Bundessozialgericht, Urteil vom 10.03.2022, Az. B 1 KR 30/20 R

1. Senat | REWIS RS 2022, 3457

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Gegenstand

Krankenversicherung - kein Ausschluss der obligatorischen Anschlussversicherung bei Bezug von Grundleistungen nach dem AsylbLG


Leitsatz

Grundleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz begründen keinen die obligatorische Anschlussversicherung ausschließenden anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 9. Juli 2020 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens, ausgenommen die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 4590,50 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Vergütung zweier Krankenhausbehandlungen.

2

Der geschiedene, ausreisepflichtige [X.] Staatsangehörige S (im Folgenden: der Patient) hielt sich zuletzt geduldet (Aussetzung der Abschiebung) im [X.] auf. Er war aufgrund eines vom 5.9. bis 16.12.2016 bestehenden Beschäftigungsverhältnisses bei der beklagten Krankenkasse ([X.]) pflichtversichert. Er beantragte am 16.12.2016 Leistungen nach dem [X.] Das zuständige Jobcenter lehnte Leistungen wegen des aufenthaltsrechtlichen Status des Patienten am [X.] ab. Die beigeladene [X.] (im Folgenden: [X.]) bewilligte ihm nach dem [X.] (AsylbLG) rückwirkend ab Dezember 2016 laufende Geldleistungen zum Lebensunterhalt (Bescheid vom 6.4.2017). Er befand sich wegen einer Suchterkrankung mit Alkoholintoxikation vom 10.4. bis 13.4.2017 (10:54 Uhr) und vom 13.4. (13:15 Uhr) bis [X.] in stationärer Behandlung in dem Plankrankenhaus der Klägerin (im Folgenden: Krankenhaus). Das Krankenhaus stellte der [X.] für den ersten Krankenhausaufenthalt 871,52 Euro und für den zweiten 3718,98 Euro vergeblich in Rechnung. Auf die Klage des Krankenhauses hat das SG nach Beiladung der [X.] die [X.] zur Zahlung von 4590,50 Euro nebst Zinsen hierauf in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.7.2017 verurteilt. Das [X.] hat die Berufung der [X.] zurückgewiesen: Die [X.] schulde dem Krankenhaus die Begleichung der dem Grunde und der Höhe nach unstreitigen Forderung. Der Patient sei nach dem 16.12.2016 und auch während der beiden Krankenhausbehandlungen bei der [X.] als freiwilliges Mitglied aufgrund der vorrangigen obligatorischen [X.]versicherung nach § 188 Abs 4 [X.] versichert gewesen. Keine entsprechende Anwendung fänden die Ausschlusstatbestände nach § 5 Abs 8a und [X.] [X.]. Zwar habe - aufgrund der rückwirkenden Bewilligung - ein anderweitiger Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall bestanden, jedoch nicht - wie von § 188 Abs 4 Satz 3 [X.] gefordert - im [X.] an den für einen Monat nachwirkenden Versicherungsschutz nach § 19 Abs 2 [X.] (Urteil vom 9.7.2020).

3

Die [X.] rügt mit ihrer Revision - sinngemäß - die Verletzung von § 5 Abs 8a und [X.] sowie § 188 Abs 4 [X.]. § 5 Abs 8a [X.] sei entsprechend anzuwenden. Auch komme es auf den Zeitpunkt des Nachweises der anderweitigen Absicherung nicht an.

4

Die Beklagte beantragt,
die Urteile des [X.] vom 9. Juli 2020 und des [X.] vom 6. Mai 2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

5

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

6

Die beigeladene [X.] stellt keinen Antrag.

7

Das klagende Krankenhaus und die beigeladene [X.] halten die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision der beklagten [X.] ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 [X.]G). Zu Recht hat das [X.] deren Berufung gegen das Urteil des [X.] zurückgewiesen, mit dem das [X.] die [X.] zur Zahlung von 4590,50 Euro nebst Zinsen hierauf in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11.7.2017 verurteilt hat. Die Klage, mit der das Krankenhaus eine Vergütung von 4590,50 Euro für die Behandlung des Patienten begehrt, ist dem Grunde und der Höhe nach begründet (dazu 1.). Zu Recht hat das Krankenhaus seinen Anspruch gegenüber der [X.] geltend gemacht. Nicht die beigeladene Stadt als Leistungsträgerin nach dem [X.] ([X.]), sondern die [X.] ist Schuldnerin der vom Krankenhaus für den Patienten erbrachten Leistungen. Der Patient war spätestens seit dem [X.] und auch noch im Zeitraum der stationären Behandlungen aufgrund einer obligatorischen [X.]versicherung nach § 188 Abs 4 [X.]B V freiwillig versichertes Mitglied der [X.]. Er erfüllte die Voraussetzungen für den Zugang zur obligatorischen [X.]versicherung gemäß § 188 Abs 4 Satz 1 [X.]B V (dazu 2.). Diese war nicht gemäß § 188 Abs 4 Satz 3 [X.]B V ausgeschlossen (dazu 3.). Ein Wegfall der obligatorischen [X.]versicherung vor den stationären Behandlungen des Patienten folgt auch nicht aus einer entsprechenden Anwendung von § 5 Abs 8a und Abs 11 Satz 3 [X.]B V (dazu 4.).

9

1. Rechtsgrundlage des von dem Krankenhaus wegen der stationären Behandlung des Patienten geltend gemachten Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs 4 Satz 3 [X.]B V iVm der Bundespflegesatzverordnung und dem Krankenhausfinanzierungsgesetz ([X.]) sowie der Pflegesatzvereinbarung. Das Gesetz setzt das Bestehen des Vergütungsanspruchs als Gegenleistung für die Erfüllung der Pflicht, erforderliche Krankenhausbehandlung nach § 39 [X.]B V zu gewähren, dem Grunde nach als Selbstverständlichkeit voraus (stRspr; vgl B[X.] vom 19.3.2020 - B 1 KR 20/19 R - B[X.]E 130, 73 = [X.]-2500 § 12 [X.], Rd[X.]1).

Die Zahlungsverpflichtung der [X.] entsteht unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten [X.] Gesetzes, wenn die Versorgung - wie hier - in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und iS von § 39 Abs 1 Satz 2 [X.]B V erforderlich und wirtschaftlich ist (stRspr; vgl zB B[X.] vom 8.11.2011 - B 1 KR 8/11 R - B[X.]E 109, 236 = [X.]-5560 § 17b [X.], Rd[X.], 15 f; B[X.] vom 19.11.2019 - B 1 KR 33/18 R - [X.]-2500 § 109 [X.] Rd[X.]0, 12 f mwN). Nach den [X.], den [X.] bindenden (§ 163 [X.]G) Feststellungen des [X.] war die stationäre Behandlung des Patienten im gesamten Zeitraum (10. - [X.]) medizinisch erforderlich und wirtschaftlich. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig. Die Beteiligten streiten auch nicht darüber, dass das Krankenhaus die Höhe der Vergütung auf Grundlage des tatsächlichen Geschehensablaufs zutreffend nach dem für Plankrankenhäuser geltenden, oben benannten öffentlich-rechtlichen Preisrecht [X.] zutreffend berechnete. Eine nähere Prüfung des erkennenden [X.]s zu dieser Höhe erübrigt sich (stRspr zur Zugrundelegung von Vergütungsansprüchen bei unstrittiger Berechnungsweise zB B[X.] vom 26.5.2020 - B 1 KR 26/18 R - juris Rd[X.]1 mwN).

2. Der Patient erfüllte nach § 188 Abs 4 Satz 1 [X.]B V die Voraussetzungen für den Zugang zur obligatorischen [X.]versicherung. Er erklärte auch nicht seinen Austritt aus der Versicherung und war deshalb im Behandlungszeitraum bei der [X.] versichert.

§ 188 Abs 4 Satz 1 [X.]B V (in der hier maßgeblichen Fassung des Art 1 [X.]b Buchst b des Gesetzes zur Beseitigung [X.] Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung vom [X.], [X.]) bestimmt: Für Personen, deren Versicherungspflicht oder Familienversicherung endet, setzt sich die Versicherung mit dem Tag nach dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht oder mit dem Tag nach dem Ende der Familienversicherung als freiwillige Mitgliedschaft fort, es sei denn, das Mitglied erklärt innerhalb von zwei Wochen nach Hinweis der [X.] über die Austrittsmöglichkeiten seinen Austritt.

Die Möglichkeit des Zugangs des Patienten zur obligatorischen [X.]versicherung war hiernach [X.] seiner unmittelbar vorausgegangenen, bei der [X.] bis zum 16.12.2016 bestehenden Versicherungspflicht grundsätzlich eröffnet. Die Versicherungspflicht folgte aus dem bis dahin zwischen dem Patienten und einem Leiharbeitsunternehmen bestehenden Beschäftigungsverhältnis ([X.] nach § 5 Abs 1 [X.] [X.]B V) und endete mit dessen Beendigung zum 16.12.2016. Der Patient erklärte auch nicht seinen Austritt aus der Versicherung (§ 188 Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 [X.]B V). Dies hat das [X.] für den [X.] bindend festgestellt (§ 163 [X.]G). Die Beteiligten haben diese Feststellung nicht angegriffen.

3. Der Zugang zur obligatorischen [X.]versicherung war nicht nach § 188 Abs 4 Satz 3 [X.]B V ausgeschlossen. An die Stelle der bisherigen Versicherungspflicht trat weder eine andere Versicherungspflicht noch eine Familienversicherung (dazu a), noch war die obligatorische [X.]versicherung aufgrund eines nachgewiesenen anderweitigen Anspruchs auf Absicherung im Krankheitsfall ausgeschlossen (dazu b).

§ 188 Abs 4 Satz 3 [X.]B V bestimmt: Satz 1 gilt nicht für Personen, deren Versicherungspflicht endet, wenn die übrigen Voraussetzungen für eine Familienversicherung erfüllt sind oder ein Anspruch auf Leistungen nach § 19 Abs 2 besteht, sofern im [X.] daran das Bestehen eines anderweitigen Anspruchs auf Absicherung im Krankheitsfall nachgewiesen wird.

a) Für den geschiedenen, 1976 geborenen Patienten bestand weder eine Familienversicherung noch hat das [X.] festgestellt, dass nach dem 16.12.2016 bis zum Beginn der Krankenhausbehandlung eine vorrangige Versicherungspflicht für ihn begründet wurde, insbesondere nicht nach § 5 Abs 1 [X.] oder [X.]a [X.]B V (Leistungsbezug nach [X.]B III oder nach [X.]B II). Dafür ist auch nichts ersichtlich. Aus dem auch vom [X.] in Bezug genommenen Versicherungsverlauf des Rentenversicherungsträgers ergibt sich kein Hinweis darauf, dass der Patient die Voraussetzungen der Anwartschaftszeit nach § 142 [X.]B III erfüllt haben könnte. Für einen Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld ist ebenfalls nichts ersichtlich. Im Übrigen hat das Jobcenter nach den [X.], den [X.] bindenden Feststellungen (§ 163 [X.]G) des [X.] im Februar 2017 die von dem Patienten am 16.12.2016 beantragten [X.]B II-Leistungen bestandskräftig abgelehnt.

Eine andere Versicherungspflicht ergab sich für den Patienten auch nicht aus § 5 Abs 1 [X.] [X.]B V. Denn der Zugang zur obligatorischen [X.]versicherung schließt eine nachrangige [X.] nach § 5 Abs 1 [X.] [X.]B V von vornherein aus. Mit der obligatorischen [X.]versicherung wollte der Gesetzgeber den Grundsatz des Vorrangs der freiwilligen Versicherung vor der nachrangigen [X.] des § 5 Abs 1 [X.] [X.]B V stärken (vgl BT-Drucks 17/13947 [X.] zu [X.]b Buchst b; B[X.] vom [X.] KR 20/18 R - B[X.]E 129, 265 = [X.]-2500 § 188 [X.], Rd[X.]5).

b) Ein Ausschluss aus der obligatorischen [X.]versicherung ist auch nicht aus dem Grund eines nachgewiesenen anderweitigen Anspruchs auf Absicherung im Krankheitsfall gegeben.

Der 12. [X.] des B[X.] hat zum nachwirkenden Anspruch nach dem Ende der Mitgliedschaft (§ 19 Abs 2 [X.]B V) im Verhältnis zur obligatorischen [X.]versicherung nach § 188 Abs 4 [X.]B V entschieden, dass die Voraussetzung des anderweitigen Anspruchs auf Absicherung im Krankheitsfall nach § 188 Abs 4 Satz 3 [X.]B V nicht anders auszulegen ist als nach § 5 Abs 8a Satz 4 iVm § 5 Abs 1 [X.] [X.]B V. Zu einem unterschiedlichen Verständnis des Begriffs des "anderweitigen Anspruchs auf Absicherung im Krankheitsfall" im Rahmen der [X.] einerseits und der obligatorischen [X.]versicherung andererseits zwingt nicht der abweichende Wortlaut der diese Rechtsinstitute normierenden Vorschriften. Während es nach § 5 Abs 8a Satz 4 [X.]B V darauf ankommt, dass keine anderweitige Absicherung "besteht", stellt § 188 Abs 4 Satz 3 Alt 2 [X.]B V zwar darauf ab, dass die anderweitige Absicherung "nachgewiesen wird". Ungeachtet dessen, dass § 5 Abs 8a Satz 4 [X.]B V nicht die [X.] an sich, sondern lediglich die Absicherung im Krankheitsfall in Gestalt des nachgehenden Leistungsanspruchs nach § 19 Abs 2 [X.]B V zum Gegenstand hat, setzt auch der Begriff "nachgewiesen" nichts anderes als das Bestehen einer anderweitigen Absicherung zur Überzeugung der Behörde oder des Gerichts voraus (vgl B[X.] vom [X.] KR 35/19 R - juris Rd[X.]4 ff, insbesondere Rd[X.]7). Dem schließt sich der erkennende [X.] mit der Folge an, dass seine Prognoserechtsprechung (vgl B[X.] vom 10.5.2012 - B 1 KR 19/11 R - B[X.]E 111, 9 = [X.]-2500 § 192 [X.], RdNr 30 und 33; B[X.] vom [X.] - B 1 KR 68/12 R - [X.]-2500 § 5 [X.]2 Rd[X.]5) auch für § 188 Abs 4 Satz 3 [X.]B V Gültigkeit besitzt. Dies hätte erfordert, dass spätestens am letzten [X.] mit dem nahtlosen [X.] eines anderweitigen Anspruchs auf Absicherung im Krankheitsfall sicher zu rechnen gewesen wäre. Soweit der [X.] in seiner Entscheidung vom [X.] (B 1 KR 68/12 R - [X.]-2500 § 5 [X.]2 Rd[X.]5) in einer Formulierung nur das sich nahtlos anschließende Versicherungspflichtverhältnis erwähnt hat, stellt er klar, dass jede anderweitige, vom Gesetz als hinreichend angesehene Absicherung im Krankheitsfall dafür ausreichend ist (vgl auch B[X.] vom [X.], aaO, Rd[X.]4). Dies gilt insbesondere für bestimmte Leistungen nach dem [X.]B XII und dem [X.].

Bei Ablauf des maximal einen Monat dauernden nachwirkenden Versicherungsschutzes gemäß § 19 Abs 2 [X.]B V war der Nachweis eines anderweitigen Anspruchs des Patienten auf Absicherung im Krankheitsfall nicht erbracht. Der [X.] kann daher offenlassen, ob zunächst ein nachwirkender Versicherungsschutz nach § 19 Abs 2 [X.]B V durch die [X.] bestanden hat.

4. Die obligatorische [X.]versicherung ist schließlich nicht dadurch rückwirkend entfallen, dass die beigeladene [X.] mit Bescheid vom 6.4.2017 dem Patienten rückwirkend ab Dezember 2016 Grundleistungen nach § 3 [X.] bewilligte. Die Voraussetzungen des § 5 Abs 8a [X.]B V sind im vorliegenden Fall schon tatbestandlich nicht erfüllt (dazu a). § 5 Abs 11 [X.]B V ist nicht entsprechend anzuwenden (dazu b).

a) § 5 Abs 8a Satz 2 [X.]B V (in der Fassung des Art 1 [X.] Buchst c des [X.] des [X.] in der gesetzlichen Krankenversicherung <[X.]-[X.]stärkungsgesetz - [X.]-W[X.]> vom [X.], [X.]) bestimmt zu den sogenannten [X.] iS von § 2 [X.] und dem sich daraus ergebenden Ausschluss aus der [X.] nach § 5 Abs 1 [X.] [X.]B V: Satz 1 gilt entsprechend für Empfänger laufender Leistungen nach dem [X.], [X.], Sechsten und Siebten Kapitel des [X.] und für Empfänger laufender Leistungen nach § 2 [X.].

Es bestand zu keinem Zeitpunkt ein anderweitiger Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall iS des § 5 Abs 8a Satz 2 [X.]B V. Nur ([X.] nach § 2 [X.] führen über § 264 Abs 2 [X.]B V zur hier ausreichenden, aber auch erforderlichen krankenversicherungsgleichen Absicherung. Die Bewilligung von Grundleistungen nach § 3 [X.] eröffnet dagegen nur Ansprüche auf den abgesenkten Versorgungsanspruch bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt nach § 4 [X.], nicht jedoch solche, die denen der §§ 47 ff [X.]B XII entsprechen. Der Patient erhielt nur Grundleistungen nach § 3 [X.]. An die entgegenstehende Feststellung des [X.] zum Regelungsgehalt des [X.]-Bescheids ist der [X.] nicht gebunden.

Es spricht viel dafür, dass die Auslegung eines Verwaltungsaktes stets (auch) Aufgabe des [X.] ist (vgl B[X.] vom 13.12.2018 - B 5 RE 3/18 R - [X.]-2600 § 6 [X.]9 Rd[X.]7 ff). Jedenfalls tritt dann keine Bindung an den vom [X.] festgestellten Erklärungsinhalt eines Verwaltungsaktes ein, wenn die Auslegung auf einer unvollständigen Würdigung der festgestellten Tatsachen, einem Rechtsirrtum, einem Verstoß gegen eine Auslegungsregel oder einen Verstoß gegen ein allgemeines Erfahrungs- oder Denkgesetz beruht. In diesem Fall kann das Revisionsgericht die Erklärung selbst auslegen (vgl B[X.], aaO, Rd[X.]6). Dies ist hier der Fall. Das [X.] hat die Angaben im Bescheid nicht gewürdigt und diesen deshalb irrtümlich rechtlich qualifiziert. Der vom [X.] in Bezug genommene Leistungsbescheid der [X.] vom 6.4.2017 besagt ausdrücklich: "Gemäß obiger Berechnung erhalten Sie den [X.] nach § 3 [X.]." Die beigefügte Berechnung entspricht auch dem sich nach § 3 [X.] ergebenden Anspruch. Danach hatte der Patient nur einen Anspruch auf Leistungen bei Krankheit nach § 4 [X.].

Ob eine Leistungsbewilligung nach Ablauf des nachgehenden Versicherungsschutzes, aber rückwirkend für diesen Zeitraum, die obligatorische [X.]versicherung ebenfalls entsprechend § 5 Abs 8a [X.]B V ausschließen würde - wozu der [X.] neigt (so zur unmittelbaren Anwendung des § 5 Abs 8a [X.]B V B[X.] vom 6.10.2010 - B 12 KR 25/09 R - B[X.]E 107, 26 = [X.]-2500 § 5 [X.]2, Rd[X.]6 ff, insbesondere Rd[X.]5) -, kann dahingestellt bleiben. Denn dem Patienten wurden weder Leistungen nach dem [X.]B XII noch nach § 2 [X.] zuerkannt.

b) Ein Wegfall der obligatorischen [X.]versicherung vor den stationären Behandlungen des Patienten folgt auch nicht aus einer entsprechenden Anwendung des § 5 Abs 11 Satz 3 [X.]B V.

§ 5 Abs 11 Satz 3 [X.]B V bestimmt: Bei Leistungsberechtigten nach dem [X.] liegt eine Absicherung im Krankheitsfall bereits dann vor, wenn ein Anspruch auf Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt nach § 4 [X.] dem Grunde nach besteht.

Die Vorschrift erkennt die eingeschränkten Leistungen nach § 4 [X.] nur im Rahmen der [X.] gemäß § 5 Abs 1 [X.] [X.]B V als anderweitige Absicherung im Krankheitsfall an. Im Rahmen der obligatorischen [X.]versicherung gilt dies nicht. Eingeschränkte Leistungen nach § 4 [X.] stellen keine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall iS des § 188 Abs 4 Satz 3 [X.]B V dar. Eine entsprechende Anwendung des § 5 Abs 11 Satz 3 [X.]B V im Rahmen des § 188 Abs 4 Satz 3 [X.]B V ist aufgrund entgegenstehender Regelungszwecke beider Vorschriften und des Fehlens einer unbewussten Regelungslücke ausgeschlossen.

Der Regelungszweck des § 5 Abs 11 [X.]B V besteht darin, eine voraussetzungslose unkontrollierte erstmalige Aufnahme mittels der [X.] in die [X.] auszuschließen. Berechtigte nach dem [X.], die noch aus keinem anderen Grund eine Aufnahme in der [X.] gefunden haben oder in den Schutz eines der [X.] entsprechenden [X.] gelangt sind (insbesondere nach § 2 [X.]), sollen auch für die Absicherung im Krankheitsfall allein dem [X.] zugewiesen bleiben. Dies fügt sich in die [X.] ein. Die Zielrichtung der Vorschrift, eine voraussetzungslose unkontrollierte erstmalige Aufnahme in die [X.] zu unterbinden, wird auch in § 5 Abs 11 Satz 2 [X.]B V sichtbar. Danach besteht für den Personenkreis der Unionsbürger, der nur unter den Voraussetzungen eines ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ein Recht auf Einreise und Aufenthalt hat, keine [X.] (vgl auch B[X.] vom 3.7.2013 - B 12 KR 2/11 R - [X.]-2500 § 5 [X.]0 Rd[X.]9; B[X.] vom 18.11.2014 - [X.] [X.] 9/13 R - B[X.]E 117, 261 = [X.]-3500 § 25 [X.], Rd[X.]1). § 188 Abs 4 Satz 1 [X.]B V setzt demgegenüber gerade eine vorbestehende Versicherungspflicht oder eine Familienversicherung und damit eine vorbestehende besondere Nähe zur [X.] voraus. Dies lässt sich nur mit der Vorstellung vereinbaren, dass das dortige Schutzniveau auch im Rahmen einer anderweitigen Absicherung nach § 188 Abs 4 Satz 3 [X.]B V gewährleistet sein soll.

Auch ist nichts für eine unbewusste Regelungslücke ersichtlich. Denn der Gesetzgeber hat § 188 Abs 4 Satz 3 [X.]B V geschaffen in Kenntnis der bestehenden Regelung in § 5 Abs 11 Satz 3 [X.]B V zum [X.], ohne diese zu übernehmen (vgl auch die Begründung der Beschlussempfehlung des [X.], der § 5 Abs 1 [X.] [X.]B V im Blick hatte, BT-Drucks 17/13497 [X.]). Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass eine nahtlose rückwirkende Bewilligung von Grundleistungen nach dem [X.] die obligatorische [X.]versicherung rückwirkend ausschließt, wäre wegen der unterschiedlichen [X.] zudem eine eigenständige Erstattungsregelung im Verhältnis von [X.]n und [X.]-Trägern zu erwarten gewesen. Der Gesetzgeber hat aber auch keine an die Bewilligung von Grundleistungen nach dem [X.] anknüpfende, für die Zukunft (ex nunc) wirkende Ausschlussregelung geschaffen.

Der [X.] ist sich der für die [X.]n negativen beitragsrechtlichen Folgewirkungen dieser Lösung bewusst. Diese resultieren jedoch daraus, dass der Gesetzgeber an die Bewilligung von Grundleistungen gemäß § 3 [X.] weder für die Vergangenheit noch für die Zukunft einen Tatbestand zur Beendigung der obligatorischen [X.]versicherung geknüpft noch eine Beitragszahlungspflicht der [X.]-Träger zumindest für die Vergangenheit vorgesehen hat.

Hier hatte der Patient aufgrund seiner [X.] in der [X.] Fuß gefasst und damit eine hinreichende Nähe zum Versicherungssystem erlangt. Unerheblich ist deshalb, dass er im [X.] an seine versicherungspflichtige Beschäftigung rückwirkend nur Grundleistungen nach § 3 [X.] erhielt.

5. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 69 Abs 1 Satz 3 [X.]B V iVm §§ 291, 288 Abs 1 Satz 2 BGB und § 9 Abs 6 und 7 des Vertrags nach § 112 [X.]B V zwischen der Krankenhausgesellschaft [X.] und den [X.]. Danach beträgt die Zahlungsfrist für [X.] 14 Tage. Ab Überschreitung der Zahlungsfrist sind Verzugszinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen. Die [X.] hat gegen den Beginn des vom [X.] ausgeurteilten [X.] keine Einwände erhoben. Er kann deshalb vom [X.] zugrunde gelegt werden.

6. [X.] folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 [X.]G iVm § 154 Abs 2 sowie § 162 Abs 3 VwGO. Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten der beigeladenen [X.]-Trägerin ist nicht veranlasst. Sie hat im Revisionsverfahren keinen Antrag gestellt. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 [X.]G iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 1 und 3 sowie § 47 Abs 1 GKG.

[X.]

Scholz

[X.] ist wegen Urlaubs an der Unterschrift verhindert.
[X.]

Meta

B 1 KR 30/20 R

10.03.2022

Bundessozialgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: KR

vorgehend SG Speyer, 6. Mai 2019, Az: S 7 KR 396/17, Urteil

§ 5 Abs 1 Nr 13 SGB 5, § 5 Abs 8a S 2 SGB 5, § 5 Abs 8a S 4 SGB 5, § 5 Abs 11 S 3 SGB 5, § 19 Abs 2 SGB 5, § 188 Abs 4 S 1 SGB 5 vom 15.07.2013, § 188 Abs 4 S 3 SGB 5 vom 15.07.2013, § 2 AsylbLG, § 3 AsylbLG, § 4 AsylbLG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 10.03.2022, Az. B 1 KR 30/20 R (REWIS RS 2022, 3457)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 3457

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