Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 15.10.2014, Az. 1 BvR 3210/10

1. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2014, 2157

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Stattgebender Kammerbeschluss: Verletzung von Art 6 Abs 1 S 1 GG und Art 6 Abs 2 GG durch Entfallen der durch eine Vaterschaftsanerkennung begründete Staatsangehörigkeit des Kindes aufgrund einer erfolgreichen Behördenanfechtung nach § 1600 Abs 1 Nr 5 BGB - Gegenstandswertfestsetzung


Tenor

1. Die Beschlüsse des Amtsgerichts [X.] vom 1. Juli 2010 - 42 F 279/09 - und des [X.] vom 16. November 2010 - 18 UF 159/10 - verletzen die Beschwerdeführerin zu 2) in ihrem Grundrecht aus Artikel 16 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes und die Beschwerdeführerin zu 1) in ihrem Grundrecht aus Artikel 6 Absatz 2 des Grundgesetzes. Die Beschlüsse werden aufgehoben, die Sache wird an das Amtsgericht [X.] zurückverwiesen.

2. Das [X.] hat den Beschwerdeführerinnen ihre notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.

3. Der Gegenstandswert für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.

Gründe

1

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wenden sich die Beschwerdeführerinnen gegen Entscheidungen, die das Nichtbestehen der Vaterschaft nach einem Vaterschaftsanfechtungsverfahren nach § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB feststellen.

2

1. Die Beschwerdeführerin zu 1) stammt aus dem heutigen [X.] und ist die Mutter der im September 2001 geborenen Beschwerdeführerin zu 2). Im September 2005 erkannte [X.] mit Zustimmung der Beschwerdeführerin zu 1) die Vaterschaft für die Beschwerdeführerin zu 2) an. Im Dezember 2009 reichte die anfechtungsberechtigte Behörde eine Vaterschaftsanfechtungsklage nach § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB gegen die Beschwerdeführerin zu 2) und deren rechtlichen Vater ein. Das [X.] stellte mit Beschluss vom 1. Juli 2010 fest, dass der bisherige rechtliche Vater nicht der Vater der Beschwerdeführerin zu 2) ist. Die dagegen eingelegte Beschwerde wies das [X.] mit Beschluss vom 16. November 2010 zurück.

3

2. Mit der Verfassungsbeschwerde wird unter anderem eine Verletzung von Art. 6 und Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG gerügt.

4

3. Die Landesregierung [X.], die anfechtungsberechtigte Behörde, das Jugendamt und der bisherige rechtliche Vater hatten Gelegenheit zur Äußerung. Die Akten des Ausgangsverfahrens lagen der Kammer vor.

5

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführerinnen angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.]). Die Verfassungsbeschwerde ist mit Blick auf die für den vorliegenden Fall maßgeblichen und durch das [X.] bereits hinreichend geklärten Fragen offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 [X.]).

6

Die angegriffenen Entscheidungen greifen in Grundrechte der Beschwerdeführerinnen ein. Da das [X.] in seinem Beschluss vom 17. Dezember 2013 - 1 BvL 6/10 - festgestellt hat, dass § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB verfassungswidrig und nichtig ist, fehlt es für diese Eingriffe an einer gesetzlichen Grundlage.

7

Die angegriffenen Entscheidungen waren nach § 95 Abs. 2 [X.] aufzuheben. Folglich hat das Amtsgericht über den Antrag auf Feststellung des Nichtbestehens der Vaterschaft - sofern dieser aufrechterhalten wird - erneut zu entscheiden.

8

Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 [X.]. Grundlage der Festsetzung des Gegenstandswerts für das Verfassungsbeschwerdeverfahren ist § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. [X.] 79, 365 <366 ff.>).

Meta

1 BvR 3210/10

15.10.2014

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 1. Kammer

Stattgebender Kammerbeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend OLG Karlsruhe, 16. November 2010, Az: 18 UF 159/10, Beschluss

Art 6 Abs 2 GG, Art 16 Abs 1 S 1 GG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, § 1600 Abs 1 Nr 5 BGB vom 13.03.2008

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 15.10.2014, Az. 1 BvR 3210/10 (REWIS RS 2014, 2157)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 2157

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