Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.02.2018, Az. 6 AZR 95/17

6. Senat | REWIS RS 2018, 13459

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Gegenstand

Neumasseverbindlichkeit - unwirksame vorzeitige Kündigung


Tenor

1. Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 20. Oktober 2016 - 7 [X.]/16 - wird zurückgewiesen.

2. Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die insolvenzrechtliche Einordnung von Annahmeverzugsansprüchen.

2

Die Klägerin war seit 2001 bei dem späteren Schuldner, der bundesweit zahlreiche [X.] betrieb, zuletzt als Filialleiterin zu einem Bruttomonatsentgelt iHv. 2.344,80 Euro beschäftigt. Sie hat einen Grad der Behinderung (GdB) von 40 und ist schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Über das Vermögen des Schuldners wurde am 28. März 2012 das Insolvenzverfahren eröffnet und der [X.] zum Insolvenzverwalter bestellt. Dieser stellte die Klägerin zum 1. Juli 2012 von der Arbeitsleistung frei.

3

Der [X.] zeigte am 31. August 2012 die drohende Masseunzulänglichkeit an. Bereits zuvor hatte er das Arbeitsverhältnis der Klägerin ordentlich mit Schreiben vom 6. August zum 30. November 2012 gekündigt. Diese Kündigung wurde mit Urteil des [X.] vom 7. März 2013 (- 4 Ca 1223/12 -) rechtskräftig für unwirksam erklärt. Das Arbeitsverhältnis endete am 30. November 2013 nach einer weiteren, am 28. August zum 30. November 2013 erklärten Kündigung des [X.]n aufgrund eines im dagegen angestrengten Kündigungsschutzprozess geschlossenen Vergleichs.

4

Mit ihrer am 8. Juni 2015 erhobenen Klage verlangt die Klägerin Vergütung wegen Annahmeverzugs für die [X.] vom 1. Februar bis 30. November 2013 abzüglich erhaltenen Arbeitslosengelds in rechnerisch unstreitiger Höhe.

5

Sie hat die Ansicht vertreten, der [X.] sei rechtlich nicht gehindert gewesen, nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit im Laufe des Monats Oktober 2012 die formalen Voraussetzungen für eine wirksame Kündigung, die zum 31. Januar 2013 hätte erklärt werden können, herbeizuführen. Er habe diese Möglichkeit versäumt, so dass die vom 1. Februar 2013 an bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstandenen [X.] nach § 209 Abs. 2 Nr. 2 [X.] seien.

6

Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

        

den [X.]n zu verurteilen, an sie 23.448,00 Euro brutto abzüglich der auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangenen Ansprüche iHv. 12.468,00 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab 8. Juni 2015 zu zahlen.

7

Der [X.] hat zur Begründung seines Klageabweisungsantrags geltend gemacht, § 209 Abs. 2 Nr. 2 [X.] zwinge den Insolvenzverwalter zur Vermeidung von [X.] nur, ein zum erstmöglichen Termin nach der [X.] noch nicht gekündigtes Arbeitsverhältnis zu diesem Termin zu kündigen. Eine rechtzeitige Kündigung könne bereits vor Anzeige der Masseunzulänglichkeit erfolgen. Es bestehe dann kein ungekündigtes Arbeitsverhältnis mehr. Auf die Wirksamkeit dieser Kündigung könne sich der Insolvenzverwalter verlassen.

8

Die Vorinstanzen haben der Zahlungsklage stattgegeben. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision begehrt der [X.] unter Vertiefung seiner rechtlichen Argumentation weiterhin Klageabweisung.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben mit Recht angenommen, dass die geltend gemachten [X.] als Neumasseverbindlichkeiten nach § 209 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 [X.] zu berichtigen sind.

I. Die Klage ist zulässig. Ihr liegt die Annahme zugrunde, die streitbefangenen Ansprüche seien Neumasseverbindlichkeiten iSv. §§ 53, 209 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 [X.], die nicht den [X.] des § 210 [X.] und des § 123 Abs. 3 Satz 2 [X.] unterfallen. Ergibt die rechtliche Prüfung, dass die erhobene Forderung tatsächlich im Rang einer Altmasseverbindlichkeit steht, ist die Klage nicht unzulässig, sondern unbegründet (zuletzt [X.] 23. März 2017 - 6 [X.] - Rn. 13 mwN, [X.]E 158, 376). Auch das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis besteht. Der Beklagte hat den Einwand der Neumasseunzulänglichkeit, bei dem auch die [X.] ihre Ansprüche nur noch im Weg der Feststellungsklage verfolgen können, nicht erhoben ([X.] 23. März 2017 - 6 [X.] - aaO).

II. Die Klage ist begründet. Die streitbefangenen, rechnerisch unstreitigen Ansprüche auf Zahlung des Entgelts vom 1. Februar bis zum 30. November 2013 aus §§ 611, 615 BGB sind für die [X.] nach dem 31. Januar 2013 als dem ersten Termin, zu dem der Beklagte aufgrund der mit der Revision nicht angegriffenen Feststellung des [X.]s unter Beteiligung des Integrationsamts nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit kündigen konnte, entstanden. Sie sind daher so zu behandeln, als wären sie vom Beklagten nach der Anzeige neu begründet worden. Unerheblich ist, dass der Beklagte mit der Kündigung vom 6. August 2012 vergeblich versucht hat, das Arbeitsverhältnis vor dem 31. Januar 2013 zu beenden. Diese Kündigung war zwar rechtzeitig iSv. § 209 Abs. 2 Nr. 2 [X.] erklärt. Gleichwohl gelten die [X.], die für die [X.] nach dem erstmöglichen Kündigungstermin bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstanden sind, gemäß § 209 Abs. 2 Nr. 2 [X.] als Neumasseverbindlichkeiten iSv. § 209 Abs. 1 Nr. 2 [X.], weil die Kündigung unwirksam war.

1. Der [X.] hat in seiner Entscheidung vom 22. Februar 2018 (- 6 [X.] 868/16 -) ausführlich begründet, dass der Insolvenzverwalter von einer weiteren (vorsorglichen) Kündigung zum erstmöglichen Kündigungstermin nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit absehen kann, wenn er oder der Schuldner das Arbeitsverhältnis bereits vor der Anzeige gekündigt hat und er davon ausgeht, die bereits erklärte Kündigung werde das Arbeitsverhältnis zum selben oder einem früheren [X.]punkt beenden, als es die nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit erstmögliche Kündigung könnte (vorzeitige Kündigung). Der [X.] hat weiter ausgeführt, dass der Insolvenzverwalter bei einem solchen Vorgehen das Risiko trägt, dass die vorzeitige Kündigung wie im vorliegenden Fall unwirksam ist. Dann sind die [X.], die nach Ablauf der Kündigungsfrist der erstmöglichen Kündigung entstanden sind, die nach der Anzeige hätte erklärt werden können, Neumasseverbindlichkeiten nach § 209 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 [X.]. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der [X.] auf das Urteil vom 22. Februar 2018 (- 6 [X.] 868/16 - Rn. 11 ff.) Bezug und sieht von weiteren Ausführungen ab.

2. Soweit der Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem [X.] hat vortragen lassen, Integrationsämter stimmten einer Nachkündigung schwerbehinderter Menschen nicht zu, solange über die Wirksamkeit einer früheren Kündigung nicht rechtskräftig entschieden sei, handelt es sich um neuen Sachvortrag, der in der Revisionsinstanz keine Berücksichtigung mehr finden kann. Darüber hinaus wäre der Insolvenzverwalter verpflichtet, gegen einen Bescheid, der die Zustimmung zu einer vom Verwalter für erforderlich gehaltenen, nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit zu erklärenden Nachkündigung versagt, die rechtlich möglichen Rechtsbehelfe einzulegen. In der [X.] bis zur bestandskräftigen Entscheidung über die Zustimmung zur Kündigung besteht ein rechtliches Hindernis für die Nachkündigung, das den Termin der von § 209 Abs. 2 Nr. 2 [X.] verlangten erstmöglichen Kündigung hinausschiebt.

3. Das [X.] hat angenommen, dass der Beklagte an dem von ihm im Interessenausgleich vom 28. Juni 2012 erklärten Verzicht auf die tarifliche Ausschlussfrist festzuhalten sei und es der Klägerin nicht verwehrt sei, sich auf diesen Verzicht zu berufen. Diese Ausführungen greift die Revision nicht an.

III. [X.] folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Fischermeier    

        

    Spelge    

        

    Heinkel    

        

        

        

    D. Knauß    

        

    Augat    

                 

Meta

6 AZR 95/17

22.02.2018

Bundesarbeitsgericht 6. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Trier, 27. Januar 2016, Az: 4 Ca 644/15, Urteil

§ 615 BGB, § 611 BGB, § 209 Abs 2 Nr 2 InsO, § 209 Abs 1 Nr 2 InsO

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.02.2018, Az. 6 AZR 95/17 (REWIS RS 2018, 13459)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 13459

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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