Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.10.2014, Az. 5 StR 296/14

5. Strafsenat | REWIS RS 2014, 2036

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Gegenstand

Verbotene Vernehmungsmethoden im Ermittlungsverfahren wegen Totschlags: Unverwertbarkeit eines Geständnisses im Zustand seelischer und körperlicher Erschöpfung


Leitsatz

Ermüdung im Sinne von § 136a Abs. 1 Satz 1 StPO bei seelischer und körperlicher Erschöpfung.

Tenor

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 25. November 2013 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagte wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision der Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.

2

1. Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung des § 136a Abs. 1 Satz 1 [X.], weil sie im Zustand der Ermüdung polizeilich vernommen worden sei. Der Beanstandung kann der Erfolg nicht versagt werden. Das polizeiliche Geständnis vom 10. Dezember 2012 hätte nicht verwertet werden dürfen, weil es unter Verletzung des § 136a Abs. 1 Satz 1 [X.] zustande gekommen ist (§ 136a Abs. 3 Satz 2 [X.]).

3

a) Bei Beginn der zum Geständnis führenden Vernehmung um 21.25 Uhr hatte die 23 Jahre alte Angeklagte ausweislich der Urteilsfeststellungen mindestens 38 Stunden nicht geschlafen. In den frühen Morgenstunden des 10. Dezember 2012 hatte sie nach verheimlichter Schwangerschaft allein und dementsprechend unter sehr schwierigen Umständen einen Jungen geboren, den sie aufgrund eines spontanen Entschlusses dann erstickte. Sie erlitt beträchtlichen Blutverlust und war körperlich wie seelisch entkräftet. Bei einem Toilettengang gegen 8.00 Uhr brach sie ohnmächtig zusammen. Ein weiterer körperlicher Zusammenbruch folgte kurze [X.] später. Ihre Mutter fand die Angeklagte gegen Mittag apathisch und weinend vor. Sie äußerte hier und später, nicht mehr leben zu wollen. Am Nachmittag wurde sie ins Krankenhaus verbracht, wo ein Dammriss genäht wurde. Gegen 16.00 Uhr kam sie zur Beobachtung auf eine Station. Von 17.00 Uhr bis 17.30 Uhr wurde sie erstmals von der Polizei als Beschuldigte vernommen. Sie gab an, dass das Kind tot geboren worden sei. Im [X.] an die Vernehmung wurde der Angeklagten die vorläufige Festnahme erklärt. Um 20.00 Uhr erhielt sie zwei Baldriandragees, weil sie nicht zur Ruhe gelangte. Gegen 20.30 Uhr wurde sie erneut verantwortlich vernommen. Zunächst wurde mit ihr ein lediglich in einem polizeilichen Vermerk erfasstes Vorgespräch geführt, in dem sie die Tat weiterhin leugnete. Um 21.00 Uhr wurde den [X.] Polizeibeamten das Ergebnis der rechtsmedizinischen Untersuchung mitgeteilt, wonach von einer [X.] auszugehen sei. Die Beamten konfrontierten die Angeklagte sogleich mit diesem Ergebnis. Die Angeklagte stritt die Tat weiter ab. Um 21.25 Uhr begann eine nunmehr im Wortlaut schriftlich niedergelegte Vernehmung. Die weinende Angeklagte erklärte zu deren Beginn, es sei gerade ein bisschen viel für sie. Nach anfänglichem weiterem Bestreiten gestand sie die Tat (vgl. [X.]). Die Vernehmung endete am Tattag um 23.25 Uhr.

4

b) Bei diesem Verlauf liegt eine Fülle von gewichtigen Gründen vor, aufgrund derer sich die Annahme tiefgreifender Erschöpfung und daraus resultierender Besorgnis der Beeinträchtigung der Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung geradezu aufdrängt (vgl. zum Ganzen [X.], Urteil vom 30. Oktober 1951 – 1 StR 393/51, [X.]St 1, 376; Urteile vom 24. März 1959 – 5 StR 27/59, [X.]St 13, 60, vom 15. Mai 1992 – 3 [X.], [X.]St 38, 291, 292 f.). Es lag auf der Hand, dass die Angeklagte einer „immer wieder und immer energischer“ geführten konfrontativen Befragung (vgl. Bericht „Ermittlungen [X.] vom 11. Dezember 2012“, S. 4) wegen ihres [X.] nicht mehr in freier Willensbetätigung würde standhalten können. Demgemäß hätte es gewichtiger Anhaltspunkte bedurft, um eine Ermüdung im Rechtssinn ausschließen zu können. Allein der subjektive Eindruck der [X.] Polizeibeamten, die Angeklagte habe „weder betäubt noch übermüdet“ gewirkt ([X.]) bzw. – gar – sie habe „einen den Umständen entsprechenden frischen Eindruck gemacht“ ([X.]), kann dafür ebenso wenig genügen wie der Umstand, dass sie sich nicht ausdrücklich auf Müdigkeit berief und Fragen sinnvoll zu beantworten in der Lage war, noch weniger, dass sie selbständig zur Toilette gehen konnte. Die Wahrnehmungen der behandelnden Ärztin und der Krankenschwester beziehen sich auf den Zustand der Angeklagten am Nachmittag und können für die Beurteilung des [X.]punkts der Vernehmung in den Nachtstunden schon deshalb kaum etwas hergeben. Bei dieser Sachlage kann der Senat davon absehen, freibeweislich der Frage nachzugehen, wie es erklärt werden kann, dass die entscheidende zweistündige Vernehmung keine andere Dokumentierung erfahren hat, als diejenige in einem Protokoll von lediglich etwas mehr als vier, zudem großzügig formatierten Druckseiten.

5

c) Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass die Verletzung des § 136a [X.] ursächlich für das Geständnis der Angeklagten im Ermittlungsverfahren war. Dessen Verwertung steht daher § 136a Abs. 3 Satz 2 [X.] entgegen. Das Urteil beruht auf dem Verfahrensfehler.

6

2. Auf die weiteren, in der Sache unbehelflichen Verfahrensrügen kommt es damit nicht mehr an. Zu der nach „§ 163a Abs. 4 [X.] i.V.m. § 136 Abs. 1 Satz 1 [X.]“ erhobenen Verfahrensrüge ist freilich zu bemerken, dass sie entgegen der Auffassung des [X.] nicht mangels eines nach Anhörung der Vernehmungsbeamten erhobenen (zweiten) Verwertungswiderspruchs nach § 344 Abs. 2 Satz 2 [X.] unzulässig wäre. Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass ein Verwertungswiderspruch grundsätzlich vorab erklärt werden kann, ohne nach Abschluss der Vernehmung wiederholt werden zu müssen (vgl. [X.], Beschluss vom 3. Dezember 2003 – 5 [X.], [X.], 389; Urteil vom 27. Juni 2013 – 3 [X.], NJW 2013, 2769, 2771 f., insoweit in [X.]St 58, 301 nicht abgedruckt; Beschluss vom 20. Oktober 2014 – 5 [X.], zum Abdruck in [X.]St bestimmt; KK/Diemer, [X.], 7. Aufl., § 136 Rn. 28).

7

3. Für die neue Hauptverhandlung ist auf Folgendes hinzuweisen:

8

a) Ein Zustand verminderter Schuldfähigkeit der Angeklagten nach § 21 StGB zur Tatzeit wird im angefochtenen Urteil letztlich rechtsfehlerfrei ausgeschlossen. Angesichts der im Rahmen der zweiten Alternative des § 213 StGB durch die [X.] bereits ausschlaggebend berücksichtigten Ausnahme- und Überforderungssituation der Angeklagten hätte die Annahme der Voraussetzungen des § 21 StGB im Übrigen kaum zu einer milderen Strafe führen können.

9

b) Mit Recht wird im angefochtenen Urteil ausgeführt, dass einer Einlassung der Angeklagten, die sich in einer schriftlichen Verteidigererklärung erschöpft, ohne dass Nachfragen beantwortet werden, ein allenfalls sehr untergeordneter Beweiswert zukommen kann.

[X.]                      König

                 Berger                    [X.]

Meta

5 StR 296/14

21.10.2014

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Berlin, 25. November 2013, Az: 529 - 3/13

§ 136a Abs 1 S 1 StPO, § 212 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.10.2014, Az. 5 StR 296/14 (REWIS RS 2014, 2036)

Papier­fundstellen: NJW 2015, 360 REWIS RS 2014, 2036

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