Bundespatentgericht, Beschluss vom 15.06.2016, Az. 20 W (pat) 7/11

20. Senat | REWIS RS 2016, 9920

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Gegenstand

Patentbeschwerdeverfahren – "Verfahren zur Steuerung von Informationsübertragung zwischen Komponenten und Komponente zur Durchführung des Verfahrens" – zur Patentfähigkeit von Verfahrensansprüchen - zur Berücksichtigung von Vorrichtungsmerkmalen


Tenor

In dem Einspruchsbeschwerdeverfahren

betreffend das Patent 196 24 528

hat der 20. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des [X.] auf die mündliche Verhandlung vom 15. Juni 2016 durch den Vorsitzenden [X.]. Dr. [X.], [X.], die Richterin [X.] sowie den  Richter Dipl.-Ing. Albertshofer

beschlossen:

Der Beschluss der [X.] des [X.] vom 04.08.2010 wird aufgehoben und das Patent [X.] 196 24 528 widerrufen.

Gründe

I.

1

Auf die am 20. Juni 1996 beim [X.] ([X.]) eingegangene Patentanmeldung 196 24 528.1 der … GmbH ist am 18. Dezember 2008 durch Beschluss der Prüfungsstelle für [X.] das Patent unter der Bezeichnung

2

„Verfahren zur Steuerung von Informationsübertragung zwischen Komponenten und Komponente zur Durchführung des Verfahrens“

3

erteilt worden. Veröffentlichungstag der Patenterteilung ist der 20. Mai 2009.

4

Gegen das Patent ist durch die Einsprechende am 17. August 2009 Einspruch erhoben worden.

5

Auf den Einspruch hin hat die [X.] des [X.]es das Patent 196 24 528 mit am Ende der Anhörung am 4. August 2010 verkündetem Beschluss aufrechterhalten. Die schriftliche Beschlussbegründung datiert vom 19. November 2010 und ist der Beschwerdeführerin am 22. Dezember 2010 zugestellt worden.

6

Gegen diesen Beschluss hat die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom „18. Januar 2011“, eingegangen beim [X.] per Fax am 14. Januar 2011, Beschwerde eingelegt.

7

Die Einsprechende und Beschwerdeführerin hält den Gegenstand des Patents für nicht patentfähig. Sie stützt ihre Argumentation bezüglich fehlender Neuheit und fehlender erfinderischer Tätigkeit insbesondere auf die Druckschrift [X.] 693 20 125 T2 ([X.]).

8

Sie beantragt,

9

den Beschluss der [X.] des [X.]s vom 04.08.2010 aufzuheben und das Patent [X.] 196 24 528 in vollem Umfang zu widerrufen.

Die Patentinhaberin und Beschwerdegegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Hilfsweise beantragt sie,

das Patent auf der Grundlage folgender Unterlagen gemäß einem der [X.] – 3 aufrechtzuerhalten:

Patentansprüche 1 – 12 vom 25.05.2016, beim [X.] als Hilfsantrag 1 per Fax eingegangen am selben Tag

Patentansprüche 1 – 12 vom 25.05.2016, beim [X.] als Hilfsantrag 2 per Fax eingegangen am selben Tag

Patentansprüche 1 – 11 vom 25.05.2016, beim [X.] als Hilfsantrag 3 per Fax  eingegangen am selben Tag

Beschreibung und Zeichnungen jeweils wie Patentschrift.

Sie hält die Gegenstände ihrer Anspruchsfassungen jeweils für patentfähig, da sie durch den im Verfahren befindlichen Stand der Technik weder neuheitsschädlich vorweggenommen, noch dem Fachmann nahe gelegt seien.

erteilten Fassung hat folgenden Wortlaut:

Abbildung

Bezüglich der unabhängigen Patentansprüche 6 bis 13 sowie der abhängigen Patentansprüche 2 bis 5 und 7 bis 12 wird auf die Akte verwiesen.

Hilfsantrags 1 ist eingefügt (unterstrichen):

wobei die steuernde Komponente sämtliche Zustände, die für eine Vernetzung relevant sind, als Master kontrolliert und speichert, wobei durch die steuernde Komponente …“

[X.] ist zusätzlich zur Einfügung gemäß Hilfsantrag 1 am Ende angefügt:

„…, wobei die elektronischen Komponenten eine Datenkaskade bilden und wobei die Kaskadenzustände in einem nichtflüchtigen Speicher gespeichert werden.“

[X.] ist vor der Einfügung gemäß Hilfsantrag 1 eingefügt (unterstrichen):

wobei die Steuerleitung von einem [X.] realisiert wird, wobei die steuernde Komponente sämtliche Zustände, die für eine Vernetzung relevant sind, als Master kontrolliert und speichert, wobei durch die steuernde Komponente …“

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akte verwiesen.

II.

Die statthafte und auch sonst zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg, da der [X.] in keiner der verteidigten Fassungen patentfähig ist.

1. Die Erfindung des Streitpatents betrifft ein Verfahren zur Steuerung der Informationsübertragung zwischen Komponenten und eine Komponente zur Durchführung des Verfahrens.

2. Als Fachmann ist ein Diplomingenieur (FH) der Fachrichtung Nachrichten-technik anzusehen, der in der Entwicklungsabteilung für [X.] tätig ist. Er kennt die Möglichkeiten der digitalen und analogen Steuerung der hierbei eingesetzten bzw. einsetzbaren Systemkomponenten (TV, [X.], DVD, Radio) und der Übertragung der Daten zwischen den einzelnen Systemkomponenten. Für die Umsetzung spezieller Anforderungen, z. B. die Verwendung im KFZ, wendet er sich an einen Fachmann für KFZ-Elektronik.

3. Zur erteilten Fassung (Hauptantrag)

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag gilt als nicht neu (§ 3 [X.]) und ist daher nicht patenfähig.

3.1 Der Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag kann folgendermaßen gegliedert werden:

[X.] Verfahren zur Steuerung der Informationsübertragung zwischen elektronischen Komponenten in einem Kraftfahrzeug,

[X.] die entweder Informationen liefern oder verarbeiten und über einen Steuerbus linear untereinander und mit einer steuernden Komponente verbunden sind,

[X.] wobei durch die steuernde Komponente eine Komponente zum Senden der Information und mindestens eine Komponente zum Verarbeiten der Information aktiv geschaltet wird,

[X.] wobei die Information in eine vom Steuerbus getrennt geführte Datenleitung, die alle Komponenten miteinander verbindet, eingespeist wird und

[X.] wobei die Datenleitung als Kette ausgebildet ist und Informationsdaten innerhalb der Kette über eine [X.] durchgeschaltet werden.

Folgende Merkmale bedürfen näherer Erörterung:

in einem Kraftfahrzeug“ (Unterstreichung hinzugefügt) (Merkmal [X.]), erfolgt keine Beschränkung des Verfahrens auf eine ausschließliche Durchführung in einem Kraftfahrzeug. Denn einerseits wird im Absatz [0028] der Patentbeschreibung darauf hingewiesen, dass „die Anwendung der Datenkaskade … auch im Heimbereich für Multimediaanwendungen möglich“ ist und „dafür … beliebige Systemkonfigurationen denkbar“ sind. Andererseits sind Verfahrensmaßnahmen, die nur in einem Kraftfahrzeug durchführbar wären, im Patentanspruch 1 nicht angegeben bzw. erkennbar.

Ferner sind im geltenden Patentanspruch 1 eine Reihe von Vorrichtungsmerkmalen angegeben, die das [X.] Verfahren nicht näher beschränken. So betreffen die Angaben in den Merkmalen [X.] und [X.] lediglich die Vorrichtung, in der das Verfahren durchgeführt werden kann. Im Merkmal [X.] ist lediglich angegeben, dass, veranlasst durch eine Steuerung, eine elektronische Komponente an eine andere elektronische Komponente eine Information sendet, die diese dann verarbeitet. Gemäß Merkmal [X.] wird diese Information hierzu in eine Leitung eingespeist.

3.2 Das anspruchsgemäß zu prüfende Verfahren des Patentanspruchs 1 besteht demnach aus folgenden Verfahrensschritten:

a) Eine steuernde Komponente schaltet eine Komponente zum Senden einer Information und mindestens eine Komponente zum Verarbeiten der (gesendeten) Information aktiv über einen Steuerbus.

b) Die Information wird von der sendenden Komponente in eine vom Steuerbus getrennt geführte Datenleitung eingespeist.

Aus der [X.] 693 20 125 T2 ([X.]) sind in Übereinstimmung mit dem anspruchsgemäß zu prüfenden Verfahren folgende Verfahrensschritte bekannt (vgl. [X.]. 1 i. V. m. Anspr. 1, [X.], [X.] 3 bis 8, [X.] [X.] 10 u. 11):

a) Eine steuernde Komponente (z. B. Auslöser in der elektronischen Komponente 114, Anspr. 1) schaltet eine Komponente zum Senden einer Information (z. B. 114) und mindestens eine Komponente zum Verarbeiten der (gesendeten) Information (z. B. 110) aktiv über einen Steuerbus ([X.]) (vgl. S. 7, [X.] 17 bis 22, Anspr. 1).

b) Die Information wird von der sendenden Komponente (114) in eine vom Steuerbus ([X.]) getrennt geführte Datenleitung (116, 118, 120) eingespeist.

In Übereinstimmung mit den Angaben im Patentanspruch 1 zur verwendeten Vorrichtung, die nicht Teil des [X.]n Verfahrens ist, verbindet bei der bekannten Schaltung der Steuerbus linear die Komponenten (110, 112) untereinander mit der steuernden Komponente (114) (vgl. [X.], [X.] 24, 25) und der Datenbus alle Komponenten (110, 112, 114) als Kette (vgl. [X.], [X.] 24, 25, [X.], [X.] 4 bis 7), ferner werden die Informationsdaten innerhalb der Kette in den Komponenten über eine [X.] (z. B. in 112: Schaltung an [X.]) durchgeschaltet (vgl. S. 6, [X.] 4 bis 7).

Das Verfahren des Patentanspruchs 1 gilt somit nicht mehr als neu.

4. Hilfsanträge

Durch die Einfügung

wobei die steuernde Komponente sämtliche Zustände, die für eine Vernetzung relevant sind, als Master kontrolliert und speichert, …“

in den jeweiligen Patentanspruch 1 der [X.] bis 3 geht der Gegenstand des Patents über den Inhalt der Anmeldung in der Fassung hinaus, in der sie bei der für die Einreichung der Anmeldung zuständigen Behörde ([X.]) ursprünglich eingereicht worden ist.

Denn auf Seite 5, Zeilen 11 bis 13 der ursprünglich eingereichten Unterlagen ist im Zusammenhang mit dem Ausführungsbeispiel gemäß [X.]ur 1 zwar ausgeführt, dass „ein MMI-Master“ „… sämtliche Zustände, die für die Vernetzung der Daten relevant sind, kontrolliert und speichert. …“ (vgl. Patentschrift Abs. [0017]), d. h. es werden demnach nur die [X.] zwischen der Datenquelle 1 und der Datensenke 2 pro elektronischer Komponente gespeichert. Dieses Ausführungsbeispiel gemäß [X.]ur 1 zeigt jedoch keine [X.] in den elektronischen Komponenten, deren Zustände (= [X.]) nun durch einen Master kontrolliert und gespeichert werden sollen. Der Fachmann liest diese konkrete Möglichkeit der Speicherung in den ursprünglichen Unterlagen auch nicht mit, da er sich auch andere Speichermöglichkeiten vorstellen kann, z. B. dass jede elektronische Komponente den Zustand der [X.] selbst speichert.

Der jeweilige Patentanspruch 1 in der Fassung der [X.] und 3 ist somit nicht zulässig.

Bei dieser Sachlage kann es dahingestellt bleiben, ob die in den [X.] eingefügten Merkmale das beanspruchte Verfahren des Sendens von einer Komponente zu einer anderen Komponente weiter ausbildet und somit die Neuheit bzw. erfinderische Tätigkeit begründen könnten.

5. Wegen der fehlenden Patentfähigkeit des Patentanspruchs 1 in der Fassung des [X.] als auch wegen der fehlenden Zulässigkeit des jeweiligen Patentanspruchs 1 in der Fassung der Hilfsanträge 1 bis 3 war das Patent daher - unter gleichzeitiger Aufhebung des angefochtenen Beschlusses - zu widerrufen. Mit den vorstehend genannten Patentansprüchen fallen auch alle anderen Ansprüche. Aus der Fassung der Anträge und dem zu ihrer Begründung Vorgebrachten ergeben sich keine Zweifel an dem prozessualen Begehren der Patentinhaberin, das Patent ausschließlich in einer der beantragten Fassungen zu verteidigen ([X.], Beschluss vom 27. Februar 2008 - X ZB 10/07, [X.], 456 Rn. 22 m. w. N. - Installiereinrichtung).

Meta

20 W (pat) 7/11

15.06.2016

Bundespatentgericht 20. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 15.06.2016, Az. 20 W (pat) 7/11 (REWIS RS 2016, 9920)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 9920

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