Bundesarbeitsgericht, EuGH-Vorlage vom 16.11.2017, Az. 2 AZR 90/17 (A)

2. Senat | REWIS RS 2017, 2254

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Gegenstand

Massenentlassung - Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern


Leitsatz

Der Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) um die Beantwortung der folgenden Fragen ersucht:

1. Ist Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (RL 98/59/EG) dahin auszulegen, dass zur Bestimmung der Zahl der in der Regel in einem Betrieb tätigen Arbeitnehmer auf die Anzahl der im Zeitpunkt der Entlassung bei gewöhnlichem Geschäftsgang beschäftigten Arbeitnehmer abzustellen ist?

2. Ist Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a RL 98/59/EG dahin auszulegen, dass bei der Bestimmung der Zahl der in der Regel in einem Betrieb eines entleihenden Unternehmens tätigen Arbeitnehmer dort eingesetzte Leiharbeitnehmer mitzählen können?

Sofern die zweite Frage bejaht wird:

3. Welche Voraussetzungen gelten für die Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern bei der Bestimmung der Anzahl der in der Regel in einem Betrieb eines entleihenden Unternehmens tätigen Arbeitnehmer?

Tenor

I. Der [X.] wird gemäß Art. 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der [X.] ([X.]) um die Beantwortung der folgenden Fragen ersucht:

1. Ist Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a der Richtlinie 98/59/[X.] vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen ([X.] 98/59/[X.]) dahin auszulegen, dass zur Bestimmung der Zahl der in der Regel in einem Betrieb tätigen Arbeitnehmer auf die Anzahl der im Zeitpunkt der Entlassung bei gewöhnlichem Geschäftsgang beschäftigten Arbeitnehmer abzustellen ist?

2. Ist Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a [X.] 98/59/[X.] dahin auszulegen, dass bei der Bestimmung der Zahl der in der Regel in einem Betrieb eines entleihenden Unternehmens tätigen Arbeitnehmer dort eingesetzte Leiharbeitnehmer mitzählen können?

Sofern die zweite Frage bejaht wird:

3. Welche Voraussetzungen gelten für die Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern bei der Bestimmung der Anzahl der in der Regel in einem Betrieb eines entleihenden Unternehmens tätigen Arbeitnehmer?

[X.] Das Revisionsverfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs über das Vorabentscheidungsersuchen ausgesetzt.

Gründe

1

A. Gegenstand des Ausgangsverfahrens

2

Die Parteien streiten ü[X.] die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

3

Die [X.] betreibt Bildungseinrichtungen. Anfang Novem[X.] 2014 vereinbarte sie mit dem bei ihr gebildeten Betriebsrat einen Interessenausgleich ü[X.] ihre Absicht, insgesamt vier Einrichtungen zu schließen. Am 24. Novem[X.] 2014 kündigte sie das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum 31. Juli 2015. In der [X.] vom 24. Novem[X.] 2014 bis einschließlich 23. Dezem[X.] 2014 erklärte die [X.] mindestens elf weitere Kündigungen. Eine Massenentlassungsanzeige erstattete sie nicht.

4

Mit der vorliegenden Kündigungsschutzklage hat die Klägerin ua. geltend gemacht, es habe sich um eine nach § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] anzeigepflichtige Massenentlassung gehandelt. Die [X.] habe in der Regel nicht mehr als 120 Arbeitnehmer beschäftigt. Maßgeblicher Referenzzeitraum sei das Schuljahr 2014/2015. Die bei der [X.] eingesetzten Leiharbeitnehmer müssten außer Betracht bleiben. Deshalb hätten [X.]eits zwölf Kündigungen dazu geführt, dass die [X.] zehn vom Hundert der in ihrem Betrieb in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer entlassen habe.

5

Demgegenü[X.] hat die [X.] gemeint, sie habe durchschnittlich ü[X.] 130 Arbeitnehmer beschäftigt. Zum einen sei ein Referenzzeitraum von zwölf Monaten vor Zugang der streitbefangenen Kündigung zugrunde zu legen. Zum anderen seien vier bei ihr dauerhaft eingesetzte Leiharbeitnehmer aus einem anderen Konzernunternehmen bei der Berechnung der „in der Regel“ beschäftigten Arbeitnehmer zu [X.]ücksichtigen. Daher habe sie keine Massenentlassungsanzeige erstatten müssen.

6

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das [X.] hat ihr stattgegeben. Nach seiner Auffassung hat die [X.] angesichts von zwölf Kündigungen innerhalb des 30-Tage-[X.]raums eine Massenentlassungsanzeige erstatten müssen. Sie habe im [X.] regelmäßig nicht mehr als 120 Arbeitnehmer beschäftigt. In ihrem Betrieb eingesetzte Leiharbeitnehmer seien nicht zu [X.]ücksichtigen. Mit ihrer Revision erstrebt die [X.] die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

7

B. Das einschlägige nationale Recht

8

I. Kündigungsschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. August 1969 ([X.] 1317):

        

„§ 17

        

Anzeigepflicht

        

(1) Der Arbeitge[X.] ist verpflichtet, der Agentur für Arbeit Anzeige zu erstatten, bevor er

        

1.    

in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 60 Arbeitnehmern mehr als 5 Arbeitnehmer,

        

2.    

in Betrieben mit in der Regel mindestens 60 und weniger als 500 Arbeitnehmern 10 vom Hundert der im Betrieb regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer oder a[X.] mehr als 25 Arbeitnehmer,

        

3.    

in Betrieben mit in der Regel mindestens 500 Arbeitnehmern mindestens 30 Arbeitnehmer

        

innerhalb von 30 Kalendertagen entläßt.

        

…“    

9

II. Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 ([X.] I S. 42, [X.]. S. 2909 und [X.] 2003 I S. 738):

        

㤠134

        

Gesetzliches Verbot

        

Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, ist nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt.“

C. Einschlägige Vorschriften des Unionsrechts

Richtlinie 98/59/[X.] vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten ü[X.] Massenentlassungen ([X.]/[X.], [X.] [X.] L 225 vom 12. August 1998 S. 16):

        

„Artikel 1

        

(1) Für die Durchführung dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:

        

a) ‚Massenentlassungen‘ sind Entlassungen, die ein Arbeitge[X.] aus einem oder mehreren Gründen, die nicht in der Person der Arbeitnehmer liegen, vornimmt und bei denen - nach Wahl der Mitgliedstaaten - die Zahl der Entlassungen

        

i) entweder innerhalb eines [X.]raums von 30 Tagen

        

- mindestens 10 in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 100 Arbeitnehmern,

        

- mindestens 10 v. H. der Arbeitnehmer in Betrieben mit in der Regel mindestens 100 und weniger als 300 Arbeitnehmern,

        

- mindestens 30 in Betrieben mit in der Regel mindestens 300 Arbeitnehmern,

        

ii) oder innerhalb eines [X.]raums von 90 Tagen mindestens 20, und zwar unabhängig davon, wie viele Arbeitnehmer in der Regel in dem betreffenden Betrieb beschäftigt sind,

        

beträgt;

        

...     

        

Artikel 3

        

(1) Der Arbeitge[X.] hat der zuständigen Behörde alle beabsichtigten Massenentlassungen schriftlich anzuzeigen.

        

...“   

D. Erforderlichkeit der Entscheidung des [X.]s und Erörterung der Vorlagefragen

I. Erforderlichkeit der Entscheidung des [X.]s

1. Die Kündigung vom 21. Novem[X.] 2014 wäre mangels Erstattung einer Massenentlassungsanzeige nach § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] iVm. § 134 BGB nichtig, wenn die [X.] innerhalb von 30 Kalendertagen mindestens zehn vom Hundert der in ihrem Betrieb regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer entlassen haben sollte.

2. Da § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] unionsrechtskonform auszulegen ist, kommt es für die Entscheidung ü[X.] die Revision der [X.] auf den Inhalt von Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a [X.] 98/59/[X.] an. Hierü[X.] kann der Senat nicht ohne Anrufung des [X.]s der [X.] ([X.]) nach Art. 267 A[X.]V befinden. Die Revision wäre zurückzuweisen, wenn die Anwendung von § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] in unionsrechtskonformer Auslegung auf den vom [X.] festgestellten Sachverhalt ergeben sollte, dass die [X.] schon dadurch zehn vom Hundert der regelmäßig in ihrem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer entlassen hat, dass sie zwölf Kündigungen innerhalb von 30 Tagen erklärt hat. Anderenfalls wäre die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen. Dieses müsste im fortgesetzten Berufungsverfahren ggf. aufklären, ob die [X.] im 30-Tage-[X.]raum sogar dreizehn Entlassungen vorgenommen hat oder die Kündigung vom 21. Novem[X.] 2014 aus weiteren, von der Klägerin geltend gemachten Gründen unwirksam ist.

II. Erläuterung der ersten Vorlagefrage

1. Zweifel bestehen [X.]eits bei der Frage, wie - allgemein - die Zahl der „in der Regel“ in einem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer iSv. Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a [X.]/[X.] zu bestimmen ist. Die Generalanwältin hat in ihren Schlussanträgen vom 3. Septem[X.] 2015 in der Sache [X.] (- [X.]/14 - Rn. 36) gemeint, es könne weder auf eine Stichtags- noch auf eine Durchschnittsbetrachtung ankommen, sondern es sei die Anzahl der bei gewöhnlichem Geschäftsgang beschäftigten Arbeitnehmer maßgeblich. Der [X.] hat sich diese Sichtweise in seiner Entscheidung indes nicht deutlich zu eigen gemacht. Die Auffassung der Generalanwältin ist aus Sicht des Senats ü[X.]zeugend. Sie hätte zur Folge, dass nicht die zufällige Arbeitnehmerzahl im [X.]punkt der Entlassung, sondern die Personalstärke maßgeblich wäre, die im Allgemeinen für den Betrieb kennzeichnend ist. Hierzu bedürfte es eines Rückblicks auf die bisherige personelle Stärke des Betriebs und einer Einschätzung seiner künftigen Entwicklung. [X.]en außergewöhnlich hohen oder niedrigen Geschäftsgangs wären nicht zu [X.]ücksichtigen.

2. Ein befristet beschäftigter Arbeitnehmer wäre zB mitzurechnen, wenn er einen gewöhnlich vorhandenen Beschäftigungsbedarf abdeckt, nicht a[X.] dann, wenn sein Einsatz nur ausnahmsweise erfolgt, etwa um Auftragsspitzen oder dergleichen aufzufangen. So könnte es auch liegen, wenn Arbeitnehmer jedes Jahr befristet eingestellt werden, um ein saisonal erhöhtes Arbeitsvolumen zu bewältigen. In solchen Fällen schwankender Personalstärke könnte auf den während des ü[X.]wiegenden Teils des Jahres vorhandenen Personalbestand abzustellen sein. Hingegen käme es auf die Dauer der Beschäftigung des einzelnen Arbeitnehmers nicht an (so schon [X.] 11. Novem[X.] 2015 - [X.]/14 - [[X.]] Rn. 32). Auch durch den ständigen Austausch befristet beschäftigter Arbeitnehmer kann ein regelmäßiger Beschäftigungsbedarf befriedigt werden.

3. [X.] der in der Regel in dem betreffenden Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer erhöhte sich nicht, wenn während der Abwesenheit eines Arbeitnehmers (zB bei Mutterschutz, Elternzeit, Krankheit) ein Vertreter eingestellt würde. Der Betrieb würde in diesem Fall - vorbehaltlich sonstiger Änderungen - während des [X.] mit derselben Personalstärke betrieben wie zuvor. Für ihn kennzeichnend wäre nur die Beschäftigung entweder des vertretenen Arbeitnehmers oder seines Vertreters. Eine Doppelzählung der beiden Arbeitnehmer erfolgte nicht.

4. Schließlich geht der Senat davon aus, dass es den nationalen Gerichten obliegt, im Einzelfall zu bewerten, ob der Einsatz bestimmter Arbeitnehmer die regelmäßige Belegschaftsstärke im [X.]punkt der Entlassung iSv. Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a [X.]/[X.] kennzeichnete.

III. Erläuterung der zweiten Vorlagefrage

1. Mit der zweiten Vorlagefrage möchte der Senat wissen, ob Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a [X.]/[X.] dahin auszulegen ist, dass bei der Bestimmung der Zahl der in der Regel in einem Betrieb eines [X.] Unternehmens tätigen Arbeitnehmer dort eingesetzte Leiharbeitnehmer mitzählen können.

2. Der Senat geht davon aus, dass Leiharbeitnehmer von dem [X.] Unternehmen nicht iSv. Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a [X.]/[X.] „entlassen“ werden können. Entlassung iSd. Vorschrift ist jede vom Arbeitnehmer nicht gewollte, also ohne seine Zustimmung erfolgte, Beendigung des Arbeitsvertrags ([X.] 11. Novem[X.] 2015 - [X.]/14 - [[X.]] Rn. 48). Leiharbeitnehmer sind mit dem [X.] Unternehmen nicht durch einen Arbeitsvertrag verbunden, sondern werden aufgrund einer Vereinbarung zwischen dem verleihenden und dem [X.] Unternehmen diesem ü[X.]lassen und dort tätig. Eine Vertragsbeziehung besteht zwischen Leiharbeitnehmer und dem [X.] Unternehmen nicht (Art. 3 Abs. 1 Buchst. b bis e der Richtlinie 2008/104/[X.] des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Novem[X.] 2008 ü[X.] Leiharbeit, [X.] 2008/104/[X.], [X.] [X.] L 327 vom 5. Dezem[X.] 2008 S. 9). In diesem Sinn versteht der Senat auch die bisherige Rechtsprechung des [X.]s ([X.] 21. Okto[X.] 2010 - [X.]/09 - [[X.] Catering] Rn. 20, Slg. 2010, [X.]: „nichtvertraglicher Arbeitge[X.]“). Die Beendigung des Vertragsverhältnisses zwischen Leiharbeitsunternehmen und entleihendem Unternehmen stellt keine Entlassung der betreffenden Leiharbeitnehmer iSv. Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a [X.]/[X.] dar. Die Arbeitsverträge von Leiharbeitnehmern mit dem Leiharbeitsunternehmen werden hiervon nicht unmittelbar betroffen. Auch kann das entleihende Unternehmen nicht wissen, welche Folgen die Beendigung seiner Vertragsbeziehung zum Leiharbeitsunternehmen ggf. für die Arbeitsverträge zwischen diesem und den betroffenen Leiharbeitnehmern haben wird. Es könnte deshalb die Informations-, Konsultations- und Meldepflichten nach Art. 2 Abs. 1 und Abs. 3 sowie Art. 3 Abs. 1 und Abs. 2 [X.]/[X.] ü[X.]haupt nicht erfüllen. Diese treffen vielmehr - allein - das entleihende Unternehmen (vgl. [X.] 10. Septem[X.] 2009 - [X.]/08 - [[X.] ua.] Rn. 57, Slg. 2009, [X.]). Danach dürften Leiharbeitnehmer [X.] ausschließlich im Vertragsverhältnis zum Leiharbeitsunternehmen genießen können.

3. Allerdings erscheint es nicht ausgeschlossen, Arbeitnehmer, die ihrerseits bei einem Arbeitge[X.] keinen Schutz nach der [X.] 98/59/[X.] beanspruchen können, bei der Bestimmung der Anzahl der in der Regel in dessen Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer iSv. Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a [X.] 98/59/[X.] mitzuzählen (sog. gespaltene Berücksichtigung).

a) Der [X.] hat - soweit ersichtlich - an keiner Stelle ausdrücklich gesagt oder seinen Ausführungen implizit zugrunde gelegt, es könne sich bei in der Regel in einem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmern iSv. Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a [X.]/[X.] ausschließlich um solche Arbeitnehmer handeln, die mit dem Betriebsinha[X.] einen Arbeitsvertrag geschlossen haben.

b) Die Antwort auf diese Frage ist auch nicht offenkundig.

aa) Der Wortlaut der [X.] 98/59/[X.] lässt gleichermaßen ein Verständnis zu, wonach es sich um „eigene“ Arbeitnehmer des Betriebsinha[X.]s handeln muss, als auch ein solches, demzufolge alle Arbeitnehmer zählen, die in dem betreffenden Betrieb in Weisungsabhängigkeit vom Betriebsinha[X.] beschäftigt werden, unabhängig davon, ob sie mit diesem einen Arbeitsvertrag geschlossen haben.

bb) Der Unionsgesetzge[X.] wäre nicht aus systematischen Gründen gehindert, auch solche Arbeitnehmer bei der Bestimmung der Zahl der in der Regel in einem Betrieb Beschäftigten iSv. Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a [X.] 98/59/[X.] zu [X.]ücksichtigen, die von dem Betriebsinha[X.] nicht „entlassen“ werden können. Die Betriebsgröße, dh. die Anzahl der in einem Betrieb eingesetzten Arbeitnehmer muss sich nicht zwingend danach richten, wie viele Arbeitnehmer zum Betriebsinha[X.] selbst in einem Vertragsverhältnis stehen und ihm gegenü[X.] ggf. [X.] beanspruchen können.

cc) Aus der Entstehungsgeschichte lässt sich ein bestimmter Regelungswille nicht ableiten. Soweit ersichtlich ist im Gesetzgebungsverfahren weder zu der aktuellen Bestimmung in Art. 1 [X.] 98/59/[X.] noch zu der Vorläuferregelung in Art. 1 Richtlinie 75/129/EWG des Rates vom 17. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten ü[X.] Massenentlassungen ([X.] [X.] L 48 vom 22. Februar 1975 S. 29) erörtert worden, ob Leiharbeitnehmer bei der Bestimmung der Größe des Betriebs eines [X.] Unternehmens zu [X.]ücksichtigen sein können. Umgekehrt lässt sich aus dem Umstand, dass dazu keine ausdrückliche Regelung getroffen ist, nicht schließen, ihre Berücksichtigung solle ausgeschlossen sein. Gesichert ist allein, dass nach dem Vorschlag der [X.] eine Massenentlassung lediglich eine Mindestzahl von zehn Entlassungen voraussetzen sollte. Erst auf Anraten des [X.] wurde eine Regelung geschaffen, die die Anzahl der Entlassungen ins Verhältnis zur Zahl der in der Regel in dem betreffenden Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer setzt.

dd) Nach alledem könnte sich die zutreffende Lesart von Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a [X.] 98/59/[X.] ergeben aus dem Zweck der Verwendung einer „Quotenlösung“ unter Berücksichtigung einerseits der Zahl der in Regel in einem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer und andererseits der Zahl der in einem bestimmten [X.]raum von dem Betriebsinha[X.] vorgenommenen Entlassungen. Insofern steht nach der Entscheidung des [X.]s in der Sache [X.] (- [X.]/14 - Rn. 40) fest, dass auch die „Gesamtbeschäftigtenzahl“ des fraglichen Betriebs eine Rolle spielen soll, um den Arbeitge[X.]n nicht eine „im Verhältnis zur Größe ihres Betriebs ü[X.]mäßige Belastung aufzuerlegen“. Sollte es dabei um die finanzielle Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit des [X.] Unternehmens gehen, machte es keinen Unterschied, ob dort vorhandene Arbeitsplätze mit eigenen Arbeitnehmern oder mit Leiharbeitnehmern besetzt sind. Durch den Einsatz von Leiharbeitnehmern entstehen vergleichbare Personalkosten. Der Entleiher hat zwar den Leiharbeitnehmern kein Arbeitsentgelt, er hat jedoch dem Leiharbeitsunternehmen das vereinbarte Entgelt für deren Ü[X.]lassung zu entrichten.

ee) Eine „gespaltene“ Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern bei der Anwendung von Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a [X.] 98/59/[X.] hätte bei abstrakter Betrachtung ambivalente Auswirkungen auf die Stammbelegschaft. Sie wirkte sich teils zu deren Gunsten, teils zu ihren Lasten aus.

(1) Nach Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a (i) [X.] 98/59/[X.] liegt eine Massenentlassung nur dann vor, wenn eine bestimmte [X.] erfüllt ist. Dabei regelt die Vorschrift in Form eines „Stufenmodells“, dass diese Quote umso geringer sein muss, je mehr Arbeitnehmer in der Regel in dem betreffenden Betrieb tätig sind: In Betrieben mit bis einschließlich 20 Arbeitnehmern führt selbst eine [X.] von [X.] nicht zur Anzeigepflicht. In Betrieben mit zwischen 21 und 99 Arbeitnehmern löst eine [X.] zwischen [X.] (10 von 21 Arbeitnehmern) und [X.] (10 von 99 Arbeitnehmern) die Anzeigepflicht aus (1. Stufe). In Betrieben zwischen 100 und 299 Arbeitnehmern muss die - insoweit festgeschriebene - [X.] stets bei [X.] liegen (2. Stufe). In Betrieben mit 300 und mehr Arbeitnehmern ist zunächst ebenfalls eine [X.] von [X.] (30 von 300 Arbeitnehmern) erforderlich, mit zunehmender Personalstärke sinkt die erforderliche [X.] angesichts des [X.] auf eine absolute Mindestentlassungszahl indes kontinuierlich ab (3. Stufe).

(2) Die Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern bei der Zahl der in der Regel in einem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer iSv. Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a [X.]/[X.] führte dazu, dass die „[X.]“ von mehr als 20 Arbeitnehmern früher bzw. öfter ü[X.]schritten würde. Insoweit würde der [X.] für Stammbelegschaften ausgedehnt.

(3) Ein für die [X.] des Betriebsinha[X.]s nachteiliger Effekt könnte auf der zweiten Stufe von Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a (i) [X.] 98/59/[X.] auftreten. Dort bemisst sich nämlich die Mindestanzahl entlassener Arbeitnehmer „starr“ prozentual nach der Anzahl der in der Regel Beschäftigten.

(4) Demgegenü[X.] ist dies auf der ersten und dritten Stufe der Vorschrift nicht der Fall. Dort führte die Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern dazu, dass die erforderliche [X.] kontinuierlich absänke (in diesem Sinne auch [X.] Schlussanträge der Generalanwältin 3. Septem[X.] 2015 - [X.]/14 - [[X.]] Rn. 34 allerdings für befristet beschäftigte Arbeitnehmer, die beide Schwellenwerte zugunsten „eigener“ Arbeitnehmer des Betriebsinha[X.]s beeinflussen können, weil sie von diesem ggf. auch entlassen werden können).

4. Schließlich stellt sich für den Senat die Frage, ob Leiharbeitnehmer zumindest dann wie „eigene“ Arbeitnehmer des Betriebsinha[X.]s bei der Zahl der in der Regel in einem Betrieb eines [X.] Unternehmens iSv. Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a [X.]/[X.] [X.]ücksichtigt werden müssen, wenn sie dort entgegen Art. 1 Abs. 1 [X.] 2008/104/[X.] nicht bloß vorü[X.]gehend, sondern dauerhaft eingesetzt werden.

IV. Erläuterung der dritten Vorlagefrage

1. Falls die zweite Vorlagefrage nicht nur für die in Rn. 36 beschriebene Konstellation bejaht werden sollte, käme es darauf an, welche Voraussetzungen für die Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern bei der Bestimmung der Anzahl der in der Regel in einem Betrieb eines [X.] Unternehmens beschäftigten Arbeitnehmer gelten. Nach Auffassung des Senats sollte sich das „[X.]“ von Leiharbeitnehmern - gemäß den Ausführungen zur ersten Vorlagefrage - (allein) danach richten, ob mit ihrer Hilfe ein regelmäßig vorhandener Beschäftigungsbedarf abgedeckt wird, ihr Einsatz also die regelmäßige Belegschaftsstärke kennzeichnet.

2. Das bedeutete: Werden Leiharbeitnehmer zur Vertretung von Stammpersonal beschäftigt, rechnen sie grundsätzlich nicht mit (kein Doppelzählen). Sie bleiben - ebenso wie vorü[X.]gehend beschäftigte eigene Arbeitnehmer - auch dann außer Betracht, wenn sie lediglich zur Bewältigung von Auftragsspitzen eingesetzt werden, die den allgemeinen Geschäftsbetrieb nicht kennzeichnen. Hingegen sind sie mitzuzählen, sofern ihre Beschäftigung dem „Regelzustand“ des Betriebs entspricht, soweit also bestimmte Arbeitsplätze im fraglichen Referenzzeitraum stets mit Arbeitnehmern besetzt waren bzw. sein werden, sei es mit eigenen Arbeitnehmern des Betriebsinha[X.]s, sei es, etwa nach deren Ausscheiden oder „immer schon“ mit (wechselnden) Leiharbeitnehmern. Danach käme es nicht darauf an, für welche [X.]dauer der jeweils einzelne Leiharbeitnehmer im Betrieb eingesetzt ist. Selbst wenn nur ein jeweils vorü[X.]gehender Einsatz der einzelnen Leiharbeitnehmer als Personen erfolgte, könnte durch ihren ständigen Austausch doch ein regelmäßiger Beschäftigungsbedarf abgedeckt werden.

        

    Koch    

        

    Rachor    

        

    Niemann    

        

        

        

    Wolf    

        

    B. Schipp    

                 

Meta

2 AZR 90/17 (A)

16.11.2017

Bundesarbeitsgericht 2. Senat

EuGH-Vorlage

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Essen, 11. Juni 2015, Az: 1 Ca 3390/14, Urteil

Art 267 AEUV, Art 1 Abs 1 UAbs 1 Buchst a EGRL 59/98, § 17 Abs 1 S 1 Nr 2 KSchG, § 134 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, EuGH-Vorlage vom 16.11.2017, Az. 2 AZR 90/17 (A) (REWIS RS 2017, 2254)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 2254

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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