Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29.09.2011, Az. IX ZB 219/10

9. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 2834

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Vorzeitige Beendigung der Wohlverhaltensphase: Abschluss eines Vergleichs mit den Insolvenzgläubigern und anschließendes Erlöschen der Gläubigerforderungen durch Teilzahlung und Teilerlass


Leitsatz

Schließt der Schuldner mit allen Insolvenzgläubigern, die Forderungen zur Tabelle angemeldet haben, in der Wohlverhaltensperiode einen Vergleich und sind die Ansprüche dieser Gläubiger danach durch Teilzahlung und Teilerlass erloschen, ist auf seinen Antrag die Wohlverhaltensphase vorzeitig zu beenden und die Restschuldbefreiung auszusprechen, sofern er belegt, dass die Verfahrenskosten und die sonstigen Masseverbindlichkeiten getilgt sind .

Tenor

Auf die Rechtsmittel der Schuldnerin werden der Beschluss der 1. Zivilkammer des [X.] vom 28. September 2010 und der Beschluss des [X.] vom 29. Juni 2010 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Der [X.] beträgt 5.000 €.

Gründe

I.

1

Am 16. März 2009 hob das Insolvenzgericht das am 1. März 2007 eröffnete vereinfachte Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin nach Ankündigung der Restschuldbefreiung mangels Masse analog § 200 [X.] auf. In der Folgezeit einigte sich die Schuldnerin nach Aufnahme eines Verwandtendarlehens mit ihren drei Gläubigern auf Zahlungen in Höhe von etwa 5 % der angemeldeten Forderungen und auf einen darüber hinausgehenden Forderungsverzicht durch die Gläubiger. Weiter erklärten die Gläubiger ihr Einverständnis, dass das Insolvenzverfahren eingestellt werde.

2

Die Schuldnerin hat beantragt, das [X.] gemäß § 213 [X.] einzustellen und ihr vorzeitig Restschuldbefreiung zu erteilen. Das Amtsgericht hat den Antrag abgelehnt. Das [X.] hat die sofortige Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Schuldnerin, mit der sie weiter die vorzeitige Beendigung des [X.]s und die vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung begehrt.

II.

3

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO, §§ 6, 7, § 216 Abs. 2, § 300 Abs. 3 Satz 2 analog [X.] statthaft und auch im Übrigen zulässig, § 574 Abs. 2 ZPO. Sie ist begründet und führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.

4

1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung ausgeführt, für eine Einstellung nach § 213 [X.] sei kein Raum mehr, nachdem das Insolvenzverfahren bereits durch den rechtskräftigen Beschluss des Insolvenzgerichts vom 16. März 2009 aufgehoben worden sei. Vor diesem Hintergrund habe das Insolvenzgericht den [X.] der Schuldnerin zutreffend als unzulässig angesehen.

5

2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

6

a) Allerdings trifft der Ausgangspunkt des [X.] zu, dass das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin bereits analog § 200 [X.] aufgehoben und für eine Einstellung des Insolvenzverfahrens nach § 213 [X.] kein Raum war. Die Auslegung des Antrags der Schuldnerin in der Fassung vom 25. März 2010 ergibt jedoch, dass diese nicht die Einstellung des Insolvenzverfahrens, sondern die vorzeitige Beendigung des [X.]s und die vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung beantragt. Mit der Ablehnung dieser Anträge unter Hinweis auf § 213 [X.] hat sich das Beschwerdegericht in Widerspruch zu der Rechtsprechung des Senats gesetzt ([X.], Beschluss vom 17. März 2005 - [X.], [X.], 399, 400 f; Beschluss vom 8. November 2007 - [X.], juris Rn. 5; Beschluss vom 29. Januar 2009 - [X.], juris Rn. 2 f) und verkannt, dass der Schuldnerin nach dieser Rechtsprechung vorzeitig Restschuldbefreiung erteilt und das [X.] vorzeitig beendet werden kann (analog §§ 213, 299, 300 Abs. 1 [X.]).

7

Der Senat hat entschieden, dass einem Schuldner die Restschuldbefreiung bereits im Schlusstermin erteilt werden kann, wenn keine Insolvenzgläubiger Forderungen zur Tabelle angemeldet haben, sofern er belegt, dass die Verfahrenskosten und die sonstigen Masseverbindlichkeiten getilgt sind. Weist der Schuldner erst später nach, dass keine Kosten mehr offen und sämtliche Verbindlichkeiten getilgt sind, ist ihm entsprechend § 299 [X.] auf seinen Antrag die Restschuldbefreiung schon vor Ablauf der Wohlverhaltensperiode zu erteilen ([X.], jeweils aaO).

8

Die Schuldnerin hat zwar nur einen Teil der Forderungen beglichen, während die Gläubiger auf den darüber hinausgehenden Teil ihrer Ansprüche verzichtet haben. Doch sind mit dem Erlassvertrag (§ 397 Abs. 1 BGB) und der Teilzahlung (§ 362 Abs. 1 BGB) die Forderungen der Gläubiger insgesamt erloschen; Ansprüche der Gläubiger gibt es mithin nicht mehr. Deswegen kann vorliegend nicht anders entschieden werden, als wenn der Schuldner die Gläubiger vollständig befriedigt hätte. Auch hier fehlt es nach dem Erlöschen der Forderungen an Gläubigern, an die die Treuhänderin während der Wohlverhaltensperiode die von ihr vereinnahmten Bezüge abführen könnte. Eine Versagung der Restschuldbefreiung nach §§ 296 f [X.] kommt mangels antragsbefugter Gläubiger nicht mehr in Betracht. Die Durchführung der Wohlverhaltensperiode wäre daher sinnlos, mithin unverhältnismäßig (vgl. [X.], Z[X.] 2009, 443, 444; FK-[X.]/[X.], 6. Aufl., § 299 Rn. 13; [X.]/[X.], [X.], 13. Aufl., § 299 Rn. 11; HK-[X.]/[X.], 5. Aufl., § 299 Rn. 6 ff).

9

b) Der vorzeitigen Restschuldbefreiung steht nicht entgegen, dass die Schuldnerin einen [X.] vorgenommen und die Teilbefriedigung ihrer alten Gläubiger durch eine Kreditaufnahme bei einem Neugläubiger finanziert hat (so aber [X.], [X.], 218; vgl. auch [X.]/[X.], [X.], 13. Aufl, § 299 Rn. 13; MünchKomm-[X.]/Ehricke, 2. Aufl., § 299 Rn. 15). Sinn und Zweck der Restschuldbefreiung nach Ablauf der Wohlverhaltensperiode stehen der vorzeitigen Restschuldbefreiung nicht entgegen. Zwar trifft es zu, dass die Restschuldbefreiung dem Schuldner einen Ausstieg aus der lebenslangen Schuldenhaftung und damit einen wirtschaftlichen Neuanfang ermöglichen soll. Bei einem bloßen [X.] ist dieser Erfolg nicht gesichert. Bei dem Kreditgeber handelt es sich jedoch um einen Neugläubiger. Dies hat zur Folge, dass, sofern er sich nicht die Forderungen der Altgläubiger hat abtreten lassen und an deren Stelle in das [X.] eingetreten ist, seine Forderung gegen den Schuldner nicht von der Restschuldbefreiung nach § 301 Abs. 1 [X.] erfasst ist. Auch werden an ihn die von der Abtretungserklärung erfassten Bezüge, die der Treuhänder während der Wohlverhaltensperiode erlangt, nicht ausgekehrt, weil er nicht Insolvenzgläubiger ist (§ 292 Abs. 1 Satz 2 [X.]). Mithin gibt es keinen Grund, wegen der Forderung des Neugläubigers das [X.] zu Ende zu führen, obwohl es Insolvenzgläubiger nicht mehr gibt und die Forderung des Neugläubigers durch das Verfahren nicht betroffen wird ([X.] in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch der Insolvenzverwaltung, 8. Aufl., § 17 Rn. 99; vgl. FK-[X.]/[X.], 6. Aufl., § 299 Rn. 13; HK-[X.]/[X.], aaO, § 299 Rn. 10).

c) Ob die Schuldnerin sämtliche Verfahrenskosten beglichen hat, hat das Beschwerdegericht nicht festgestellt. Aus der Insolvenzakte ergibt sich lediglich, dass sie die im Eröffnungs- und im Insolvenzverfahren angefallenen, ihr gestundeten Kosten am 22. April 2010 beglichen hat. Auch hat sie mit der Rechtsbeschwerdebegründung einen Einzahlungsbeleg vorgelegt, aus dem sich ergibt, dass sie an die Treuhänderin die bis zum 16. März 2010 angefallene Treuhändervergütung bezahlt hat. Ob weitere Kosten im [X.] angefallen sind und offen stehen, ist nicht festgestellt und aus den Akten nicht ersichtlich.

3. Der Senat hält es in Anbetracht der noch ausstehenden Feststellungen, ob die Schuldnerin die gesamten Verfahrenskosten beglichen hat, für sachgerecht, das Verfahren an das Insolvenzgericht zurückzuverweisen; § 577 Abs. 4, § 572 Abs. 3 ZPO (vgl. [X.], Beschluss vom 22. Juli 2004 - [X.] 161/03, [X.]Z 160, 176, 185 f).

Vill                                    Raebel                               Gehrlein

                  Grupp                                  [X.]

Meta

IX ZB 219/10

29.09.2011

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Köln, 28. September 2010, Az: 1 T 332/10, Beschluss

§ 213 InsO, § 299 InsO, § 300 Abs 1 InsO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29.09.2011, Az. IX ZB 219/10 (REWIS RS 2011, 2834)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 2834

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

IX ZB 219/10 (Bundesgerichtshof)


IX ZB 23/19 (Bundesgerichtshof)

Vorzeitige Restschuldbefreiung bei rechtzeitiger Zahlung der Mindestbefriedigungsquote


IX ZB 29/16 (Bundesgerichtshof)

Restschuldbefreiungsverfahren: Voraussetzungen der vorzeitigen Restschuldbefreiung


IX ZB 214/04 (Bundesgerichtshof)


IX ZB 29/16 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

IX ZB 23/19

IX ZB 29/16

IX ZB 219/10

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.