Bundesfinanzhof, Urteil vom 07.04.2011, Az. III R 89/08

3. Senat | REWIS RS 2011, 7813

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Gegenstand

Kindergeldanspruch eines in Polen wohnenden und im Inland arbeitenden Bauarbeiters - Gewöhnlicher Aufenthalt im Inland


Leitsatz

1. NV: Ein in Deutschland tätiger Arbeitnehmer mit Wohnsitz im EU-Ausland unterliegt hinsichtlich des Kindergeldes den deutschen Rechtsvorschriften .

2. NV: Wer mehr als sechs Monate zusammenhängend im Inland arbeitet und seinen Inlandsaufenthalt jeweils nur kurzfristig für Heimfahrten nach Polen unterbricht, hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt nach § 9 Satz 2 AO im Inland. Insoweit ist unerheblich, ob festgestellt werden kann, wann er sich wo im Inland aufgehalten und in welchen Wohnungen oder Wohncontainern er übernachtet hat .

Tatbestand

1

I. Der … Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist [X.] und besitzt sowohl die [X.] als auch die [X.] Staatsangehörigkeit. Er war seit dem 16. Februar 2006 unbefristet und sozialversicherungspflichtig bei einem [X.]n [X.]auunternehmen vollzeitbeschäftigt.

2

Den [X.]ntrag auf Gewährung von Kindergeld für seinen im November 2005 geborenen [X.], der mit seiner Mutter --der Ehefrau des [X.] in der Familienwohnung in [X.] lebt, lehnte die [X.]eklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) wegen fehlender Mitwirkung des [X.] ab. Den Einspruch wies die Familienkasse im Januar 2007 als unbegründet zurück, weil der Kläger keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen [X.]ufenthalt in [X.] gehabt habe und auch nicht nach § 1 [X.]bs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt worden sei.

3

Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht ([X.]) entschied, es könne nicht festgestellt werden, ob und ggf. wo der Kläger im Inland einen Wohnsitz gehabt habe. [X.]us der [X.]estätigung seines [X.]rbeitgebers gehe hervor, dass er im Süden von [X.] in [X.] eine firmeneigene Wohnung nutze, für die er keine Miete oder Nebenkosten zahle, auf dem Fragebogen habe der Kläger dagegen erklärt, er habe die Wohnung von seinem Vater gemietet und sei dort nur für postalische Zwecke angemeldet. [X.]us einem weiteren Fragebogen gehe hervor, dass sich der Kläger an den Wochentagen in [X.] und am Wochenende in [X.] aufgehalten habe. In der Klagebegründung habe er dagegen ausgeführt, sein Wohnsitz sei in der [X.], er arbeite jedoch regelmäßig in der [X.]mgebung von [X.] im Norden von [X.]. Sein Postsparbuch nenne eine [X.]dresse in [X.], für 2000 bis 2002 sei eine Steuernummer in [X.] und für 2002 bis 2004 eine Steuernummer in [X.] angegeben worden; 2005 habe er sich im [X.]usland aufgehalten. Daher habe der Kläger nicht dargelegt, ob er über einen inländischen Wohnsitz verfügt und ob sich dieser in [X.], in [X.], in [X.] oder in einem [X.]auwagen seines [X.]rbeitgebers an der jeweiligen [X.]austelle befunden habe. Der Einkommensteuerbescheid für 2006, in dem der Kläger einzeln veranlagt worden sei, entfalte insofern keine [X.]indungswirkung, da das Finanzamt das Innehaben eines Wohnsitzes in [X.] nicht geprüft habe.

4

Zur [X.]egründung der Revision trägt der Kläger vor, ihm stehe Kindergeld auch ohne inländischen Wohnsitz zu, da er in [X.] Sozialversicherungsbeiträge leiste. Zudem habe er aufgrund seiner [X.]eschäftigung bei dem [X.]n [X.]auunternehmen bis zum 31. Dezember 2006 seinen gewöhnlichen [X.]ufenthalt in [X.] gehabt; das [X.] habe eine [X.]eweisaufnahme dazu [X.] unterlassen. [X.]ereits nach den Grundsätzen des [X.]nscheinsbeweises sei es ausgeschlossen, dass er täglich zwischen Oberschlesien und dem [X.]rbeitsort in [X.] gependelt sei.

5

Der Kläger beantragt sinngemäß, das [X.]-[X.]rteil sowie den [X.]blehnungsbescheid vom 2. November 2006 und die Einspruchsentscheidung vom 9. Januar 2007 aufzuheben und die Familienkasse zu verpflichten, für seinen [X.] Kindergeld ab Juni 2006 festzusetzen.

6

Die Familienkasse beantragt sinngemäß, die Revision zurückzuweisen,

hilfsweise, das [X.]-[X.]rteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Entscheidungsgründe

7

II. Die Revision ist begründet. Sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der nicht spruchreifen Sache an das [X.].

8

1. Auf den Kläger sind die das Kindergeld betreffenden Vorschriften der §§ 62 ff. EStG anwendbar.

9

Beim Kindergeld handelt es sich um eine Familienleistung im Sinne der für den Streitzeitraum --noch ([X.]/Treiber, § 62 EStG Rz [X.] maßgebenden Verordnung ([X.]) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der [X.] Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der [X.] zu- und abwandern ([X.] 1408/71). Deren Art. 13 ff. bestimmen, welche Rechtsvorschriften auf innerhalb der Europäischen [X.] (jetzt: [X.]) zu- und abwandernde Erwerbstätige anzuwenden sind. Die Art. 13 ff. der [X.] 1408/71 bezwecken damit, dass die Betroffenen grundsätzlich nur dem System der [X.] Sicherheit eines einzigen Mitgliedstaats unterliegen, um eine Kumulierung anwendbarer Rechtsvorschriften und der sich daraus möglicherweise ergebenden Schwierigkeiten zu vermeiden (Urteile des Gerichtshofs der [X.] vom 20. Mai 2008 [X.]/06, [X.], Slg. 2008, [X.] Rz 16; vom 14. Oktober 2010 [X.]/09, [X.], Amtsblatt der [X.] 2010, Nr. [X.], 8 Rz 40).

Nach Art. 13 Abs. 2 Buchst. a der [X.] 1408/71 unterliegt eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats abhängig beschäftigt ist, den Rechtsvorschriften dieses Staates, und zwar auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnt. Da der Kläger im Streitzeitraum in [X.] als Arbeitnehmer tätig war und für das Vorliegen eines Ausnahmetatbestands nach Art. 14 Abs. 1 der [X.] 1408/71 nichts ersichtlich ist, unterliegt er für diesen Zeitraum hinsichtlich des Kindergeldes den [X.] Rechtsvorschriften.

2. Ein Anspruch auf Kindergeld setzt nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG voraus, dass der Anspruchsberechtigte einen Wohnsitz (§ 8 der Abgabenordnung --[X.]--) oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 [X.]) im Inland hat.

Das [X.] hat zwar einen inländischen Wohnsitz des [X.] abgelehnt, aber nicht geprüft, ob er seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatte.

Der Kläger hat behauptet, seit Februar 2006 bis zum Jahresende und damit mehr als sechs Monate zeitlich zusammenhängend im Inland gearbeitet und seinen Inlandsaufenthalt jeweils nur kurzfristig für Heimfahrten nach [X.] unterbrochen zu haben. Wenn dies zutrifft und er an seinen Arbeitstagen im Inland übernachtet hat, wären die Voraussetzungen eines gewöhnlichen Aufenthaltes im Inland nach § 9 Satz 2 [X.] erfüllt (vgl. Urteil des [X.] vom 25. Mai 1988 [X.]/82, [X.], 7, [X.] 1988, 944; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 9 [X.] Rz 36; [X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 9 [X.] Rz 11).

Insoweit käme es nicht darauf an, ob festgestellt werden kann, an welchen Orten sich der Kläger im Inland zu welchen Zeitpunkten aufgehalten hat, denn § 9 Satz 2 [X.] lässt --im Gegensatz zu § 9 Satz 1 [X.]-- einen zeitlich zusammenhängenden Aufenthalt von mehr als sechs Monaten im Geltungsbereich der [X.] genügen. Wechselnde Unterkünfte in verschiedenen Wohnungen oder in Wohncontainern auf unterschiedlichen Baustellen würden auch dann ausreichen, wenn der Kläger dabei zwischen mehreren Bundesländern gewechselt haben sollte (vgl. [X.] in Tipke/ [X.], a.a.[X.], § 9 [X.] Rz 5).

3. Die Sache ist nicht spruchreif. Das [X.] hat bislang weder geprüft, ob der Kläger im Streitzeitraum seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatte, noch ob die übrigen Voraussetzungen für einen Kindergeldanspruch gegeben sind. Dies ist im zweiten Rechtsgang nachzuholen.

Meta

III R 89/08

07.04.2011

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz, 16. Januar 2008, Az: 1 K 1176/07, Urteil

§ 62 Abs 1 Nr 1 EStG 2002, § 9 S 2 AO, Art 13 Abs 2 EWGV 1408/71

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 07.04.2011, Az. III R 89/08 (REWIS RS 2011, 7813)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 7813

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