kung aus dem Strafrahmen des § 177 Abs. 1 StGB lediglich mit der Mindest-strafe von einem Jahr Freiheitsstrafe und damit unvertretbar milde bestraft [X.], ist er nicht beschwert. [X.]

Pfister von [X.]

Becker

Hubert

Meta

3 StR 230/04

14.02.2005

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.02.2005, Az. 3 StR 230/04 (REWIS RS 2005, 5045)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2005, 5045

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