Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.10.2014, Az. 5 StR 176/14

5. Strafsenat | REWIS RS 2014, 2085

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen



Nachschlagewerk: ja

[X.]St : ja

Veröffentlichung : ja

[X.] § 115, § 140 Abs. 1 Nr. 4, § 141 Abs. 3 Satz 2

Regelmäßig keine notwendige Verteidigung im Ermittlungsver-fahren schon vor einer verantwortlichen Vernehmung des [X.] nach dessen Ergreifung aufgrund eines Haftbe-fehls wegen Mordverdachts.

[X.], Beschluss vom 20. Oktober 2014

5 StR 176/14

LG [X.]

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS

5
StR 176/14

vom
20. Oktober 2014
in der Strafsache
gegen

wegen
Mordes u.a.

-
2
-
Der 5. Strafsenat des [X.] hat am 20. Oktober 2014
beschlos-sen:

Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des [X.]s [X.] vom 25. Oktober 2013 wird nach § 349 Abs. 2 [X.] als unbegründet verworfen.
Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger durch ihre Revision entstandenen not-wendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:
Das [X.] hat die Angeklagte wegen Mordes in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Hiergegen rich-tet sich die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts ge-stützte Revision der Angeklagten. Das Rechtsmittel vermag aus den in der [X.] aufgeführten Gründen nicht durchzu-dringen. Der ergänzenden Erörterung bedarf Folgendes:

§ 163a Abs. 3 Satz 2, § 136 Abs. 2, § 141 Abs. 3 Satz 2 [X.], Art. 6 Abs. 3 einmal durch den Haftrichter vernommen worden sei. Trotz eines daraus resul-tierenden Beweisverwertungsverbots seien die [X.] und der Ermittlungsrichter gegen den Widerspruch der Verteidigung in der [X.] über den Inhalt der Vernehmungen vernommen und ein Teil der Feststellungen auf deren Aussagen gestützt worden.
1
2
-
3
-
a) Folgendes Verfahrensgeschehen liegt zugrunde:
Am 12. September 2001 wurde die 63 Jahre alte

D.

gewalt-sam getötet in ihrer Wohnung aufgefunden. Die Ermittlungen verliefen zunächst ergebnislos. Nach deren Wiederaufnahme im Dezember 2012 ergab ein DNS-Abgleich einer Speichelprobe der Angeklagten Übereinstimmung unter ande-rem mit in der Hand der Getöteten gefundenen H[X.]ren. Gegen die Angeklagte wurde am 27. Februar 2013 Haftbefehl erlassen. Am 5. März 2013 wurde sie festgenommen und zur [X.]er Mordkommission verbracht. Noch am selben Tag und am Vormittag des folgenden Tages wurde sie jeweils nach ordnungs-gemäßer Belehrung auch über ihr Recht auf [X.] vernom-men. Anschließend wurde sie dem Haftrichter vorgeführt. Nach weiterer korrek-ter Belehrung war sie aussagebereit, erklärte, keinen Anwalt zu benötigen und noch nie einen benötigt zu haben. Zur Sache bekundet sie, sie habe schon bei der Polizei ausgesagt. Was sie dort gesagt habe, sei zutreffend. Auf Vorhalt einer Passage aus einem Vernehmungsprotokoll bekundete sie, dass sie es ja gewesen sein müsse. Sie sei da gewesen und habe die Frau angegriffen. [X.] wolle sie jetzt nichts sagen. Der Ermittlungsrichter ordnete den Vollzug des Haftbefehls an und bestellte der Angeklagten einen Pflichtverteidiger.
Am zweiten Hauptverhandlungstag (18. September 2013) widersprach der Verteidiger vorab der Verwertung der polizeilichen und richterlichen [X.]. Nach Herbeiführung von Gerichtsbeschlüssen (§ 238 Abs. 2 [X.]) wurden die Polizeibeamten und der Ermittlungsrichter vernommen. Ein weiterer Verwertungswiderspruch erfolgte nicht.
b) [X.] ist zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 [X.]). Entgegen der Auffassung des [X.] bedurfte es keines gesonderten (zweiten) Verwertungswiderspruchs im [X.] an die Vernehmung der ge-3
4
5
6
-
4
-
nannten Beweispersonen. Nach der Rechtsprechung des [X.] kann der Widerspruch nämlich grundsätzlich auch umfassend vorab erklärt werden; in diesem Fall muss ihn der Verteidiger nach Abschluss der Zeugen-vernehmung nicht noch einmal ausdrücklich wiederholen (vgl. [X.], Beschluss vom 3. Dezember 2003

5 [X.], [X.], 389; Urteil vom 27. Ju-ni
2013

3 [X.], NJW 2013, 2769, 2771 f., insoweit in [X.]St 58, 301 nicht abgedruckt; KK/Diemer,
[X.], 7. Aufl., § 136 Rn. 28). Der durch die [X.] erhobene Widerspruch wird auch ansonsten den Anforderungen [X.].
Der [X.] kann dahingestellt lassen, ob anderes zu gelten hätte, wenn sich bei freibeweislicher Klärung von der Verteidigung erhobener [X.] etwa gewichtige Anhaltspunkte für deren Haltlosigkeit ergeben haben würden. Dies könnte im vorliegenden Fall für den nach [X.] Wür-digung der Schwurgerichtskammer durch die Beweisaufnahme widerlegten und von der Verteidigung mit der Revision nicht weiterverfolgten Vortrag gelten, die [X.] hätten die irrige Annahme der Angeklagten ausgenutzt, nicht den Rat eines Verteidigers in Anspruch nehmen zu können, weil sie sich einen solchen nicht zu leisten vermöge. Indessen stützt sich die Revision auf die Erwägung, die St[X.]tsanwaltschaft hätte vor einer Vernehmung zwingend auf die Beiordnung eines Verteidigers hinwirken müssen (§ 141 Abs. 3 Satz 2 [X.]). Dieser Gesichtspunkt wurde durch die Vernehmungen aber nicht be-rührt.
c) [X.] ist unbegründet.
[X.]) Der [X.] hat bereits mehrfach entschieden, dass nach geltendem Recht (§ 141 Abs. 3 Satz 2 [X.]) auch mit Bedacht auf Art. 6 Abs.
3 Buchst.
c MRK keine Pflicht besteht, dem Beschuldigten stets bereits 7
8
9
-
5
-
frühzeitig im Ermittlungsverfahren, etwa beginnend mit dem dringenden Ver-dacht eines (auch schweren) Verbrechens, einen Verteidiger zu bestellen ([X.], Beschlüsse vom 5. Februar 2002

5 StR 588/01, [X.]St 47, 233, 236
f.; vom 17. Dezember 2003

5 [X.], [X.]R [X.] § 141 Bestel-lung
8; vom 19. Oktober 2005

1 [X.], [X.], 181, 182; vom 10. Januar 2006

5 [X.], [X.], 1008, 1010). Das gilt auch dann, wenn ein Haftbefehl besteht (vgl. [X.], Beschluss vom 17. Dezember 2003

5 [X.], [X.]O).
Von dieser Rechtsprechung abzurücken, besteht kein Anlass. Dies gilt umso mehr, als der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Änderung des [X.] vom 29. Juli 2009 ([X.] I S. 2274) den Zeitpunkt der recht-lich zwingenden Bestellung eines Pflichtverteidigers in § 140 Abs. 1 Nr. 4 [X.] in Kenntnis der bestehenden Rechtsprechung bewusst auf den Beginn der Vollstreckung der Untersuchungshaft festgelegt hat. Nach § 141 Abs. 3 Satz 4 erfolgen, sofern der [X.] nach seiner Verkündung nicht außer Vollzug gesetzt wird (vgl. Be-schlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/13097, [X.]). Erst mit der Aufrechterhaltung der Haft nach § 115 Abs. 4 Satz 1 [X.] liegt eine Vollstreckung
der Untersuchungshaft
im Sinne des § 140 Abs. 1 Nr. 4 [X.] vor. Forderungen, frühere Ereignisse, wofür beispielsweise der
Erlass eines Haftbefehls oder die Ergreifung des Beschuldigten
in Betracht gekommen wären, haben sich im Gesetzgebungsverfahren nicht durchgesetzt (vgl. Be-schlussempfehlung und Bericht, [X.]O, S. 16 f.; siehe
auch [X.], Beschluss vom 5.
Februar
2002

5 StR 588/01, [X.]O, [X.]; [X.] in Festschrift Rissing-van S[X.]n, 2011, S.
275, 277 f. mwN).

10
-
6
-
bb) Diesen gesetzlichen Vorgaben wurde hier mit der sofortigen Vertei-digerbestellung nach Anordnung des Vollzugs der Untersuchungshaft entspro-chen. Besonderheiten, etwa die Durchführung einer beweissichernden ermitt-lungsrichterlichen Vernehmung eines wesentlichen Belastungszeugen in
Abwe-senheit des Beschuldigten (vgl. [X.], Urteil vom 25. Juli 2000

1 StR 169/00, [X.]St 46, 93, 99 f.), waren nicht gegeben. Der Umstand allein, dass die bis-lang unbestrafte Angeklagte über keine Erfahrungen mit der Strafjustiz verfügte und mit einem Mordvorwurf konfrontiert wurde, genügt für die Annahme einer von der Verteidigung geltend gemachten Ermessensreduktion auf Null auf [X.] der St[X.]tsanwaltschaft in Richtung auf sofortige Verteidigerbestellung nicht.
cc) Allerdings haben die Polizeibeamten gegen § 115 Abs. 1 [X.] ver-stoßen, indem sie die Angeklagte nach ihrer Ergreifung nicht unverzüglich dem zuständigen Gericht vorgeführt, die Vorführung vielmehr zum Zweck der [X.] polizeilicher Beschuldigtenvernehmungen aufgeschoben haben (vgl. [X.], Beschluss vom 9. Februar 1995

5 StR 547/94, [X.]R [X.] § 128 Abs.
1 Vorführungsfrist 2; Urteil vom 17. November 1989

2 [X.], NJW
1990, 1188). Dieser Verfahrensfehler verengt jedoch nicht den der St[X.]tsanwaltschaft in § 141 Abs. 3 Satz 2 [X.] übertragenen Beurteilungs-spielraum betreffend das Hinwirken auf sofortige Verteidigerbestellung. [X.] wäre es

sofern eingebunden

deren Pflicht gewesen, nachhaltig für die Wahrung des Unverzüglichkeitsgebots nach § 115 Abs. 1 [X.] Sorge zu tra-gen. Infolge der in erster Linie auf Gewährleistung rechtlichen Gehörs nach Art.
103 Abs. 1 GG zielenden Schutzrichtung des § 115 Abs. 1 [X.] (vgl. [X.] [Kammer], NStZ 1994, 551, 552; [X.], [X.],
26. Aufl.,
§ 115 Rn.
1), die das Interesse an frühzeitiger Verteidigerbestellung (vgl. auch KK/[X.], [X.], 7. Aufl., § 115 Rn. 1a) gleichsam als Reflex mit
umfasst, ver-11
12
-
7
-
mag die Verletzung dieser Vorschrift den Zeitpunkt rechtlich zwingender Vertei-digerbestellung aber nicht vorzuverlagern.
Ein Verwertungsverbot wäre freilich anzunehmen, wenn die Polizeibeam-ten die gebotene Vorführung bewusst unterlassen hätten, um die Verteidiger-bestellung durch den Haftrichter zu umgehen. Dafür sind jedoch keine [X.] vorhanden. Hiergegen spricht vielmehr, dass der Haftrichter nach der Wertentscheidung des Gesetzgebers die aussagebereite Beschuldigte

wie geschehen

in dem in § 115 Abs. 2 [X.] bezeichneten Zeitrahmen vor [X.] der Untersuchungshaft ohne vorherige Verteidigerbestellung hat ver-nehmen dürfen. Es liegt
die Annahme nahe, dass die Beamten hier in bloßer Verkennung des § 115 Abs. 1 [X.] bestrebt waren, dem zuständigen Gericht eine tragfähige Grundlage für seine Entscheidung über den Vollzug der Unter-suchungshaft zu vermitteln.
2. Die Verletzung des in § 115 Abs. 1 [X.] normierten Unverzüglich-keitsgebots hat die Revision, was sie in ihrer Erwiderung auf die diesen Ge-sichtspunkt hervorhebende Zuschrift des [X.] auch nicht in Abrede gestellt hat, nicht in einer Verfahrensrüge beanstandet, sich vielmehr ausdrücklich auf die Rüge unterlassener Verteidigerbestellung beschränkt. Damit ist dem [X.] die Prüfung verwehrt, ob dieser Verfahrensfehler etwa zur
Unverwertbarkeit der von der Angeklagten vor der Polizei, unter Umständen auch vor dem Haftrichter gemachten Angaben hätte führen müssen; hiergegen sprächen
die Einhaltung
immerhin der in Art. 104 Abs. 3 GG bestimmten Frist (vgl. [X.], Beschluss vom 9. Februar 1995

5 StR 547/94, [X.]O), die nach [X.] vor den Haftrichter und korrekter Belehrung gleichwohl erfolgte [X.] der Angeklagten, die den Beistand eines Verteidigers ausdrücklich nicht [X.],
sowie die Schwere des [X.]. Die Angriffsrichtung bestimmt den 13
14
-
8
-
Prüfungsumfang des [X.]; einem Revisionsführer steht es wegen seiner Dispositionsbefugnis zu, ein Prozessgeschehen nur unter einem be-stimmten Gesichtspunkt zu rügen, einen etwa zusätzlich begangenen Verfah-rensverstoß aber hinzunehmen (vgl. [X.], Urteil vom 3. September 2013

5 [X.], [X.], 671; Beschluss
vom 29. November 2013

1 [X.], [X.], 221, jeweils mwN).
Darüber hinaus wäre die Revision mit einer etwa erhobenen diesbezügli-chen Verfahrensrüge auch ausgeschlossen. Denn die Verteidigung hat schon den in der Hauptverhandlung erhobenen Verwertungswiderspruch nicht (auch) auf die Verletzung des Unverzüglichkeitsgebots gestützt, was insoweit eine Rü-gepräklusion nach sich ziehen würde (vgl. [X.], Beschluss vom 11. Septem-ber
2007

1 StR 273/07, [X.]St 52, 38, 42 ff.; [X.] in Festschrift
Rissing-van S[X.]n, 2011, [X.], 375 f.).
3. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der durch die Angeklagte erho-benen Sachrüge hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler zu ihrem Nachteil ergeben. Der [X.] kann angesichts mangelnden Beruhens dahingestellt las-sen, ob angesichts der konkreten Gegebenheiten (glaubhaftes Geständnis der Angeklagten, weitere belastende Indizien) die Mitteilung nur des Ergebnisses des [X.] (Übereinstimmung mit der DNA der Angeklagten) hier ausnahmsweise genügen würde (vgl.
zu den Anforderungen [X.], Urteile vom 5. Juni 2014

4 [X.], NJW 2014, 2454; vom 21. März 2013

3 [X.], [X.]St 58, 212).
Basdorf Dölp König

Berger Bellay
15
16

Meta

5 StR 176/14

20.10.2014

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.10.2014, Az. 5 StR 176/14 (REWIS RS 2014, 2085)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 2085

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

5 StR 176/14 (Bundesgerichtshof)

Pflichtverteidigung im Ermittlungsverfahren wegen Mordverdachts: Notwendige Verteidigung des aufgrund eines Haftbefehls ergriffenen Beschuldigten vor seiner …


5 StR 588/01 (Bundesgerichtshof)


1 StR 447/05 (Bundesgerichtshof)


1 StR 220/01 (Bundesgerichtshof)


2 StR 489/13 (Bundesgerichtshof)

Verteidigung von Mitbeschuldigten durch Rechtsanwälte derselben Bürogemeinschaft: Besorgnis der richterlichen Befangenheit bei Ablehnung der Verteidigerentpflichtung


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

5 StR 176/14

3 StR 435/12

5 StR 318/13

1 StR 200/13

4 StR 439/13

3 StR 247/12

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.