Bundesgerichtshof, Urteil vom 09.05.2017, Az. 1 StR 576/16

1. Strafsenat | REWIS RS 2017, 11359

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Gegenstand

Strafzumessung wegen gefährlicher Körperverletzung: Täter-Opfer-Ausgleich trotz Beschönigung von Tatumständen


Tenor

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des [X.] vom 8. Juli 2016 wird verworfen.

Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe

I.

1

Das [X.] hat die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und ihre Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Mit ihrer auf den Strafausspruch beschränkten Revision beanstandet die Staatsanwaltschaft die Verletzung sachlichen Rechts, vornehmlich die Annahme der Voraussetzungen eines Täter-Opfer-Ausgleichs gemäß § 46a Nr. 1 StGB. Das vom [X.] vertretene Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

2

1. Nach den Feststellungen des [X.]s stach die Angeklagte am 6. September 2015 in alkohol- und drogenbedingt enthemmtem Zustand ihren Arbeitgeber in dem von ihm als Mitinhaber betriebenen Café mit einem Messer fünfmal mit bedingtem Tötungsvorsatz in den Brust- und Bauchbereich. Vorausgegangen war ein Streitgespräch über einen Vorfall im Jahr 2014, bei dem der Geschädigte die Angeklagte sexuell belästigt hatte. Im Rahmen des Disputs forderte der Geschädigte die Angeklagte auf, auf ihn (doch) mit einem im Arbeitsbereich liegenden Messer einzustechen, was diese dann auch tat. Vier der mit leichter und mittlerer Wucht geführten Stiche drangen maximal ein bis eineinhalb Zentimeter in den Bauch- und Brustbereich ein; ein Stich wurde von der Jacke des Geschädigten abgehalten. Trotz des starken Blutverlustes bestand für den Geschädigten keine konkrete Lebensgefahr. Er hätte auch ohne ärztliche Hilfeleistung überlebt. Die Verletzungen sind weitgehend folgenlos verheilt. Lediglich beim Heben schwerer Gewichte treten Schmerzen auf. Wegen der psychischen Folgen der Tat hat sich der Geschädigte in psychiatrische Behandlung begeben.

3

2. Die Schwurgerichtskammer hat aufgrund der entfalteten [X.] der Angeklagten einen strafbefreienden Rücktritt vom Totschlagsversuch angenommen. Mit Blick auf die abstrakte Lebensgefährlichkeit der Messerstiche hat sie die Voraussetzungen der gefährlichen Körperverletzung in den [X.] nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB als verwirklicht angesehen.

4

3. Bei der [X.] hat das [X.] das Vorliegen eines minder schweren Falls nach § 224 Abs. 1 StGB verneint. Es hat jedoch eine Strafrahmenverschiebung gemäß § 46a Nr. 1, § 49 Abs. 1 StGB vorgenommen, weil es die Voraussetzungen eines Täter-Opfer-Ausgleichs als erfüllt angesehen hat. Insoweit hat das [X.] festgestellt, dass die in Untersuchungshaft befindliche, geständige Angeklagte Kontakt zum Geschädigten gesucht, ihm einen Brief geschrieben und sich darin und anschließend in der Hauptverhandlung nochmals beim Geschädigten für die Tat entschuldigt hatte. Der nahm die Entschuldigung in der Hauptverhandlung an, auch wenn ihm dies nach seinem Bekunden schwer fiel. Zudem hat die vermögenslose Angeklagte, die zuvor beim Geschädigten nur geringfügige Einkünfte von monatlich 200 bis 300 Euro erzielt hatte, diesem aus ihrem Verdienst in der Untersuchungshaft von monatlich etwa 80 Euro einen Betrag von 420 Euro zukommen lassen, den sie angespart hatte. Der Geschädigte hat den Geldbetrag angenommen ([X.] 13).

II.

5

Die Revision der Staatsanwaltschaft, die wirksam auf den Strafausspruch beschränkt ist, hat keinen Erfolg.

6

1. Zwar hat die Beschwerdeführerin ihr Rechtsmittel nachträglich lediglich auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Die Anordnung der Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) beanstandet sie jedoch nicht.

7

Widersprechen sich Revisionsantrag und Inhalt der Revisionsbegründung, ist unter Berücksichtigung von Nr. 156 Abs. 2 [X.] das Angriffsziel des Rechtsmittels durch Auslegung zu ermitteln (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Urteil vom 22. Februar 2017 - 5 StR 545/16 mwN). Nach dem insoweit maßgeblichen Sinn der Revisionsbegründung hat hier die Beschwerdeführerin klar zu erkennen gegeben, dass sie sich allein gegen den Strafausspruch wendet und mit ihrem Rechtsmittel die Anordnung der Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nicht angreifen will.

8

2. Der Strafausspruch begegnet keinen Bedenken. Insbesondere hat das [X.] die Voraussetzungen des § 46a Nr. 1 StGB ohne Rechtsfehler als gegeben angesehen.

9

a) § 46a Nr. 1 StGB setzt voraus, dass der Täter in dem Bemühen, einen Ausgleich mit dem Opfer zu erreichen, die Tat ganz oder zum überwiegenden Teil [X.] oder dieses Ziel jedenfalls ernsthaft erstrebt hat. Dies erfordert grundsätzlich einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer, bei dem das Bemühen des [X.] Ausdruck der Übernahme von Verantwortung sein und das Opfer die Leistung des [X.] als friedensstiftenden Ausgleich akzeptieren muss. Die Wiedergutmachung muss auf einen umfassenden Ausgleich der durch die Straftat verursachten Folgen gerichtet sein (vgl. [X.], Beschluss vom 25. Juli 1995 - 1 [X.], [X.]R StGB § 46a Wiedergutmachung 1; Urteile vom 31. Mai 2002 - 2 StR 73/02, [X.], 646 und vom 27. August 2002 - 1 [X.], [X.], 29).

b) Gemessen daran hat das [X.] rechtsfehlerfrei die Voraussetzungen des § 46a Nr. 1 StGB bejaht. Entgegen der Ansicht der Revision hat die Angeklagte im Rahmen ihres Geständnisses die Verantwortung für die Tat uneingeschränkt übernommen. Dass sie - ebenso wie der Geschädigte - keine konkrete Erinnerung an das unmittelbare Tatgeschehen hatte, ändert daran nichts. Der Umstand, dass die Angeklagte bestritten hat, dass sie die Videokamera, die das Tatgeschehen (visuell) hätte aufzeichnen können, vor der Tatbegehung gezielt umgestoßen hat, lässt ihre Verantwortungsübernahme für die Tat nicht entfallen. Sie hat nämlich das Tatgeschehen gleichwohl eingeräumt und [X.] und die daraus resultierenden Folgen nicht in Abrede gestellt, insbesondere aber auch nicht die „[X.]“ des Geschädigten bestritten (vgl. [X.], Urteil vom 23. Dezember 2015 - 2 StR 307/15).

c) Dem Urteil ist zudem hinreichend zu entnehmen, dass zwischen der Angeklagten und dem Geschädigten ein kommunikativer Prozess während ihrer Untersuchungshaft begonnen wurde. Sie hat in dem an den Geschädigten gerichteten Entschuldigungsschreiben die Verantwortung für die Tat übernommen und dies in der Hauptverhandlung wiederholt. Der Geschädigte hat die Entschuldigung - ebenso wie den von der Angeklagten angesparten und überreichten Geldbetrag - auch angenommen. Die Ansicht der Revision, der Geschädigte habe die Entschuldigung und den Geldbetrag nicht als friedensstiftenden Ausgleich angesehen, weil er das Geld ohne „weitere Erklärung entgegen“ genommen habe und es ihm auch schwer gefallen sei, die Entschuldigung zu akzeptieren, stellt lediglich eine eigene, revisionsrechtlich unbeachtliche Bewertung der friedensstiftenden Wirkung - wie sie vom Tatgericht angenommen wurde - dar. Weitergehender Ausführungen des [X.]s hierzu bedurfte es vorliegend nicht.

Schließlich hat das [X.] die geleistete Zahlung der Angeklagten ohne Rechtsfehler als ernsthaftes Erstreben einer Wiedergutmachung bewertet. Es hat dabei zutreffend darauf abgestellt, dass der Geldbetrag zwar objektiv nicht hoch genug sei, um ihn als überwiegende Wiedergutmachung des immateriellen Schadens anzusehen. Jedoch sei der Betrag gemessen an den finanziellen Möglichkeiten der Angeklagten eine ganz erhebliche Leistung, die ihren [X.] belege.

Raum     

       

Graf     

       

Bellay

       

Cirener     

       

Radtke     

       

Meta

1 StR 576/16

09.05.2017

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG München I, 8. Juli 2016, Az: 2 Ks 127 Js 193521/15

§ 46a Nr 1 StGB, § 224 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 09.05.2017, Az. 1 StR 576/16 (REWIS RS 2017, 11359)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 11359

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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