Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.07.2020, Az. IX ZB 86/18

9. Zivilsenat | REWIS RS 2020, 1912

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Gegenstand

Vollstreckbarerklärung eines italienischen Urteils: Prüfung der Entscheidungsaufhebung im Ursprungsstaat


Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 1. Zivilsenats des [X.] vom 26. September 2018 wird auf Kosten der Antragsgegnerin als unzulässig verworfen.

Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 219.515 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Mit Urteil der [X.] Nr. 2672/2016 vom 28. Januar 2015 wurde die Antragsgegnerin in [X.] gesamtschuldnerisch neben einer [X.] Gesellschaft zum Ausgleich eines Nutzungsausfallschadens in Höhe von 210.000 € sowie zur Zahlung von Verfahrenskosten von 9.515 € verurteilt. Mit Beschluss vom 4. Oktober 2017 hat der Vorsitzende einer Zivilkammer des [X.] das Urteil für vollstreckbar erklärt. Die Beschwerde der Antragsgegnerin hat keinen Erfolg gehabt. Mit ihrer dagegen gerichteten Rechtsbeschwerde möchte die Antragsgegnerin erreichen, dass der Antrag auf Erteilung der Vollstreckungsklausel zurückgewiesen wird.

II.

2

Die Rechtsbeschwerde ist als unzulässig zu verwerfen.

3

1. [X.] richtet sich nach den [X.] ([X.]) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (fortan: [X.] aF). Die Klage des Antragstellers im Ausgangsprozess ist vor dem 10. Januar 2015 erhoben worden. Gemäß Art. 66 Abs. 2 der Verordnung ([X.]) Nr. 1215/2012 des [X.] und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ([X.]) gilt deshalb noch altes Recht. Daneben sind die Vorschriften des Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetzes ([X.]) vom 19. Februar 2001 in der Fassung vom 30. November 2015 ([X.] I S. 2146) entsprechend anzuwenden ([X.], Beschluss vom 19. Juli 2018 - [X.], [X.], 1658 Rn. 9 mwN).

4

2. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Die von der Antragsgegnerin vorgebrachten Einwendungen ließen Versagungsgründe nach Art. 45 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 34, 35 [X.] aF nicht erkennen. Mit ihrem Einwand der fehlenden örtlichen Zuständigkeit der [X.] Gerichte könne die Antragsgegnerin gemäß Art. 45 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 35 Abs. 1 und Abs. 3 [X.] aF nicht gehört werden. Die hier maßgebliche Vorschrift des Art. 6 [X.] aF befinde sich in Abschnitt 2 der [X.] aF, so dass Art. 35 Abs. 1 [X.] aF nicht anwendbar sei. Art. 35 Abs. 3 [X.] aF stelle ausdrücklich klar, dass die Zuständigkeit der Gerichte des [X.], unbeschadet der Bestimmungen des Absatzes 1, nicht nachgeprüft werden dürfe und die Vorschriften über die Zuständigkeit nicht zur öffentlichen Ordnung (ordre public) im Sinne des Art. 34 Nr. 1 [X.] aF gehörten.

5

Die Zuerkennung eines Nutzungsausfallschadens in Höhe von 210.000 € verstoße nicht gegen den [X.]. Dass [X.] nicht erstattungsfähig seien, sei kein ausnahmslos geltender Rechtssatz des [X.] Zivilrechts. Vielmehr werde im Rahmen der richterlichen Rechtsfortbildung ein Nutzungsausfall bei bestimmten Lebensgütern durchaus anerkannt, beispielsweise bei Kraftfahrzeugen oder Wohnungen. Eine Prüfung, ob die Höhe der zuerkannten Nutzungsentschädigung angemessen sei, sei im Verfahren der Erteilung einer Vollstreckungsklausel gemäß Art. 45 Abs. 2 [X.] aF nicht anzustellen.

6

3. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß Art. 44 [X.] aF in Verbindung mit § 15 Abs. 1 [X.], § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist jedoch nach § 15 Abs. 1 [X.], § 574 Abs. 2 ZPO unzulässig, weil sie nicht aufzeigt, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] erfordert.

7

a) Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des [X.]. Die von der Rechtsbeschwerde geltend gemachten Grundsatzfragen stellen sich im Streitfall nicht.

8

aa) Die Rechtsbeschwerde ist nicht deshalb zulässig, weil das für vollstreckbar erklärte Urteil der [X.] Nr. 2672/2016 vom 28. Januar 2015 durch Urteil der [X.] vom 16. Januar 2018, zugestellt am 27. Dezember 2018, aufgehoben worden ist.

9

In der Rechtsprechung des [X.] ist geklärt, dass die Gerichte des Vollstreckungsstaats im Verfahren der Vollstreckbarerklärung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens uneingeschränkt zu prüfen haben, ob und gegebenenfalls inwieweit die ausländische Entscheidung im [X.] aufgehoben worden ist. Eine im [X.] aufgehobene Entscheidung kann im Inland nicht anerkannt und demzufolge auch nicht zur Vollstreckung zugelassen werden, weil die ausländische Entscheidung im Exequaturstaat keine stärkeren Rechtswirkungen entfalten kann als im [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 30. April 1980 - [X.], [X.], 2022; vom 14. März 2007 - [X.] 174/04, [X.]Z 171, 310 Rn. 15; vom 10. Dezember 2009 - [X.], [X.] 2010, 1477 Rn. 6; vom 23. September 2015 - [X.] 234/15, NJW 2016, 248 Rn. 11).

Schwebt das Verfahren der Vollstreckbarerklärung in der Rechtsmittelinstanz, kann die Aufhebung der ausländischen Entscheidung im [X.] nur dann berücksichtigt werden, wenn das Rechtsmittel zulässig ist. Für die nach § 15 Abs. 1 [X.], § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde bedarf es deshalb eines [X.] gemäß § 15 Abs. 1 [X.], § 574 Abs. 2 ZPO. Ein solcher folgt nicht allein aus der Aufhebung der ausländischen Entscheidung im [X.]. Der aus dem Vollstreckungstitel Verpflichtete kann seine Rechte im Verfahren nach § 27 [X.] wahren (vgl. [X.], Beschluss vom 11. März 2010 - [X.], NJW-RR 2010, 1079 Rn. 9).

bb) Es bedarf keiner Klärung des Anwendungsbereichs von Art. 35 Abs. 3 [X.] aF. Die von der Antragsgegnerin für grundsätzlich bedeutsam erachtete Frage, ob das in Art. 35 [X.] aF verankerte Verbot der Nachprüfung der Zuständigkeit der Gerichte des [X.] bei einem Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 [X.] entfällt (vgl. [X.]/Leible, [X.], 4. Aufl., Art. 45 [X.] Rn. 74 mwN), stellt sich im Streitfall ersichtlich nicht. Worin ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 [X.] begründet liegen sollte, zeigt die Rechtsbeschwerde nicht auf.

b) Eine Entscheidung des [X.] ist nicht zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung erforderlich. Der von der Antragsgegnerin geltend gemachte Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) liegt nicht vor.

Das Beschwerdegericht hat sich mit dem Vorbringen der Antragsgegnerin befasst, wonach in der Zuerkennung eines Nutzungsausfallschadens in Höhe von 210.000 € ein Verstoß gegen den [X.] liege. Unter Zugrundelegung der richtigen Maßstäbe hat es den geltend gemachten Verstoß abgelehnt. Dass dabei der Vortrag der Antragsgegnerin zur Schadenshöhe unberücksichtigt geblieben sein könnte, lässt sich nicht mit hinreichender Gewissheit feststellen (vgl. [X.], Beschluss vom 27. März 2003 - [X.], [X.]Z 154, 288, 300 f).

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 577 Abs. 6 Satz 3 ZPO abgesehen.

Grupp     

        

Lohmann     

        

Möhring

        

Röhl     

        

Schultz     

        

Meta

IX ZB 86/18

09.07.2020

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Rostock, 26. September 2018, Az: 1 W 62/17

Art 34 EGV 44/2001, Art 35 EGV 44/2001, Art 44 EGV 44/2001, Art 45 Abs 1 EGV 44/2001, § 15 Abs 1 AVAG, § 574 Abs 1 S 1 Nr 1 ZPO, § 574 Abs 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.07.2020, Az. IX ZB 86/18 (REWIS RS 2020, 1912)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 1912

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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IX ZB 10/18

XII ZB 234/15

IX ZB 94/07

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