Bundesfinanzhof, Urteil vom 21.10.2010, Az. III R 4/09

3. Senat | REWIS RS 2010, 2153

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Gegenstand

Kindergeld für nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer


Leitsatz

NV: Die Neuregelung der Kindergeldberechtigung von nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländern in § 62 Abs. 2 EStG begegnet trotz der Vorlagebeschlüsse des BSG vom 3.12.2009 B 10 EG 5/08 R, B 10 EG 6/08 R sowie B 10 EG 7/08 R, die zur wortgleichen Regelung der Berechtigung von Ausländern zur Inanspruchnahme von Erziehungsgeld nach § 1 Abs. 6 BErzGG ergangen sind, keinen verfassungsrechtlichen Bedenken .

Tatbestand

1

I. Der aus [[[X.].].] stammende Kläger und Revisionskläger (Kläger) reiste im Jahr 2000 in die [[[X.].].] ([[[X.].].]) ein. Zunächst war er faktisch geduldet. Seit April 2006 ist er im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes ([[[X.].].]). Im Mai 2006 beantragte er Kindergeld für seine beiden Kinder. Die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) lehnte den Antrag durch Bescheid vom 23. Mai 2006 ab, der dagegen gerichtete Einspruch hatte keinen Erfolg. Später gewährte die Familienkasse durch Bescheid vom 27. August 2007 Kindergeld für die Monate November 2006 bis Juni 2007, da der Kläger in diesem Zeitraum erwerbstätig war.

2

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab, mit welcher der Kläger die Festsetzung von Kindergeld für die Tochter [[X.].] ab Februar 2002 bis Oktober 2006 und für den [[X.].] ab Juni 2002 bis Oktober 2006 begehrte (Urteil vom 1. Dezember 2008  5 [[X.].], Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 763). Es führte aus, bis einschließlich März 2006 habe der Kläger bereits deshalb keinen Anspruch auf Kindergeld, weil er erst seit April 2006 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 [[[X.].].] sei. Die vorherige Duldung sei nicht ausreichend. Im Zeitraum April 2006 bis Oktober 2006 sei der Kläger nicht erwerbstätig gewesen, so dass die Voraussetzungen nach § 62 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht erfüllt seien.

3

Zur Begründung der Revision trägt der Kläger vor, § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. [[X.].]. Nr. 3 EStG sei verfassungswidrig. Die Regelung verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). Die Erwägungen, die das [[X.].] ([[X.].]) im Beschluss vom 6. Juli 2004  1 BvL 4/97 ([[X.].]E 111, 160, [[X.].]/NV 2005, Beilage 2, 114) angestellt habe, träfen auch auf § 62 Abs. 2 EStG zu. Die Einschätzung des [[X.].] ([[X.].]) in den Urteilen vom 15. März 2007 [[X.].]/03 ([[X.].]E 217, 443, [[X.].], 905) und vom 22. November 2007 [[X.].]/02 ([[X.].]E 220, 45, [[X.].], 913), wonach keine langfristige Integration geduldeter Ausländer und ihrer Familien in der [[[X.].].] beabsichtigt sei, sei unrichtig. Dies ergebe sich bereits aus § 104a [[[X.].].]. Ausländer mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104a [[[X.].].] erhielten Kindergeld, obgleich dieser Aufenthaltstitel der direkten Verfestigung nach § 26 Abs. 4 [[[X.].].] nicht zugänglich sei, anders als z.B. eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 [[[X.].].], die einen Kindergeldanspruch nur unter zusätzlichen Voraussetzungen begründe. Die Differenzierung sei willkürlich. Auch übersehe der [[X.].] die zunehmende Bedeutung des Art. 8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK).

4

Der Kläger beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil, den Ablehnungsbescheid vom 23. Mai 2006 sowie die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 10. Juli 2006 aufzuheben und die Familienkasse zu verpflichten, Kindergeld für das Kind [[X.].] ab Februar 2002 und für das Kind [X.] ab Juni 2002 bis Oktober 2006 festzusetzen.

5

Die Familienkasse beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

6

II. Die Revision ist unbegründet und wird zurü[X.]kgewiesen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgeri[X.]htsordnung --[X.]O--). Der Kläger hat für den streitigen Zeitraum keinen Anspru[X.]h auf Kindergeld.

7

1. Die Neuregelung der [X.] ni[X.]ht freizügigkeitsbere[X.]htigter Ausländer in § 62 Abs. 2 EStG ist mit Wirkung vom 1. Januar 2006 in [X.] getreten und erfasst gemäß § 52 Abs. 61a Satz 2 EStG alle Sa[X.]hverhalte, bei denen das Kindergeld no[X.]h ni[X.]ht bestandskräftig festgesetzt worden ist. Die Gesetzesänderung war eine Reaktion auf den [X.]-Bes[X.]hluss in [X.] 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114, in dem dieses § 1 Abs. 3 des Bundeskindergeldgesetzes i.d.F. des [X.] zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wa[X.]hstumsprogramms vom 21. Dezember 1993 ([X.], 2353) als insoweit unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG ansah, als die Gewährung von Kindergeld allein von der Art der ausländerre[X.]htli[X.]hen Genehmigung na[X.]h dem Ausländergesetz 1990 abhing. Das Gesetz stellt in § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG nunmehr auf die Integration ni[X.]ht freizügigkeitsbere[X.]htigter Ausländer in den [X.] Arbeitsmarkt ab. Damit ist der Gesetzgeber den Vorgaben des [X.] na[X.]hgekommen, das beanstandet hatte, dass die frühere Regelung nur ausländis[X.]he Eltern bena[X.]hteiligte, die legal in der [X.] lebten und bereits in den Arbeitsmarkt integriert waren (s. [X.]-Bes[X.]hluss in [X.] 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114, unter [X.] 4.).

8

2. Der Senat hat mit den Urteilen in [X.], 443, [X.], 905 sowie in [X.], 45, [X.], 913 ents[X.]hieden, dass der Gesetzgeber bei der Neuregelung der [X.] in § 62 Abs. 2 EStG im Rahmen des ihm zustehenden Gestaltungsspielraums handelte, als er die [X.] von Ausländern vom Besitz bestimmter Aufenthaltstitel na[X.]h dem [X.] abhängig ma[X.]hte und bei einzelnen Titeln, die einen s[X.]hwä[X.]heren aufenthaltsre[X.]htli[X.]hen Status vermitteln, darüber hinaus von einem mindestens dreijährigen re[X.]htmäßigen, gestatteten oder geduldeten Aufenthalt im [X.] sowie von einer bere[X.]htigten Erwerbstätigkeit, vom Bezug laufender Geldleistungen na[X.]h dem [X.] ([X.]) oder von der Inanspru[X.]hnahme von Elternzeit (§ 62 Abs. 2 Nr. 2 Bu[X.]hst. [X.], Nr. 3 EStG). An den Grundsätzen dieser Urteile hält der Senat fest.

9

3. An der verfassungsre[X.]htli[X.]hen Beurteilung des § 62 Abs. 2 EStG hat si[X.]h trotz der Vorlagebes[X.]hlüsse des Bundessozialgeri[X.]hts na[X.]h Art. 100 Abs. 1 GG vom 3. Dezember 2009 [X.] EG 5/08 R, [X.] EG 6/08 R sowie [X.] EG 7/08 R (jeweils juris), die zur wortglei[X.]hen Regelung der Bere[X.]htigung von Ausländern zur Inanspru[X.]hnahme von Erziehungsgeld na[X.]h § 1 Abs. 6 des Gesetzes zum Erziehungsgeld und zur Elternzeit vom 9. Februar 2004 ([X.], 206) i.d.[X.] zur Anspru[X.]hsbere[X.]htigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvors[X.]huss vom 13. Dezember 2006 ([X.], 2915) ergangen sind, ni[X.]hts geändert (s. Senatsurteil vom 28. April 2010 [X.], [X.], 262, BFH/NV 2010, 1540). Es ist von [X.] wegen ni[X.]ht geboten, Ausländern, die den Lebensunterhalt ihrer Familien mit Hilfe von Sozialleistungen bestreiten, darüber hinaus Kindergeld zu gewähren. Au[X.]h aus Art. 8 [X.] ergibt si[X.]h kein derartiger Anspru[X.]h. Der Hinweis des Klägers darauf, dass Ausländer, die von der Übergangsregelung na[X.]h § 104a [X.] profitieren, kindergeldbere[X.]htigt sind, begründet ebenso wenig Zweifel an der [X.] des § 62 Abs. 2 EStG.

4. Im Streitfall war der Kläger na[X.]h den Feststellungen des [X.] bis März 2006 geduldet. Ausländer, deren Aufenthalt ledigli[X.]h geduldet ist, haben keinen Anspru[X.]h auf Kindergeld, unabhängig von einer etwaigen Erwerbstätigkeit (Senatsurteil in [X.], 443, [X.], 905). Ab April 2006 war der Kläger im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis na[X.]h § 25 Abs. 5 [X.], die unter den Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Nr. 2 Bu[X.]hst. [X.] i.V.m. Nr. 3 EStG einen Anspru[X.]h auf Kindergeld vermittelt. Der Kläger war jedo[X.]h entgegen § 62 Abs. 2 Nr. 3 Bu[X.]hst. b EStG ni[X.]ht erwerbstätig; Anhaltspunkte dafür, dass er laufende Geldleistungen na[X.]h dem [X.] bezog oder Elternzeit in Anspru[X.]h nahm, bestanden na[X.]h den Feststellungen des [X.] ni[X.]ht.

Meta

III R 4/09

21.10.2010

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend FG Münster, 1. Dezember 2008, Az: 5 K 3420/06 Kg, Urteil

§ 25 Abs 5 AufenthG, § 104a AufenthG, § 1 Abs 6 BErzGG, Art 8 MRK, § 62 Abs 2 EStG 2002, Art 3 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 21.10.2010, Az. III R 4/09 (REWIS RS 2010, 2153)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 2153

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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