Bundessozialgericht, Beschluss vom 26.05.2020, Az. B 2 U 214/19 B

2. Senat | REWIS RS 2020, 2503

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Gegenstand

(Sozialgerichtliches Verfahren - zulässige und begründete Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - Verletzung der tatrichterlichen Aufklärungspflicht gem § 103 SGG - Nichtfolgen eines Beweisantrags - ohne hinreichende Begründung - objektive Sicht - Erforderlichkeit: weitere Sachaufklärung)


Tenor

Auf die Beschwerde des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 6. November 2019 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger am [X.] einen Arbeitsunfall erlitten hat.

2

Der Kläger war von Mai 2008 bis April 2011 als professioneller Eishockeyspieler bei der [X.] in K. beschäftigt. 2016 zeigte er gegenüber der Beklagten an, dass er am [X.] beim Krafttraining in seiner [X.] Heimat einen Unfall erlitten habe, als er mit dem rechten Arm gegen eine Eisenstange geprallt sei und sich eine Muskelverletzung zugezogen habe. Die Beklagte lehnte die Feststellung eines Arbeitsunfalls mit der Begründung ab, dass der Kläger zum [X.]punkt des Unfalls nicht versichert gewesen sei. Aufgrund des Fehlens eines schriftlichen Trainingsplans mit Angaben zu Art, Umfang und Dauer der einzelnen Übungen und Trainingseinheiten sowie angesichts der fehlenden Überwachung der sportlichen Aktivitäten bestehe kein innerer Zusammenhang zwischen der unfallbringenden Verrichtung und der versicherten Tätigkeit (Bescheid vom [X.], Widerspruchsbescheid vom [X.]). Das [X.] hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom [X.]). Das L[X.] hat die Berufung des [X.] zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen (Urteil vom 6.11.2019). Zwar habe der Kläger zum [X.]punkt des Unfalls zum versicherten Personenkreis der Beschäftigten gehört (§ 2 Abs 1 [X.] 1 [X.]B VII), jedoch habe er keine konkrete Rechtspflicht gehabt, das Krafttraining zu einer bestimmten [X.] an einem bestimmten Ort in einem bestimmten Umfang und mit einem vorgegebenen Inhalt als Gegenleistung für das gezahlte Gehalt auszuführen. Würde man den inneren Zusammenhang unabhängig von einer solchen konkreten Rechtspflicht bejahen, drohe die uferlose Ausweitung des Versicherungsschutzes außerhalb der Einflusssphäre der die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung aufbringenden Unternehmer. Es lasse sich nur feststellen, dass dem Kläger mündlich als Trainingsziel vorgegeben worden sei, sich nach der Sommerpause in einem körperlichen Zustand zurückzumelden, der ein Bestehen der Leistungstests erlaube. Eine den Kläger verpflichtende konkrete Anweisung habe jedoch schon nach seinem eigenen Vortrag nicht bestanden. Der in der mündlichen Verhandlung gestellte Beweisantrag, den ehemaligen Sportchef sowie den ehemaligen Mannschaftsarzt unter anderem zu der Frage, "War den ausländischen Spielern und dem Kläger das '[X.]' (Sommertraining) allgemein bekannt bzw. mündlich oder schriftlich vorgegeben?", als Zeugen zu vernehmen, beinhalte einen unzulässigen Ausforschungsbeweis zu Tatsachen, die vom Kläger selbst nicht behauptet worden seien.

3

Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Kläger die Verletzung der tatrichterlichen Aufklärungspflicht des § 103 [X.]G.

4

II. Die Beschwerde des [X.] gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des L[X.] ist zulässig (1.) und begründet (2.).

5

1. Nach § 160 Abs 2 [X.] 3 Halbsatz 1 [X.]G ist die Revision gegen eine Entscheidung des L[X.] zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Wird der Verfahrensmangel auf eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 103 [X.]G) gestützt, muss "er sich auf einen Beweisantrag beziehen, dem des L[X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist". Um den Verfahrensmangel ordnungsgemäß zu bezeichnen (§ 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G), muss die Beschwerdebegründung (a) einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, prozessordnungsgemäßen Beweisantrag bezeichnen, (b) die Rechtsauffassung des L[X.] wiedergeben, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (c) die Tatumstände darlegen, die den Beweisantrag betreffen und weitere Sachaufklärung erfordert hätten, (d) das voraussichtliche Ergebnis der unterbliebenen Beweisaufnahme angeben und (e) schildern, dass und warum die Entscheidung des L[X.] auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das L[X.] also von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem für den Kläger günstigeren Ergebnis hätte gelangen können, wenn es das behauptete Ergebnis der unterlassenen Beweisaufnahme gekannt hätte (B[X.] [X.] 4-1500 § 160a [X.] 3 Rd[X.] 5 mwN und [X.] 21 Rd[X.] 5). Diesen Erfordernissen wird die Beschwerdebegründung gerecht.

6

2. Die formgerecht gerügte Verletzung der tatrichterlichen Sachaufklärungspflicht des § 103 [X.]G liegt auch vor. Dem protokollierten und damit bis zuletzt aufrechterhaltenen Beweisantrag des [X.], den ehemaligen Sportchef sowie den ehemaligen Mannschaftsarzt zu der Frage zu vernehmen, ob ihm das [X.] vorgegeben war, ist das L[X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt.

7

Es ist dabei unerheblich, ob das L[X.] die Ablehnung des Beweisantrags aus seiner Sicht hinreichend begründet hat, sondern es kommt allein darauf an, ob das Gericht objektiv gehalten gewesen ist, den Sachverhalt zu dem von dem betreffenden Beweisantrag erfassten Punkt weiter aufzuklären, ob es sich also zur beantragten Beweiserhebung hätte gedrängt fühlen müssen (stRspr seit B[X.] Beschluss vom 31.7.1975 - 5 BJ 28/75 - [X.] 1500 § 160 [X.] 5; zuletzt [X.]sbeschlüsse vom [X.] - B 2 U 122/19 B - juris Rd[X.] 6 und vom 31.8.2017 - [X.] U 76/17 B - juris Rd[X.] 4 sowie vom 30.3.2017 - [X.] U 181/16 B - juris Rd[X.] 7). Soweit der Sachverhalt nicht hinreichend geklärt ist, muss das Gericht von allen Ermittlungsmöglichkeiten, die vernünftigerweise zur Verfügung stehen, Gebrauch machen ([X.]sbeschlüsse aaO und B[X.] Beschluss vom [X.] - B 5 R 48/08 B - juris Rd[X.] 8), insbesondere bevor es eine Beweislastentscheidung trifft. Einen Beweisantrag darf es nur dann ablehnen, wenn es aus seiner rechtlichen Sicht auf die ungeklärte Tatsache nicht ankommt, wenn diese Tatsache (zugunsten des Beweisführenden) als wahr unterstellt werden kann, wenn das Beweismittel unzulässig, völlig ungeeignet oder unerreichbar ist, wenn die behauptete Tatsache oder der Fehler bereits erwiesen oder wenn die Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist (vgl [X.]sbeschlüsse aaO sowie B[X.] Beschlüsse vom [X.] - B 8 KN 16/05 B - [X.] 4-1500 § 160 [X.] 12 Rd[X.] 10; vom 27.11.2007 - [X.]/5 R 406/06 B - juris Rd[X.] 8; vom 20.10.2010 - [X.] R 511/09 B - juris Rd[X.] 14; vom 7.4.2011 - [X.] [X.]/10 B - juris Rd[X.] 4 und vom 24.4.2014 - [X.] R 325/13 B - juris Rd[X.] 13).

8

Ausgehend von seiner eigenen Rechtsauffassung hätte sich das L[X.] aus objektiver Sicht gedrängt fühlen müssen, den Beweisanträgen des [X.] zu folgen, den ehemaligen Sportchef sowie den ehemaligen Mannschaftsarzt als Zeugen dazu zu hören, ob ihm das [X.] zB in Form eines Trainingsplans vorgegeben war, dh ob ihm seine Arbeitgeberin die Weisung erteilt hat, ein Krafttraining zu absolvieren und es ihm zugleich freigestellt hat, dies in der [X.] durchzuführen. Das L[X.] stützt seine Entscheidung maßgeblich auf den Umstand, dass den Kläger keine konkrete Rechtspflicht getroffen habe, das Training zu einer bestimmten [X.] an einem bestimmten Ort in einem bestimmten Umfang und mit einem vorgegebenen Inhalt als Gegenleistung für das gezahlte Gehalt auszuführen und dass keine den Kläger verpflichtende konkrete Anweisung vorgelegen habe. Nach den eigenen Ausführungen des L[X.] im Tatbestand hatte der Kläger jedoch bereits im Widerspruchsverfahren vorgetragen, dass während der Sommerpause in seiner Heimat die vertragliche Verpflichtung bestanden habe, seine körperliche Fitness auf höchstem Niveau zu halten. Auch wenn der Verein keinen schriftlichen Trainingsplan vorgelegt habe, so seien die deutlich das Maß eines Hobbysportlers übersteigenden Trainingsziele klar vorgegeben gewesen. Daher durfte das L[X.] den Beweisantrag nicht als Ausforschungsbeweis "ins Blaue hinein", ablehnen, weil es damit in unzulässiger Weise das Gegenteil der vom Kläger unter Beweis gestellten Tatsache als bewiesen unterstellt hat (vgl [X.] in [X.]/[X.], [X.]G, 2014, § 160 Rd[X.] 84). Das L[X.] hätte sich vielmehr gedrängt fühlen müssen, dem Beweisantrag des [X.] zu der Tatsache, dass ihm von seinem Arbeitgeber das Training mündlich vorgegeben worden sei, zu entsprechen.

9

Es fehlen gerade Feststellungen zum Inhalt des Arbeitsvertrags und den daraus resultierenden Haupt- und Nebenpflichten des [X.], die die Arbeitgeberin kraft ihres Weisungsrechts (§ 106 Satz 1 GewO) selbst oder durch Dritte schriftlich und mündlich hätte konkretisieren können (§§ 315, 317 BGB). Insoweit wird das L[X.] insbesondere zu prüfen haben, ob das Krafttraining eine Betätigung war, die wegen eines unter Umständen mündlich vorgegebenen Trainingsplans als Konkretisierung der arbeitsvertraglichen Pflichten im Rahmen seines Beschäftigungsverhältnisses zwingend auszuführen war. Nur dann, wenn der Kläger im Urlaub von jeder Arbeitspflicht freigestellt oder sonst frei darin gewesen wäre, den Ort, die [X.] und die Sportart zu bestimmen, mit der er sich fit hält, würde dies gegen eine seiner versicherten Tätigkeit zuzurechnende Verrichtung sprechen, weil dann das Krafttraining nicht in einem vom Arbeitgeber fremdbestimmten Gefahrenbereich stattgefunden hätte (s B[X.] Urteil vom 13.11.2012 - [X.] U 27/11 R - [X.] 4-2700 § 8 [X.] 45 Rd[X.] 40).

Bei dieser Sachlage ist in Übereinstimmung mit dem Vorbringen des [X.] nicht auszuschließen, dass die beantragte Zeugenvernehmung den Vollbeweis von Tatsachen erbracht hätte, die die Zurechnung des unfallbringenden Krafttrainings zur versicherten Tätigkeit des [X.] als Eishockeyspieler begründen hätten können.

Die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 [X.] 3 [X.]G liegen somit vor. Der [X.] hebt gemäß § 160a Abs 5 [X.]G die angefochtene Berufungsentscheidung auf und verweist die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das L[X.] zurück.

Das L[X.] wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 2 U 214/19 B

26.05.2020

Bundessozialgericht 2. Senat

Beschluss

Sachgebiet: U

vorgehend SG Hamburg, 3. Januar 2019, Az: S 40 U 170/17

§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 103 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 26.05.2020, Az. B 2 U 214/19 B (REWIS RS 2020, 2503)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2503

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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