Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.02.2005, Az. 4 StR 9/05

4. Strafsenat | REWIS RS 2005, 4866

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[X.]/05

vom 22. Februar 2005 in der Strafsache gegen

wegen sexueller Nötigung
- 2 - Der 4. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 22. Februar 2005 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen: 1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 11. Oktober 2004 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entschei-dung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere [X.] des [X.] zurückverwiesen. Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung zu [X.] Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und deshalb gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO unzulässig. Das Rechtsmittel hat jedoch mit der Sachrüge Erfolg. Die Verurteilung wegen sexueller Nötigung in der Tatvariante des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. 1. Nach den Feststellungen befand sich die zur Tatzeit 18 Jahre alte Nebenklägerin wegen Rückenbeschwerden in Behandlung bei dem Angeklag-ten, der als Physiotherapeut in einer Krankengymnastikpraxis tätig war. [X.] 3 - lich eines Behandlungstermins im Dezember 2003 führte der Angeklagte eine - therapeutisch an sich vertretbare - Brustmassage bei der Nebenklägerin durch. Diese Gelegenheit nutzte er aus, sexuell motiviert die Brüste der mit [X.] "wehrlos" vor ihm liegenden Nebenklägerin über mehrere Mi-nuten mit beiden Händen zu streicheln und zu kneten und dabei auch gezielt die Brustwarzen zu berühren. Die Nebenklägerin wollte dies nicht, war jedoch "dem für sie überraschenden Übergriff des Angeklagten hilflos ausgeliefert. Sie war psychisch nicht zu einer Gegenwehr in der Lage ..., sondern ließ diese Handlungen geschockt und in starrer Haltung einige Minuten über sich erge-hen, ohne sich wehren zu können" ([X.]). Nachdem die Nebenklägerin die Frage des Angeklagten, ob er ihre Brüste küssen dürfe, verneint hatte, ließ die-ser von ihr ab. 2. Diese Feststellungen belegen nicht die Annahme des [X.], daß der Angeklagte die Geschädigte unter Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des [X.] schutzlos ausgeliefert war, zur Duldung der sexuellen Übergriffe genötigt hat. a) Eine schutzlose Lage liegt vor, wenn die Schutz- und Verteidigungs-möglichkeiten des Opfers in einem solchen Maße verringert sind, daß es dem ungehemmten Einfluß des [X.] preisgegeben ist; dies ist regelmäßig der Fall, wenn das Opfer sich dem überlegenen Täter allein gegenüber sieht und auf fremde Helfer nicht rechnen kann, wobei es allerdings eines gänzlichen Beseitigens jeglicher Verteidigungsmöglichkeiten nicht bedarf (st. Rspr.; BGHSt 44, 228, 231 f.; 45, 253, 256; [X.], 42, 44; BGHR StGB § 177 Abs. 1 schutzlose Lage 7). Dabei beruht die schutzlose Lage regelmäßig - 4 - auf äußeren Umständen, etwa der Einsamkeit des Tatorts oder dem Fehlen von Fluchtmöglichkeiten (vgl. [X.], 533, 534). Eine auf äußeren Umständen beruhende schutzlose Lage ergibt sich hier nicht allein daraus, daß der Angeklagte als Therapeut eine Behandlungssi-tuation zu dem sexuellen Übergriff mißbraucht hat. Vielmehr müssen auch in einem solchen Fall regelmäßig weitere Umstände hinzutreten, die das Tatopfer daran hindern, sich dieser Situation durch Flucht zu entziehen (vgl. BGHR § 177 Abs. 1 schutzlose Lage 5 und 7). Solche besonderen, eine schutzlose Lage begründenden Umstände aufgrund der Tatörtlichkeit und der [X.] hat das [X.] nicht festgestellt. Es ist vielmehr selbst davon ausgegan-gen, daß es der Nebenklägerin "physisch möglich" gewesen wäre, die unver-schlossenen Praxisräumlichkeiten zu verlassen ([X.]). Soweit die [X.] zur Begründung der schutzlosen Lage darauf abstellt, die Nebenklägerin habe die Übergriffe über sich ergehen lassen, weil sie "vor Schreck und Überraschung wie gelähmt" ([X.]) gewesen sei, geht sie im Ansatz zwar zu Recht davon aus, daß sich eine schutzlose Lage des Opfers auch aus in seiner Person liegenden Umständen ergeben kann. Sie verkennt jedoch, daß in einem solchen Fall an die Feststellung der schutzlosen Lage erhöhte Anforderungen zu stellen sind. Erforderlich ist, daß das Opfer Widerstandshandlungen gegenüber dem Täter unterläßt, weil es anderenfalls zumindest Körperverletzungshandlungen durch den Täter befürchtet ([X.], 533, 534). Dies ergeben die Urteilsgründe nicht. Der festgestellte psychische Ausnahmezustand der Nebenklägerin infolge des überraschenden Übergriffs wird - jedenfalls für sich genommen - diesen Anforderungen nicht gerecht. Zwar hat die Nebenklägerin angegeben, auch "verängstigt" und [X.] 5 - halb sprach- und wehrlos gewesen zu sein ([X.]. Die Urteilsgründe lassen jedoch nicht erkennen, aus welchen Gründen die Nebenklägerin Angst vor dem Angeklagten verspürte, insbesondere ob und gegebenenfalls aus welchen Gründen sie im Falle ihres Widerstands gegen die Übergriffe mit Gewalthand-lungen des Angeklagten rechnete. b) Darüber hinaus ist durch die bisher getroffenen Feststellungen auch die subjektive Tatseite für eine Verurteilung nach § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht hinreichend belegt. Dem Urteil ist weder zu entnehmen, warum der Angeklagte vom Vorliegen einer durch äußere Umstände geprägten schutzlosen Lage der Nebenklägerin ausgegangen ist, noch daß er sich diese zunutzte gemacht hat. Auch ist nicht belegt, daß es dem Angeklagten bewußt war, daß sich die Ne-benklägerin ihm aus Angst nicht widersetzte. 3. Die bisherigen Feststellungen ergeben auch nicht, daß die Nebenklä-gerin während des dem Angeklagten angelasteten Geschehens im Sinne des § 179 Abs. 1 Nr. 1 StGB widerstandsunfähig war und der Angeklagte dies [X.] und gebilligt hat. Zwar kommt § 179 StGB als Auffangtatbestand in [X.] auf § 177 Abs. 1 StGB dann in Betracht, wenn das Opfer keinen der Tat entgegenstehenden Willen bilden konnte (BGHSt 45, 253, 260). [X.] im Sinne dieser Vorschrift ist, wer aus den dort genannten Gründen keinen zur Abwehr ausreichenden Willen bilden kann, wobei es genügt, daß das Opfer nur vorübergehend widerstandsunfähig ist (BGHSt 36, 145, 147). Als Ursache einer solchen Unfähigkeit kann auch eine geistig-seelische Beein-trächtigung im Sinne der §§ 20, 21 StGB in Betracht kommen, die sich etwa aus einem Zusammentreffen einer besonderen Persönlichkeitsstruktur des Op-fers und seiner Beeinträchtigung durch die [X.] infolge Überraschung, - 6 - Schreck oder Schock ergeben (BGHSt aaO). Zwar war nach den [X.] die Nebenklägerin "psychisch" nicht zu einer Gegenwehr gegen die Über-griffe des Angeklagten in der Lage und ließ diese "geschockt und in starrer Haltung" und "wie gelähmt" über sich ergehen. An einer Widerstandsunfähig-keit der Nebenklägerin bestehen indes in objektiver Hinsicht bereits deshalb Bedenken, weil sie nach den Feststellungen auf Fragen des Angeklagten noch während des Tatgeschehens, aber auch unmittelbar nach Beendigung der Übergriffe situationsangemessen reagierte und ihren dem Vorgehen des Ange-klagten entgegenstehenden Willen zum Ausdruck brachte. Jedenfalls ist aus diesen Gründen bislang nicht belegt, daß der Angeklagte mit der Unfähigkeit der Nebenklägerin, sich ihm zu widersetzen, zumindest im Sinne des dolus eventualis gerechnet und deshalb zumindest die [X.] der Nebenklägerin billigend in Kauf genommen hat. 4. Zwar erfüllt das festgestellte Tatgeschehen sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht die Tatbestandsvoraussetzungen des § 174 c Abs. 1 StGB. Diese Vorschrift ist jedoch erst nach der verfahrensgegenständli-chen Tat durch das am 1. April 2004 in [X.] getretene Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung vom 27. Dezember 2003 um die hier in Betracht kommende Tatbestandsalternative (wegen einer "körperlichen Erkrankung" anvertraut) erweitert worden. - 7 - 5. Dennoch ist nicht auszuschließen, daß die nunmehr zur Entscheidung berufene [X.] Feststellungen trifft, die eine Verurteilung tragen [X.]. Die Sache muß daher neu verhandelt und entschieden werden. [X.] Dr. Tepperwien [X.]

Solin-Stojanovi

ist wegen Krankheit gehindert zu unterschreiben.

[X.]

Ernemann

Sost-Scheible

Meta

4 StR 9/05

22.02.2005

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.02.2005, Az. 4 StR 9/05 (REWIS RS 2005, 4866)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2005, 4866

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