Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.12.2016, Az. X ZR 84/14

X. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 426

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

[X.]:[X.]:[X.]:2016:201216UXZR84.14.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF
IM NAMEN [X.]S VOLKES
URTEIL
X ZR
84/14
Verkündet am:
20. Dezember 2016
Hartmann
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache

-
2
-
Der X.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 20. Dezember 2016 durch [X.], die Richter [X.] und [X.] sowie die Richterinnen Schuster und Dr. Kober-Dehm
für
Recht erkannt:
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des 4. Senats
([X.]) des [X.] vom 8. April 2014 aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Berufung, an das [X.].
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Beklagte ist Inhaber des am 2. April 1998 unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 3. April 1997 angemeldeten und mit Wirkung für die [X.] erteilten [X.] Patents 971
754 (Streitpatents), das eine Fettabsaugvorrichtung betrifft. Patentanspruch
1, auf den sich acht weitere Patentansprüche zurückbeziehen, lautet in der
erteilten Fassung in
der Verfahrenssprache:
Appareil de lipo-aspiration comprenant une canule
d'aspiration (3) agencée pour aspirer de la graisse
sous-cutanée par un orifice (14) d'entrée, la canule
ayant un axe longitudinal (16) et étant montée sur
un organe [X.] (10, 11) logé dans un boîtier (2),
ledit organe d'entraînement
ayant 1
-
3
-
une entrée pourvue pour y connecter une
source d'énergie
et agencée
pour produire un mouvement et le transmettre à ladite canule et le mouvement de la canule comprenant un composant de
translation suivant [X.], ca-ractérisé
en
ce que le mouvement de la canule est un mouvement de nutation comprenant un composant de vibration
perpendiculaire à
[X.] et le
composant de translation suivant [X.],
le composant de translation ayant une amplitude
entre 2 mm et 1 cm, et un espace (18) étant prévu
entre la canule (3) et le boîtier (2), [X.] étant
suffisamment dimensionné
de fa-çon à
permettre au
composant de vibration de provoquer la dislocation
de la graisse.
Die Klägerinnen haben geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpa-tents
sei gegenüber den ursprünglich eingereichten Unterlagen unzulässig er-weitert, er sei ferner weder
ausführbar offenbart noch patentfähig.
Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt
([X.], [X.], 484). Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten, mit der er das Streitpatent in der erteilten Fassung und hilfsweise in der Fassung von fünf bereits in erster
Instanz gestellten Hilfsanträgen verteidigt. Die [X.] dem Rechtsmittel entgegen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung hat Erfolg und führt zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Patentgericht.
I.
Das Streitpatent betrifft eine Fettabsaugvorrichtung.
1.
Nach der Patentbeschreibung ist die Technik der Fettabsaugung als solche bekannt. Eine [X.] werde, so wird erläutert,
unter die Haut des Patienten eingeführt und bis zu der Zone hineingestoßen, wo das Fett mittels in 2
3
4
5
6
-
4
-
der Kanüle erzeugten Unterdrucks abgesaugt werden solle. Die Fettabsaugung erfordere hierbei eine wiederholte Vor-
und Zurückbewegung der Kanüle.
Zur Unterstützung des Anwenders seien Vorrichtungen entworfen worden, die mit einem mechanischen Antriebselement versehen seien, um eine Bewegung zu erzeugen und an die Kanüle zu übertragen.
In Vorrichtungen, die
in den [X.] Patentschriften
5
348
535 oder 5
352
194 ([X.]) beschrieben
seien, werde
eine Translationsbewegung
genutzt. Zur Führung der Bewegung gleite bei der Vorrichtung nach jener Schrift
die [X.] als innere Kanüle in einer als [X.] dienenden äußeren Kanüle. Dies sei mit der Gefahr eines Abschneidens von Gefäßen und Nerven durch die Bewegung der inneren gegenüber der äußeren Kanüle ("Guillotineneffekt")
verbunden. Bei der [X.] nach der [X.] wiederum werde eine Translationsbewegung der Kanüle mit einer Amplitude von mindestens 1 cm hervorgerufen. Der
dadurch bewirkte Ab-schabeffekt
sei
gefährlich, weil der Chirurg Gefahr laufe, die Grenzen des [X.] zu überschreiten und somit den Patienten zu verletzen.
Die
in der [X.] Patentanmeldung
2
691
624 gezeigte Fettabsaugvor-richtung, bei welcher das Antriebselement dazu eingerichtet sei, eine Vibrati-onsbewegung mit
Ultraschallfrequenz zu erzeugen, habe sich demgegenüber als wenig wirkungsvoll erwiesen
und könne zudem schwere Verbrennungen und Hautnekrosen verursachen.
2.
Vor diesem Hintergrund betrifft das
Streitpatent
das technische Prob-lem, eine Fettabsaugvorrichtung mit mechanischer Unterstützung bereitzustel-len, die eine möglichst gewebeschonende
wirkungsvolle Entfernung subkuta-nen Körperfetts ermöglicht.
3.
Zur Lösung schlägt das Streitpatent in Patentanspruch 1 eine [X.] vor, deren Merkmale sich wie folgt gliedern lassen (abweichende Glie-derung des Patentgerichts in eckigen Klammern):
7
8
-
5
-
1.
Die Fettabsaugvorrichtung umfasst [1]:
1.1
eine [X.]
mit einer Längsachse [1.2] zum [X.] von subkutanem Fett durch eine Eingangsöffnung [1.1] und
1.2
ein mechanisches Antriebselement,

1.2.1
das sich in einem Gehäuse (2) befindet [1.3],
1.2.2
das eine Öffnung zum [X.] einer Energie-quelle aufweist [1.4],
1.2.3
auf dem die Kanüle angebracht ist (étant montée sur) [1.3] und
1.2.4
das geeignet ist, eine Bewegung hervorzurufen und diese auf
die Kanüle zu übertragen [1.4].
2.
Die Bewegung der Kanüle ist eine Nutationsbewegung
(mou-vement de nutation)
[1.6], umfassend (comprenant)

2.1
einen [X.] (composant de vibration) senk-recht zur Achse der Kanüle [1.7]
und
2.2
einen [X.] (composant de translation) ent-lang der Achse der Kanüle [1.5; 1.8]
2.2.1
wobei der [X.] eine [X.] 2 mm und 1 cm aufweist [1.8.1].
3.
Es ist ein Zwischenraum (18) zwischen der Kanüle und dem Gehäuse vorgesehen [1.9], der
3.1
groß genug
ist, dass der
[X.]
die Ablösung des Fetts auslösen kann
[1.9.1].
4.
Mit diesen Merkmalen stellt sich für den Fachmann, den das Patent-gericht rechtsfehlerfrei als Ingenieur mit langjähriger Erfahrung in der [X.] angesehen hat, der patentgemäße Gegen-stand wie folgt dar:
a)
Die
patentgemäße Vorrichtung
ermöglicht die Absaugung von subku-tanem Fett. Eine [X.] (Merkmal 1.1 [1.1]) ist geeignet,
in das in der [X.] angeordnete Fettgewebe
vorzudringen, dort bewegt zu werden
und bei anliegendem Unterdruck einen Durchsatz des über die Eingangsöff-9
10
-
6
-
nung(en) eintretenden Fettes zu ermöglichen.
Eine solche
-
an sich bekannte
-
Kanüle hat vorzugsweise eine Länge von 5 bis 35
cm ([X.]. 6, [X.] 11-12) und ei-nen Durchmesser von 1,5 bis 6 mm ([X.]. 4, [X.] 43-46).
b)
Um eine wirksame und zugleich schonende Fettabsaugung mittels der Kanüle sicherzustellen, ist die erfindungsgemäße Fettabsaugvorrichtung dazu ausgestaltet, mittels des mechanischen [X.] an der Saugka-nüle eine Nutationsbewegung (Merkmal 2
[1.6]: "un mouvement de nutation") zu erzeugen.
aa)
Wie das Patentgericht zutreffend erkannt hat, erfordert die
"[X.]"
nicht notwendig eine
Kreiselbewegung,
sondern meint jede Be-wegung der Kanüle, die einen [X.] senkrecht zur Achse und einen [X.] entlang der Achse der Kanüle im Sinne der Merkmale 2.1 [1.7] und 2.2 [1.5; 1.8] umfasst ([X.]. 2, [X.] 35-39; [X.]. 5, [X.] 56 -
[X.]. 6 [X.] 2).

bb)
Der [X.] der Bewegung (Merkmal 2.1 [1.7]) erlaubt nach der Beschreibung des Streitpatents ([X.]. 2, [X.] 45-58; [X.]. 3, [X.] 5-6; [X.]. 6, [X.]
3439; [X.]. 6, [X.] 49-52) am freien
Ende der Kanüle in der
Behandlungszone
ein leichteres Eintreten des Fetts in die Kanüle und damit eine effektive Absau-gung, weil die auf das subkutane Fett übertragene Vibration zu dessen Ablö-sung führen und zur Herstellung einer echten Emulsion des Fettgewebes bei-tragen soll.
(1)
Zu der
für eine hinlängliche Vibration im Fettgewebe notwendigen
Schwingungsenergie sowie der am Kanülenende wirkenden
Kraft des [X.] verhält sich das Streitpatent nicht ausdrücklich.
Entsprechend legt sich
Patentanspruch 1
hinsichtlich des [X.] auch nicht auf einen
bestimmten Bereich der Amplitude
fest.
Allerdings entnimmt der Fachmann dem Anspruch
1 aus der Zusammenschau der Merkmale 2.1 [1.7] und 3.1 [1.9.1], bestätigt durch die Beschreibung (vgl. [X.]. 2, [X.] 42-43; [X.]. 3, [X.] 5-6; [X.].
6, [X.] 34-39
und [X.]. 6, [X.] 49-52), dass der von der [X.] Absaug-11
12
13
14
-
7
-
vorrichtung zu realisierende [X.] der Nutationsbewegung nur ein solcher ist, der die Ablösung des Fetts bewirken kann.
Eine hierzu untaugliche,
lediglich
minimale Vibrationsbewegung senkrecht zur Achse der
Kanüle, die

hierauf weisen die Klägerinnen zutreffend hin
-
bei einer sich translatorisch bewegenden Kanüle ohnehin nicht vollständig vermeidbar ist,
wird -
entgegen der Auffassung des Patentgerichts, das in seinem Hinweis nach §
83 [X.] ge-meint hat, jede "minimale Querbewegung"
genüge -
vom Patentanspruch [X.] nicht als [X.] gemäß Merkmal 2.1 [1.7] erfasst.
(2)
Die konkrete Bemessung
des
für eine Fettablösung hinreichenden [X.]
bei der Konstruktion einer [X.] [X.] stellt das Streitpatent ins fachmännische Können. In der Beschreibung [X.] bevorzugten Ausführungsform wird insoweit die Amplitude des [X.] am Ende der Kanüle in einer Größenordnung von 1 cm oder darunter, beispielsweise von 3 bis 5 mm vorgeschlagen
([X.].
6, [X.] 15; [X.]. 6, [X.] 23-25).
cc)
Der [X.] der Bewegung (Merkmal 2.2 [1.5; 1.8])
erfüllt nach der Patentbeschreibung zwei Funktionen. Einerseits bedingt und verstärkt er den [X.] bei der Fettabsaugung selbst (vgl. [X.]. 2, [X.] 50-52; [X.].
5, [X.] 55-56; [X.]. 6, [X.] 30-33; [X.]. 9, [X.] 2-8); die Frequenz
des [X.]s wirkt so als Erregerfrequenz des [X.]. Andererseits unterstützt der
[X.]
die vom Chirurgen bei der Fettabsaugung angewendete Be-wegung und erlaubt
so
ein leichtes und sanftes Eindringen und Vorschieben der Kanüle unter der Haut des Patienten ([X.]. 2, [X.] 52-55; [X.]. 6, [X.]
39-42).
dd)
Damit das subkutane Fett leicht bis zur Grenze seiner Ausdehnung abgesaugt werden kann und gleichzeitig die Gefahr minimiert ist, die [X.] zu überschreiten, wodurch Verletzungen der Gefäße und Nerven
des Patienten maximal begrenzt werden können
([X.]. 2,
[X.] 55 -
[X.]. 3, [X.] 1; [X.]. 6, [X.]
2-4), gibt der Patentanspruch 1 eine Amplitude des [X.]s zwi-schen 2 mm und 1 cm vor (Merkmal 2.2.1 [1.8.1]).
15
16
17
-
8
-
c)
Neben den beiden miteinander verbundenen und zusammenwirken-den Funktionsbestandteilen [X.] (Merkmal 1.1 [1.1]) und mechanisches Antriebselement (Merkmal 1.2 [1.4]) gibt der Streitpatentanspruch 1 als weiteres notwendiges Bauteil der erfindungsgemäßen Vorrichtung ein
Gehäuse vor,
das gleichzeitig den Griff der Fettabsaugvorrichtung bilden kann.
In seinem Inneren ist das Antriebselement angeordnet, auf dem wiederum die Kanüle angebracht ist (Merkmale 1.2.1 und 1.2.3 [1.3]; [X.]. 2, [X.] 33-34; [X.]. 3, [X.]
31-33; [X.].
4, [X.]
39-42).
d)
Zur räumlich-relativen Anordnung der [X.] gegenüber dem Gehäuse trifft Patentanspruch 1 ausdrücklich nur in Merkmal 3 [1.9] insofern eine Aussage, als ein Zwischenraum zwischen Kanüle und Gehäuse vorzuse-hen ist. Das Streitpatent verdeutlicht diesen Zwischenraum bei einem Ausfüh-rungsbeispiel in Figur
4 als eine weite Durchgangsöffnung
mit dem Bezugszei-chen 18:

Nach Merkmal 3.1 [1.9.1] ist der Zwischenraum jedenfalls so vorzuse-hen, dass der
[X.] der Nutationsbewegung am freien Ende der Ka-nüle eine Ablösung des Fetts ermöglicht. Der
hier hervorgehobene Bezie-hungszusammenhang zwischen der Anordnung der [X.] gegenüber dem Gehäuse und der durch den [X.] herbeizuführenden Wirkung bei der Fettabsaugung gibt dem Fachmann an, bei der Konstruktion einer pa-tentgemäßen Fettabsaugvorrichtung eine
wirkungsbeeinträchtigende
Behinde-rung der Nutationsbewegung der Kanüle infolge einer Dämpfung des [X.] durch das Gehäuse zu vermeiden.
Insofern "erlaubt"
der Zwischen-raum zwischen [X.]
und Gehäuse den [X.]
nach Merkmal 18
19
20
-
9
-
2.1 [1.7]
und
damit die Nutationsbewegung als solche und deren fettablösende Wirkung ([X.]. 2, [X.] 39-43; [X.]. 6, [X.] 26-29; [X.]. 9, [X.] 8-10).
Wie ein für die Fettablösung hinreichender [X.] (Merkmal 2.1 [1.7])
überhaupt erzielt werden kann, bestimmt
sich demgegenüber nach der
spezifischen
Ausgestaltung der Funktionsbestandteile [X.] und An-triebselement
(Merkmale 1.1 [1.1;
1.2], 1.3 [1.3] und 1.2 [1.4]).
Der Fachmann wird hierbei berücksichtigen, dass die Amplitude des [X.] funktional abhängig ist von der Frequenz des vibrationserregenden [X.]s (vgl. [X.]. 2, [X.] 50-52)
und sich proportional zur Länge der verwendeten Kanüle verhält ([X.].
6, [X.] 8-11). Entsprechend benennt das Streitpatent für eine Vibrati-onsamplitude von ca. 1 cm eine Frequenz der Translationsbewegung von 15 Hz und eine Länge der Kanüle von 25 cm ([X.]. 6,
[X.]
13-16).
II.
Das Patentgericht hat seine Entscheidung
im Wesentlichen wie folgt begründet:
Der Gegenstand des Streitpatents sei gegenüber dem Inhalt der Anmel-dung unzulässig erweitert. Nach Merkmal 3.1 [1.9.1] des erteilten Anspruchs 1 werde der Zwischenraum in einen
Wirkzusammenhang mit dem [X.] und der Ablösung des Fettes als Leistungserfolg gesetzt. Für einen solchen Wirkzusammenhang fehle in den Anmeldeunterlagen jeglicher Hinweis. Die [X.] der Anmeldung gehe ausschließlich ausführlich auf die Bedeutung des [X.]s und der zu wählenden Amplitude des [X.] am Ende der Kanüle für eine wirksame und schonende Fettabsaugung ein.
Nach der ursprünglichen [X.] könne der Zwischenraum für den Vibrati-onsanteil völlig unberücksichtigt bleiben. Der für die Nutationsbewegung maß-gebliche [X.] am
Ende der Kanüle ergebe sich ohne Rücksicht auf den Zwischenraum ausschließlich oder im Wesentlichen aus den weiteren Be-dingungen, wie Art und Länge der Kanüle.
21
22
23
-
10
-
Die unzulässige Erweiterung führe zwingend zur Nichtigerklärung nach Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 [X.] Insoweit könne dahinstehen, ob das [X.] 3.1 [1.9.1] die ursprünglich offenbarte technische Lehre nur konkretisiere und damit einschränke, wofür vieles spreche, oder ob es einen anderen techni-schen Aspekt anspreche, welcher die ursprüngliche Lehre zu einer anderen technischen Lehre mache. Denn anders als beim nationalen Patent bestehe angesichts der Regelung des Art.
123 Abs. 2 und Abs. 3 EPÜ keine Möglichkeit zur einschränkenden Auslegung des [X.] nach Art.
138 Abs.
1 Buchst.
c EPÜ i.V.m. Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 [X.]
unter Ausklammerung der "uneigentlichen Erweiterung".
III.
Diese Beurteilung hält der Überprüfung im
Berufungsverfahren nicht stand.
Auf die -
nach Erlass des angefochtenen Urteils vom Senat bejahte
([X.], Urteil vom 17. Februar 2015 -
X [X.], [X.]Z 204, 199 -
Wundbe-handlungsvorrichtung) -
Möglichkeit, bei einer unzulässigen Erweiterung der vom Patentgericht angenommenen Art unter bestimmten Voraussetzungen von einer Nichtigerklärung abzusehen, kommt es nicht an, denn entgegen der Auf-fassung des Patentgerichts ist
der Gegenstand des Streitpatents den ursprüng-lich eingereichten Unterlagen unmittelbar und eindeutig zu entnehmen.
1.
Anders als die Klägerinnen meinen, lehren die ursprünglich einge-reichten Unterlagen, dass der [X.] nach der Erfindung nur ein sol-cher ist, der die Ablösung des Fetts in der subkutanen Gewebeschicht bewirken kann
(Merkmal 2.1 [1.7] i.V.m. Merkmal 3.1
[1.9.1]).
Die Anmeldung weist -
in Übereinstimmung mit der Beschreibung des Streitpatents -
gerade als Kennzeichen der Erfindung die
Nutationsbewegung der Kanüle aus, deren "Nutationskraft"
(force de nutation) zur Ablösung des Fetts und Herstellung einer echten Emulsion
beiträgt
(Merkmal 2; [X.], [X.] 7-11 und [X.]
24-27
der Veröffentlichung der Anmeldung [WO 98/44966]). In der ur-sprünglichen Beschreibung wird dem Fachmann dabei
verdeutlicht,
dass der [X.] der Nutationsbewegung die zur Ablösung und zum [X.] 24
25
26
27
-
11
-
erforderliche Vibration in das Fett hineinträgt
([X.], [X.] 13-17).
Zum Ausfüh-rungsbeispiel, in welchem die Bewegung der Kanüle einen [X.] mit einer Amplitude in der Größenordnung von 1 cm oder von 3 bis 5 mm aufweist (S. 8, [X.] 20-23 und [X.] 29-30), erläutert die [X.], dass die bei einem solchen [X.] direkt auf das Fett übertragene Vibration jenes "auflöst, ablöst oder zerplatzt und sozusagen schaumig schlägt"
(la fait dis-socier, disloquer ou éclater et la bat pour ainsi dire en mousse), wodurch das Fett leicht in die Kanülenöffnungen eintreten kann ([X.], [X.] 6-11). In der [X.] hat der Fachmann keinerlei Anhaltspunkt, dass die namentlich im Ausführungsbeispiel der Anmeldung offenbarte Erfindung als [X.] der Nutationsbewegung auch eine für die Fettablösung unzureichende Quer-bewegung der Kanüle zur Achse anspricht.
2.
Entgegen der patentgerichtlichen Würdigung zeigt das [X.] der [X.] auch den Beziehungszusammenhang zwi-schen der Anordnung der [X.] gegenüber dem Gehäuse und der durch den [X.] herbeizuführenden Wirkung bei der Fettabsaugung gemäß Merkmal 3.1 [1.9.1] des Streitpatents.
Auch insoweit übereinstimmend mit der Streitpatentschrift ([X.].
6, [X.]
2629) wird beschrieben
([X.], [X.] 1-3), dass der in Figur
4 als weites [X.] mit dem Bezugszeichen 18 dargestellte freie Raum zwischen der Kanüle und dem als Griff ausgestalteten Gehäuse vorgesehen ist, "um die Nu-tationsbewegung
zuzulassen"
(pour permettre le mouvement de nutation). Aus dem Gesamtzusammenhang des Ausführungsbeispiels wird dem
Fachmann unmittelbar deutlich, dass der gezeigte Zwischenraum dazu beiträgt, dass sich die durch das Antriebselement hervorgerufene Bewegung der Kanüle (Merkmal 1.2.2 [1.4])
ohne Behinderung durch das Gehäuse ausbreitet, so dass am freien Ende der Kanüle neben dem
[X.] auch der für
die Ablösung des Fetts wesentliche [X.] der Nutationsbewegung
(Merkmal 2.1 [1.7])
auftritt. Damit wird offenbart, dass die Bedeutung des Zwischenraums für die 28
29
-
12
-
Gewährleistung der Funktion des erfindungsgemäßen
[X.]
darin liegt, eine vom Gehäuse herrührenden Schwingungsdämpfung
zu vermeiden. Hierin erschöpft sich aber, wie ausgeführt,
der technische Sinngehalt des Merkmals 3.1 [1.9.1].
IV.
Das angefochtene Urteil
stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als
richtig dar (§ 119 Abs. 1 [X.]).
Die Lehre von Patentanspruch 1 ist
so deut-lich und vollständig offenbart,
dass ein Fachmann sie ausführen kann
(Art. II § 6 Nr. 2 [X.], Art. 138 Abs. 1 Buchst. b EPÜ).
1.
Die Klägerinnen machen geltend, es sei nicht offenbart,
wie eine zur Kanülenachse senkrechte Vibration erzeugt werde,
wie stark
die Vibration der Kanüle sein müsse, damit es zu einer Ablösung des Fetts komme,
und
wie festgestellt werden könne, wie der Zwischenraum gestaltet sein müsse, damit die Vibration die Ablösung des Fetts auslösen könne.
2.

Diese
Angriffe sind unbegründet.
a)
Das Klagevorbringen rechtfertigt
-
wie auch das Patentgericht in seinem Hinweis angenommen hat
-
nicht die Annahme, es werde vom Streitpa-tent nicht hinreichend offenbart, wie eine zur Kanülenachse senkrechte Vibrati-on erzeugt werden kann. Im ersten Ausführungsbeispiel gibt das Streitpatent für eine Vibrationsamplitude von ca. 1 cm vor, den [X.] der [X.] mit einer Frequenz von 15 Hz bereitzustellen (Merkmal 2.2 [1.5; 1.8] i.V.m. Merkmal 1.2.4
[1.4]) und eine Kanüle mit einer Länge von 25 cm zu ver-wenden (Merkmal 1.1 [1.1; 1.2]). Zur Erzeugung des [X.]s mit einer Frequenz von 15 Hz kann nach der Beschreibung dieses Beispiels ([X.]. 5, [X.] 14-56) das Antriebselement als Zylinder mit einem Druckluftkolben ausge-führt werden, wodurch an der mit diesem verbundenen Kanüle eine entspre-chende Translationsbewegung
erzielt wird, die ihrerseits am Ende der Kanüle eine Vibrationswelle hervorruft ([X.]. 5, [X.]
55 f.). Die verwendete Frequenz wird in Abhängigkeit des für den Kolben verwendeten Materials gewählt. Dabei be-30
31
32
33
-
13
-
einflussen die Resonanzeigenschaften des gewählten Materials die Vibrations-welle ([X.]. 5, [X.] 48-50). Dass der Fachmann mit diesen technischen Informatio-nen nicht
in der Lage
wäre, einen hinreichenden [X.] nach Merkmal 2.1 [1.7] i.V.m. Merkmal 3.1 [1.9.1] zu erzeugen, zeigen die Klägerinnen nicht konkret auf.
Vielmehr gehen sie selbst davon aus, dass eine gewisse, durch die translatorische Bewegung ausgelöste Querkomponente ohnedies unvermeidlich ist. Dann war
es
dem Fachmann aber auch möglich, durch eine Reduzierung der Führung der Kanüle senkrecht zu ihrer Längsachse eine stärkere [X.] zu erlauben.
b)
Entsprechendes gilt für die Kritik, das Streitpatent erkläre nicht, wie stark
die Vibration der Kanüle sein müsse, damit es zu
einer Ablösung des Fetts komme. Zum [X.] nach Merkmal 2.1 [1.7] offenbart das Streit-patent im Ausführungsbeispiel ausdrücklich eine Amplitude am freien Ende der Kanüle, die in der Größenordnung von 1
cm
liegt und vorzugsweise zwischen

3 und
5 mm
beträgt. Mit diesen Angaben kann der Fachmann eine geeignete Stärke der Vibration durch übliche Orientierungsversuche ermitteln.
c)
Soweit die Klägerinnen schließlich eine ausführbare [X.] des Zwischenraums nach Merkmal 3 [1.9] i.V.m. Merkmal 3.1 [1.9.1] in Abrede stellen, kann auch dem nicht beigetreten werden. Ausgehend von der im Streit-patent vorgeschlagenen und zu erzielenden Vibrationsamplitude sind -
je nach der spezifischen Anbindung der Kanüle an das konkret im Gehäuse [X.] -
lediglich einfache trigonometrische Überlegungen [X.], um mit der [X.] und Kolbengeometrie den Zwischenraum so zu berechnen, dass vom Gehäuse keine wirkungsbeeinträchtigende Schwin-gungsdämpfung ausgeht, sondern dem [X.] die Ablösung des Fetts erlaubt wird.
V.
Die Sache ist nicht zur
Endentscheidung reif
(§ 119 Abs. 5 Satz 2 [X.]). Ohne weitere Sachaufklärung kann nicht festgestellt werden, ob der [X.] ist.
34
35
36
-
14
-
1.
Die in das
Verfahren eingeführten druckschriftlichen Entgegenhal-tungen enthalten
nach vorläufiger Einschätzung des Senats unter Berücksichti-gung der Ausführungen des Patentgerichts in seinem gerichtlichen Hinweis nach § 83 [X.] weder eine Anweisung noch eine Anregung zur Gestaltung [X.] Vorrichtung nach dem Streitpatent.
Weder ist
den
Entgegenhaltungen das Erfordernis einer
ausreichenden
Nutationsbewegung zur Ablösung des [X.] zu entnehmen, noch ist feststellbar, dass eines der bekannten Geräte eine derartige Wirkung erzielt hat. Ebenso wenig ist aufgezeigt, aus welchen [X.] der
Fachmann diesen Effekt hätte ableiten können. Bei der Bewertung
des druckschriftlichen Standes der Technik
([X.], Urteil vom 7.
Juli 2015

X
ZR 64/13, [X.], 1095 Rn. 39 Bitratenreduktion)
wird das Patentge-richt deshalb nachfolgende Überlegungen zu berücksichtigen haben:
Der [X.] 4
735
604 ([X.]) mag der Fachmann entnehmen, dass eine minimale seitliche Bewegung des rohrförmigen Elements nicht aus-geschlossen werden kann. Gleichzeitig gibt die [X.] aber vor, jegliche seitliche Vibration des axial vor-
und zurückschwingenden Elements zu vermeiden (vgl. [X.]. 4, [X.] 23-25). Eine für die Fettablösung hinreichende Querbewegung des schneidenden Endes, die dem streit[X.] [X.] [X.], wird nicht beschrieben.
Bei der
Liposuktionsvorrichtung
nach der [X.] überschreitet schon die Translationsbewegung der Kanüle die Amplitudenobergrenze von 1 cm ([X.] 2.2.1 [1.8.1]); in der Schrift wird
darüber hinaus die Bewegung der Kanüle als genau gesteuerte, axiale Vor-
und Zurückbewegung und nicht als senkrech-te Bewegung der Kanüle zu ihrer Achse beschrieben.
Ein gegenüber der [X.] weitergehender [X.]sgehalt ergibt sich weder aus der [X.] Patentanmeldung 2
744
369 (D5)
noch aus der [X.] 5
112
302
(D6)
und auch nicht aus der
-
nur für die Neuheits-prüfung
in Betracht zu ziehenden
-
internationalen
Patentanmeldung 98/40021
(D7).
Die [X.] 4
634
420
(D4) und
die veröffentlichte [X.] 37
38
39
40
-
15
-
Patentanmeldung 391
511
(D3) liefern
ebenfalls keine Anregung zu einer Aus-gestaltung der Vorrichtung, bei welcher die Kanülenbewegung neben dem [X.] am freien Ende einen [X.] umfasst, der eine Ab-lösung des Fetts bewirken kann.
2.
Das Patentgericht wird
sich daher
mit der Frage der als neuheits-schädlich geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzung des [X.] "[X.]"
zu befassen haben. Die erstmalige Prüfung dieser [X.] unter Aufklärung des Parteivortrags zur tatsächlichen Ausgestaltung und Wirkungsweise der Vorrichtung und der hierbei verwirklichten Merkmale des Streitpatents -
namentlich Merkmal 2.1 [1.7] i.V.m. 3.1 [1.9.1] und Merkmal 3 i.V.m. 1.2.3 und 1.2.1 [1.3]

die eine
Beweisaufnahme durch Einvernahme der benannten Zeugen und gegebenenfalls -
sachverständige Unterstützung erfor-dernde -
Feststellungen zur Wirkungsweise der nach den Behauptungen der

41
-
16
-

Klägerinnen mit der vorbenutzten übereinstimmenden, im Verletzungsprozess angegriffenen Vorrichtung in vivo notwendig machen wird, im Berufungsverfah-ren erscheint
nicht sachdienlich (§ 119 Abs. 5 Satz 1 [X.]).
Meier-Beck
Grabinski
Bacher

Schuster
Kober-Dehm
Vorinstanz:
[X.], Entscheidung vom 08.04.2014 -
4 Ni 34/12 (EP) -

Meta

X ZR 84/14

20.12.2016

Bundesgerichtshof X. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.12.2016, Az. X ZR 84/14 (REWIS RS 2016, 426)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 426

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

4 Ni 34/12 (EP) (Bundespatentgericht)

Patentnichtigkeitsklageverfahren – "Fettabsaugevorrichtung (europäisches Patent)" – Nichtigkeitsklage, die auf eine unzulässige Erweiterung des Inhalts der …


X ZR 12/09 (Bundesgerichtshof)


X ZR 17/17 (Bundesgerichtshof)

Patentnichtigkeitssache: Wirkung der Erklärung einer eingeschränkten Verteidigung


X ZR 44/16 (Bundesgerichtshof)

(Bestimmung des technischen Problems in einem Nichtigkeitsverfahren)


X ZR 114/15 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

X ZR 161/12

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.