BT-Drucksache 18/9847

zu der Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung - Drucksache 18/9700 - Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2016

Vom 28. September 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9847
18. Wahlperiode 28.09.2016
Entschließungsantrag
der Abgeordneten Susanna Karawanskij, Caren Lay, Herbert Behrens, Karin
Binder, Matthias W. Birkwald, Heidrun Bluhm, Eva Bulling-Schröter, Roland
Claus, Dr. André Hahn, Kerstin Kassner, Sabine Leidig, Ralph Lenkert,
Michael Leutert, Dr. Gesine Lötzsch, Thomas Lutze, Birgit Menz, Dr. Petra
Sitte, Dr. Kirsten Tackmann, Frank Tempel, Hubertus Zdebel und der
Fraktion DIE LINKE.

zu der Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
– Drucksache 18/9700 –

Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2016

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Deutsche Einheit ist über ein Vierteljahrhundert nach dem Beitritt der DDR vor
allem auf sozialem und wirtschaftlichem Gebiet nicht hergestellt. So erhalten zum
Beispiel die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den neuen Bundesländern
durchschnittlich nur 80 Prozent der West-Löhne, die ostdeutsche Wirtschaft stagniert
seit Jahren bei 67 Prozent und das Vermögen ostdeutscher Haushalte bei 44 Prozent
des West-Niveaus. Statt gleichwertiger Lebensverhältnisse ist eher eine Spaltung
zwischen armen und reichen Kommunen bzw. Regionen in Ost wie West feststellbar.
Die Menschen in Ost und West sind unzufrieden mit den offensichtlich
unzureichenden Bemühungen der Bundesregierung, die steckengebliebene
Angleichung der Lebensverhältnisse voranzubringen. Besonders dramatisch zeigt sich
dieses Versagen auf dem Gebiet der Altersarmut. Für die Menschen die derzeit und in
den nächsten zwei Jahrzehnten in Rente gehen, ist das Risiko, ihr Alter in Armut
verbringen zu müssen, im Osten fast doppelt so hoch wie im Westen.
Im Jahresbericht benennt die Bundesregierung zwar unzureichend einige Ursachen für
die Wirtschaftsschwäche – den Niedriglohnbereich oder die alternde Gesellschaft
Ostdeutschlands sowie die kleinteilige Wirtschaftsstruktur – aber ihre Vorschläge
bestehen vor allem in Modellprojekten oder verhältnismäßig kleinen
Bundesprogrammen. Wesentliche Verbesserungen der sozialen Lage der Menschen in
Ostdeutschland sind damit nicht erreichbar. Aus dem Jahresbericht wird nicht deutlich,
ob und wie die Bundesregierung dazu beitragen will, die Einkommensschere zu

Drucksache 18/9847 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
schließen sowie die hohen Armutsquoten von Frauen, Kindern und immer stärker auch
älteren Menschen zu bekämpfen. Strukturelle Veränderungen für eine starke
ostdeutsche Wirtschaft sind damit ebenso nicht möglich und offenkundig kein Ziel der
Bundesregierung.
Der Wegfall bzw. stetiger Rückbau sozialer Strukturen in der öffentlichen
Daseinsvorsorge, Brüche in den Erwerbsbiographien, die Delegitimierung bzw.
Herabwürdigung von DDR- und Nachwende-Lebenserfahrung, die weiterhin
bestehenden Unterschiede bezüglich Lohn und Rente sind einige Facetten der
Unzufriedenheit in Ostdeutschland. Viele Menschen sind frustriert. Die
Bundesregierung zeigt jedoch weiterhin kein gesellschaftspolitisches Gespür oder
Interesse für eine Begegnung von Ost und West auf Augenhöhe.
Die Bundesregierung weist auf die überproportional häufigen rechtsextremistischen
Ausschreitungen in Ostdeutschland hin. Leider versäumt sie es, deren äußerst
differenzierten und vielfältigen Ursachen zu benennen, die in historischen, sozialen
und kulturellen Hintergründen zu suchen sind. Langfristige Lösungsansätze, die sich
deutlich von den Ansätzen der Projektförderung abheben, sucht man vergebens.
Zusammen mit dem starken Fokus auf negativ besetzte Aspekte wie Abwanderung
oder Fachkräftemangel zeichnet der Jahresbericht insgesamt ein einseitiges, düsteres
Bild vom Osten. Selbstverständlich ist Ostdeutschland nicht flächendeckend in
rechtsextremer Hand, aber die bislang viel zu häufig schweigende oder zu wenig
wahrnehmbare zivilgesellschaftliche Mehrheit bedarf noch stärkerer Ermutigung, sich
aktiv gegen fremdenfeindliches und rassistisches Gedankengut zu stellen.
Fortschrittliche Aspekte des Lebens in Ostdeutschland werden im Jahresbericht leider
nur am Rande erwähnt. Ein Beispiel sind partnerschaftliche Erwerbskonstellationen
statt des „männlichen Alleinverdienermodells“ und die damit verbundene
gesellschaftliche Anerkennung der Erwerbstätigkeit von Müttern sowie die
eigenständige Existenzsicherung von Frauen. Die häufig egalitären
Rollenvorstellungen in Familien in Ostdeutschland beruhen auf bereits in der DDR
begonnenen Entwicklungen, die auch dem vereinigten Deutschland gut zu Gesicht
stehen können. Dies und anderes anzuerkennen gehört ebenso zur Herstellung der
Deutschen Einheit auf Augenhöhe zwischen allen hier lebenden Menschen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Deutsche Einheit zur Priorität zu machen und die ernüchternd geringe
Durchsetzungs- und Innovationskraft ihrer Ostdeutschland-Abteilung
entschieden zu verbessern, so dass Benachteiligungen beendet und positive
ostdeutsche Aspekte als Gewinn für ganz Deutschland genutzt werden können;

2. geeignete Maßnahmen einzuleiten, um die Einkommensschere zwischen Ost und
West zu schließen sowie unter Anerkennung der Tarifautonomie eine
Angleichung des Lohn- und Gehaltsniveaus im Osten an das des Westens zu
befördern und die hohen Armutsquoten von Frauen, Kindern und älteren
Menschen zu bekämpfen;

3. einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem ein steuerfinanzierter, stufenweise
steigender Zuschlag eingeführt wird, mit dem für im Osten Deutschlands
erworbene Rentenanwartschaften der Wertunterschied zwischen den
Rentenwerten (Ost) und dem allgemeinen Rentenwert sukzessive ausgeglichen
wird. Der Zuschlag wird solange gezahlt, bis der Unterschied zwischen dem
jeweiligen aktuellen Rentenwert (Ost) und dem jeweiligen aktuellen allgemeinen
Rentenwert, der im Westen gilt, im Zuge der Angleichung der Löhne und
Gehälter überwunden sein wird. Bis dahin soll die Umrechnung (Höherwertung)
der Entgelte im Osten bestehen, mit dem unter Beibehaltung der Umrechnung der
ostdeutschen Entgelte der aktuelle Rentenwert (Ost) steuerfinanziert den

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/9847

aktuellen Rentenwert angeglichen wird; die diskriminierenden Wirkungen des
Rentenüberleitungsgesetzes einschließlich des Anspruchs- und
Anwartschaftsüberführungsgesetzes sollen korrigiert werden, um die
Überführungslücken zu schließen sowie das Versorgungsunrecht und den
Missbrauch des Rentenrechts als Strafrecht zu beenden;

4. eine langfristige Förderung strukturschwacher Regionen in Ost und West durch
einen Solidarpakt III sowie eine finanzielle und thematische Ausweitung von
Bundesprogrammen mit einem Ost-Förderschwerpunkt sicherzustellen.

Berlin, den 27. September 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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