Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.03.2023, Az. 2 ARs 487/22

2. Strafsenat | REWIS RS 2023, 2104

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Gegenstand

Örtliche Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer für den Widerruf der Bewährung


Tenor

Zuständig für die Entscheidung über den Widerruf der mit Beschluss des [X.] vom 30. Januar 2020 gewährten Strafaussetzung zur Bewährung aus dem Urteil des [X.] vom 31. März 2008 – 2 KLs 2060 Js 37310/07 ([X.]) – ist das

[X.] – Strafvollstreckungskammer Diez.

Gründe

1

Die Strafvollstreckungskammern der [X.] (Strafvollstreckungskammer [X.]) und [X.] streiten über die Zuständigkeit für die Entscheidung über den Widerruf der mit Beschluss des [X.] vom 30. Januar 2020 gewährten Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung der (Rest-)Jugendstrafe aus dem Urteil des [X.] vom 31. März 2008 (2 KLs 2060 Js 37310/07 ([X.])).

I.

2

1. Das [X.] verhängte am 31. März 2008 im Verfahren 2 KLs 2060 Js 37310/07 ([X.]) gegen den Verurteilten u.a. wegen schweren Raubes in zwei Fällen eine Einheits[X.]endstrafe von sieben Jahren und zehn Monaten und ordnete dessen Unterbringung in einer Entziehungsanstalt unter [X.] von einem Teil der verhängten Jugendstrafe an. Nachdem zuvor der seinerzeit zuständige [X.] die Vollstreckung nach § 85 Abs. 6 [X.] abgegeben hatte, erklärte die Strafvollstreckungskammer des [X.] am 16. Dezember 2011 im [X.] die Maßregel für erledigt und setzte die Vollstreckung des noch nicht verbüßten Restes der Jugendstrafe zur Bewährung aus.

3

2. Aufgrund erneuter Straffälligkeit wurde der Verurteilte durch Urteil des [X.] vom 20. Dezember 2016, rechtskräftig seit dem 12. April 2017, zu einer Freiheitstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten verurteilt, die er in der Justizvollzugsanstalt [X.] verbüßte. Mit Beschluss vom 14. September 2017 widerrief die Strafvollstreckungskammer des [X.] die Aussetzung der Vollstreckung der Rest[X.]endstrafe zur Bewährung.

4

Durch Entscheidung der Staatsanwaltschaft [X.] vom 7. Mai 2019 wurde die Vollstreckung dieser Strafe mit Zustimmung der [X.] des [X.] gemäß § 35 Abs. 1 BtMG zurückgestellt. Nach regulärer Beendigung der Therapie setzte die [X.] des [X.] mit Beschluss vom 30. Januar 2020 die Vollstreckung des Restes der Jugendstrafe aus dem Urteil des [X.] vom 31. März 2008 gemäß §§ 38 Abs. 1 Satz 1, 36 Abs. 1 Satz 3 BtMG zur Bewährung aus. Die mündliche Belehrung übertrug die [X.] gemäß § 58 Abs. 3 Satz 2 Alt. 2 [X.] dem [X.], weil der Verurteilte in der Zwischenzeit seinen Wohnsitz in [X.]    begründet hatte. Im Folgenden unterblieb die übertragene Belehrung. Zudem sah das [X.] von einer Rücksendung der Akten ab und nahm in der Folgezeit die eingehenden Berichte des Bewährungshelfers entgegen.

5

3. Nachdem der Verurteilte in Verdacht geraten war, sich erneut wegen Raubes strafbar gemacht zu haben, wurde er am 18. Mai 2020 aufgrund eines Untersuchungshaftbefehls des [X.] in der Justizvollzugsanstalt [X.] inhaftiert. Mit Schreiben der Bewährungshilfe vom 23. Juni 2020 wurde das [X.] hierüber informiert. Nach Anklageerhebung im Juli 2020 beantragte die Staatsanwaltschaft [X.] beim [X.] den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung. Hierüber setzte das [X.] den Verurteilten im September 2020 – verbunden mit der Möglichkeit, Stellung zu nehmen – in Kenntnis.

6

Durch Urteil des [X.] vom 25. November 2020, rechtskräftig seit dem 3. Dezember 2020, wurde der Verurteilte wegen schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt, die er zunächst in der Justizvollzugsanstalt [X.] verbüßte. Am 12. Januar 2021 wurde er in die Justizvollzugsanstalt [X.] verlegt.

7

4. Mit Beschluss vom 16. Februar 2021 widerrief der Jugendrichter des [X.], an den die Sache von der Abteilung für allgemeine Strafsachen in der Zwischenzeit abgegeben worden war, die Aussetzung der [X.] gemäß § 26 Abs. 1 Nr. 1 [X.] aus dem Urteil des [X.] vom 30. März 2008. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten hob das [X.] mit Beschluss vom 10. März 2021 die Entscheidung des Amtsgerichts wegen sachlicher und örtlicher Unzuständigkeit auf.

8

5. Das [X.] – Strafvollstreckungskammer [X.] erklärte sich mit Beschluss vom 21. Juli 2021 wegen der ausstehenden Entscheidung über den [X.] für örtlich unzuständig, weil es erst im Mai 2021 mit der Sache „befasst“ gewesen sei; zu diesem Zeitpunkt habe sich der Verurteilte bereits in der Justizvollzugsanstalt [X.] befunden. Am 8. August 2021 erklärte sich das Landgericht [X.] im [X.] ebenfalls für örtlich unzuständig und verwies darauf, dass zum Zeitpunkt des Eingangs der Widerrufsgründe in die Akten das [X.] – Strafvollstreckungskammer [X.] zuständig gewesen sei. Es hat daher dem [X.] das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

II.

9

1. Der [X.] ist gemäß § 14 [X.] als gemeinschaftliches oberstes Gericht der [X.] (Oberlandesgerichtsbezirk [X.]) und [X.] ([X.]) zur Entscheidung des Zuständigkeitsstreits berufen.

2. Für die Entscheidung über den Widerruf der Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung der Rest[X.]endstrafe aus dem Urteil des [X.] vom 31. März 2008 ist gemäß § 462a Abs. 1 Satz 1 [X.] i.V.m. § 453 [X.] das [X.] – Außenstelle Strafvollstreckungskammer [X.] zuständig. Sie war bereits vor der Verlegung des Verurteilten in die Justizvollzugsanstalt [X.] mit der Frage des Widerrufs der Strafaussetzung zur Bewährung befasst im Sinne des § 462a Abs. 1 Satz 1 [X.], ohne dass ihre einmal begründete Zuständigkeit entfallen war.

Der [X.] hat in seiner Antragsschrift vom 3. März 2022 u.a. ausgeführt:

„Für die Beantwortung der - hier streitigen - Frage, welche Strafvollstreckungskammer für die beantragte Widerrufsentscheidung örtlich zuständig ist, ist von dem Grundsatz auszugehen, dass für anstehende Entscheidungen die Strafvollstreckungskammer zuständig ist, in deren Bezirk die Justizvollzugsanstalt liegt, in der sich der Verurteilte befindet oder zuletzt befand ([X.], 9. Aufl. 2023, § 462a Rn. 14 ff.). Diese Regelung der örtlichen Zuständigkeit wird durch § 462a Abs. 1 Satz 1 [X.] dahingehend präzisiert, dass insofern auf den Zeitpunkt abzustellen ist, zu dem eine erstmalige Befassung mit der konkreten Angelegenheit - hier dem Widerruf der Bewährung - gegeben war ([X.], Beschluss vom 11. Juli 2012 – 2 [X.], juris mwN; [X.], 9. Aufl. 2023, § 462a Rn. 16). Eine mit der ersten Befassung in einer Sache begründete örtliche Zuständigkeit wird, soweit es diese konkrete Sache anbelangt, durch eine Verlegung des Verurteilten in eine in einem anderen Landgerichtsbezirk befindliche Justizvollzugsanstalt beziehungsweise durch eine neuerliche Aufnahme eines Verurteilten in den Strafvollzug nicht berührt (vgl. [X.], aaO; [X.] in [X.]/[X.], [X.], 65. Aufl. 2022, § 462a Rn. 13, jeweils mwN).

Vor diesem Hintergrund ist die Strafvollstreckungskammer [X.] des [X.] für die Entscheidung über den Widerruf der durch Beschluss des [X.] vom 30. Januar 2020 gemäß §§ 38 Abs. 1 Satz 1, 36 Abs. 1 Satz 3 BtMG gewährten [X.] zur Bewährung örtlich zuständig. Denn die Strafvollstreckungskammer war mit dieser Sache bereits befasst, bevor der Verurteilte zur Verbüßung neuerlicher Strafhaft, zunächst in die im selben Landgerichtsbezirk liegende Justizvollzugsanstalt [X.] und anschließend in die Justizvollzugsanstalt [X.] aufgenommen wurde. Eine Befassung im Sinne des § 462a Abs. 1 Satz 1 [X.] liegt nicht erst dann vor, wenn die betreffende Strafvollstreckungskammer tatsächlich tätig wird, sondern bereits dann, wenn Tatsachen aktenkundig werden, die eine Entscheidung – hier einen Widerruf – unter Umständen erforderlich machen, unabhängig davon, ob sich die Verfahrensakten zu diesem Zeitpunkt bei der Strafvollstreckungskammer befinden (vgl. [X.], aaO; [X.], 9. Aufl. 2023, § 462a Rn. 17 jeweils mwN). Solche Tatsachen wurden bereits (weit) vor Beginn der neuerlichen Strafhaft des Verurteilten am 3. Dezember 2020 aktenkundig, also zu einem Zeitpunkt, als die Strafvollstreckungskammer [X.] des [X.] noch im Rahmen ihrer Fortwirkungszuständigkeit örtlich zuständig war. Zwar lässt sich dem angelegten [X.] nicht entnehmen, wann das Schreiben der Bewährungshilfe von 23. Juni 2020 und der [X.] [X.] beim [X.] eingegangen waren. Wie sich jedoch aus dem Schreiben des Amtsgerichts vom 2. September 2020 ergibt, muss das spätestens zu diesem Zeitpunkt der Fall gewesen sein, weil darin mitgeteilt wird, dass eine Entscheidung über den Widerrufsantrag erst nach Abschluss des landgerichtlichen Strafverfahrens erfolgen soll.

Unerheblich ist, dass die Strafvollstreckungskammer die Bewährungsaufsicht tatsächlich nicht führte, sondern diese rechtsfehlerhaft vom [X.] wahrgenommen wurde. Entscheidend ist allein, dass die Strafvollstreckungskammer des [X.] zu diesem Zeitpunkt für Entscheidungen im Sinne des § 453 Abs. 1 [X.] zuständig war ([X.], aaO, mwN). Anders als das [X.] in seinem Beschluss vom 21. Juli 2021 meint, handelte es sich bei dem [X.] auch nicht um irgendein „offensichtlich“ unzuständiges Amtsgericht, sondern um das seinerzeit für [X.]     zuständige Wohnsitzgericht des Verurteilten. Die Frage, ob es ausreicht, dass der [X.] bei irgendeinem anderen Gericht eingeht, oder ob zumindest eine Zuständigkeit möglich sein kann, bedarf hier daher keiner Entscheidung (vgl. dazu [X.], 9. Aufl. 2023, § 462a Rn. 19 mwN).“

Dem schließt sich der Senat an.

Ergänzend bemerkt der Senat, dass die örtliche Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer [X.] des [X.], die mit Eintritt der Rechtskraft des Urteils des [X.] vom 20. Dezember 2016 am 12. April 2017 begründet worden war (vgl. Senat, Beschluss vom 4. August 1999 – 2 [X.]), nicht entfallen ist, weil die Vollstreckung der in Rede stehenden Jugendstrafe nicht erledigt war. Im September 2017 widerrief zunächst die Strafvollstreckungskammer [X.] die am 16. Dezember 2011 erfolgte Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung. Nach vorangegangener Strafzurückstellung gemäß § 35 Abs. 1 BtMG setzte das [X.] als Gericht des ersten [X.] am 30. Januar 2020 die Vollstreckung der Rest[X.]endstrafe nach §§ 38 Abs. 1 Satz 1, 36 Abs. 1 Satz 3 BtMG zur Bewährung aus. Dessen Sonderzuständigkeit endete mit der Entscheidung über die Strafaussetzung und den Nebenentscheidungen. Für die Bewährungsüberwachung (§ 453b [X.]) und die nachträglichen Entscheidungen einschließlich eines Widerrufs verblieb es bei der einmal begründeten örtlichen Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer [X.] des [X.]. Denn nach der gesetzgeberischen Konzeption, derzufolge § 36 Abs. 5 Satz 1 BtMG nur auf Entscheidungen nach § 36 Abs. 1 bis Abs. 3 BtMG Bezug nimmt, nicht aber auf dessen Abs. 4, verbleibt es bei den allgemeinen Zuständigkeiten nach § 462a Abs. 1 [X.] (vgl. KK-[X.]/Appl, 9. Aufl., § 462a Rn. 4; [X.] BtMG/Bohnen, [X.]., § 36 Rn. 126).

[X.]     

      

Appl     

      

Krehl 

      

Meyberg     

      

Schmidt     

      

Meta

2 ARs 487/22

16.03.2023

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: ARs

§ 14 StPO, § 453 Abs 1 StPO, § 453b StPO, § 454 StPO, § 462a Abs 1 S 1 StPO, § 462a Abs 4 StPO, § 36 Abs 1 S 3 BtMG, § 36 Abs 2 BtMG, § 36 Abs 3 BtMG, § 36 Abs 5 S 1 BtMG, § 38 Abs 1 S 1 BtMG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.03.2023, Az. 2 ARs 487/22 (REWIS RS 2023, 2104)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 2104

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