Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 04.07.2017, Az. VIII ZB 85/16

VIII. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 8598

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

[X.]:[X.]:[X.]:2017:040717BVIIIZB85.16.0

BUN[X.]SGE[X.]ICHTSHOF

BESCHLUSS
VIII ZB 85/16
vom

4. Juli 2017

in dem [X.]echtsstreit

-
2
-

Der VIII. Zivilsenat des [X.] hat am 4. Juli 2017
durch die Vorsitzende [X.]ichterin Dr.
Milger, [X.]
Dr.
Achilles
und
Dr.
[X.], die [X.]ichterin Dr.
Fetzer und [X.]
Bünger
beschlossen:

Der [X.] zu 1 wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der [X.]echtsbeschwerde gegen den Beschluss der 23. Zivilkammer des [X.] vom 20. Juli 2016 gewährt.
Auf die [X.]echtsbeschwerde der [X.] zu 1 wird der vorge-nannte Beschluss aufgehoben, soweit zum Nachteil der [X.] zu 1 erkannt worden i[X.]
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Entschei-dung, auch über die Kosten des [X.]echtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gründe:
I.
Die Beklagte zu 1 war zusammen mit dem am [X.] nicht mehr beteiligten [X.] zu 2 Mieter einer nach Kündigung wegen [X.] inzwischen zwangsgeräumten Wohnung des [X.] in [X.].

. Durch Schlussurteil des Amtsgerichts [X.]atingen vom 3. Dezember 2015 sind beide als Gesamtschuldner zur Zahlung von [X.] nebst Zinsen 1
-
3
-

sowie dazu verurteilt worden, unter Vorbehalt getätigte Mietzahlungen für vor-behaltlos zu erklären.
Im [X.] an die Urteilsverkündung hat die zuständige Abteilungs-richterin des Amtsgerichts die Übersendung jeweils einer beglaubigten Abschrift sowie einer Abschrift des Urteils an die [X.] mit [X.], und zwar hinsichtlich der [X.] zu 1 mit dem Zusatz, dass die [X.] ihr persönlich zu übergeben sei. Dem [X.] zu 2 ist das mit [X.]echts-mittelbelehrung versehene Urteil am 8. Dezember 2015 zugestellt worden, [X.] dies hinsichtlich der [X.] zu 1 nach mehreren vergeblichen [X.] erst am 8. April 2016 gelungen i[X.]
Mit einem am Montag, dem 9. Mai 2016, bei dem Berufungsgericht ein-gegangenen Schriftsatz ihrer zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten hat die Beklagte zu 1 gegen das Schlussurteil des Amtsgerichts Berufung eingelegt
und diese am 8.
Juni 2016 begründet.
Das [X.] hat die Berufung als [X.] verworfen. Hiergegen wendet sich die Beklagte, nachdem ihr der [X.] für das Beschwerdeverfahren bewilligt hat, mit ihrer [X.]echtsbeschwerde.
II.
Der [X.]
zu 1, die innerhalb der laufenden Frist zur Einlegung der [X.]echtsbeschwerde einen ordnungsgemäßen Prozesskostenhilfeantrag unter Beifügung vollständiger Unterlagen über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gestellt hat, ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der [X.]echtsbeschwerde zu bewilligen (§
233 ZPO). Denn sie war im Hinblick auf ihre Bedürftigkeit ohne ihr Verschulden an der Einhaltung der genannten Fristen gehindert und hat die 2
3
4
-
4
-

versäumten [X.]echtshandlungen nach Wegfall des Hindernisses innerhalb der [X.] (§ 234 Abs. 1 ZPO) nachgeholt.
III.
Die [X.]echtsbeschwerde führt gemäß § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO zur Aufhe-bung des angefochtenen Beschlusses
und
zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, damit dieses dem Verfahren, soweit es die Beklagte zu
1
betrifft, in der Sache Fortgang geben kann.
1. Die [X.]echtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Auch die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzun-gen des § 574 Abs. 2 ZPO
liegen vor, weil eine Entscheidung des [X.]echtsbe-schwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen [X.]echtsprechung erforderlich ist (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt.
2 ZPO). Denn das Berufungsgericht hat in der
ange-griffenen
Entscheidung das in der nachstehend aufgeführten
[X.]echtsprechung des [X.] für eine wirksame Zustellung aufgestellte Erfordernis eines Zustellungswillens verkannt und dadurch zugleich den verfassungsrecht-lich verbürgten Anspruch der [X.] zu 1 auf wirkungsvollen [X.]echtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG
i.[X.]. dem [X.]echtsstaatsprinzip)
verletzt. Dieses Verfahrens-grundrecht verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus [X.] nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren ([X.] [X.]spr.;
vgl. nur
Senats-beschluss vom 12. Juli 2016
-
VIII ZB 55/15, [X.], 632 [X.]n. 1
mwN).
2. Die [X.]echtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
a) Das Berufungsgericht hat zur Begründung im Wesentlichen ausge-führt:

5
6
7
8
-
5
-

Die Berufung der [X.] zu 1 sei verfristet, weil die Berufungseinle-gungsfrist für sie bereits am 8. Dezember 2015 mit der Zustellung des [X.] an den [X.] zu 2 in Lauf gesetzt worden sei. Dieser habe im [X.] des erstinstanzlichen [X.]echtsstreits zwei [X.]en der [X.] zu 1 zur Akte gereicht und sei -
was nach
§ 79 Abs. 2 Nr. 2 ZPO bei
einem [X.] möglich
sei
-
in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsge-richt stets als ihr Prozessbevollmächtigter aufgetreten. Eine
Zustellung habe deshalb nach
§ 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO an diesen bewirkt werden müssen
und sei demgemäß am 8.
Dezember 2015 durch die an diesen erfolgte [X.] bewirkt worden.
b) Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Schlussurteil des Amtsgerichts ist der [X.] zu 1 vielmehr frühestens
am 8.
April 2016 zugestellt worden, so dass die Fristen zur Einlegung und Begrün-dung
der Berufung gemäß §§
517, 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO allenfalls
durch diese Zustellung in Lauf gesetzt werden konnten und in der Folge von der [X.] zu 1 auch gewahrt worden sind.
aa) § 317 Abs. 1 Satz 1 ZPO sieht vor, dass die Urteile den Parteien in Abschrift zugestellt werden. Für den Fall einer -
wie hier -
[X.]schaft ist das Urteil
jedem [X.] (gesondert, also auch mit gesonderter Ab-schrift) zuzustellen (vgl. nur Musielak/[X.]/Musielak, ZPO, 14. Aufl., § 317 [X.]n.
5; ferner etwa [X.], NJW 2009, 1624, 1625 mwN). Die am 8.
Dezember 2015 erfolgte Zustellung an den [X.] zu 2 hat
deshalb nicht schon als solche eine Wirkung
zu Lasten der [X.] zu 1
entfalten können.
bb) Die dem [X.]
zu 2 für den ersten [X.]echtszug erteilte Prozess-vollmacht hat entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht zur Folge gehabt, dass die an ihn in dieser Parteistellung am 8. Dezember 2015 bewirkte Zustellung des Schlussurteils auch
als eine den Lauf der [X.]echtsmittelfristen 9
10
11
12
-
6
-

insgesamt auslösende Zustellung an die Beklagte zu 1 angesehen werden kann.
(1) Für eine solche umfassend wirkende Zustellung hat es an dem dazu erforderlichen Willen des Amtsgerichts gefehlt, die an den [X.] zu
2 [X.] Urteilszustellung zugleich an die Beklagte zu 1 zu adressieren.
Bereits nach
dem Wortlaut der [X.] des §
189 ZPO, wonach es sich bei dem zuzustellenden Schriftstück um ein Dokument handeln muss, das "der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte", zugegangen ist, ist
nämlich ein
für eine förmliche Zustellung unabdingbares
Wirksamkeitserfordernis, dass das Gericht die
Zustellung
mit Zustellungswillen an einen bestimmten Zustellungsadressaten bewirken wollte. Besondere Bedeutung ist dem Erfordernis eines
solchen Zustellungswillens
namentlich
dann beizumessen, wenn -
wie im Streitfall -
mit der Zustellung eine Notfrist in Gang gesetzt werden soll. Denn nur wenn der Zustellungsempfänger davon ausgehen kann, dass das Gericht das zuzustellende Schriftstück (gera-de) auch ihm in seiner Eigenschaft als Partei oder -
wie in der streitigen Kons-tellation -
(zugleich) als Vertreter einer bestimmten
Partei tatsächlich zur Kennt-nis bringen wollte, kann er angesichts
der besonderen Bedeutung der Notfrist und der damit für ihn verbundenen [X.]echtsfolgen mit einer ihm nachteiligen [X.] etwaiger Zustellungsmängel sowie
einem
ungeachtet der Mängel
in Gang gesetzten Fristenlauf rechnen
und muss sich darauf einrichten; daher ist ein
in bestimmte [X.]ichtung weisender
Zustellungswille für die Wirksamkeit einer Zu-stellung unerlässlich und kann sein
Fehlen
auch
nicht geheilt werden ([X.], Ur-teil vom 19. Mai 2010 -
IV Z[X.] 14/08, Vers[X.] 2010, 1520 [X.]n.
17
f.; vgl. ferner Ur-teile vom 7. Dezember 2010 -
VI Z[X.]
48/10, NJW-[X.][X.] 2011, 417 [X.]n. 11,
und
vom 27. Januar 2011 -
VII Z[X.] 186/09, [X.]Z 188, 128 [X.]n. 41, 44; zum Ganzen umfassend nunmehr auch Senatsurteil vom 29.
März 2017 -
VIII Z[X.] 11/16, un-ter [X.], zur Veröffentlichung
in [X.]Z
vorgesehen).
13
-
7
-

(2) Der
danach erforderliche Wille, die Zustellungen zusammenzufassen und dem [X.] zu 2 das Schlussurteil zugleich für die Beklagte zu
1 als de-ren [X.] zuzustellen, hat ersichtlich gefehlt, als die Abteilungsrich-terin des Amtsgerichts am 3. Dezember 2015 die Urteilszustellung verfügt hat. Der [X.] zu 1 sollte im Gegenteil
gesondert, und zwar unmittelbar durch persönliche Übergabe, zugestellt werden. Dementsprechend findet sich etwa auch auf der den [X.] zu 2 betreffenden [X.] kein Hin-weis, dass er die Urteilsabschrift nicht nur selbst als beklagte Partei, sondern zugleich als ([X.] der [X.] zu 1 übermittelt erhalten sollte. Für ihn war deshalb nicht erkennbar,
dass mit der Urteilszustellung an ihn gleichzeitig
die [X.]echtsmittelfrist für die Beklagte zu 1 in Lauf gesetzt werden sollte und insoweit Handlungsbedarf für diese entstehen konnte. Mithin kann
-
anders als das Berufungsgericht meint -
die
am 8. Dezember 2015 an den [X.] zu 2 bewirkte Urteilszustellung ungeachtet seiner [X.] auch nicht nachträglich als eine der [X.] zu 1 gleichwohl zurechenbare und damit die [X.]echtsmittelfristen bereits zu diesem Zeitpunkt in Lauf setzende Urteilszustellung gewertet
werden.
cc) Es kann dahinstehen, ob auch die am 8. April 2016 an die Beklagte zu 1 erfolgte Urteilszustellung wirksam war oder ob einer Wirksamkeit dieser
Urteilszustellung nicht sogar die dem [X.] zu 2 erteilte [X.] entgegen gestanden hat, aufgrund derer die nach § 317 Abs. 1 Satz 1 ZPO vorgeschriebene Urteilszustellung gemäß §
172 Abs. 1 Satz 1 ZPO zwingend an den Prozessbevollmächtigten hätte bewirkt werden müssen (vgl. Senatsbe-schluss vom 28. November 2006 -
VIII ZB 52/06, NJW-[X.][X.] 2007, 356 [X.]n.
6
mwN). Denn selbst wenn der Fristlauf bereits am 8. April
2016 begonnen

14
15
-
8
-

haben sollte, wären die Berufungs-
und die Berufungsbegründungsfrist im Streitfall gewahrt.
Dr. Milger
Dr. Achilles
Dr. [X.]

Dr. Fetzer
Dr. Bünger
Vorinstanzen:
AG [X.]atingen, Entscheidung vom 03.12.2015 -
10 [X.] -

LG [X.], Entscheidung vom 20.07.2016 -
23 [X.]/16 -

Meta

VIII ZB 85/16

04.07.2017

Bundesgerichtshof VIII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 04.07.2017, Az. VIII ZB 85/16 (REWIS RS 2017, 8598)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 8598

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

VIII ZB 85/16 (Bundesgerichtshof)

Berufung in einem Mietrechtstreit: Anforderungen an die Zustellung des Ersturteils an beklagte Streitgenossen zur Auslösung …


VIII ZB 12/10 (Bundesgerichtshof)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Anforderungen an die Organisation des Fristenwesens in der Anwaltskanzlei


VIII ZB 12/10 (Bundesgerichtshof)


VIII ZB 21/22 (Bundesgerichtshof)

Anzeige des Erlöschens der Prozessvollmacht des bisherigen Prozessbevollmächtigten


VIII ZR 11/16 (Bundesgerichtshof)

Heilung eines Zustellungsmangels im Zivilprozess: Bedeutung des Zustellungswillens des Gerichts; Zustellung an die sich aus …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

VIII ZB 85/16

VIII ZB 55/15

IV ZR 14/08

VII ZR 186/09

VIII ZR 11/16

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.