Bundesfinanzhof, Beschluss vom 19.01.2011, Az. III S 44/09 (PKH)

3. Senat | REWIS RS 2011, 10347

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Gegenstand

Kein Kindergeld für Ausländer aufgrund der Europäischen Menschenrechtskonvention und der sog. Qualifikationsrichtlinie - hinreichende Aussicht auf Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfolgung


Leitsatz

NV: Die vom BSG mit Vorlagebeschlüssen vom 3.12.2009 B 10 EG 5/08 R, B 10 EG 6/08 R sowie B 10 EG 7/08 R vorgebrachten Bedenken gegen § 1 Abs. 6 BErzGG kommen beim steuerrechtlichen Kindergeld nicht zum Tragen.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin, Revisionsklägerin und Antragstellerin (Klägerin) begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) und die Beiordnung des Re[X.]htsanwalts R für ihre Revision beim [X.] ([X.]) wegen Kindergeld, die das Finanzgeri[X.]ht ([X.]) zugelassen hat.

2

Die aus [X.] stammende Klägerin lebt seit Juni 2003 mit ihrem [X.] in der [X.], seit November 2007 ist sie im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis na[X.]h § 25 Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes ([X.]). Sie bezog zunä[X.]hst Leistungen na[X.]h dem [X.], ab November 2007 bis Januar 2008 Leistungen zur Si[X.]herung des Lebensunterhalts na[X.]h dem [X.] ([X.]) und ab Februar 2008 laufende Hilfe zum Lebensunterhalt na[X.]h dem [X.] ([X.]). Na[X.]h einem amtsärztli[X.]hen Guta[X.]hten vom Dezember 2007 ist die Klägerin auf Dauer erwerbsunfähig; eine Na[X.]huntersu[X.]hung wurde erst na[X.]h Ablauf von 18 Monaten empfohlen. Die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) lehnte den Antrag der Klägerin auf Kindergeld mit Bes[X.]heid vom 7. Januar 2008 ab, da die Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ni[X.]ht erfüllt seien. Der Einspru[X.]h blieb ohne Erfolg.

3

Das [X.] wies die wegen Kindergeld von Oktober 2007 bis Juni 2008 erhobene Klage ab. Es führte u.a. aus, na[X.]h der Re[X.]htspre[X.]hung des [X.] (Senatsurteil vom 22. November 2007 [X.], [X.]E 220, 45, [X.], 913) sei die Regelung des § 62 Abs. 2 Nr. 2 Bu[X.]hst. [X.], Nr. 3 EStG verfassungsgemäß, au[X.]h soweit sie auf ni[X.]ht freizügigkeitsbere[X.]htigte Ausländer zur Anwendung komme, die erwerbsunfähig sind. Ein Anspru[X.]h auf Kindergeld ergebe si[X.]h au[X.]h ni[X.]ht aus Art. 28 der Ri[X.]htlinie 2004/83/[X.] vom 29. April 2004 über [X.] für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flü[X.]htlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen S[X.]hutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden S[X.]hutzes (Amtsblatt der Europäis[X.]hen Union Nr. L 304, 12) --Qualifikationsri[X.]htlinie--, da das Kindergeld keine Sozialhilfeleistung im Sinne der Qualifikationsri[X.]htlinie sei.

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Im Revisionsverfahren, für das die Klägerin PKH begehrt, ma[X.]ht sie im Wesentli[X.]hen geltend, es sei eine verfassungskonforme Auslegung des § 62 Abs. 2 Nr. 2 Bu[X.]hst. [X.], Nr. 3 EStG geboten. Unter der Fallgruppe derjenigen Mens[X.]hen, die eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis na[X.]h § 23 Abs. 1, § 23a, § 24, § 25 Abs. 3 bis 5 [X.] erhalten haben, gebe es eine Vielzahl sol[X.]her, bei denen der Grund für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis besondere individuelle Umstände gewesen seien, die glei[X.]hzeitig eine Erwerbstätigkeit auss[X.]hlössen wie etwa eine s[X.]hwere Erkrankung oder Behinderung, hohes Alter oder Minderjährigkeit. Bei den Betroffenen sei die fehlende Erwerbstätigkeit kein Indiz für eine mangelhafte Integration. Zwar habe der Gesetzgeber dur[X.]haus zu Re[X.]ht die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit als ein Indiz für einen Daueraufenthalt formuliert, dies re[X.]htfertige jedo[X.]h ni[X.]ht den Auss[X.]hluss oder die Ni[X.]htberü[X.]ksi[X.]htigung anderer Indizien. Zudem dürfe die Klägerin na[X.]h Art. 3 Abs. 3 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) ni[X.]ht wegen ihrer Behinderung bena[X.]hteiligt werden. Der Europäis[X.]he Geri[X.]htshof für Mens[X.]henre[X.]hte ([X.]) habe in der Sa[X.]he 59140/00, [X.]/Deuts[X.]hland, dur[X.]h Urteil vom 25. Oktober 2005 ([X.]/NV 2006, Beilage 3, 357) ents[X.]hieden, dass die unters[X.]hiedli[X.]he Behandlung von Ausländern mit dauerhafter Aufenthaltsbere[X.]htigung und Ausländern ohne eine sol[X.]he bei der Gewährung von Kindergeld gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 14 i.V.m. Art. 8 der Europäis[X.]hen Mens[X.]henre[X.]htskonvention ([X.]) verstoße.

Entscheidungsgründe

5

II. Der Antrag auf Bewilligung von PKH und Beiordnung eines Re[X.]htsvertreters wird abgelehnt.

6

1. Na[X.]h § 142 der Finanzgeri[X.]htsordnung ([X.]O) i.V.m. § 114 Satz 1 der Zivilprozessordnung erhält eine Partei, die na[X.]h ihren persönli[X.]hen und wirts[X.]haftli[X.]hen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung ni[X.]ht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsi[X.]htigte Re[X.]htsverfolgung hinrei[X.]hende Aussi[X.]ht auf Erfolg bietet und ni[X.]ht mutwillig ers[X.]heint.

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2. Der Antrag ist abzulehnen, weil das Revisionsverfahren keine hinrei[X.]hende Aussi[X.]ht auf Erfolg bietet.

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a) Eine hinrei[X.]hende Aussi[X.]ht auf Erfolg besteht ni[X.]ht bereits deshalb, weil das [X.] die Revision wegen grundsätzli[X.]her Bedeutung der Sa[X.]he zugelassen hat. Denn dieser Zulassungsgrund enthält keine Aussage darüber, ob das Re[X.]htsmittel erfolgrei[X.]h sein werde, sondern nur darüber, dass ein Interesse der Allgemeinheit an der Klärung einer bestimmten Re[X.]htsfrage bestehe ([X.] vom 28. Januar 1988 [X.], [X.] 1988, 730; vom 13. Oktober 2005 [X.] (PKH), [X.] 2006, 631).

9

b) Na[X.]h den den Senat bindenden Feststellungen des [X.] (vgl. § 118 Abs. 2 [X.]O) war die Klägerin im Streitzeitraum Oktober 2007 bereits ni[X.]ht im Besitz eines der in § 62 Abs. 2 EStG angeführten Aufenthaltstitel. Seit November 2007 verfügte sie zwar über eine Aufenthaltserlaubnis na[X.]h § 25 Abs. 3 AufenthG. Personen mit einem sol[X.]hen Aufenthaltstitel haben aber nur dann einen Anspru[X.]h auf Kindergeld, wenn sie si[X.]h seit mindestens drei Jahren re[X.]htmäßig, gestattet oder geduldet im [X.] aufhalten und darüber hinaus dort bere[X.]htigt erwerbstätig sind, laufende Geldleistungen na[X.]h dem [X.] ([X.]) beziehen oder Elternzeit in Anspru[X.]h nehmen (§ 62 Abs. 2 Nr. 2 Bu[X.]hst. [X.], Nr. 3 EStG). Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall ni[X.]ht vor.

Der Senat hat keine verfassungsre[X.]htli[X.]hen Bedenken gegen diese Bes[X.]hränkung der Kindergeldbere[X.]htigung von Ausländern (s. Urteile vom 15. März 2007 [X.]/03, [X.], 443, [X.], 905; in [X.], 45, [X.], 913). Die vom Bundessozialgeri[X.]ht mit Vorlagebes[X.]hlüssen vom 3. Dezember 2009 [X.] EG 5/08 R, [X.] EG 6/08 R sowie [X.] EG 7/08 R (jeweils juris) vorgebra[X.]hten Bedenken gegen § 1 Abs. 6 des Gesetzes zum Erziehungsgeld und zur Elternzeit (BErzGG) kommen beim steuerre[X.]htli[X.]hen Kindergeld ni[X.]ht zum Tragen, da das Kindergeld, anders als das Erziehungsgeld (s. § 8 Abs. 1 Satz 1 BErzGG), als Einkommen auf Sozialleistungen angere[X.]hnet wird. Die Anre[X.]hnung des Kindergeldes ist verfassungsgemäß (vgl. Bes[X.]hluss des Bundesverfassungsgeri[X.]hts vom 11. März 2010  1 BvR 3163/09, Zeits[X.]hrift für das gesamte Familienre[X.]ht 2010, 800, zu Leistungen na[X.]h dem [X.]). Ni[X.]ht in den Arbeitsmarkt integrierte Ausländer, die na[X.]h § 62 Abs. 2 EStG keinen Anspru[X.]h auf Kindergeld haben, erhalten --wie im Streitfall au[X.]h die [X.] typis[X.]herweise Sozialleistungen, deren Höhe si[X.]h u.a. na[X.]h der Anzahl der im gemeinsamen Haushalt lebenden Kinder ri[X.]htet. Sol[X.]hen Ausländern entsteht dur[X.]h die Bes[X.]hränkung der Kindergeldbere[X.]htigung in § 62 Abs. 2 EStG typis[X.]herweise kein finanzieller Na[X.]hteil, der zu einem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 GG führen könnte. Ausländern, die Anspru[X.]h auf Kindergeld haben und die darüber hinaus Sozialleistungen beziehen, wird das Kindergeld entweder als Einkommen des anspru[X.]hsbere[X.]htigten Elternteils oder als Einkommen des minderjährigen Kindes (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 3 [X.], § 82 Abs. 1 Satz 2 SGB XII) auf die Sozialleistungen angere[X.]hnet oder auf Antrag na[X.]h § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 104 des Zehnten Bu[X.]hes Sozialgesetzbu[X.]h an den Sozialleistungsträger erstattet oder na[X.]h § 74 Abs. 1 Satz 4 EStG an diesen abgezweigt. Eine Ausweitung der Kindergeldbere[X.]htigung ni[X.]ht freizügigkeitsbere[X.]htigter Ausländer, die ihren Unterhalt mit Sozialleistungen bestreiten, brä[X.]hte für diese somit in der Regel keine finanziellen Vorteile (Senatsurteil vom 28. April 2010 [X.], [X.], 262, [X.], 980).

Es ist von Verfassungs wegen ni[X.]ht geboten, Ausländern, die den Lebensunterhalt ihrer Familien mit Hilfe von Sozialleistungen bestreiten, darüber hinaus Kindergeld zu gewähren. Au[X.]h aus Art. 8 [X.] ergibt si[X.]h kein derartiger Anspru[X.]h (Senatsurteil vom 21. Oktober 2010 [X.]/09, juris). Im Übrigen wurde bereits ents[X.]hieden, dass § 62 Abs. 2 EStG ni[X.]ht dem Urteil des [X.] in [X.] 2006, Beilage 3, 357 widerspri[X.]ht (Senatsurteil in [X.], 45, [X.], 913) und das Kindergeld ni[X.]ht zu den Sozialhilfeleistungen i.S. des Art. 28 der Qualifikationsri[X.]htlinie gehört (Senatsbes[X.]hluss vom 23. Oktober 2009 III [X.] (PKH), [X.] 2010, 203).

3. Eine Kostenents[X.]heidung ist ni[X.]ht zu treffen. Geri[X.]htsgebühren entstehen ni[X.]ht (§ 1 Abs. 2 Nr. 2, § 3 Abs. 2 des Geri[X.]htskostengesetzes in Verbindung mit dem Kostenverzei[X.]hnis).

Meta

III S 44/09 (PKH)

19.01.2011

Bundesfinanzhof 3. Senat

Beschluss

§ 25 Abs 3 AufenthG, Art 28 EGRL 83/2004, Art 8 MRK, § 62 Abs 2 EStG 2002, § 114 S 1 ZPO, § 142 FGO, § 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 1 Abs 6 BErzGG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 19.01.2011, Az. III S 44/09 (PKH) (REWIS RS 2011, 10347)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 10347

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1 BvR 3163/09

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