Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 29.06.2017, Az. 7 C 22/15

7. Senat | REWIS RS 2017, 8840

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Gegenstand

Zugang zu Unterlagen des Statistischen Bundesamtes zur Unternehmenskonzentration


Leitsatz

1. § 16 Abs. 1 Satz 1 BStatG stellt eine Rechtsvorschrift im Sinne von § 3 Nr. 4 IFG dar.

2. Der Begriff der Einzelangaben in § 16 Abs. 1 Satz 1 BStatG ist weit auszulegen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt Zugang zu Unterlagen des [X.] zur Unternehmenskonzentration.

2

Im September 2010 beantragte er auf der Grundlage des [X.] Zugang zu Vergleichsberechnungen zur Gruppenzugehörigkeit von Unternehmen, die das [X.] [X.] durchgeführt und an diese zur Erstellung des [X.]. [X.] 2006/2007 übermittelt hatte. Den Antrag lehnte das [X.] ab.

3

Das der Klage stattgebende Urteil des [X.] hat der [X.]hof aufgehoben. Dem Anspruch auf Informationszugang stehe der Ausschlussgrund nach § 3 Nr. 4 IFG i.V.m. § 16 Abs. 1 Satz 1 [X.] entgegen. Das Statistikgeheimnis des § 16 Abs. 1 Satz 1 [X.] erstrecke sich auch auf die streitbefangenen Unterlagen des [X.], die Einzelangaben im Sinne dieser Vorschrift enthielten. Der Begriff der Einzelangabe umfasse nicht nur die einzelnen Daten vor der Aggregierung, sondern auch die ermittelten Ergebnisse, solange es sich nicht sicher um die in § 16 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 [X.] genannten "statistischen Ergebnisse" handele, die vom Gebot der Geheimhaltung ausgenommen seien. Die Berechnungen unterfielen hinsichtlich der Rechenmethoden, der Auswahl der Daten und des Ergebnisses dem Schutzzweck des § 16 Abs. 1 Satz 1 [X.], weil in den Daten dominante Einzelwerte enthalten sein könnten und diese gegebenenfalls auf das einzelne Unternehmen und dessen Einzelangaben zurückgerechnet werden könnten. Eine Dominanzprüfung sei nicht durchgeführt worden. Das [X.] sei nicht verpflichtet, weitere Amtshandlungen vorzunehmen, die einen Auskunftsanspruch erst begründen könnten.

4

Zur Begründung seiner vom [X.]hof zugelassenen Revision trägt der Kläger vor:

5

Den Informationszugang beschränkende Versagungsgründe seien eng auszulegen. Das gelte auch für das Statistikgeheimnis des § 16 [X.]. Dominanzfälle müssten für den Datensatz tatsächlich vorliegen. Sie dürften nicht bloß vermutet werden. Dies habe das Berufungsgericht aber als ausreichend erachtet. Die Auffassung des [X.] führe zu einer dem Informationszugang entgegenstehenden Bereichsausnahme für Statistik, die nach der Rechtsprechung des [X.] nur für Nachrichtendienste bestehe. Das Berufungsgericht habe den Anspruch auf Informationszugang zu Unrecht insgesamt versagt. Dass in einem Vorgang geheimhaltungsbedürftige Informationen enthalten seien, reiche zur vollständigen Verweigerung des [X.] nicht aus. Nach § 7 Abs. 2 Satz 1 IFG müsse dem Antrag auf Zugang zu Informationen in dem Umfang stattgegeben werden, der ohne unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand möglich sei. Demnach sei vorliegend die Durchführung einer Dominanzprüfung geboten.

6

Im Übrigen greift der Kläger das Berufungsurteil unter dem Gesichtspunkt eines Gehörsverstoßes an.

7

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Hessischen [X.]hofs vom 30. Juli 2015 zu ändern und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des [X.] Wiesbaden vom 7. März 2013 zurückzuweisen.

8

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

9

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision ist nicht begründet. Das Berufungsurteil beruht nicht auf einer Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Der Verwaltungsgerichtshof hat der Berufung der Beklagten zu Recht stattgegeben; die Verfahrensrüge des [X.] greift nicht durch.

1. Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, dass der Versagungsgrund des § 3 Nr. 4 des [X.] ([X.] - [X.]) vom 5. September 2005 ([X.]), zuletzt geändert durch Art. 2 Abs. 6 des Gesetzes vom 7. August 2013 ([X.]) zugunsten der Beklagten eingreift. Danach besteht der Anspruch auf Informationszugang unter anderem nicht, wenn die Information einem Berufs- oder besonderen Amtsgeheimnis unterliegt.

§ 3 Nr. 4 [X.] überlässt als Rezeptionsnorm den besonderen Geheimnisschutz den in Bezug genommenen [X.]en (vgl. BVerwG, Urteile vom 24. Mai 2011 - 7 [X.] - [X.] 400 [X.] Nr. 4 Rn. 14 und vom 28. Juli 2016 - 7 [X.] 3.15 - [X.] 404 [X.] Nr. 19 Rn. 11; [X.], [X.], 2. Aufl. 2016, § 3 Rn. 204 f.). Was nach anderen Vorschriften geheim gehalten werden muss, bleibt auch unter der Geltung des [X.] geheim (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 2009 - 7 [X.] 21.08 - [X.] 400 [X.] Nr. 2 Rn. 21 und 25).

Eine solche [X.] ist auch § 16 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Statistik für Bundeszwecke ([X.] - [X.]) i.d.F. der Bekanntmachung vom 20. Oktober 2016 ([X.]) (vgl. [X.]. 15/4493 S. 11). Nach dieser Bestimmung sind Einzelangaben über persönliche und sachliche Verhältnisse, die für eine Bundesstatistik gemacht werden, von den Amtsträgern und für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten, die mit der Durchführung von [X.] betraut sind, geheim zu halten, soweit durch besondere Rechtsvorschriften nichts anderes bestimmt ist. Der Versagungsgrund des [X.] nach § 3 Nr. 4 [X.] i.V.m. § 16 Abs. 1 Satz 1 [X.] ist keine Bereichsausnahme, wie sie nach § 3 Nr. 8 [X.] hinsichtlich eines Anspruchs auf Informationszugang etwa gegenüber den Nachrichtendiensten besteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Februar 2016 - 7 [X.] 18.14 - [X.] 404 [X.] Nr. 17 Rn. 12). Diese Vorschriften nehmen nicht das [X.] schon als solches vom [X.] aus, sondern schränken den Informationszugang für bestimmte Einzelangaben ein, soweit nicht ein Ausnahmetatbestand nach den nachfolgenden Absätzen vorliegt.

Die von § 16 Abs. 1 Satz 1 [X.] geschützten Einzelangaben über persönliche und sachliche Verhältnisse umfassen Erklärungen, die vom Auskunftspflichtigen oder Befragten in Erfüllung seiner statistischen Auskunftspflicht nach § 15 [X.] oder bei einer Erhebung ohne Auskunftspflicht freiwillig abgegeben werden (vgl. [X.]/[X.]/[X.], Kommentar zum [X.], 1988, § 16 Rn. 13 f.; [X.]. 10/5345 S. 21). Für den Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ist die strikte Geheimhaltung der zu statistischen Zwecken erhobenen Einzelangaben unverzichtbar, solange ein Personenbezug noch besteht oder herstellbar ist ([X.], Urteil vom 15. Dezember 1983 - 1 BvR 209/83 u.a. - [X.]E 65, 1, 49). Dieser Schutzzweck gebietet eine weite Auslegung des Begriffs der Einzelangaben in § 16 Abs. 1 Satz 1 [X.].

Zu den durch das [X.] geschützten Einzelangaben gehören daher auch die mit den Einzelangaben anderer Befragter zusammengefassten Einzelangaben, solange ein Personenbezug wieder herstellbar ist. "Statistische Ergebnisse" im Sinne der Ausnahmevorschrift des § 16 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 [X.] stellen somit nur solche zusammengefassten Einzelangaben dar, die nicht geeignet sind, einen Rückschluss auf Einzelangaben einzelner Befragter zuzulassen. Das setzt regelmäßig die Vornahme einer sog. Dominanzprüfung voraus, mit der ermittelt werden soll, ob trotz Zusammenfassung von Einzelangaben ein Befragter aufgrund seiner besonderen Stellung noch identifizierbar ist (vgl. [X.]/[X.]/[X.], Kommentar zum [X.], 1988, § 16 Rn. 27). Eine solche Prüfung ist hier vor der Übermittlung an die [X.] nicht erfolgt. Dass die Beklagte hierzu verpflichtet gewesen wäre, trägt auch der Kläger nicht vor.

Auf dieser Grundlage, von der auch der Verwaltungsgerichtshof ausgeht (vgl. [X.]), fallen Angaben unter den Schutz des [X.] nach § 16 Abs. 1 Satz 1 [X.], in denen dominante Einzelwerte enthalten sein können, die einen Rückschluss auf einzelne Auskunftspflichtige bzw. die von diesen gemachten Einzelangaben ermöglichen. Dies ist nach den für den Senat bindenden Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs (§ 137 Abs. 2 VwGO) hinsichtlich der vom Kläger begehrten Ergebnisse der vom [X.] [X.] durchgeführten Vergleichsberechnungen der Fall. Danach steht fest, dass in den verfahrensgegenständlichen Untersuchungen derartige Einzelwerte (sog. Dominanzwerte) auftreten können und sogar wahrscheinlich sind (vgl. [X.]). Auch die sog. [X.] sind den Einzelangaben zuzurechnen. Da nicht auszuschließen ist, dass durch Kombination mit anderen Konzentrationsmaßen Rückschlüsse auf einzelne Einheiten gezogen werden können, ist ein Zugang zu diesen Daten ohne weitere Prüfung nicht möglich. Dass diese Prüfung nach Auffassung des [X.] keinen besonderen Aufwand erfordert, sondern schematisch vorgenommen werden kann, stellt die Notwendigkeit einer solchen Prüfung nicht in Frage. Das Gleiche gilt für die Fallzahlen, die den Vergleichsberechnungen zugrunde liegen. Auch sie fallen unter die statistische Geheimhaltung. Nach nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs stammen diese Daten nicht allein aus kommerziellen Quellen, sondern sind mit Daten aus den Statistischen Landesämtern und dem [X.] zusammengefasst worden.

§ 16 Abs. 1 Satz 1 [X.] bedarf entgegen der Auffassung des [X.] auch keines "wissenschaftsfreundlichen" Verständnisses. Den Anforderungen der Wissenschaftsfreiheit trägt § 16 Abs. 6 [X.] Rechnung. Diese Vorschrift ist auf den Kläger, der für keine Hochschule oder sonstige Forschungseinrichtung tätig ist, nicht anwendbar.

Schließlich hat der Kläger keinen Anspruch auf Vornahme einer nachträglichen Dominanzprüfung. Das [X.] sieht eine solche Rechtspflicht der Beklagten nicht vor. Anderes folgt nicht aus § 47 Abs. 1 des [X.] ([X.]) i.d.F. der Bekanntmachung vom 26. Juni 2013 ([X.] I S. 1750, 3245). Auch das [X.] bietet keine Rechtsgrundlage hierfür. Insbesondere ergibt sich aus § 7 Abs. 2 Satz 1 [X.] kein Anspruch auf eine weitere Aufbereitung der zum Gegenstand des Informationsbegehrens gemachten Vergleichsberechnungen. Die Vorschrift geht davon aus, dass ein Informationszugang nach den materiell-rechtlichen Vorgaben wenigstens teilweise besteht (BVerwG, Urteil vom 17. März 2016 - 7 [X.] 2.15 - BVerwGE 154, 231 = [X.] 404 [X.] Nr. 18 Rn. 19). Daran fehlt es hier. Das [X.] schließt - wie dargelegt - einen Informationszugang zu den Vergleichsberechnungen insgesamt und nicht nur bezogen auf einen Teil der Berechnungen aus. Sperrt das Fachrecht den Informationszugang und gewährt es auch keinen Anspruch auf eine weitere Bearbeitung der Informationen, um die Sperrwirkung zu überwinden, so ist dies auch für den Anspruch auf Informationszugang nach dem [X.] maßgeblich. In der Rechtsprechung des [X.] ist geklärt, dass der [X.] nach § 1 Abs. 1 Satz 1 [X.] auf diejenigen Informationen beschränkt ist, die bei der Behörde im Zeitpunkt des Eingangs des Antrags vorhanden sind (BVerwG, Urteil vom 17. März 2016 - 7 [X.] 2.15 - BVerwGE 154, 231 = [X.] 404 [X.] Nr. 18 Rn. 41).

2. Entgegen der Auffassung der Revision leidet das Urteil des [X.] nicht an einem Verfahrensfehler. Die Revision rügt eine Versagung des rechtlichen Gehörs nach § 138 Nr. 3 und § 108 Abs. 2 VwGO. Das rechtliche Gehör sei verletzt, weil der Kläger nicht die Möglichkeit gehabt habe, zu dem Schriftsatz der Beklagten vom 29. Juli 2015 ausreichend Stellung zu nehmen. Diese Auffassung geht indes fehl. Falls der Kläger durch neues Vorbringen des [X.] überfordert gewesen sein sollte, hätte er, um sich Gehör zu verschaffen, um Vertagung oder um [X.] nachsuchen müssen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. Dezember 1997 - 11 B 3.97 - NVwZ 1998, 634, 636; [X.], in: [X.], VwGO, 14. Aufl. 2014, § 138 Rn. 35). Dies hat der Kläger nicht getan. Ihm wurde in der mündlichen Verhandlung zweimal durch Unterbrechung der Sitzung Gelegenheit gegeben, sich zu dem Schriftsatz zu äußern. Nach der ersten Unterbrechung hat der Kläger zwar angekündigt, eine [X.] zu beantragen, einen solchen Antrag hat er aber auch nach der zweiten Unterbrechung nicht gestellt. Im Übrigen enthält der Schriftsatz der Beklagten kein neues Vorbringen, sondern fasst den wesentlichen Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze zusammen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Meta

7 C 22/15

29.06.2017

Bundesverwaltungsgericht 7. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Hessischer Verwaltungsgerichtshof, 30. Juli 2015, Az: 6 A 1998/13, Urteil

§ 3 Nr 4 IFG, § 16 Abs 1 S 1 BStatG, § 16 Abs 1 S 3 Nr 3 BStatG, § 16 Abs 6 BStatG, § 47 Abs 1 GWB, § 47 Abs 2 GWB

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 29.06.2017, Az. 7 C 22/15 (REWIS RS 2017, 8840)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 8840

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