Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.09.2015, Az. IX ZB 47/14

IX. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 5244

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IX
ZB 47/14

vom

17. September 2015

in dem Rechtsstreit

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Der IX.
Zivilsenat des [X.] hat durch den Vorsitzenden [X.] Prof. Dr.
Kayser,
die [X.] Prof. Dr. Gehrlein, [X.], die [X.]in [X.] und den [X.] Dr. Bär

am
17. September 2015
beschlossen:

[X.] gegen den Beschluss des 1. Zivilsenats des [X.] vom 30. Juli 2014 wird auf Kos-ten der Antragsgegnerin als unzulässig verworfen.

Der Antrag, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des [X.] vom 10. Juli 2010
von der Stellung einer Si-cherheit durch den Antragsteller abhängig zu machen, wobei der Antragsgegnerin die Befugnis eingeräumt wird, die [X.] durch entsprechende Sicherheitsleistung abzuwenden, wird abgelehnt.

festgesetzt.

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Gründe:

I.

Der Antragsteller (fortan auch: Gläubiger) erwirkte vor dem [X.] in [X.] am 10. Juli 2013 ein Urteil, durch das die Antrags-gegnerin (Schuldnerin) verurteilt wurde, als Gesamtschuldnerin an den Antrag-sowie
Verfahrenskosten in Höhe von insge-k-bare Urteil Berufung ein.

Auf Antrag
des Gläubigers hat das [X.] angeordnet, dass das Urteil des [X.] Gerichts mit der Vollstreckungsklausel zu [X.] sei. Die Schuldnerin hat gegen diese Entscheidung Beschwerde eingelegt und beantragt, die Entscheidung über die Erteilung der Vollstreckungsklausel auszusetzen, hilfsweise die Vollstreckung von der Stellung einer Sicherheit durch den Gläubiger abhängig zu machen und der Schuldnerin die Befugnis einzuräumen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in entsprechender Höhe abzuwenden. Das [X.] hat die Beschwerde zurückgewie-sen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde erstrebt die Schuldnerin die Aufhebung der angefochtenen Beschlüsse. Hilfsweise verfolgt sie ihren im Beschwerdeverfah-ren gestellten Hilfsantrag weiter.

II.

[X.] ist gemäß Art.
44 der
Verordnung ([X.]) Nr.
44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung 1
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und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil-
und Handelssachen (fortan: [X.] aF; zur Anwendbarkeit dieser Norm vgl. [X.], Beschluss vom 26.
März 2015 -
IX ZB 38/14 Rn. 4, [X.]) in Verbindung mit
§ 15 Abs. 1 [X.], §
574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist jedoch nach § 15 Abs. 1 [X.], §
574 Abs. 2 ZPO unzulässig, weil sie nicht aufzeigt, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Siche-rung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] erfordert.

1. [X.] meint, zur Fortbildung des Rechts sei die [X.] zu klären, ob der Grundsatz, dass die Zwangsvollstreckung aus einem noch nicht rechtskräftigen Urteil nur gegen Sicherheitsleistung zuzulassen sei, als Bestandteil des [X.] anzusehen sei. [X.] will diese Frage bejahen mit der Folge, dass das nicht rechtskräftige, in [X.] ohne Sicherheitsleistung des Gläubigers vorläufig vollstreckbare Urteil des Tri-bunale
Ordinario
di Milano in [X.] nicht vollstreckt werden dürfte (Art.
45 Abs. 1,
Art.
34
Nr. 1 [X.]
aF).

2.
Ein [X.] im Sinne von § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 1 ZPO ist damit nicht ausreichend dargelegt. Dieser Zulassungsgrund steht in einem engen Zusammenhang mit demjenigen der grundsätzlichen Bedeu-tung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und setzt voraus, dass der Einzelfall Ver-anlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder formellen Rechts aufzustellen oder Gesetzeslücken auszufül-len.

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a) Eine solche Veranlassung vermag die Rechtsbeschwerde nicht aufzu-zeigen. Sie benennt weder Gerichtsentscheidungen noch Stimmen aus dem rechtswissenschaftlichen Schrifttum, welche ihre
Ansicht teilten.

b) Die aufgeworfene Frage
ist
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ohne dass es einer Zulassung bedarf
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eindeutig dahin zu beantworten, dass eine Vollstreckung des erstinstanzlichen [X.] Urteils in [X.] nicht
im Sinne von Art. 34 Nr. 1 [X.] aF offensichtlich dem [X.] verfahrensrechtlichen ordre public wider-spricht. Zwar sind erstinstanzliche Urteile eines [X.] Gerichts anders als entsprechende Urteile eines [X.] Gerichts im gesetzlichen Regelfall ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar (art. 282 [X.]; § 709 ZPO). [X.] unterschiedliche Rechtslage allein rechtfertigt es jedoch nicht, die Anerken-nung und Vollstreckbarerklärung einer ausländischen Entscheidung nach Art. 45 Abs.
1, Art. 34 Nr. 1 [X.] aF zu versagen.

aa) Eine Anwendung der Vorbehaltsklausel des Art. 34 Nr. 1 [X.]
aF
kommt nur in Betracht, wenn die Anerkennung oder Vollstreckung der in ei-nem anderen Mitgliedsstaat erlassenen Entscheidung gegen einen wesentli-chen Rechtsgrundsatz verstieße und deshalb in einem nicht hinnehmbaren Ge-gensatz zur Rechtsordnung des Vollstreckungsstaates stünde. Es muss sich bei diesem Verstoß um eine offensichtliche Verletzung einer in der Rechtsord-nung des Vollstreckungsstaates als wesentlich geltenden Rechtsnorm oder ei-nes dort als grundlegend anerkannten Rechts handeln. Bei der Prüfung des Verfahrens des [X.] kann deshalb nicht schon dann die Anerkennung versagt werden, wenn die Entscheidung in einem Verfahren erlassen worden ist, das von zwingenden Vorschriften des [X.] Prozessrechts abweicht. Ein Versagungsgrund ist vielmehr nur dann gegeben, wenn die Entscheidung 6
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des ausländischen Gerichts aufgrund
eines Verfahrens ergangen ist, das sich von den Grundprinzipien des [X.] Verfahrensrechts in einem solchen Maße entfernt, dass nach der [X.] Rechtsordnung das Urteil nicht als in einem geordneten, rechtsstaatlichen Verfahren ergangen angesehen werden kann (vgl. [X.], Beschluss vom 23. Juni 2005 -
IX ZB 64/04 Rn. 6, [X.]; vom 14.
Juni 2012 -
IX [X.], [X.], 1445 Rn. 10 f; jeweils mwN).

bb) Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Dass nicht rechtskräfti-ge Entscheidungen eines Zivilgerichts nur gegen Sicherheitsleistung des [X.] vorläufig vollstreckt werden dürfen, ist, wie die Regelungen in § 708 ZPO und § 710 ZPO zeigen, kein ausnahmslos geltender Grundsatz des [X.] Zivilverfahrensrechts.
Umgekehrt stellt auch die Regelung im [X.] [X.] den Schuldner nicht schutzlos. Er kann beim Berufungsgericht beantragen, die Vollstreckung des angefochtenen Urteils ganz oder zum Teil auszusetzen (art. 283 [X.]). Ferner ist zu berücksichtigen, dass auch im Verfah-ren der Vollstreckbarerklärung die Aussetzung des Verfahrens angeordnet oder die Vollstreckung von der Leistung einer Sicherheit abhängig gemacht werden kann, um den Schuldner vor den Folgen einer Vollstreckung vor Rechtskraft des Urteils zu schützen (Art. 46 Abs. 1
und 3 [X.] aF). Von einer offen-sichtlichen, untragbaren
Abweichung von Grundprinzipien des [X.] [X.]s kann danach nicht die Rede sein.

III.

Der hilfsweise gestellte Antrag der Rechtsbeschwerdeführerin, die Zwangsvollstreckung von der Leistung einer Sicherheit abhängig zu machen, ist jedenfalls unbegründet.
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1. Nach Art. 46 Abs. 1 und 3 [X.] aF kann auch noch das mit einer Rechtsbeschwerde befasste Gericht auf Antrag des Schuldners das Exequatur-verfahren aussetzen oder die Zwangsvollstreckung von einer Sicherheit abhän-gig machen, wenn gegen die Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat ein or-dentlicher Rechtsbehelf eingelegt ist ([X.]/Schütze, Europäisches Zivilver-fahrensrecht, 3. Aufl., Art. 46 [X.] Rn. 50; [X.]/[X.]/[X.], [X.], Art. 46 Rn. 1; [X.]/Mankowski, Europäisches Zivil-prozess-
und Kollisionsrecht, Art. 46 [X.] I-VO Rn. 2; Kropholler, [X.] Zivilprozessrecht, 8.
Aufl., Art.
46 [X.] Rn. 2). Die Entscheidung über einen solchen Antrag steht im Ermessen des Gerichts. Fraglich erscheint allerdings, ob das Rechtsbeschwerdegericht befugt ist, eine Sicherheitsleistung anzuordnen, wenn die Rechtsbeschwerde -
wie hier
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unzulässig
und damit der Weg zu einer Sachentscheidung nicht eröffnet
ist (bejahend offenbar [X.], Beschluss vom 30. Mai 2006 -
3
Ob 49/06 zu 3.). Einer Vor-abentscheidung des [X.] zu dieser Frage nach Art.
267 AEUV bedarf es jedoch nicht, weil der Antrag in der Sache unbegründet ist.

2. Ausreichende Gründe für die Anordnung einer Sicherheitsleistung vermag der [X.] nicht zu erkennen.

a) Die zu vollstreckende Entscheidung ist nicht aufgrund einer lediglich summarischen Prüfung, sondern in einem ordentlichen Klageverfahren unter umfassender Beteiligung der Schuldnerin ergangen. Nach [X.] Recht ist die Entscheidung ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar; das [X.] kann aber auf Antrag die Vollstreckbarkeit beim Vorliegen schwer-wiegender Gründe aussetzen (art. 282, 283 [X.]). Die Schuldnerin ist
deshalb im Ausgangsverfahren nicht schutzlos.
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b) Der Umstand, dass die im [X.] ergangene Entscheidung noch nicht rechtskräftig ist, ist tatbestandliche Voraussetzung der Anordnung einer Sicherheitsleistung nach Art. 46 Abs. 3 [X.]. Ob die Entscheidung Bestand haben wird, ist in diesem Fall notwendigerweise ungewiss. Dieser
Un-gewissheit allein kann deshalb bei der Ausübung des dem [X.] eingeräumten Ermessens keine ausschlaggebende Bedeutung zukommen (vgl. [X.], Beschluss vom 26. Februar 2010 -
5
W 68/09, [X.] 2010, 645 [juris Rn. 49; weiter:
[X.], NJW-RR 1997, 572 und [X.] 1998, 969; [X.], [X.] 2006, 51, 52; [X.], NJW-RR 2007, 718, 719]). Vermag der Schuldner hingegen darzulegen, dass sein Rechtsbehelf im [X.] offenkundig Erfolg haben wird, kann dies die Anordnung einer Sicherheitsleis-tung nahe legen. Eine solche offenkundige Erfolgsaussicht zeigt die Rechtsbe-schwerde jedoch nicht auf. Die Frage, ob bei der Beurteilung der Erfolgsaus-sicht alle Umstände zu berücksichtigen sind oder nur solche, die vor den Ge-richten des [X.]s noch nicht vorgebracht werden konnten (so für den
Fall eines Antrags auf Aussetzung des [X.] nach Art.
46 Abs. 1 [X.]
aF:
[X.], Urteil vom 4. Oktober 1991 -
C-183/90, Slg
1991, I-4743
Rn. 33, 36 f), kann daher dahinstehen.

c) Auch auf die Notwendigkeit, einen möglichen Anspruch auf Erstattung der vollstreckten Beträge gegen einen in einem anderen Mitgliedstaat der Euro-päischen [X.] ansässigen Gläubiger vor den dortigen Gerichten verfolgen zu müssen, kann eine Anordnung nach § 46 Abs. 3 [X.]
aF
grundsätzlich nicht gestützt werden, weil die Rechtsverfolgung innerhalb der Europäischen [X.] durch die Zuständigkeits-
und Anerkennungsregelungen der [X.] im Regelfall gewährleistet ist ([X.], Beschluss vom 15. Mai 2014 -
IX ZB 26/13, NJW 2014, 2365 Rn. 8). Die
Anordnung einer Sicherheitsleistung kann hinge-14
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gen veranlasst sein, wenn aufgrund konkreter Umstände die begründete [X.] besteht, dass der Gläubiger später zur Erstattung der vollstreckten Be-träge nicht mehr in der Lage sein wird. Solche Umstände trägt die Rechtsbe-schwerde jedoch nicht vor.

d) Der von der Rechtsbeschwerde in den Vordergrund gestellte
Ge-sichtspunkt, dass die
Verfahrensökonomie es gebiete, die Ursprungsentschei-dung nur unter Anordnung einer Sicherheitsleistung für vollstreckbar zu erklä-ren, um so einen zweiten, auf die Erstattung der vollstreckten Beträge gerichte-ten Prozess zu vermeiden, greift ebenfalls nicht durch. Nach der Konzeption der [X.] sollen auch nicht rechtskräftige, nur vorläufig vollstreckbare Entschei-dungen in anderen Mitgliedstaaten vollstreckt werden können. Die Verordnung nimmt damit in Kauf, dass im Falle der Abänderung der zu vollstreckenden Ent-scheidung die bereits vollstreckten Beträge vom Schuldner in einem zweiten Verfahren geltend gemacht werden müssen. Gründe der Verfahrensökonomie können die Anordnung einer Sicherheitsleistung deshalb nur unter besonderen Umständen rechtfertigen, etwa wenn der im [X.] eingelegte Rechts-behelf offenkundig Erfolg haben muss. Dies wird von der Rechtsbeschwerde jedoch, wie oben ausgeführt wurde, nicht dargelegt.

3. Der Schuldnerin kann auch nicht gestattet werden, die [X.] durch eigene Sicherheitsleistung abzuwenden. Die Normen der [X.] sehen eine solche Möglichkeit nicht vor (vgl. [X.], aaO).

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Die Regelung in § 20 [X.] betrifft nur den Fall der Sicherungsvollstreckung bis zum Ablauf des [X.]. Diese steht hier nicht in Rede.

Kayser
Gehrlein
[X.]

[X.]
Bär

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 18.06.2014 -
4 [X.]/13 -

OLG [X.], Entscheidung vom 30.07.2014 -
1 [X.]/14 -

Meta

IX ZB 47/14

17.09.2015

Bundesgerichtshof IX. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.09.2015, Az. IX ZB 47/14 (REWIS RS 2015, 5244)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 5244

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