Bundesfinanzhof, Urteil vom 19.03.2013, Az. XI R 47/07

11. Senat | REWIS RS 2013, 7256

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Gegenstand

Umsatzsteuerbefreiung von Umsätzen bei Einrichtungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen


Leitsatz

Scheitert die Anerkennung des sozialen Charakters einer Einrichtung zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen allein an der in § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG normierten Pflicht, diesbezüglich ausschließlich auf die Verhältnisse des vorangegangenen Kalenderjahrs abzustellen, sind die Umsätze dieser Einrichtung nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG steuerfrei.  

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betreibt in [X.] einen ambulanten Pflegedienst. Sie ist examinierte Krankenschwester und arbeitete 1992 als angestellte Pflegedienstleiterin in einer Sozialstation. Daneben betreute sie ab [X.]nfang 1993 einzelne Patienten selbständig und meldete zum 1. Juni 1993 einen ambulanten Pflegedienst an. [X.]uf ihren [X.]ntrag vom 27. [X.]ugust 1993 wurde sie zum 1. Oktober 1993 für die Leistungen der Häuslichen Krankenpflege (§ 37 des [X.] in der damals geltenden Fassung --SGB V--), Häuslichen Pflegehilfe (§§ 53 bis 56 SGB V) und Haushaltshilfe (§ 38 SGB V) zu den Krankenkassen zugelassen.

2

In den Umsatzsteuererklärungen für 1993 und 1994 (Streitjahre) behandelte sie ihre Umsätze als gemäß § 4 Nr. 16 Buchst. e des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) steuerfrei.

3

[X.] stellte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --F[X.]--) fest, dass die Klägerin (mit ihrem Personal) im Jahr 1993 insgesamt 76 Personen behandelt hatte, von denen 52 Personen (= 68 %) Privatzahler waren. Daraufhin versagte das F[X.] die Steuerfreiheit der von der [X.] erbrachten Leistungen gemäß § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG unter Hinweis darauf, dass nach dieser Vorschrift in mindestens zwei Drittel der Fälle die Kosten von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherungen oder der Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sein müssten. Die Steuerfreiheit für die von der [X.] erbrachten Leistungen nach § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG versagte das F[X.], weil die Vorschrift auf die Verhältnisse des Vorjahrs abstelle. [X.]llerdings greife die Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 UStG ein, soweit die Klägerin Leistungen der Behandlungspflege erbracht habe; deren [X.]nteil schätzte das F[X.] auf ein Drittel (Umsatzsteuerbescheide für 1993 und 1994 vom 27. [X.]pril 1999).

4

Dagegen erhob die Klägerin nach erfolglosem Einspruch Klage. Während des Klageverfahrens legte sie ein an sie gerichtetes Schreiben der Verwaltung [X.] vom 19. Oktober 2005 vor, nach dem sie zum einen spätestens seit 1988 die gleichen Leistungen erbracht bzw. die gleichen Tätigkeiten ausgeführt habe wie die Pflegestationen (Sozialstationen) aus dem Kreis der Liga der Verbände der [X.] in [X.] und zum anderen sie bzw. ihr Unternehmen in sozialrechtlicher Hinsicht als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannt worden sei.

5

Das Finanzgericht ([X.]) gab der Klage überwiegend statt. Es führte aus, die im Streitjahr 1993 bis zum 1. Oktober ausgeführten Umsätze der Klägerin seien, soweit sie auf die Behandlungspflege entfielen, gemäß § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG steuerfrei; deren [X.]nteil schätzte das [X.] auf der Grundlage von Berechnungen, die die Klägerin im Klageverfahren vorgelegt hatte, auf 75 %.

6

Für den Zeitraum vom 1. Oktober 1993 bis 31. Dezember 1994 könne die Klägerin die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG beanspruchen. [X.]b diesem Zeitraum seien mindestens zwei Drittel dieser Umsätze auf Personen entfallen, bei denen die Pflegekosten von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder überwiegend getragen worden seien. § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG sei richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass erst der Zeitraum ab Oktober 1993 heranzuziehen sei.

7

Das Urteil des [X.] ist veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 624.

8

Mit seiner Revision rügt das F[X.] die Verletzung des § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG.

9

Die Klägerin hingegen beruft sich für die Steuerfreiheit ihrer Umsätze unmittelbar auf [X.]rt. 13 Teil [X.] [X.]bs. 1 Buchst. g der [X.]/[X.] des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/[X.]).

Der Senat hat mit Beschluss vom 2. März 2011 XI R 47/07 ([X.], 568, [X.], 699) das Revisionsverfahren ausgesetzt und dem [X.] ([X.]) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

"1. Erlauben es [X.]rt. 13 Teil [X.] [X.]bs. 1 Buchst. g und/oder [X.]bs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/[X.] dem nationalen Gesetzgeber, die Steuerbefreiung der Leistungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen davon abhängig zu machen, dass bei diesen Einrichtungen 'im vorangegangenen Kalenderjahr die Pflegekosten in mindestens zwei Drittel der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sind' (§ 4 Nr. 16 Buchst. e UStG)?

2. Ist es unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Neutralität der Mehrwertsteuer für die [X.]ntwort auf diese Frage von Bedeutung, dass der nationale Gesetzgeber dieselben Leistungen unter anderen Voraussetzungen als steuerfrei behandelt, wenn sie von amtlich anerkannten Verbänden der freien Wohlfahrtspflege und der freien Wohlfahrtspflege dienenden Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die einem Wohlfahrtsverband als Mitglied angeschlossen sind, ausgeführt werden (§ 4 Nr. 18 UStG)?"

Der [X.] hat diese Fragen mit Urteil vom 15. November 2012 [X.] ([X.], 35, [X.] --HFR-- 2013, 84) wie folgt beantwortet:

"[X.]rt. 13 Teil [X.] [X.]bs. 1 Buchst. g der [X.]/[X.] des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage verbietet es bei einer [X.]uslegung im Licht des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität, dass die Mehrwertsteuerbefreiung der von gewerblichen Leistungserbringern erbrachten ambulanten Pflege von einer Bedingung wie der im [X.]usgangsverfahren in Rede stehenden abhängig gemacht wird, nach der die Kosten dieser Pflege im vorangegangenen Kalenderjahr in mindestens zwei Drittel der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sein müssen, wenn diese Bedingung nicht geeignet ist, im Rahmen der für die Zwecke dieser Vorschrift erfolgenden [X.]nerkennung des [X.] Charakters von Einrichtungen, die keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind, die Gleichbehandlung zu gewährleisten."

Das F[X.] hat sich zur Entscheidung des [X.] nicht geäußert.

Die Klägerin sieht ihre Rechtsauffassung bestätigt.

Das F[X.] beantragt, das [X.]-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen, soweit das [X.] die Klagestattgabe für den Zeitraum vom 1. Oktober 1993 bis zum 31. Dezember 1994 auf § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG gestützt hat.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die streitigen Umsätze der Klägerin von der Steuer befreit sind.

1. Der Senat versteht das Revisionsbegehren des [X.] trotz dessen (umfassenden) Antrags, die Klage insgesamt abzuweisen, unter Zugrundelegung der Revisionsbegründung dahingehend, dass das [X.]-Urteil nur insoweit angegriffen werden soll, als das [X.] seine Klagestattgabe --für den Zeitraum vom 1. Oktober 1993 bis 31. Dezember 1994-- auf § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG gestützt hat.

Soweit das [X.] entschieden hat, die im Zeitraum vom 1. Januar bis 30. September 1993 ausgeführten Umsätze der Klägerin seien bei einem (geschätzten) Anteil der Behandlungspflege von 75 % nach § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG steuerfrei, hat das [X.] keine Rechts- oder Verfahrensfehler geltend gemacht.

Dass Leistungen der Behandlungspflege (nicht aber Leistungen der Grundpflege und der haushaltswirtschaftlichen Versorgung) durch dazu qualifiziertes Krankenpflegepersonal nach § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG steuerfrei sind, entspricht der Rechtsprechung des [X.] --BFH-- (vgl. z.B. Urteil vom 22. April 2004 V R 1/98, [X.], 514, [X.], 849; Nachfolgeentscheidung zum [X.]-Urteil vom 10. September 2002 [X.]/00 --Kügler--, [X.]. 2002, [X.], [X.] Beilage 2003, 30).

2. a) Nach § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG in der in den Streitjahren 1993 und 1994 geltenden Fassung waren von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 UStG fallenden Umsätzen steuerfrei u.a. "die mit dem Betrieb ... der Einrichtungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen eng verbundenen Umsätze, wenn
a) diese Einrichtungen von juristischen Personen des öffentlichen Rechts betrieben werden" --was im Streitfall ausscheidet-- "oder
...
e) ... im vorangegangenen Kalenderjahr die Pflegekosten in mindestens zwei Drittel der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sind".

b) Die Vorschrift beruht auf Art. 13 Teil [X.] 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/[X.] --nunmehr Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112/[X.] vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL). Danach befreien unbeschadet sonstiger Vorschriften "die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der [X.]
...
g) die eng mit der Sozialfürsorge und der [X.] Sicherheit verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen der Altenheime, durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit [X.] Charakter anerkannte Einrichtungen".

Nach Art. 13 Teil [X.] 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/[X.] --nunmehr Art. 133 MwStSystRL-- können die Mitgliedstaaten die Gewährung der unter Art. 13 Teil [X.] 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/[X.] vorgesehenen Befreiung für Einrichtungen, die keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind, von Fall zu Fall von der Erfüllung näher bezeichneter Bedingungen abhängig machen.

3. Die streitbefangenen Leistungen der Klägerin sind nicht nach § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG steuerfrei.

Zwar hat das [X.] für den Senat bindend festgestellt (§ 118 Abs. 2 [X.]O), dass die Klägerin zum 1. Oktober 1993 für die Leistungen der Häuslichen Krankenpflege (§ 37 SGB V), Häuslichen Pflegehilfe (§§ 53 bis 56 SGB V) und Haushaltshilfe (§ 38 SGB V) zu den Krankenkassen zugelassen worden ist, und dass in dem im Revisionsverfahren allein noch verbliebenen Streitzeitraum vom 1. Oktober 1993 bis 31. Dezember 1994 mindestens zwei Drittel ihrer Umsätze auf Personen entfallen sind, bei denen die Pflegekosten von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder überwiegend getragen worden sind. Der Tatbestand des § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG ist jedoch insoweit nicht erfüllt, als die Pflegekosten nicht "im vorangegangenen Kalenderjahr" in mindestens zwei Drittel der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sind.

4. Für die Steuerfreiheit der streitbefangenen Leistungen kann sich die Klägerin jedoch mit Erfolg unmittelbar auf Art. 13 Teil [X.] 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/[X.] berufen (vgl. dazu [X.]-Urteil --Zimmermann-- in [X.], 35, [X.], 84, Rz 32; BFH-Urteile vom 18. August 2005 V R 71/03, [X.], 543, [X.], 143; vom 1. Dezember 2010 XI R 46/08, [X.], 232).

a) Die Klägerin hat in Ausübung der ambulanten Pflege eng mit der Sozialfürsorge und der [X.] Sicherheit verbundene Leistungen i.S. des Art. 13 Teil [X.] 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/[X.] erbracht (vgl. [X.] in [X.]. 2002, [X.], [X.] Beilage 2003, 30, Rz 44; --Zimmermann-- in [X.], 35, [X.], 84, Rz 22 bis 24). Dies ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig.

b) Bei der Klägerin handelt es sich zudem um eine als Einrichtung mit [X.]m Charakter anerkannte Einrichtung i.S. von Art. 13 Teil [X.] 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/[X.].

aa) Vorgenannte Vorschrift legt die Voraussetzungen und Modalitäten der Anerkennung nicht fest. Es ist daher grundsätzlich Sache des innerstaatlichen Rechts jedes Mitgliedstaats, die Regeln aufzustellen, nach denen diesen Einrichtungen eine solche Anerkennung gewährt werden kann. Die Mitgliedstaaten verfügen insoweit über ein Ermessen ([X.]-Urteile vom 26. Mai 2005 [X.]/03 --[X.] und [X.], [X.]. 2005, I-4427, [X.] 2005, 453, Rz 49, 51; --Zimmermann-- in [X.], 35, [X.], 84, Rz 26).

Es ist Sache des nationalen Gerichts, anhand aller maßgeblichen Umstände zu bestimmen, ob der Steuerpflichtige eine als Einrichtung mit [X.]m Charakter anerkannte Einrichtung im Sinne dieser Bestimmung ist ([X.] in [X.]. 2002, [X.], [X.] Beilage 2003, 30, Rz 61; --Zimmermann-- in [X.], 35, [X.], 84, Rz 32).

bb) Nach dem [X.]-Urteil --Zimmermann-- ([X.], 35, [X.], 84) geht es vorliegend im Wesentlichen darum, ob die [X.] ([X.]) bei der Ausgestaltung der Anerkennung i.S. von Art. 13 Teil [X.] 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/[X.] die Grenzen des ihr zustehenden Ermessens beachtet hat (vgl. Rz 28; s.a. [X.]-Urteil --Kügler-- in [X.]. 2002, [X.], [X.] Beilage 2003, 30, Rz 55). [X.] ein Steuerpflichtiger die Anerkennung oder die Nichtanerkennung der Eigenschaft als Einrichtung mit [X.]m Charakter i.S. von Art. 13 Teil [X.] 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/[X.] an, haben die nationalen Gerichte demgemäß zu prüfen, ob die zuständigen Behörden die Grenzen des ihnen in diesem Artikel eingeräumten Ermessens unter Beachtung der Grundsätze des Unionsrechts eingehalten haben, einschließlich insbesondere des Grundsatzes der Gleichbehandlung, der im Mehrwertsteuerbereich im Grundsatz der steuerlichen Neutralität zum Ausdruck kommt ([X.] in [X.]. 2002, [X.], [X.] Beilage 2003, 30, Rz 56; --Zimmermann-- in [X.], 35, [X.], 84, Rz 33).

cc) Hierzu führt der [X.] in seinem Urteil --Zimmermann-- ([X.], 35, [X.], 84) näher aus:

           

"31     

Aus der Rechtsprechung des [X.] geht jedoch hervor, dass es bei der Bestimmung der Einrichtungen, deren '[X.] Charakter' im Sinne von Art. 13 Teil [X.] 1 Buchst. g der [X.] für die Zwecke dieser Bestimmung anzuerkennen ist, Sache der nationalen Behörden ist, im Einklang mit dem Unionsrecht und unter der Kontrolle der nationalen Gerichte mehrere Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Zu ihnen können das Bestehen spezifischer Vorschriften – seien es nationale oder regionale, Rechts- oder Verwaltungsvorschriften, Steuervorschriften oder Vorschriften im Bereich der [X.] Sicherheit –, das mit den Tätigkeiten des betreffenden Steuerpflichtigen verbundene Gemeinwohlinteresse, die Tatsache, dass andere Steuerpflichtige mit den gleichen Tätigkeiten bereits in den Genuss einer ähnlichen Anerkennung kommen, und der Gesichtspunkt zählen, dass die Kosten der fraglichen Leistungen unter Umständen zum großen Teil von Krankenkassen oder anderen Einrichtungen der [X.] Sicherheit übernommen werden (vgl. in diesem Sinne Urteile Kügler, [X.]. 57 und 58, und [X.] und [X.], [X.]. 53, sowie entsprechend Urteile vom 6. November 2003, [X.], [X.]/01, [X.]. 2003, [X.], [X.]. 72 und 73, [X.], [X.]. 53, und [X.], [X.]. 65 und 71).

...

35    

Was zunächst die [X.] betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass nach der in [X.]. 31 des vorliegenden Urteils dargestellten Rechtsprechung die Tatsache, dass die Kosten der fraglichen Leistungen unter Umständen zum großen Teil von Krankenkassen oder anderen Einrichtungen der [X.] Sicherheit übernommen werden, einen Gesichtspunkt darstellt, der bei der Festlegung der Einrichtungen berücksichtigt werden kann, deren '[X.] Charakter' im Sinne von Art. 13 Teil [X.] 1 Buchst. g der [X.] für die Zwecke dieser Bestimmung anzuerkennen ist.

        

...     

37    

Entsprechend ist das Erfordernis einer wie im Ausgangsverfahren auf zwei Drittel der Fälle festgesetzten Schwelle für die Zwecke der Anwendung von Art. 13 Teil [X.] 1 Buchst. g der [X.] zu beurteilen. Durch das Erfordernis einer solchen Schwelle wird nämlich auf ähnliche Weise dem Bedürfnis entsprochen, bei der Anwendung dieser Vorschrift den [X.] Charakter von Einrichtungen anzuerkennen. Ebenso überschreitet ein Mitgliedstaat das ihm nach Art. 13 Teil [X.] 1 Buchst. g der [X.] zustehende Ermessen grundsätzlich nicht dadurch, dass er auch im Zusammenhang mit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Bedingung verlangt, dass die Kosten für die betreffenden Leistungen der ambulanten Pflege ganz oder zum überwiegenden Teil von den gesetzlichen Sozialversicherungs- oder Sozialhilfeträgern übernommen worden sein müssen.

...

40    

... ist es erforderlichenfalls Sache des vorlegenden Gerichts, zu beurteilen, ob in den Situationen, in denen von Beginn der betreffenden Tätigkeiten an der '[X.] Charakter' im Sinne von Art. 13 Teil [X.] 1 Buchst. g der [X.] nach der in [X.]. 31 des vorliegenden Urteils dargestellten Rechtsprechung anzuerkennen wäre, die Pflicht, ausschließlich auf das vorangegangene Kalenderjahr abzustellen, zur Folge hat, dass hinsichtlich des ersten Kalenderjahrs dieser Tätigkeiten oder sogar ihrer ersten beiden Kalenderjahre die Anerkennung des '[X.] Charakters' des betreffenden Leistungserbringers im Sinne dieser Vorschrift automatisch und zwangsläufig ausgeschlossen ist.

41    

Soweit die Pflicht, ausschließlich auf das vorangegangene Kalenderjahr abzustellen, dies zur Folge hätte, kann sie nicht auf der Grundlage des Einleitungssatzes von Art. 13 Teil [X.] 1 der [X.] gerechtfertigt werden."

dd) Unter Anlegung dieser Maßstäbe hat [X.] bei der Ausgestaltung der Anerkennung i.S. von Art. 13 Teil [X.] 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/[X.] die Grenzen des ihm zustehenden Ermessens nicht beachtet.

Zwar hat der [X.] im Urteil --Zimmermann-- ([X.], 35, [X.], 84) die [X.] des § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG sowie die dort normierte Bedingung, dass die Kosten für die betreffenden Leistungen der ambulanten Pflege ganz oder zum überwiegenden Teil von den gesetzlichen Sozialversicherungs- oder [X.] übernommen worden sein müssen, ausdrücklich gebilligt. Durch die in § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG normierte Pflicht, diesbezüglich jeweils auf das vorangegangene Kalenderjahr abzustellen, würde jedoch die Anerkennung des "[X.] Charakters" der Klägerin für den Streitzeitraum, in dem sie dem Grunde nach Umsätze i.S. des § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG ausführte, automatisch und zwangsläufig ausgeschlossen. Hierfür bietet Art. 13 Teil [X.] 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/[X.] keine Grundlage ([X.]-Urteil --Zimmermann-- in [X.], 35, [X.], 84, Rz 40, 41).

Aus den Ausführungen des [X.] ergibt sich ferner, dass insofern auf die Tätigkeit der Klägerin im Zeitraum ab dem 1. Oktober 1993 abzustellen ist, ab dem die [X.] erfüllt ist, und nicht auf das Kalenderjahr 1993.

c) Die Steuerbefreiung der streitigen Leistungen ist nicht nach Art. 13 Teil [X.] 2 Buchst. b der Richtlinie 77/388/[X.] ausgeschlossen.

aa) Nach Art. 13 Teil [X.] 2 Buchst. b erster Gedankenstrich der Richtlinie 77/388/[X.] sind von der Steuerbefreiung Dienstleistungen ausgeschlossen, wenn sie zur Ausübung der von der Steuer befreiten Tätigkeiten nicht unerlässlich sind (vgl. [X.]-Urteil --Zimmermann-- in [X.], 35, [X.], 84, Rz 61, m.w.N.).

Vorliegend ist weder durch das [X.] festgestellt noch überhaupt vom [X.] geltend gemacht, dass die Klägerin solche von der Steuerbefreiung ausgeschlossenen Dienstleistungen getätigt hätte.

bb) Hinsichtlich Art. 13 Teil [X.] 2 Buchst. b zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 77/388/[X.], nach dem Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen von der in Art. 13 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/[X.] vorgesehenen Steuerbefreiung ausgeschlossen sind, wenn sie im Wesentlichen dazu bestimmt sind, der Einrichtung zusätzliche Einnahmen durch Tätigkeiten zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit Tätigkeiten von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen durchgeführt werden, sind diese Voraussetzungen für einen Ausschluss der Steuerbefreiung weder vorgetragen noch ersichtlich.

Meta

XI R 47/07

19.03.2013

Bundesfinanzhof 11. Senat

Urteil

vorgehend FG Berlin, 16. August 2006, Az: 2 K 5218/01, Urteil

§ 4 Nr 16 Buchst e UStG 1993, Art 13 Teil A Abs 1 Buchst g EWGRL 388/77

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 19.03.2013, Az. XI R 47/07 (REWIS RS 2013, 7256)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 7256


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. XI R 47/07

Bundesfinanzhof, XI R 47/07, 19.03.2013.

Bundesfinanzhof, XI R 47/07, 02.03.2011.

Bundesfinanzhof, XI R 47/07, 30.06.2010.


Az. V ER-S-3/10

Bundesfinanzhof, V ER-S-3/10, 16.12.2010.


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