Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.03.2021, Az. 1 StR 458/20

1. Strafsenat | REWIS RS 2021, 7973

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Gegenstand

Strafverfahren: Hemmung der Fristen für die Unterbrechung der Hauptverhandlung wegen coronabedingten Infektionsschutzmaßnahmen


Tenor

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 3. April 2020 werden als unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).

Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Ergänzend zur Stellungnahme des [X.] bemerkt der Senat:

Die von beiden Beschwerdeführern im Wesentlichen inhaltsgleich erhobene Verfahrensrüge, wonach die [X.] gemäß § 229 Abs. 2 StPO nicht gewahrt worden sei, weil eine Krankheit im Sinne des § 229 Abs. 3 Satz 1 StPO nicht vorgelegen habe, ist jedenfalls unbegründet.

Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

1. Die Hauptverhandlung, die am 19. September 2019 begonnen hatte, wurde am 28. Februar 2020, dem 15. Hauptverhandlungstag, unterbrochen und sollte am 17. März 2020 fortgesetzt werden. An diesem Tag teilte ein Schöffe dem [X.] telefonisch mit, dass er am 16. März 2020 nach einem Kurzurlaub aus [X.] zurückgekehrt sei und sogleich seinen Hausarzt wegen der Verbreitung des SARS-CoV-2-[X.] aufgesucht habe. Dieser habe ihm mitgeteilt, dass er aus Kapazitätsgründen eine Testung im Hinblick auf eine mögliche Ansteckung mit diesem [X.] nicht vornehmen könne. Das [X.] hat daraufhin am 17. März 2020 auf Grundlage des § 229 Abs. 3 StPO durch Beschluss festgestellt, dass wegen Besorgnis der Infizierung des [X.] und der Gefahr einer Ansteckung die Fristen des § 229 Abs. 1 und 2 StPO gehemmt seien.

Nachdem eine beisitzende Richterin am 21. März 2020 telefonisch mitgeteilt hatte, dass ihr Kind zu einem Kind ihres Nachbarn Kontakt gehabt habe, der anschließend positiv auf den SARS-CoV-2-[X.] getestet worden sei, und sich ihre Familie auf Rat des Gesundheitsamtes in häusliche Quarantäne begeben und eine Testung auf den [X.] durchgeführt habe, hat das [X.] am 25. März 2020 mit gleicher Begründung erneut eine Hemmung der Fristen des § 229 Abs. 1 und 2 StPO nach § 229 Abs. 3 StPO beschlossen.

Mit Beschluss vom 31. März 2020 hat das [X.] schließlich das Ende der [X.] zum 29. März 2020 festgestellt, nachdem zu diesem Zeitpunkt die Testung der Familienmitglieder der beisitzenden Richterin auf den [X.] jeweils negativ ausgefallen und beim [X.] keine Krankheitssymptome aufgetreten waren. Am 2. April 2020 hat das [X.] die Hauptverhandlung mit den Schlussanträgen fortgesetzt und am nächsten Tag das Urteil verkündet.

2. Ein Verstoß gegen die Unterbrechungsvorschriften des § 229 Abs. 2 und 3 StPO liegt nicht vor. Der Ansicht der Revision, dass das [X.] die Hauptverhandlung spätestens zum 30. März 2020 (Montag) hätte fortsetzen müssen, um die Ein-Monatsfrist des § 229 Abs. 2 StPO zu wahren, trifft nicht zu. Das [X.] konnte zwar die Hemmung der Fristen nicht auf § 229 Abs. 3 Satz 1 StPO stützen, weil eine Krankheit im Sinne dieser Vorschrift nicht vorgelegen hat. Jedoch ist § 10 Abs. 1 [X.] mit Wirkung vom 28. März 2020 in [X.] getreten, der eine Hemmungswirkung konstituiert, solange die Hauptverhandlung aufgrund von Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von Infektionen mit dem SARS-CoV-2-[X.] (COVID-19-Pandemie) nicht durchgeführt werden kann, längstens jedoch für zwei Monate, wobei die Fristen frühestens zehn Tage nach Ablauf der Hemmung enden.

Die Hemmung des § 10 Abs. 1 Satz 1 [X.] tritt kraft Gesetzes ein. Der [X.] nach Satz 2 hat nur insofern konstitutive Bedeutung, als er den Beginn und das Ende der Hemmung unanfechtbar feststellt (vgl. [X.], Beschluss vom 19. November 2020 - 4 StR 431/20 mwN). Demnach war vorliegend - die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 [X.] lagen unzweifelhaft vor - die Hemmung der Fristen am 28. März 2020 kraft Gesetzes eingetreten und fand ihr Ende am 29. März 2020. Innerhalb der [X.] wurde die Hauptverhandlung am 2. April 2020 fortgesetzt. Einer erneuten Beschlussfassung des [X.]s nach dem 28. März 2020, dass die Unterbrechung auf die neu eingeführte Vorschrift des § 10 Abs. 1 [X.] gestützt werde, bedurfte es nicht.

Jäger     

        

     Bellay     

        

Hohoff

        

Richter am Bundesgerichtshof
Dr. [X.] befindet sich
im Urlaub und ist daher
gehindert zu unterschreiben.

                          
        

Jäger 

        

Pernice     

        

Meta

1 StR 458/20

11.03.2021

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Darmstadt, 3. April 2020, Az: 700 Js 36237/14 - 9 KLs

§ 10 Abs 1 S 1 StPOEG, § 10 Abs 1 S 2 StPOEG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11.03.2021, Az. 1 StR 458/20 (REWIS RS 2021, 7973)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 7973

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