Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.02.2015, Az. 2 StR 109/14

2. Strafsenat | REWIS RS 2015, 15522

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
2 StR 109/14
vom
12. Februar 2015
in der Strafsache
gegen

wegen Betruges u.a.

-
2
-
Der 2.
Strafsenat des [X.] hat aufgrund der Verhandlung vom 4.
Februar 2015 in der Sitzung am 12.
Februar 2015, an denen
teilgenommen haben:
[X.] am [X.]
Prof. Dr. Fischer,

[X.] am [X.]
Prof. [X.],
[X.],
[X.]in am [X.]
Dr. [X.],
[X.] am [X.]
[X.],

Richterin am Amtsgericht

in der Verhandlung,
Staatsanwältin

bei der Verkündung

als Vertreterinnen
der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt

in der Verhandlung,
Rechtsanwältin
in der Verhandlung und bei der Verkündung

als Verteidiger,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
-
3
-

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 24. Oktober 2013 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines
Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen unerlaubter Abgabe ver-schreibungspflichtiger Betäubungsmittel beim Betrieb einer Apotheke in drei Fällen und wegen Betrugs in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und gegen ihn ein Berufsverbot verhängt. Hiergegen richtet sich die auf eine Verfahrensrüge und die Sachbeschwerde gestützte Re-vision des Angeklagten. Das Rechtsmittel ist unbegründet.
I.
Das [X.] hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
1.
a) Der Angeklagte hatte die T.

-Apotheke in F.

von seinem Vater übernommen. Dieser hatte ein "Gutschriftensystem"
eingeführt, wonach gesetzlich krankenversicherte Kunden anstelle der ihnen 1
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ärztlich verschriebenen Arzneimittel Gutschriften für ihre Kassenrezepte erhiel-ten. Für den Gegenwert konnten sie freiverkäufliche Waren oder verschrei-bungspflichtige [X.] mit dem Wirkstoff Flunitrazepam erhalten. Der Angeklagte führte dieses Gutschriftensystem fort und gab [X.] in großen Mengen gegen Rezepte über andere Medikamente oder auch ohne Rezept gegen Barzahlung an Kunden ab. Von Januar 2006 bis [X.] bezog er 60.799 [X.], rechnete aber nur 28
dieser Packungen bei den Krankenkassen ab. Die Abgabe im "Gutschriftensystem"
erfolgte an Drogensüchtige oder an Personen, welche die Tabletten an [X.] weiterverkauften.
Nachdem die Polizei Hinweise darauf erhalten hatte, ließ ein Vertrau-ensmann der Polizei den Zeugen Fo.

ein Geschäft in der Apotheke des [X.] durchführen. Dabei tauschte der Zeuge Fo.

am 22. Mai 2009 ein Rezept über verschiedene andere Medikamente im Gesamtwert von 3.408,48 Euro gegen 100 [X.] mit insgesamt 2.000 Tabletten ein (Fall
1 der Urteilsgründe). Am 26.
Juni 2009 erlangte der Zeuge Fo.

nochmals 20 [X.] mit 400 Tabletten (Fall 2) und am 10. Juli 2009 ebenso (Fall 3).
b) Das [X.] hat darin drei Vergehen der unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln aus einer Apotheke im Sinne von §
29 Abs.
1 Nr.
7 BtMG durch den Angeklagten gesehen. Das Verfahren wegen weiterer Fälle der Ab-gabe von [X.] ohne zugehöriges Rezept hat es gemäß §
154 Abs.
2 [X.] eingestellt.
2. a) Ab April 2009 nahm der Angeklagte in der T.

-Apotheke gegen Zahlung eines 20 bis 30 Prozent betragenden Anteils des Rezeptwertes von sogenannten "Tauschkunden", die dem Kulturkreis der [X.] angehörten, Kas-4
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senrezepte entgegen, mit denen er angebliche sozialrechtliche Erstattungsan-sprüche bei den Krankenkassen geltend machte. Die Rezepte betrafen meist besonders teure Medikamente. Sie waren gefälscht oder willkürlich angespro-chenen Passanten abgekauft worden. Mit ihrer Übernahme durch den Ange-klagten war jeweils keine Abgabe von Arzneimitteln verbunden.
Die von den "Tauschkunden"
angekauften Rezepte reichte der [X.] mit seinen monatlichen Abrechnungen über die A.

GmbH bei den Krankenkassen ein. Auf einem Begleitzettel vermerk-te er Zahl und Gewicht der Rezepte. Den Zettel versah er in der Regel mit ei-nem Stempel seiner Apotheke. Die Abrechnungsstelle bearbeitete die Rezepte in Form von [X.] und gab [X.] an die einzelnen Krankenkassen weiter. Eine Überprüfung der Rezepte auf formale oder [X.] Fehler erfolgte bei der A.

GmbH
nicht. Auch die zuständigen Mitarbeiter der Krankenkassen nahmen nur eine Prüfung der Abrechnungen auf rechnerische Richtigkeit vor. Eine genauere Überprüfung der Rezepte war zurzeit der Zahlungen der Krankenkassen zudem noch nicht möglich, weil die Bilddateien der eingescannten Rezepte erst mehrere Wochen später bei den Krankenkassen eingingen. Sie wurden dann in einer anderen Abteilung auf formale Richtigkeit geprüft, insbesondere darauf, ob die Patien-tendaten korrekt eingetragen waren, die Arztnummer existierte und die Medi-kamentenpreise der Verordnung entsprachen. Eine inhaltliche Prüfung fand nur statt, wenn konkrete Hinweise auf Unregelmäßigkeiten vorlagen.
Von April bis Juli 2009 (Fälle 4 bis 7) rechnete der Angeklagte Rezepte über Medikamente im Gesamtwert von 1.591.480,23 Euro ab, ohne dass er entsprechende Arzneimittel an [X.] abgegeben hatte.
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b) Das [X.] hat in der Einreichung der falschen Rezepte pro Ab-rechnungsmonat jeweils einen Fall des Betrugs gesehen. Es sei eine konklu-dente Vorspiegelung falscher Tatsachen erfolgt. Dies sei aus dem Empfänger-horizont heraus zu verstehen, der auch vom Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Apotheker geprägt gewesen sei. Bei den Mitarbeitern der Krankenkassen sei eine Fehlvorstellung geweckt worden. Zwar seien bei der Massenerledigung keine inhaltlichen Überprüfungen erfolgt. Jedoch hätten die Mitarbeiter der Krankenkassen die Vorstellung gehabt, die eingereichten Rezeptabrechnungen seien "in Ordnung". Nur aufgrund dieser Vorstellung sei die Auszahlung der für Arzneimittelabgaben an gesetzlich versicherte Patienten vorgesehenen [X.] veranlasst worden.
Der den Krankenkassen entstandene Schaden sei nicht im [X.] der Sammelabrechnungen für die jeweiligen Monate zu sehen. Vielmehr seien nur die Abrechnungen bezüglich solcher Rezepte, die nicht zur Arzneimit-telabgabe geführt hätten, bei der konkreten Bestimmung des Schadensumfangs von Belang. Diese seien nicht genau festzustellen, sondern aufgrund der [X.] zwischen [X.] in der Apotheke und Abrechnungen gegenüber den Krankenkassen zu schätzen. Zudem sei ein Sicherheitsabschlag zur Be-stimmung des [X.] vorzunehmen.
II.
Die Revision des Angeklagten gegen dieses Urteil ist unbegründet.
Die Verfahrensrüge ist aus den vom [X.] in seiner An-tragschrift vom 2.
Juni 2014 genannten Gründen unzulässig. Die [X.] erweist sich als unbegründet.
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1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen unerlaubter Abgabe ver-schreibungspflichtiger Betäubungsmittel aus einer Apotheke gemäß §
29 Abs.
1 Satz
1 Nr.
7 BtMG ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Der Strafausspruch hierzu ist auch rechtsfehlerfrei, soweit das [X.] in den drei Fällen des [X.]erwerbs durch den Zeugen Fo.

zu Las-ten des Angeklagten gewertet hat, dass es sich bei den abgeurteilten Fällen nur um die Spitze des Eisbergs gehandelt habe. Das [X.] hat hinsichtlich der weiteren Taten zwar das Verfahren nach §
154 Abs.
2 [X.] eingestellt, aber Art und Umfang der dabei erfolgten Abgabe von [X.] an Personen aus der Drogenszene in ausreichendem Maße festgestellt (vgl. Senat, Urteil vom 5. Juni 2014 -
2 StR 381/14, Rn.
23).
2. Auch gegen die Verurteilung wegen Betrugs in vier Fällen bestehen keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
a) Bei den monatlichen Sammelabrechnungen des Angeklagten gegen-über den Krankenkassen lag jeweils eine Täuschungshandlung im Sinne von §
263 Abs.
1 StGB vor.
Täuschungshandlung ist jede Einwirkung des [X.] auf die Vorstellung des [X.], die geeignet und dazu bestimmt ist, beim Adressaten der Er-klärung eine Fehlvorstellung über tatsächliche Umstände hervorzurufen. Sie besteht in der Vorspiegelung falscher oder in der Entstellung oder Unterdrü-ckung wahrer Tatsachen (vgl. [X.], Urteil vom 8.
Oktober 2014 -
1 [X.]). Welchen Erklärungswert eine konkludent abgegebene Äußerung besitzt,
beur-teilt sich nach dem [X.] und der Verkehrsanschauung (vgl. [X.], Beschluss vom 9.
Juni 2009 -
5 [X.], [X.], 2900, 2901).
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Ein Apotheker, der am Abrechnungssystem der Krankenkassen teil-nimmt, erklärt bei den Abrechnungen stillschweigend, dass er bestehende sozi-alrechtliche Erstattungsansprüche für tatsächlich durchgeführte [X.] geltend macht (vgl. [X.], Urteil vom 4.
September 2012 -
1 StR 534/11, Rn.
46; Urteil vom 10.
Dezember 2014 -
5 [X.], Rn.
11). Die entspre-chende Erklärung des Angeklagten war in den Fällen, die seiner Verurteilung zu Grunde liegen, falsch, weil die eingereichten Rezepte gefälscht oder angekauft waren und ohne entsprechende Arzneimittelabgabe zur Abrechnung eingereicht wurden.
Die Einschaltung der A.

GmbH führ-te in diesem Zusammenhang nur dazu, dass die jeweilige Tat vom Angeklagten in mittelbarer [X.]chaft begangen wurde. Sie ändert nichts am Erklärungswert der an die Krankenkassen weitergereichten Abrechnungen.
b) Das [X.] ist aufgrund der Besonderheiten des [X.] zutreffend davon ausgegangen, dass die Mitarbeiter der [X.] im Hinblick auf die Erklärungen des Angeklagten bei den monatlichen Sammelabrechnungen jeweils einem Irrtum unterlagen.
Bei Betrugsvorwürfen im Zusammenhang mit standardisierten, auf [X.] angelegten Abrechnungsverfahren ist es nicht erforderlich, dass der jeweilige Mitarbeiter hinsichtlich jeder einzelnen geltend gemachten Position die positive Vorstellung hatte, sie sei nach Grund und Höhe berechtigt; vielmehr genügt die stillschweigende Annahme, die ihm vorliegende Abrechnung sei ins-gesamt in Ordnung. Daher setzt ein Irrtum auch nicht voraus, dass tatsächlich
eine Überprüfung der Abrechnungen im Einzelfall durchgeführt wurde ([X.], Beschluss vom 25. Januar 2012 -
1 [X.], [X.]St 57, 95, 100).
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Für die Annahme eines täuschungsbedingten Irrtums ist es deshalb aus-reichend, dass ein sachgedankliches Mitbewusstsein der [X.] vorlag, das die Annahme einschloss, allen Abrechnungen des [X.]n hätten tatsächlich von [X.] als Kassenpatienten eingereichte Rezepte und entsprechende Arzneimittelabgaben in der Apotheke zu Grunde gelegen. Nur dafür ist das Abrechnungssystem des [X.] vor-gesehen. Es ist auf das Vertrauen gestützt, dass die Apotheker keine gefälsch-ten oder angekauften Rezepte zur Abrechnung tatsächlich nicht durchgeführter [X.] einreichen. Der Fall der Rezeptfälschung oder sonsti-gen Rezeptabrechnung ohne Arzneimittelabgabe stellt die Berechtigung des geltend gemachten sozialrechtlichen Erstattungsanspruchs grundlegend in [X.].
Weil es um das grundsätzliche Mitbewusstsein der Geltendmachung ei-nes tatsächlich bestehenden sozialrechtlichen Erstattungsanspruchs ging, be-durfte es weder einer Individualisierung des jeweils handelnden Mitarbeiters der Krankenkassen noch der Feststellung seiner individuellen Vorstellungen (vgl. [X.], Beschluss vom 4.
September 2014 -
1
StR 314/14). Das [X.] vielmehr bereits aus den Indizien des äußeren Ablaufs darauf schließen, dass alle Mitarbeiter der Krankenkassen irrtümlich von dem normativ geprägten Vorstellungsbild ausgingen, es würden nur dem Grunde
nach gerechtfertigte Erstattungsansprüche für tatsächlich durchgeführte [X.] gel-tend gemacht.
c) Mit der Vornahme der Zahlungen auf die Sammelabrechnungen ist je-weils eine Vermögensverfügung der Krankenkasse erfolgt, die zu einem Scha-den
geführt hat, weil nicht erbrachte Leistungen vergütet wurden.
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d) Die Stoffgleichheit zwischen der Vermögensverfügung und dem [X.] steht außer Frage. Daran ändert die Zwischenschaltung der Verrechnungsstelle nichts, die insoweit nur eine Botenfunktion ausgeübt hat.
e) Den Mindestumfang des Schadens in den vier Fällen monatlicher Ab-rechnungen im Hinblick auf bestimmte Medikamente hat das sachverständig beratene [X.] nach dem Verhältnis zwischen [X.] und abge-rechneten Medikamenten geschätzt und dabei um einen Sicherheitsabschlag von 22 Prozent reduziert. Dagegen ist rechtlich nichts zu erinnern.
Eine genauere Bestimmung der Verteilung von bezogenen und abge-rechneten Medikamenten auf die einzelnen Abrechnungsmonate war nicht möglich. Das [X.] hat die verfügbaren Daten hinsichtlich der einzelnen Medikamente im Urteil mitgeteilt. Eine noch ausführlichere Darstellung, auch des vom gerichtlichen Sachverständigen entwickelten [X.] und des genauen [X.], im [X.] war nicht erforderlich.
Fischer Ri[X.] Prof. [X.]

[X.]
ist beurlaubt und an der
Unterschrift gehindert.
Fischer

Eschelbach

[X.]

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Meta

2 StR 109/14

12.02.2015

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.02.2015, Az. 2 StR 109/14 (REWIS RS 2015, 15522)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 15522

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