Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.10.2014, Az. 5 StR 296/14

5. Strafsenat | REWIS RS 2014, 2050

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Nachschlagewerk: ja

[X.]St : ja

Veröffentlichung : ja

[X.] § 136a

Ermüdung im Sinne von § 136a Abs. 1 Satz 1 [X.] bei seeli-
scher und körperlicher Erschöpfung.

[X.], Beschluss vom 21. Oktober 2014

5 StR 296/14

LG [X.]

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS

5
StR 296/14

vom
21. Oktober 2014
in der Strafsache
gegen

wegen
Totschlags

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Der 5. Strafsenat des [X.] hat am 21. Oktober 2014
beschlos-sen:

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landge-richts [X.] vom 25. November 2013 nach § 349 Abs. 4 [X.] mit den Feststellungen
aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurge-richtskammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat die Angeklagte wegen Totschlags zu einer Frei-heitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision der [X.] hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
1. Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung des § 136a Abs. 1 Satz
1 [X.], weil sie im Zustand der Ermüdung polizeilich vernommen worden sei. Der Beanstandung kann der Erfolg nicht versagt werden. Das polizeiliche Geständnis vom 10. Dezember 2012 hätte nicht verwertet werden dürfen, weil es unter Verletzung des § 136a Abs. 1 Satz 1 [X.] zustande gekommen ist (§
136a Abs. 3 Satz 2 [X.]).
a) Bei Beginn der zum Geständnis führenden Vernehmung um 21.25
Uhr hatte die 23 Jahre alte Angeklagte ausweislich der [X.] mindestens 38 Stunden nicht geschlafen. In den frühen Morgenstunden des 10. Dezember 2012 hatte sie nach verheimlichter Schwangerschaft allein 1
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und dementsprechend unter sehr schwierigen Umständen einen Jungen gebo-ren, den sie aufgrund eines spontanen Entschlusses dann erstickte. Sie erlitt beträchtlichen Blutverlust und war körperlich wie seelisch entkräftet. Bei einem Toilettengang gegen 8.00
Uhr brach sie ohnmächtig zusammen. Ein weiterer körperlicher Zusammenbruch folgte kurze [X.] später. Ihre Mutter fand die An-geklagte gegen Mittag apathisch und weinend vor. Sie äußerte hier und später, nicht mehr leben zu wollen. Am Nachmittag wurde sie ins Krankenhaus [X.], wo ein Dammriss genäht wurde. Gegen 16.00
Uhr kam sie zur [X.] auf eine Station. Von 17.00
Uhr bis 17.30 Uhr wurde sie erstmals von der Polizei als Beschuldigte vernommen. Sie gab an, dass das Kind tot [X.] worden sei. Im [X.] an die Vernehmung wurde der Angeklagten die vorläufige Festnahme erklärt. Um 20.00
Uhr erhielt sie zwei Baldriandra-gees, weil sie nicht zur Ruhe gelangte. Gegen 20.30 Uhr wurde sie erneut ver-antwortlich vernommen. Zunächst wurde mit ihr ein lediglich in einem polizeili-chen Vermerk erfasstes Vorgespräch geführt, in dem sie die Tat weiterhin leugnete. Um 21.00
Uhr wurde den [X.] Polizeibeamten das [X.] der rechtsmedizinischen Untersuchung mitgeteilt, wonach von einer [X.] auszugehen sei. Die Beamten konfrontierten die Angeklagte so-gleich mit diesem Ergebnis. Die Angeklagte stritt die Tat weiter ab. Um 21.25
Uhr begann eine nunmehr im Wortlaut schriftlich niedergelegte Verneh-mung. Die weinende Angeklagte erklärte zu deren Beginn, es sei
gerade ein bisschen viel für sie. Nach anfänglichem weiterem Bestreiten gestand sie die Tat (vgl. [X.]). Die Vernehmung endete am Tattag um 23.25 Uhr.
b) Bei diesem Verlauf liegt eine Fülle von gewichtigen Gründen vor, auf-grund derer sich die Annahme tiefgreifender Erschöpfung und daraus resultie-render Besorgnis der Beeinträchtigung der Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung geradezu aufdrängt (vgl. zum Ganzen [X.], Urteil vom 4
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30. Oktober 1951

1 StR 393/51, [X.]St 1, 376; Urteile
vom

24. März 1959

5 StR 27/59, [X.]St 13, 60, vom 15. Mai 1992

3 StR 419/91,

[X.] nicht mehr in freier Willensbetätigung würde standhalten können. Demgemäß hätte es gewichtiger Anhaltspunkte bedurft, um eine Er-müdung im Rechtssinn ausschließen zu können. Allein der subjektive Eindruck

gar

wenig genügen wie der Umstand, dass sie sich nicht ausdrücklich auf Müdigkeit berief und Fragen sinnvoll zu beantworten in der Lage war, noch weniger, dass sie selbständig zur Toilette gehen konnte. Die Wahrnehmungen der [X.] Ärztin und der Krankenschwester beziehen sich auf den Zustand der Angeklagten am Nachmittag und können für die Beurteilung des [X.]punkts der Vernehmung in den Nachtstunden schon deshalb kaum etwas hergeben. Bei dieser Sachlage kann der [X.] davon absehen, freibeweislich der Frage nachzugehen, wie es erklärt werden kann, dass die entscheidende zweistündi-ge Vernehmung keine andere Dokumentierung erfahren hat, als diejenige in einem Protokoll von lediglich etwas mehr als vier, zudem großzügig formatier-ten Druckseiten.
c) Der [X.] vermag nicht auszuschließen, dass die Verletzung des §
136a [X.] ursächlich für das Geständnis der Angeklagten im Ermittlungsver-fahren war. Dessen Verwertung steht daher § 136a Abs. 3 Satz 2 [X.] entge-gen. Das Urteil beruht auf dem Verfahrensfehler.
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2. Auf die weiteren,
in der Sache unbehelflichen Verfahrensrügen kommt es damit [X.] Abs. 4 [X.] i.V.m. § 136 Abs. 1 t-gegen der Auffassung des [X.] nicht mangels eines nach Anhörung der Vernehmungsbeamten erhobenen (zweiten) [X.] nach § 344 Abs. 2 Satz 2 [X.] unzulässig wäre. Es ist in der Recht-sprechung anerkannt, dass ein Verwertungswiderspruch grundsätzlich vorab erklärt werden kann, ohne nach Abschluss der Vernehmung wiederholt werden zu müssen (vgl. [X.], Beschluss vom 3. Dezember 2003

5 [X.], NStZ
2004, 389; Urteil vom 27. Juni 2013

3 [X.], NJW 2013, 2769, 2771 f., insoweit in [X.]St 58, 301 nicht abgedruckt; Beschluss vom 20. Okto-ber 2014

5 StR 176/14, zum Abdruck in [X.]St bestimmt; KK/Diemer, [X.], 7. Aufl., § 136 Rn. 28).
3. Für die neue Hauptverhandlung ist auf Folgendes hinzuweisen:
a) Ein Zustand verminderter Schuldfähigkeit der Angeklagten nach § 21 StGB zur
Tatzeit wird im angefochtenen Urteil letztlich rechtsfehlerfrei ausge-schlossen. Angesichts der im Rahmen der zweiten Alternative des § 213 StGB durch die [X.] bereits ausschlaggebend berücksichtigten Ausnahme-
und Überforderungssituation der Angeklagten hätte die Annahme der Voraussetzungen des § 21 StGB im Übrigen kaum zu einer milderen Strafe führen können.
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b) Mit Recht wird im angefochtenen Urteil ausgeführt, dass einer Einlas-sung der Angeklagten, die sich in einer schriftlichen Verteidigererklärung er-schöpft, ohne dass Nachfragen beantwortet werden, ein allenfalls sehr [X.] Beweiswert zukommen kann.

[X.]König

Berger Bellay

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Meta

5 StR 296/14

21.10.2014

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.10.2014, Az. 5 StR 296/14 (REWIS RS 2014, 2050)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 2050

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5 StR 296/14

3 StR 435/12

5 StR 176/14

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