Bundespatentgericht, Beschluss vom 26.11.2020, Az. 30 W (pat) 26/19

30. Senat | REWIS RS 2020, 301

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Gegenstand

Markenbeschwerdeverfahren – "Jurabot" – Unterscheidungskraft - Freihaltungsbedürfnis


Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 30 2017 020 563.5

hat der 30. Senat (Marken- und Design-Beschwerdesenat) des [X.] in der Sitzung vom 26. November 2020 unter Mitwirkung des Vorsitzenden [X.] Prof. Dr. Hacker sowie [X.] Meiser und Merzbach

beschlossen:

Auf die Beschwerde des Anmelders werden die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 45 des [X.] vom 3. April 2018 und vom 27. Juni 2019 insoweit aufgehoben, als darin die Anmeldung für die Dienstleistung

"Werbung, insbesondere Werbung im [X.]"

zurückgewiesen worden ist.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Das Zeichen

2

[X.]

3

ist am 12. August 2017 für die Dienstleistungen

4

"Klasse 35: Werbung, insbesondere Werbung im [X.]; Geschäftsführung; Unternehmensverwaltung; Bereitstellung von kommerziellen Verbraucherinformationen im [X.]; Erteilung von Auskünften über Dienstleistungsangebote im [X.]; Vermittlung von Geschäftsinformationen im [X.]; Präsentation von Dienstleistungen im [X.]

5

Klasse 36: Bereitstellung und Vermittlung von Informationen zur Verwaltung und Nutzung von Immobilien; Vermittlung von Informationen zu Verträgen über die Verwaltung, Nutzung und Instandhaltung von Immobilien; Bereitstellung und Vermittlung von Informationen zur Zahlungsabwicklung von Einnahmen aus der Vermietung, Verpachtung und Verwaltung von Immobilien einschließlich der Vermittlung der organisatorischen Abwicklung von Verträgen zur Verwaltung, Vermietung und Verpachtung von Immobilien; Beratung in Bezug auf die Verwaltung und Nutzung von Immobilien; Beratung und Vermittlung von Finanzverwaltung und Finanzdienstleistungen über das [X.]; Bereitstellung und Vermittlung von Informationen zu Versicherungsfragen; Vermittlung von Versicherungsverträgen; Versicherungswesen; Finanzwesen; Geldgeschäfte

6

Klasse 38: Telekommunikation mittels Plattformen und Portalen im [X.]; Bereitstellung des Zugriffs auf Informationen im [X.]; [X.] über das [X.]; [X.] über das [X.]

7

[X.]: Entwicklung von Computersoftware zur Verwaltung und Nutzung von Immobilien; Entwicklung von Computersoftware zur Bereitstellung und Vermittlung von Informationen zu Finanzdienstleistungen, insbesondere der Zahlungsabwicklung von Einnahmen aus Vermietung, Verpachtung und Betriebskostenabrechnung; Entwicklung und Bereitstellung von Computersoftware zur Erstellung von Verträgen und Dokumenten im Zusammenhang mit dem Bau, Erwerb, Verkauf, der Nutzung und der Verwaltung von Immobilien

8

[X.]: Juristische Dienstleistungen; Verfassung juristischer Dokumente für Dritte; rechtliche Beratung in Immobilienfragen; Rechtshilfe bei der Erstellung von Verträgen; juristische Informationsdienstleistungen; juristische Beratungsdienstleistungen; Bearbeitung von Vertrags-angelegenheiten im Zusammenhang mit der Verwaltung und Nutzung von Immobilien"

9

zur Eintragung als Wortmarke in das beim [X.] geführte Register angemeldet worden.

Mit Beschlüssen vom 3. April 2018 und vom 27. Juni 2019, wobei letzterer im Erinnerungsverfahren ergangen ist, hat die Markenstelle für [X.] des [X.]s die Anmeldung wegen fehlender Unterscheidungskraft (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.]) zurückgewiesen.

Zur Begründung ist ausgeführt, das angemeldete Zeichen setze sich aus dem Wort "Jura" (für "Rechtswissenschaften, Rechtswesen") und dem sowohl im [X.] als auch im [X.] verwendeten Begriff "bot" zusammen, der von "Roboter" [X.] und ein weitestgehend automatisch arbeitendes Computerprogramm bezeichne. In seiner Gesamtheit komme dem Zeichen [X.] daher die Bedeutung eines spezialisierten Computerprogramms zum Sammeln und Auswerten von Informationen im Bereich der Rechtswissenschaften zu. Ausgehend hiervon beinhalte das Anmeldezeichen den Sachhinweis darauf, dass die relevanten Dienstleistungen mithilfe eines Bots (eines Webcrawlers oder eines spezialisierten Tools zum selbstständigen Suchen, Sammeln und Auswerten von Informationen im [X.]) im Bereich der Rechtswissenschaften erbracht würden oder dass ein solcher Bot zur Verfügung gestellt werde.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Anmelders.

Er macht unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundespatentgerichts (u. a. [X.], Beschluss vom 24. Mai 2018, 25 W (pat) 6/18 – [X.]; [X.], Beschluss vom 1. März 2018, 30 W (pat) 46/17 - [X.]) geltend, dass das Anmeldezeichen über die notwendige Unterscheidungskraft verfüge. Entgegen der Auffassung der Markenstelle könne der Wortbestandteil "bot" in der konkreten Kombination mit "Jura" mit keinem Begriffsinhalt verbunden werden. Ein "[X.]" existiere nicht. Das Anmeldezeichen vermöge allenfalls Assoziationen auszulösen, sei aber in seiner Gesamtheit nicht als beschreibend anzusehen.

Wie in der Entscheidung "[X.]" handele es sich auch vorliegend um ein weder im [X.] noch im [X.] vorhandenes Fantasie- und Kunstwort mit eigenschöpferischem Gehalt, dem auch bei bestehenden beschreibenden Anklängen nicht jegliche Unterscheidungskraft abgesprochen werden könne. Dem Zeichen "bot" könne im Übrigen viel weniger ein feststehender Begriffsinhalt zugeordnet werden als dem Begriff "Firm". Die angesprochenen Verkehrskreise würden mit dem Begriff "Jura" die Rechtsanwendung oder –auslegung verbinden. Es gebe aber keine "Maschinen" oder "Roboter", die Recht oder das Gesetz anwendeten oder Recht sprechen. Derartige Roboter könne es nach [X.] Rechtsverständnis auch nicht geben. Insofern widerspreche die Kombination von "Jura" und "bot" gerade dem Verkehrsverständnis (von "Jura" im Sinne von "Recht, Gesetz") und ergebe auch keinen Gesamtsinn.

Der Anmelder beantragt,

die Beschlüsse der Markenstelle für [X.] des [X.]s vom 3. April 2018 und vom 27. Juni 2019 aufzuheben.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde hat in der Sache lediglich im tenorierten Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet. Die Markenstelle hat die Anmeldung in Bezug auf die Dienstleistungen

"Klasse 35: Geschäftsführung; Unternehmensverwaltung; Bereitstellung von kommerziellen Verbraucherinformationen im [X.]; Erteilung von Auskünften über Dienstleistungsangebote im [X.]; Vermittlung von Geschäftsinformationen im [X.]; Präsentation von Dienstleistungen im [X.]

Klasse 36: Bereitstellung und Vermittlung von Informationen zur Verwaltung und Nutzung von Immobilien; Vermittlung von Informationen zu Verträgen über die Verwaltung, Nutzung, und Instandhaltung von Immobilien; Bereitstellung und Vermittlung von Informationen zur Zahlungsabwicklung von Einnahmen aus der Vermietung, Verpachtung und Verwaltung von Immobilien einschließlich der Vermittlung der organisatorischen Abwicklung von Verträgen zur Verwaltung, Vermietung und Verpachtung von Immobilien; Beratung in Bezug auf die Verwaltung und Nutzung von Immobilien; Beratung und Vermittlung von Finanzverwaltung und Finanzdienstleistungen über das [X.]; Bereitstellung und Vermittlung von Informationen zu Versicherungsfragen; Vermittlung von Versicherungsverträgen; Versicherungswesen; Finanzwesen; Geldgeschäfte

Klasse 38: Telekommunikation mittels Plattformen und Portalen im [X.]; Bereitstellung des Zugriffs auf Informationen im [X.]; [X.] über das [X.]; [X.] über das [X.]

[X.]: Entwicklung von Computersoftware zur Verwaltung und Nutzung von Immobilien; Entwicklung von Computersoftware zur Bereitstellung und Vermittlung von Informationen zu Finanzdienstleistungen, insbesondere der Zahlungsabwicklung von Einnahmen aus Vermietung, Verpachtung und Betriebskostenabrechnung; Entwicklung und Bereitstellung von Computersoftware zur Erstellung von Verträgen und Dokumenten im Zusammenhang mit dem Bau, Erwerb, Verkauf, der Nutzung und der Verwaltung von Immobilien

[X.]: Juristische Dienstleistungen; Verfassung juristischer Dokumente für Dritte; rechtliche Beratung in Immobilienfragen; Rechtshilfe bei der Erstellung von Verträgen; juristische Informationsdienstleistungen; juristische Beratungsdienstleistungen; Bearbeitung von Vertrags-angelegenheiten im Zusammenhang mit der Verwaltung und Nutzung von Immobilien"

zu Recht wegen fehlender Unterscheidungskraft (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.]) zurückgewiesen.

1. Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] ist die einem Zeichen innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, das die von der Anmeldung erfassten Waren oder Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und diese somit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet (vgl. z. B. [X.] [X.], 1198 ([X.]) - [X.]; [X.], 610 ([X.]) – [X.]; [X.] 2008, 608 ([X.]) - [X.]; [X.], 1167 (Nr. 13) - [X.]; [X.], 581 (Nr. 16) - [X.]; [X.], 173 (Nr. 15) – for you; [X.] 2014, 565 (Nr. 12) – smartbook; [X.] 2013, 731 (Nr. 11) – [X.]; [X.], 1143 (Nr. 7) – [X.], jeweils m. w. N.). Denn die Hauptfunktion einer Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen zu gewährleisten (vgl. etwa [X.] [X.], 1198 ([X.]) - [X.]; [X.] 2014, 373 (Nr. 20) - KORNSPITZ; 2010, 1008, 1009 ([X.]) – [X.]; [X.] 2008, 608, 611 ([X.]) – [X.]; [X.] 2006, 233, 235, Nr. 45 - Standbeutel; [X.], 1167 (Nr. 13) - [X.]; [X.] 2016, 934 (Nr. 9) - [X.]; [X.], 581 (Nr. 16) - [X.]; BGH [X.], 173, 174 (Nr. 15) – for you; [X.] 2009, 949 (Nr. 10) – [X.]). Da allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft ein Eintragungshindernis begründet, ist nach der Rechtsprechung des [X.] ein großzügiger Maßstab anzulegen, so dass jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft genügt, um das Schutzhindernis zu überwinden (vgl. BGH [X.] 2017, 186 (Nr. 29) - [X.]; [X.] 2016, 1167 (Nr. 13) - [X.]; [X.], 581 (Nr. 9) - [X.]; [X.], 173, 174 (Nr. 15) – for you; [X.] 2014, 565, 567 (Nr. 12) – smartbook; [X.], 1143 (Nr. 7) – [X.]; [X.], 270 (Nr. 8) – Link economy). Maßgeblich für die Beurteilung der Unterscheidungskraft sind einerseits die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen und andererseits die Auffassung der beteiligten inländischen Verkehrskreise, wobei auf die Wahrnehmung des Handels und/oder des normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen [X.] bzw. -abnehmers der fraglichen Produkte abzustellen ist (vgl. [X.] [X.] 2006, 411, 412 (Nr. 24) – Matratzen Concord/Hukla).

Hiervon ausgehend besitzen Marken insbesondere dann keine Unterscheidungskraft, wenn ihnen die maßgeblichen Verkehrskreise im Zeitpunkt der Anmeldung bzw. der Schutzerstreckung des Zeichens (vgl. BGH [X.] 2013, 1143, Nr. 15 – [X.] werden Fakten) lediglich einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt zuordnen (vgl. [X.] [X.] 2013, 519 (Nr. 46) - [X.]; [X.] 2004, 674 ([X.]) – Postkantoor; BGH [X.] 2017, 186 (Nr. 30, 32) - [X.]; 2014, 1204 (Nr. 12) – [X.]; [X.], 270 (Nr. 11) – Link economy; [X.] 2009, 952 (Nr. 10) – [X.]). Darüber hinaus kommt nach ständiger Rechtsprechung auch solchen Zeichen keine Unterscheidungskraft zu, die sich auf Umstände beziehen, welche die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen zwar nicht unmittelbar betreffen, durch die aber ein enger beschreibender Bezug zu diesen hergestellt wird (vgl. BGH [X.] 2017, 186 (Nr. 32) - [X.]; [X.] 2014, 1204 (Nr. 12) – [X.]; [X.], 1143 (Nr. 9) – [X.]; [X.] 2010, 1100 (Nr. 23) – [X.]!; [X.] 2006, 850 (Nr. 28 f.) – [X.] 2006).

2. Nach diesen Grundsätzen fehlt der Wortmarke [X.] für die o. g. Dienstleistungen jegliche Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.].

a) Das Anmeldezeichen ist erkennbar aus den Elementen "Jura" und "bot" zusammengesetzt. Das Wort "Jura" ist die Pluralform des [X.] Wortes "ius" (= Recht) und bedeutet im [X.] "Rechtswissenschaft" (siehe www.duden.de; vgl. auch schon 30 W (pat) 23/10 – [X.]; 30 W (pat) 61/11 - JuraTel).

b) Unter einem "Bot" (von englisch "robot" = Roboter) versteht man ein Computerprogramm, das weitgehend automatisch sich wiederholende Aufgaben abarbeitet, ohne dabei auf eine Interaktion mit einem menschlichen Benutzer angewiesen zu sein (vgl. den Wikipedia-Eintrag zu "Bot" in der [X.]; siehe ferner [X.] schon [X.], Entscheidung vom 13. Februar 2017 – TRAVELBOT).

Mit dieser Bedeutung wurde "-bot" inländisch auch schon vor dem Anmeldezeitpunkt als Wortbildungselement in einer Vielzahl von Wortkombinationen mit einem vorangestellten Bezugswort verwendet. "Chatbots" sind textbasierte [X.], also Programme, die eine schriftliche Unterhaltung mit einem Menschen simulieren und dem Nutzer Fragen beantworten (vgl. die Anlagen zum Beanstandungsbescheid in der [X.], u. a. www.marketingimpott.de/blog: "Ein Trend auch in [X.]: Deshalb wird 2017 das Jahr der Chatbots"). "Social Bots" werden in [X.] Medien eingesetzt, um automatische Antworten zu setzen (vgl. den Wikipedia-Eintrag zu "Bot"). Ferner existiert eine Reihe spezieller "Bots", wobei das vorangestellte Bezugswort das jeweilige Themen- bzw. Einsatzgebiet bezeichnet, z. B. "[X.]", "[X.]", "Quiz-Bot" (vgl. die Anlage "Diese 12 Chat-Bots machen [X.]", Stand: 6.2.2017, [X.]) oder "ARAGVersicherungs-Bot", "[X.]", "[X.]", "Best-Price-Bot" ("www.marketingimpott.de/blog": "Ein Trend auch in [X.]: Deshalb wird 2017 das Jahr der Chatbots").

c) In diese Art von Wortbildungen reiht sich auch das Anmeldezeichen ein. Die Markenstelle hat darüber hinausgehend ermittelt, dass die vom Anmelder beanspruchte Wortkombination [X.] schon lange vor dem Anmeldezeitpunkt inländisch verwendet wurde. So heißt es in der Fundstelle "[X.] Juristisches [X.]projekt Saarbrücken ([X.] on 14. Mai 2003)": "[X.] im JuraWiki" (…) Im JuraWikiChat gibt es seit kurzem einen Chatbot, der – sobald in der Diskussion ein Paragraph genannt wird – den passenden Link auf die Juris/BMJ-Gesetzessammlung nennt ([X.]). Bei diesem Bot handelt es sich um ein Programm, das auf bestimmte Muster reagiert und vordefinierten Text einfügt."

Damit ist belegt, dass der Begriff "[X.]" schon seit mindestens vierzehn Jahren vor dem Anmeldezeitpunkt zur Bezeichnung eines juristischen Chatbots verwendet wurde (JuraWikiChat 2003). Die Behauptung des Anmelders, es habe im Anmeldezeitpunkt noch kein "[X.]" existiert, ist demnach eindeutig widerlegt.

Ebenso unzutreffend ist der Vortrag des Anmelders, dass es keine "Maschinen" gebe, die Recht anwenden könnten. In einer weiteren, auf das [X.] - und damit jedenfalls nicht weit nach dem Anmeldezeitpunkt - datierenden Fundstelle der Markenstelle werden die Fähigkeiten eines ausdrücklich als "Jura-Bot" bezeichneten Computerprogramms wie folgt beworben (vgl. die Anlage "https://www.brandeins.de/magazine/brand-eins-wirtschaftsmagazin/2017/neue-arbeit/lass-mich-das-machen"):

"Ich übersehe keinen Paragrafen

Das Versprechen:

Der Bot prüft Verträge, weist auf juristische Fallstricke hin und unterbreitet Änderungsvorschläge. Zudem vergleicht er das jeweilige Dokument mit branchenüblichen Standardverträgen, um einzuschätzen, ob ein Vertragspartner überdurchschnittlich begünstigt oder benachteiligt wird.

Die Zielgruppe:

Juristen, die den Bot als Assistenten nutzen wollen. Unternehmen und Privatpersonen, die bereits viel Zeit, Geld und Energie in Anwälte investiert haben und dennoch nicht wissen, ob ihre Verträge gut sind. Am offensten für [X.] dürften jene sein, die die Erfahrung gemacht haben: Je länger der Vertrag, desto mehr verdient der Anwalt.

Die Chancen auf Erfolg:

Das Recht ist ein logisch aufgebautes System mit einer extrem formalisierten Sprache. Es gibt zudem die Gesetze und viele öffentliche Verträge, die die Software heranziehen kann. Die Automatisierung wird auf diesem Feld daher schnell voranschreiten."

d) Ausgehend hiervon erschließt sich das Anmeldezeichen [X.] dem angesprochenen Verkehr ohne Weiteres als Hinweis auf einen "juristischen Bot", also einen "Bot", der automatisiert (und unter Auswertung von im [X.] zugänglichen Rechtsinformationen, z. B. Musterverträgen und Gesetzen) juristische Aufgaben abarbeitet und hierzu Antworten setzt. Damit erschöpft sich das Anmeldezeichen hinsichtlich sämtlicher zurückgewiesener Dienstleistungen in einer sachbezogenen Aussage, ohne einen Herkunftshinweis auf ein bestimmtes Unternehmen zu vermitteln:

aa) Die juristischen Dienstleistungen der [X.] können automatisiert von einem [X.] erbracht werden. Wie die Fundstellen der Markenstelle belegen, sind "[X.]s" bereits heute dazu in der Lage, Verträge oder sonstige Rechtsfragen automatisiert zu prüfen (vgl. etwa erneut die Anlage "[X.]") und auf dieser Grundlage automatisierte juristische Beratungsdienstleistungen zu erbringen, so dass sich das Anmeldezeichen für die Dienstleistungen der [X.] in einem Sachhinweis auf deren Art und Beschaffenheit erschöpft.

bb) Die automatisierte Bearbeitung und Beantwortung von Rechtsfragen durch einen [X.] kann ferner in Bezug auf die beanspruchte "Geschäfts- und Unternehmensführung" erfolgen. Dasselbe gilt für die weiteren Dienstleistungen in Klasse 35 ("Bereitstellung von kommerziellen Verbraucherinformationen im [X.]; Erteilung von Auskünften über Dienstleistungsangebote im [X.]; Vermittlung von Geschäftsinformationen im [X.]; Präsentation von Dienstleistungen im [X.]"), wobei es sich jeweils auch um rechtliche/juristische Auskünfte, Verbraucher- und Geschäftsinformationen sowie Dienstleistungen eines entsprechenden "[X.]s" handeln kann.

Ferner kann ein [X.] auch im Bereich der beanspruchten Dienstleistungen der Klasse 36 (Immobilienverwaltung, Finanz- und Versicherungswesen) Verträge und sonstige, häufig anfallende Rechtsfragen automatisiert prüfen, so dass auch insoweit zumindest ein die Unterscheidungskraft ausschließender enger beschreibender Bezug besteht.

cc) Zu den Telekommunikationsdienstleistungen in Klasse 38 gehört neben der rein technischen Komponente auch die inhaltliche Bereitstellung und Übermittlung von Informationen. Denn zwischen der technischen Dienstleistung und der Contentvermittlung besteht ein so enger Bezug, dass das entsprechende Verkehrsverständnis zwischen Technik und Inhalt insoweit nicht mehr trennt ([X.] 26 W (pat) 72/14 - Shopping Compass; [X.] 29 W (pat) 223/04 - Dating TV; 29 W (pat) 59/10 - [X.]; 27 W (pat) 525/14 - Therapie.TV; 29 W (pat) 525/13 - [X.]; vgl. auch BGH [X.] 2010, 1100, 1102 [X.]. 22 - [X.]!). Vorliegend kann der angesprochene Verkehr dem Anmeldezeichen somit den Sachhinweis entnehmen, dass die in Klasse 38 beanspruchten Telekommunikationsdienstleistungen sich auf einen "juristischen Bot" beziehen.

dd) Die Dienstleistungen der [X.] können auf die Entwicklung von Software für einen [X.] gerichtet sein, so dass zumindest ein die Unterscheidungskraft ausschließender enger beschreibender Bezug besteht.

e) Der hiergegen gerichtete Beschwerdevortrag greift insgesamt nicht durch. Insbesondere stellt das Anmeldezeichen [X.] keine phantasievolle Wortneuschöpfung mit eigenschöpferischem Gehalt dar, sondern beschränkt sich auf eine nachweislich bereits seit vielen Jahren von anderen Anbietern verwendete Wortkombination. Bereits aus diesem Grunde können die vom Anmelder in Bezug genommenen Entscheidungen des Bundespatentgerichts "[X.]" ([X.] PAVIS PROMA 30 W (pat) 46/17) und "[X.]" ([X.] PAVIS PROMA 25 W (pat) 6/18), die im Übrigen völlig andere Wortkombinationen betreffen, nicht unbesehen auf den vorliegenden Fall übertragen werden.

Anders als in der Entscheidung "[X.]" handelt es sich vorliegend auch nicht um eine sprachregelwidrige Abwandlung (vgl. [X.] PAVIS PROMA 30 W (pat) 46/17, wonach "[X.]" die in den [X.] Sprachgebrauch eingegangene Begrifflichkeit "[X.]" sprachregelwidrig abwandelt). Bei [X.] handelt es sich vielmehr um einen durch sprachlich und auch grammatikalisch korrekte Verbindung der einzelnen Begriffe  ("Jura" und "bot") gebildeten Gesamtbegriff, der keine ungewöhnliche Struktur oder Besonderheiten syntaktischer oder semantischer Art aufweist, die von einem rein sachbezogenen Aussagegehalt wegführen könnten. Dabei fügt sich [X.], wie dargelegt, in eine Reihe von vergleichbar gebildeten Wortkombinationen aus "-bot/-Bot" und einem vorangestellten, konkretisierenden Bezugswort ein (wie z. B. "Chatbot", "Social Bot", "[X.]") ein, wobei auch die Zusammenschreibung (neben anderen Schreibweisen, u. a. mit Bindestrich) in diesem Bereich durchaus gängig ist ("Chatbot") und sich daher nicht markant auswirkt.

f) Die Marke kann damit für die o. g. Dienstleistungen ihre Hauptfunktion, nämlich den Verkehrskreisen die Ursprungsidentität der mit der Marke gekennzeichneten Waren und Dienstleistungen zu garantieren, nicht erfüllen. Sie ist daher insoweit nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] von der Eintragung ausgeschlossen.

Die Beschwerde war daher im dargelegten Umfang zurückzuweisen.

3. In Bezug auf die im Tenor genannte Dienstleistung "Werbung, insbesondere Werbung im [X.]" können hingegen keine Eintragungshindernisse nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 [X.] festgestellt werden.

Wird die Dienstleistung "Werbung" mit [X.] gekennzeichnet, stellt das Anmeldezeichen keinen ausschließlich werbeüblichen Sachhinweis dar; auch ein enger sachlicher beschreibender Bezug von "Werbung" zu einem "juristischen Bot" fehlt. Üblich ist zur Beschreibung dieser Dienstleistung eine Bezeichnung nach der Art des Mediums oder der Branchen, auf die die Leistungen bezogen sind (BGH [X.] 2009, 949, 952, Rn. 24 - [X.]). Für die Annahme, dass [X.] speziell auf "[X.]s" zugeschnitten sein könnten, fehlen ebenfalls zureichende Anhaltspunkte. Angesichts dessen ist nicht auszuschließen, dass der durch [X.] vorwiegend angesprochene Geschäftsverkehr sowie der durchschnittliche allgemeine Endverbraucher [X.] zumindest auch als Hinweis auf den Erbringer von [X.] auffassen werden, wenn diese im Verkehr entsprechend gekennzeichnet werden.

Der Beschwerde war daher insoweit stattzugeben.

Meta

30 W (pat) 26/19

26.11.2020

Bundespatentgericht 30. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

§ 8 Abs 2 Nr 1 MarkenG, § 8 Abs 2 Nr 2 MarkenG

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 26.11.2020, Az. 30 W (pat) 26/19 (REWIS RS 2020, 301)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 301

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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