Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13.12.2023, Az. 5 AZR 307/22

5. Senat | REWIS RS 2023, 9942

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Gegenstand

Hypotax-Verfahren bei vorübergehender Auslandsentsendung


Tenor

I. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 30. Juni 2022 - 6 Sa 24/21 - teilweise aufgehoben und zur Klarstellung insgesamt wie folgt neu gefasst:

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 18. August 2021 - 16 [X.]/18 - hinsichtlich Ziffer 1 abgeändert und die Klage abgewiesen, soweit das Arbeitsgericht die Beklagte unter Ziffer 1 zur Zahlung von 3.690,00 Euro netto nebst Zinsen verurteilt hat.

2. Die Berufung der Beklagten wird im Übrigen zurückgewiesen.

3. Von den Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens haben der Kläger 21 % und die Beklagte 79 % zu tragen.

4. Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben der Kläger 11 % und die Beklagte 89 % zu tragen.

[X.] Im Übrigen wird die Revision der Beklagten zurückgewiesen.

I[X.] Von den Kosten des Revisionsverfahrens haben der Kläger 11 % und die Beklagte 89 % zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über Vergütung, nachdem die [X.] während einer zeitlich befristeten Auslandsentsendung des [X.] nach [X.] hypothetisch für ihn in [X.] anfallende Steuern in einem sog. [X.] von seinem Entgelt einbehalten hat.

2

Der Kläger ist seit dem 1. August 1996 bei der [X.] bzw. ihren Rechtsvorgängern tätig. Vom 1. Juli 2017 bis zum 30. Juni 2019 wurde der Kläger von der [X.] nach [X.] zu einem konzernangehörigen Unternehmen (A) entsandt. Vor Beginn seiner Entsendung war er bei der [X.] in [X.] beschäftigt, im [X.] daran nahm er seine Tätigkeit dort wieder auf. Der Kläger ist seit Jan[X.]r 2018 Mitglied der [X.] [X.], die [X.] ist Mitglied des Arbeitgeberverbandes [X.] (im Folgenden [X.]).

3

Der Kläger erhält eine Vergütung nach den zwischen der [X.] und [X.] geschlossenen Entgelttarifverträgen für die Metall- und Elektroindustrie in [X.] und Umgebung. Der ab dem 1. April 2016 geltende Tarifvertrag über Entgelte und Ausbildungsvergütungen vom 19. Mai 2016 (im [X.] Entgelt 2016) und der ab dem 1. Jan[X.]r 2018 geltende Tarifvertrag über Entgelte und Ausbildungsvergütungen vom 8. Febr[X.]r 2018 (im [X.] Entgelt 2018) sehen in § 1 Nr. 1.1 wortgleich vor, dass sie räumlich im Geltungsbereich der jeweiligen Manteltarifverträge für die Tarifgebiete [X.] und Umgebung, [X.], [X.], [X.] und [X.] gelten. Der ab dem 1. Oktober 2008 geltende Manteltarifvertrag vom 3. Juli 2008 (im Folgenden [X.]) und der ab dem 1. Jan[X.]r 2019 geltende Manteltarifvertrag vom 17. Dezember 2018 (im Folgenden [X.]) gelten ausweislich der in beiden Tarifverträgen wortgleichen Regelung in § 1 Nr. 1.1 räumlich in den Ländern [X.] und Umgebung, [X.] sowie im Land [X.]. Beide Fassungen des Manteltarifvertrags sehen für Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis eine Ausschlussfrist von drei Monaten nach Fälligkeit vor.

4

Für die [X.] der Auslandsentsendung haben die Parteien einen [X.] vom 20. März 2017 geschlossen. Darin heißt es auszugsweise:

        

1 - Allgemeine Angaben zur Entsendung

        

… Die hier getroffenen Vereinbarungen ergänzen den Anstellungsvertrag des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin, der im Übrigen Gültigkeit beibehält, wie auch grundsätzlich alle betrieblichen Regelungen. Sie gelten für die Dauer der Entsendung.

        

…       

        

3 - Verlängerungen der Entsendungsvereinbarung

        

Sofern die Entsendung über den vereinbarten [X.]raum hinaus verlängert werden soll, hat dies spätestens drei Monate vor dem vereinbarten Ende der Entsendung schriftlich zu erfolgen. Eine Verlängerung der Entsendung über die Gesamtdauer von fünf Jahren hinaus ist grundsätzlich nicht möglich.

        

4 - Entsendungsbedingungen

        

Es finden die zum [X.]punkt der Entsendung geltenden Konditionen (gemäß Anlage 1 der [X.] über [X.] in der jeweils gültigen Fassung) Anwendung.

        

Die für die Entsendung des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin nach [X.] tatsächlich anzuwendenden Konditionen (entsendungsbedingte Zahlungen, [X.], Unterkunft etc.), sind als Anhang zu diesem [X.] beigefügt. Ergeben sich aus einer Verlängerung der Entsendung, der jährlichen Überprüfung, einer unterjährigen Anpassung oder anderen Gründen Änderungen, ist dieser Anhang entsprechend anzupassen.

        

…       

        

Der/die Arbeitnehmer/in wird während der Entsendung nach den Regeln des Stammbetriebes in die jährliche Entgeltüberprüfung und ggf. in den [X.] einbezogen.

        

…       

        

7 - Steuern und Sozialversicherung

        

Zur Erfüllung der Steuerpflicht des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin im Gastland wird für die Dauer der Entsendung das ‚Tax Eq[X.]lization‘ genannte Prinzip eines [X.]es ([X.] über [X.] Anhang [X.]) angewandt. Hierzu wird über den Weg einer hypothetischen Besteuerung das [X.] [X.] beibehalten. Die tatsächlichen Steuern im Gastland trägt das Unternehmen.

        

Der/die Arbeitnehmer/in wird durch das Unternehmen über dieses Prinzip und die tatsächliche Anwendung im Gastland informiert und über die jeweilige Rolle des Unternehmens, des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin und des Steuerberaters aufgeklärt. Die für den/die Arbeitnehmer/in anzuwendenden Berechnungen sind diesem/dieser in der Anlage zu diesem Vertrag mitzuteilen. Mit der Unterzeichnung dieses [X.]es erklärt sich der/die Arbeitnehmer/in mit der Anwendung des [X.]sprinzips einverstanden.

        

…“    

5

Nr. 8 des [X.]s enthält Regelungen zu einer vorzeitigen Beendigung der Entsendung und zur Rückkehr. Vorgesehen sind dort [X.]. ein Rückrufrecht des Arbeitgebers und Einzelheiten zur Beschäftigung des [X.] nach seiner Rückkehr. In Nr. 10 des [X.]s haben die Parteien das Recht der Bundesrepublik [X.] ohne Verweis auf die Kollisionsregeln vereinbart.

6

Dem [X.] war ein „Anhang zum [X.]“ beigefügt, der die Bedingungen der Entsendung und die entsprechenden Zulagen regelt, weiter eine vorläufige Berechnung von Entgelt und Zulagen mit der Überschrift „Entsendung: Berechnung des Paketes, theoretische Steuer und voraussichtliche Sozialversicherung“ sowie ein Anhang A zu den Entsendungsbedingungen, der Regelungen zur Ermittlung der entsendungsbedingten Zahlungen enthält, und der Anhang B „[X.] - Grundsätze“. Dieser entspricht dem Anhang B der Konzernbetriebsvereinbarung über [X.] vom 27. März 2009 (im Folgenden [X.]). In diesem Anhang ist das [X.] näher erläutert. Hiernach soll der Arbeitnehmer während seiner Entsendung hinsichtlich der Steuerabzüge so gestellt werden, als hätte er weiter in [X.] gearbeitet, obwohl er in dieser [X.] nicht dort, sondern im Einsatzland steuerpflichtig ist. Hierzu übernimmt der Arbeitgeber die tatsächlich anfallenden Steuern im Einsatzland und zieht vom Gehalt des Arbeitnehmers die hypothetischen - nicht abzuführenden - [X.]n Steuern ab. Weiter ist im Anhang B geregelt, wie das bei Anwendung des [X.]s zu zahlende Nettogehalt ausgehend von (hypothetischen) [X.]n Steuern ermittelt wird. Hierfür sind zunächst monatliche Abzüge nach [X.]m Steuerrecht in geschätzter Höhe vorgesehen. Nach Abschluss des jeweiligen Steuerjahrs folgt dann eine genaue Berechnung der in [X.] hypothetisch angefallenen Steuer mit einem anschließenden Ausgleich etwaiger Differenzen in Form von Erstattungen oder Nachzahlungen.

7

Wie im „Anhang zum [X.]“ vorgesehen, erhielt der Kläger während seines Auslandsaufenthalts neben dem tariflichen Entgelt eine Mobilitätszulage nach Nr. 2.1 des Anhangs zum [X.], einen Kaufkraftausgleich und einen Mietzuschuss. Darüber hinaus zahlte die [X.] ihm eine Umzugskostenpauschale und erbrachte weitere entsendungsbedingte Leistungen (Sprachkurs, Schulgebühren für das den Kläger begleitende Kind, Maklergebühren).

8

Der Kläger teilte der [X.] mit [X.] vom 26. Oktober 2017, das der [X.] spätestens am 27. Oktober 2017 zuging, unter dem Betreff „[X.] für 2017“ mit, dass sie seiner Meinung nach zu Abzügen im [X.] nicht berechtigt sei. Er forderte sie auf, die seit Juli 2017 einbehaltenen Beträge zurückzuzahlen und zu bestätigen, dass sie keine Hypotax-Abzüge mehr vornehmen werde.

9

Nachdem zwischen der Arbeitgeberseite und den Arbeitnehmervertretungen Streit über die Wirksamkeit der [X.] entstanden war, hat das [X.] mit rechtskräftigem Beschluss vom 25. September 2019 (- 4 [X.] -) festgestellt, dass die Regelungen zum [X.] in der [X.] unwirksam sind.

Der Kläger war während seiner Entsendung ausschließlich in [X.] steuerpflichtig. Die [X.] Lohnsteuer war niedriger als die [X.]. Die [X.] behielt vom Entgelt des [X.] entsprechend den Regelungen zum [X.] monatlich hypothetische Steuerbeträge in unstreitiger Höhe ein, die sie mit Blick auf die für [X.] greifende Steuerbefreiung des [X.] nicht an das [X.] Finanzamt abführte.

Der Kläger hat mit seiner Klage vom 10. Juli 2018 (nebst Klageerweiterungen) die Rückzahlung der im Rahmen des [X.]s in den Jahren 2017 bis 2020 einbehaltenen Beträge verlangt.

Der Kläger hat im Wesentlichen gemeint, dass die vertraglichen Klauseln zum [X.] im [X.] neben den (inhaltsgleichen) Regelungen der insoweit unwirksamen [X.] nur deklaratorisch seien. Sie seien nicht wirksam in den Vertrag einbezogen und gemäß § 307 BGB unwirksam. Die Bestimmungen seien zudem auch gemäß § 4 Abs. 1 [X.] unwirksam, soweit er [X.]smitglied gewesen sei. Die Regelungen im [X.] würden insoweit durch die unmittelbar geltenden tarifvertraglichen Regelungen zum Bruttomonatsentgelt gemäß § 4 Abs. 3 und Abs. 4 [X.] verdrängt. Die ihm zustehenden Zahlungsansprüche seien nicht aufgrund der tarifvertraglichen Ausschlussfrist teilweise erloschen.

Der Kläger hat - soweit für die Revision von Bedeutung - zuletzt sinngemäß beantragt,

        

1.    

die [X.] zu verurteilen, an den Kläger 3.690,00 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Jan[X.]r 2018 zu zahlen;

        

2.    

die [X.] zu verurteilen, an den Kläger 8.398,40 Euro netto nebst im Einzelnen zeitlich und betragsmäßig aufgeschlüsselten Zinsen zu zahlen;

        

3.    

die [X.] zu verurteilen, an den Kläger weitere 5.155,76 Euro netto nebst im Einzelnen zeitlich und betragsmäßig aufgeschlüsselten Zinsen zu zahlen;

        

4.    

die [X.] zu verurteilen, an den Kläger 1.241,00 Euro netto nebst im Einzelnen zeitlich und betragsmäßig aufgeschlüsselten Zinsen zu zahlen.

Die [X.] hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat im Wesentlichen die Ansicht vertreten, die Regelungen zum [X.] in den [X.] seien [X.] wirksam. Auch § 4 [X.] stehe ihnen nicht entgegen. Bei Unwirksamkeit des [X.]sverfahrens habe der Kläger die vertraglich vereinbarten Zulagen zurückzuzahlen, weil diese ein Gesamtpaket mit dem [X.] bildeten. Insoweit rechne sie hilfsweise mit eventuellen Ansprüchen des [X.] auf. Jedenfalls greife (teilweise) die tarifvertragliche Ausschlussfrist, so dass etwaige Ansprüche zT verfallen seien.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das [X.] hat die Berufung der [X.] zurückgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt die [X.] ihren Abweisungsantrag weiter, während der Kläger die Zurückweisung der Revision beantragt.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der [X.] ist teilweise begründet. Da die Regelungen des [X.] vom 20. März 2017 zum [X.] konstitutiv und wirksam sind, galt bis zum 31. Dezember 2017 eine Nettolohnvereinbarung besonderer Art, nach der die im Rahmen dieses Verfahrens vorgenommenen Abzüge bis zu diesem [X.]punkt zu Recht erfolgten. Insoweit ist die Revision der [X.] begründet, weil das [X.] ihre Berufung zu Unrecht zurückgewiesen hat. Für die [X.] der beiderseitigen [X.] der Parteien ab dem 1. Januar 2018 besteht ein Anspruch des [X.] auf den im TV Entgelt 2018 vorgesehenen Bruttolohn, den die Beklagte nicht vollständig erfüllt hat. Daher kann der Kläger ab diesem [X.]punkt die geltend gemachten Nachzahlungen verlangen. Dies hat das [X.] im Ergebnis richtig erkannt. Insoweit ist die Revision der [X.] unbegründet.

A. Die Klage ist mit den zuletzt gestellten Anträgen zulässig.

I. Die [X.] Gerichte sind nach Art. 4 Abs. 1 Verordnung ([X.]) Nr. 1215/2012 ([X.] Ia-VO) zuständig (vgl. [X.] 7. September 2022 - 5 [X.] - Rn. 20).

II. Die Anträge sind hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.

1. Es liegt keine unzulässige alternative Klagehäufung vor (vgl. [X.] 7. September 2022 - 5 [X.] - Rn. 23 ff.). Hinsichtlich seines einheitlichen Klagebegehrens, das der Kläger ab Januar 2018 aus mehreren prozessualen Ansprüchen (Streitgegenständen) herleitet, hat er eine Rangfolge festgelegt.

a) Der durch die Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag vermittelte vertragliche Anspruch auf den Tariflohn und [X.] beiderseitiger [X.] unmittelbar und zwingend bestehende Anspruch (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG) auf den Tariflohn nach den Entgelttarifverträgen stellen zwei Streitgegenstände dar (vgl. [X.] 28. April 2021 - 4 [X.] - Rn. 18 f.; 25. Januar 2017 - 4 [X.] - Rn. 74, [X.]E 158, 54).

b) Beide Streitgegenstände sind Gegenstand des Revisionsverfahrens. Der Kläger hat für die [X.] seiner [X.] ab Januar 2018 sowohl in der ersten wie auch in der zweiten Instanz sein Begehren aus beiden Streitgegenständen hergeleitet. Das Arbeitsgericht hatte zwar ausschließlich vertragliche Ansprüche geprüft und bejaht. Der Kläger hat aber mit seiner Berufungserwiderung erneut Ansprüche auf tariflicher Grundlage zum Gegenstand des Verfahrens gemacht. Der entsprechende Schriftsatz ist innerhalb der Frist für eine - auch konkludent bzw. verdeckt mögliche - [X.]berufung eingegangen (§ 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO iVm. § 56 Abs. 1 Satz 3 ArbGG). Das [X.] hat den entsprechenden Klägervortrag in Tatbestand und Entscheidungsgründe aufgenommen und damit die Zulässigkeit einer Klageerweiterung bejaht (§ 533 ZPO). Eine Überprüfung dieser Entscheidung hat der Senat in entsprechender Anwendung von § 268 ZPO in der Revision nicht mehr vorzunehmen ([X.] 31. Mai 2023 - 5 [X.] - Rn. 9 mwN).

2. Schon die Auslegung der klägerischen Schriftsätze spricht dafür, dass der Kläger seine Zahlungsansprüche für die [X.] ab Januar 2018 primär auf Grundlage des normativ geltenden Tarifvertrags und - für den Fall des Unterliegens - hilfsweise aufgrund der arbeitsvertraglichen Bezugnahme geltend macht. Dieses Verständnis hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestätigt.

B. Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Solange die eine Bruttovergütung vorsehenden tariflichen Regelungen mangels [X.] des [X.] nicht zwingend galten, konnten die Parteien für die [X.] der Entsendung eine abweichende Entgeltregelung in Form des [X.]s vereinbaren, was sie vorliegend wirksam getan haben. Für die [X.] bis zum 31. Dezember 2017 stehen dem Kläger daher keine Zahlungsansprüche zu. Soweit ihm diese vorinstanzlich zugesprochen wurden, ist die Revision der [X.] begründet. Für die [X.] ab dem 1. Januar 2018 hat die Beklagte den nunmehr aufgrund beiderseitiger [X.] zwingend geltenden tariflichen Bruttolohnanspruch des [X.] im Umfang der für diesen [X.]raum vorinstanzlich zugesprochenen Klageforderungen nicht erfüllt (§ 362 Abs. 1 BGB). Insoweit ist die Revision der [X.] unbegründet, weil der Kläger diese Ansprüche unter Berücksichtigung der tariflichen Ausschlussfrist rechtzeitig geltend gemacht hat.

I. Zutreffend hat das [X.] erkannt, dass auch im [X.]raum der Entsendung gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 1 Verordnung ([X.]) Nr. 593/2008 ([X.] I-VO) [X.] Recht auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden war ([X.]. [X.] 7. September 2022 - 5 [X.] - Rn. 27 ff.).

II. Für die [X.] vom 1. Juli 2017 bis zum 31. Dezember 2017 stehen dem Kläger keine Nachzahlungsansprüche zu, weil die Parteien für diesen [X.]raum im [X.] wirksam die Durchführung des [X.]s vereinbart haben. Dass die Beklagte dieses Verfahren entsprechend der vertraglichen Regelungen abgewickelt hat, steht zwischen den Parteien außer Streit. Das [X.] ist zu Unrecht von der Unwirksamkeit der Regelungen des [X.] ausgegangen.

1. [X.]. Anhang B des [X.] vertraglich vereinbarten [X.]s steht die vom [X.] München mit Beschluss vom 25. September 2019 (- 4 [X.] -) rechtskräftig festgestellte Unwirksamkeit der in der [X.] enthaltenen Regelungen zum [X.] nicht entgegen.

a) Zutreffend hat das Berufungsgericht zunächst erkannt, dass es sich bei den Bestimmungen im [X.] um konstitutive Regelungen handelt, die unabhängig von der [X.] Geltung beanspruchen (vgl. ausf. [X.] 7. September 2022 - 5 [X.] - Rn. 34 ff.).

b) Da eine konstitutive Geltung von Nr. 7 Abs. 1 und Abs. 2 iVm. Anhang B des [X.] gewollt und vereinbart war, führte die rechtskräftig festgestellte Unwirksamkeit der Regelungen der [X.] zum [X.] auch nicht zu einem Wegfall der Geschäftsgrundlage des [X.]. Die Parteien haben die Wirksamkeit der Regelungen der [X.] mit Blick auf die eigenständige vertragliche Vereinbarung des [X.]s nicht zur Geschäftsgrundlage des [X.] gemacht (vgl. [X.] 7. September 2022 - 5 [X.] - Rn. 39).

c) Entgegen der Auffassung des [X.] ergibt sich auch aus den vom [X.] entwickelten Grundsätzen zur präjudiziellen Bindungswirkung von rechtskräftigen Entscheidungen in arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren für spätere Individualstreitigkeiten nichts anderes.

aa) Rechtskräftige Beschlüsse in Beschlussverfahren über betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeiten können - auch außerhalb vom Bestehen ausdrücklicher Präklusionsnormen und des vom Wortlaut des § 325 ZPO vorgegebenen Rahmens - eine sog. präjudizielle Bindungswirkung bzw. eine aus der Rechtskraft folgende Präklusionswirkung für spätere Individualstreitigkeiten entfalten (vgl. ausf. [X.] 18. November 2020 - 7 [X.] - Rn. 23, [X.]E 173, 46; 23. Februar 2016 - 1 [X.] - Rn. 22 mwN, [X.]E 154, 136). Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer an dem Beschlussverfahren nicht beteiligt war. Es lässt sich jedoch nicht für alle Entscheidungen zwischen den Betriebsparteien, die im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren ergehen, einheitlich beantworten, ob und inwieweit diese Entscheidungen eine Bindung auch in Rechtsstreitigkeiten zwischen den Arbeitnehmern des Betriebs und dem Arbeitgeber entfalten ([X.] 17. Februar 1992 - 10 [X.] - zu [X.] der Gründe, [X.]E 69, 367).

(1) Die Bindungswirkung von Entscheidungen im Beschlussverfahren für einen nachfolgenden [X.] gründet vor allem in der [X.] und verfahrensrechtlichen Kompetenz der Betriebsparteien ([X.] 18. November 2020 - 7 [X.] - Rn. 23, [X.]E 173, 46). Nur ihnen - nicht den jeweiligen Arbeitnehmern - kommt die Befugnis zu, in einem Beschlussverfahren das (Nicht-)Bestehen von Mitbestimmungsrechten klären zu lassen. Entsprechend kann sich der einzelne Arbeitnehmer auch dann, wenn er an dem vorherigen Beschlussverfahren nicht beteiligt war, im nachfolgenden [X.] nicht darauf berufen, die Entscheidung über die kollektivrechtliche Streitfrage, die als Vorfrage auch im [X.] zu beantworten ist, sei unrichtig (vgl. [X.] 23. Februar 2016- 1 [X.] - Rn. 22 mwN, [X.]E 154, 136, aaO; 10. März 1998 - 1 [X.] - zu [X.] der Gründe).

(2) Die vom [X.] München im Beschluss vom 25. September 2019 (- 4 [X.] -) rechtkräftig festgestellte fehlende Kompetenz der Betriebsparteien zur Regelung des in der [X.] vereinbarten [X.]s berührt entgegen der Auffassung des [X.] nicht die Wirksamkeit der zwischen den Arbeitsvertragsparteien getroffenen eigenständigen vertraglichen Vereinbarungen (vgl. dazu [X.] 7. September 2022 - 5 [X.] - Rn. 36 ff.) zum [X.]. Die Frage, ob hinsichtlich der übereinstimmenden Regelungen im [X.] und der [X.] eine Regelungskompetenz des Konzernbetriebsrats bestand, stellt keine notwendig zu beantwortende Vorfrage für die rechtliche Bewertung der vertraglichen Regelungen dar. Der Streit der Betriebsparteien über die in der [X.] vorgesehenen Bestimmungen zum [X.] betrifft nur Fragen der betrieblichen Mitbestimmung. Wegen der eigenständigen individualvertraglichen Vereinbarung des [X.]s ist das Nichtbestehen eines Mitbestimmungsrechts für solche Regelungen in einer Betriebsvereinbarung nicht ausschlaggebend für die Wirksamkeit der vertraglichen Vereinbarungen. Deren Beurteilung liegt nicht in der [X.] und verfahrensrechtlichen Kompetenz der Betriebsparteien.

bb) Zudem entspricht die vorliegende Konstellation auch in anderer Hinsicht nicht den Sachverhalten, für die eine präjudizielle Bindungswirkung der Entscheidung im Beschlussverfahren angenommen worden ist. Das [X.] München ist davon ausgegangen, dass die [X.] nicht der zwingenden Mitbestimmung des ([X.] nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG unterfallen ([X.] 25. September 2019 - 4 [X.] - zu II 2 b (1) (a) der Gründe). Eine freiwillige Betriebsvereinbarung nach § 88 BetrVG zu diesem Regelungsgegenstand komme ebenfalls nicht in Betracht. Es bestehe keine Regelungskompetenz der Betriebsparteien zur Höhe der Arbeitsvergütung. Mit dem Verneinen eines Mitbestimmungsrechts ist aber keine Aussage zur Zulässigkeit ggf. abweichender individualrechtlicher Regelungen getroffen. Wenn sich ein Arbeitnehmer nach einer Entscheidung über das Nichtbestehen eines Mitbestimmungsrechts im [X.] zur Begründung eines Anspruchs nicht auf die Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung berufen kann, gründet das darin, dass diese (nur) den Schutz des Mitbestimmungsrechts bezweckt ([X.] 23. Februar 2016 - 1 [X.] - Rn. 23, [X.]E 154, 136). Daraus folgt aber nicht, dass sich vorliegend die Arbeitgeberin nicht auf die Wirksamkeit von arbeitsvertraglichen Regelungen berufen kann, für die nach der rechtskräftigen Entscheidung in dem Beschlussverfahren kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bestand. Eine Einschränkung der Vertragsfreiheit zum Schutz eines nichtbestehenden Mitbestimmungsrechts ist nicht angezeigt.

d) Soweit der Kläger weiter einwendet, die individualvertragliche Regelung zum hypothetischen Gehaltsabzug im [X.] sei ungünstiger als der Inhalt der zum [X.]punkt des Abschlusses des [X.] wirksamen Regelungen der Konzernbetriebsvereinbarung, verfängt dies ebenfalls nicht. Nach dem rechtskräftigen Beschluss des [X.]s München (25. September 2019 - 4 [X.] -) enthielt die [X.] - seit ihrem Abschluss - keine Regelungen dazu, was zum Entgelt während der Entsendung zu vereinbaren ist. Diese „Leerstelle“, dh. das Nichtbestehen einer wirksamen kollektivrechtlichen Regelung, stellt keine günstigere Vereinbarung in dem Sinn dar, dass zu dieser Frage keine vertraglichen Regelungen getroffen werden könnten. Ein wirksamer Bezugspunkt für einen Günstigkeitsvergleich existiert nicht. Es besteht folglich Raum für einzelvertragliche Vereinbarungen, die auch Inhalte haben können, die in der [X.] mangels Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nicht vorgesehen werden konnten.

2. Die Regelungen in Nr. 7 Abs. 1 und Abs. 2 iVm. Anhang B des [X.] sind auch nicht aus [X.] Gründen unwirksam (vgl. ausf. [X.] 7. September 2022 - 5 [X.] - Rn. 40 ff.).

3. Mangels beiderseitiger [X.] standen normativ wirkende Regelungen des [X.] für die [X.] vom 1. Juli 2017 bis zum 31. Dezember 2017 nicht entgegen.

III. Für die [X.] ab Januar 2018 stehen dem Kläger die geltend gemachten Nachzahlungen hingegen nach [X.] beiderseitiger [X.] normativ geltenden Regelungen des TV Entgelt 2018 iVm. § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG zu.

1. Die Bestimmungen des TV Entgelt 2018 galten im Arbeitsverhältnis der Parteien auch während der Entsendung des [X.] ins Ausland ab dem [X.]punkt der beiderseitigen [X.] (1. Januar 2018) gemäß § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG unmittelbar und zwingend (vgl. [X.] 7. September 2022 - 5 [X.] - Rn. 60 ff.). Der maßgebliche Schwerpunkt des Arbeitsverhältnisses, der vorher im Betrieb der [X.] in [X.] lag, änderte sich durch den vorübergehenden Einsatz des [X.] in [X.] nicht. Die Parteien gingen auch im vorliegenden Fall durchgehend davon aus, dass der Kläger im [X.] an seinen befristeten Einsatz in [X.] in den Betrieb der [X.] in [X.] zurückkehren und dort wieder tätig werden sollte.

2. Die Beklagte hat den tariflichen Bruttolohnanspruch in Höhe der streitgegenständlichen Abzüge nicht erfüllt (vgl. [X.] 7. September 2022 - 5 [X.] - Rn. 66 ff.).

3. Die Ansprüche des [X.] sind nicht durch die [X.] der [X.] vom 30. November 2018 gemäß § 389 BGB erloschen. Zum [X.]punkt der [X.] bestand - unabhängig von der Frage ihrer hinreichenden Bestimmtheit - jedenfalls keine Aufrechnungslage (vgl. [X.] 7. September 2022 - 5 [X.] - Rn. 74).

4. Die hiernach bestehenden Ansprüche des [X.] sind nicht verfallen. Der Kläger hat mit seinem Geltendmachungsschreiben vom 26. Oktober 2017 die dreimonatige tarifvertragliche Ausschlussfrist nach § 16 Nr. 1.2 [X.] bzw. nach dem ab dem 1. Januar 2019 geltenden § 16 Nr. 1.2 [X.] 2018 gewahrt. Seine Geltendmachung konnte unter Berücksichtigung der Umstände des vorliegenden Falls die zukünftigen, noch nicht fälligen Ansprüche mit einbeziehen und tat dies auch (vgl. [X.] 7. September 2022 - 5 [X.] - Rn. 75 ff.).

5. Die geltend gemachten Zinsen kann der Kläger nach § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB beanspruchen.

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1, § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    [X.]    

        

    Biebl    

        

    Bubach    

        

        

        

    Menssen    

        

    J. Markhof    

                 

Meta

5 AZR 307/22

13.12.2023

Bundesarbeitsgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Hamburg, 18. August 2021, Az: 16 Ca 285/18, Urteil

§ 305c Abs 1 BGB, § 307 BGB, § 362 Abs 1 BGB, § 3 Abs 1 TVG, § 4 Abs 1 TVG, § 4 Abs 3 TVG, Art 3 Abs 1 S 1 EGV 593/2008, Art 8 Abs 2 S 1 EGV 593/2008, § 77 BetrVG, § 1 TVG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13.12.2023, Az. 5 AZR 307/22 (REWIS RS 2023, 9942)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 9942

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5 AZR 502/21 (Bundesarbeitsgericht)

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4 TaBV 52/18 (LArbG München)

Zuständigkeit eines Konzernbetriebsrats - Regelungen in einer Betriebsvereinbarung


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5 AZR 128/22

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