BT-Drucksache 18/956

Zukunft des Optionszwangs

Vom 28. März 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/956
18. Wahlperiode 28.03.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Luise Amtsberg, Özcan Mutlu,
Britta Haßelmann, Renate Künast, Monika Lazar, Dr. Konstantin von Notz,
Claudia Roth (Augsburg) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zukunft des Optionszwangs

„Für in Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder ausländischer Eltern
entfällt in Zukunft der Optionszwang“. So steht es im Koalitionsvertrag zwischen
CDU, CSU und SPD.
Bislang müssen Kinder nichtdeutscher Eltern, die durch Geburt in Deutschland
die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben (§ 4 Absatz 3 des Staatsangehörig-
keitsgesetzes – StAG), nach Erreichen der Volljährigkeit erklären, ob sie die
deutsche oder die ausländische Staatsangehörigkeit behalten wollen und gege-
benenfalls bis zur Vollendung des 23. Lebensjahres auf ihre ausländische Staats-
angehörigkeit verzichten (§ 29 StAG). Der Verzicht ist nur dann nicht erforder-
lich, wenn er unmöglich oder unzumutbar ist oder bei einer Einbürgerung nach
Maßgabe von § 12 StAG Mehrstaatigkeit hinzunehmen wäre. Wird bis zur Voll-
endung des 23. Lebensjahrs keine Erklärung abgegeben, so wird der Verlust der
deutschen Staatsangehörigkeit von Amts wegen festgestellt. Der Optionszwang
betrifft im Jahr 2014 rund 3 800 deutsche Staatsangehörige; ab dem Jahr 2018
steigt die Zahl der betroffenen Personen auf deutlich mehr als 40 000 im Jahr
(Bundestagsdrucksache 17/8268).
Tatsächlich leben in Deutschland bereits seit Jahrzehnten viele Menschen, die
neben der deutschen eine oder mehrere weitere Staatsangehörigkeiten haben.
Dazu zählen Kinder mit einem ausländischen Elternteil sowie Kinder deutscher
Eltern, die auf dem Gebiet eines Staates geboren wurden, der den Erwerb der
Staatsangehörigkeit (unter anderem) an die Geburt im Staatsgebiet anknüpft (ius
soli) – so im Wesentlichen Frankreich oder die Vereinigten Staaten von Amerika.
Diese Menschen waren einem Optionszwang nie unterworfen. Ebenso haben
Millionen von Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern sowie die mit ihnen auf-
genommenen Familienangehörigen nach § 7 StAG die deutsche Staatsangehö-
rigkeit erhalten, ohne dass sie ihre bisherige Staatsangehörigkeit aufgeben muss-
ten. Seit dem Jahr 2007 müssen auch Unionsbürgerinnen und Unionsbürger bei
einer Einbürgerung ihre ausländische Staatsangehörigkeit nicht mehr aufgeben.
Im Jahr 2012 wurde Mehrstaatigkeit bei jeder zweiten Einbürgerung hingenom-
men (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Migrationsbericht 2012,
S. 213).
Der Koalitionsvertrag verspricht, die Mehrstaatigkeit auch optionspflichtigen
deutschen Staatsangehörigen zu gestatten. Doch das Bundesministerium des
Innern (BMI) versucht, dem sozialdemokratischen Koalitionspartner eine
restriktive Interpretation des Koalitionsvertrags aufzuzwingen.

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Hierzu hat der Bundesminister des Innern, Dr. Thomas de Maizière, Anfang
Februar 2014 einen Referentenentwurf zur Änderung des Staatsangehörigkeits-
gesetzes vorgelegt. Nach einem neu eingefügten § 29 Absatz 4 StAG soll der
Optionszwang nur bei deutschen Staatsangehörigen entfallen, die sich bis zur
Vollendung des 23. Lebensjahres mindestens zwölf Jahre (davon vier Jahre zwi-
schen dem zehnten und dem 16. Lebensjahr) in Deutschland aufgehalten haben
oder einen Schulabschluss im Inland (nicht – so der Wortlaut – einen deutschen
Schulabschluss) erworben haben. Dies soll wiederum nicht gelten, wenn der
deutsche Staatsangehörige gegen § 11 Absatz 2 des Melderechtsrahmengesetzes
verstoßen hat.
Der Entwurf wird seitdem von vielen Seiten kritisiert. Aus Sicht der Ministerin
für Integration, Familie, Kinder, Jugend und Frauen von Rheinland-Pfalz, Irene
Alt, werde der Optionszwang mit dem Vorschlag nicht abgeschafft, sondern „de
facto beibehalten“ (Pressemitteilung vom 28. März 2014 „Ministerin Alt zu Ber-
liner Gesetzentwurf zur Optionspflicht“ auf www.mifkjf.rlp.de). Die Einbürge-
rungsbehörden müssen weiterhin jeden Einzelfall prüfen; außerdem sollen nun
auch die Meldebehörden in die Prüfung eingebunden werden.
Tatsächlich wirft das Regelungskonzept des BMI eine Reihe von Fragen auf.
Etwa ist die Vereinbarkeit der vorgeschlagenen Regelung mit den unionsrecht-
lichen Grundfreiheiten zweifelhaft, da die Inanspruchnahme der Freizügigkeit
dazu führen kann, dass eine Person dem Optionszwang unterworfen wird. Auch
besteht die Gefahr der Entstehung einer gleichheitswidrigen Konstellation
dadurch, dass die deutsche Staatsangehörigkeit optionspflichtiger Schülerinnen
und Schüler vom Schulerfolg abhängig gemacht wird – während dies bei ande-
ren Schülerinnen und Schülern nicht der Fall ist.
Zudem dürfte der Vorschlag des BMI nur schwer umsetzbar sein. Die Anzahl der
Einzelfallprüfungen wird sich in den kommenden Jahren auf rund 40 000 prak-
tisch verzehnfachen – eine für die Staatsangehörigkeitsbehörden kaum zu be-
wältigende Herausforderung.
Und warum das alles? Dies lässt sich dem Referentenentwurf des BMI nicht ent-
nehmen. Es fehlen jegliche Erwägungen, insbesondere integrationspolitischer
Art, aufgrund derer das Beibehalten des Optionszwangs erforderlich sein sollte.
Es scheint daher, als könne das BMI nicht einmal sein Kernanliegen argumenta-
tiv untermauern.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche konkreten Probleme entstehen nach Auffassung der Bundesregierung

aus der Hinnahme von Mehrstaatigkeit?
Inwiefern sind diese Probleme im Falle von optionspflichtigen deutschen
Staatsangehörigen anders gelagert als bei deutschen Staatsangehörigen, die
aus anderen Gründen eine oder mehrere weitere Staatsangehörigkeiten besit-
zen?

2. Von welchen konkreten Problemen, die aufgrund der Mehrstaatigkeit deut-
scher Staatsangehöriger entstanden sind, hat die Bundesregierung im Jahr
2013 Kenntnis erlangt?
Konnten diese Probleme gelöst werden?
Wenn ja, wie?
Wenn nein, warum nicht?

3. Wie viele Personen haben bislang aufgrund des Optionszwangs die deutsche
Staatsangehörigkeit verloren, wie viele haben einen Beibehaltungsantrag
gestellt, und wie viele Beibehaltungsanträge wurden positiv beschieden (auf-
geschlüsselt nach Jahren)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/956
4. Wie viele deutsche Staatsangehörige würden bei Zugrundelegung des Refe-
rentenentwurfs nach gegenwärtiger Einschätzung der Bundesregierung im
Jahr 2015 weiterhin unter den Optionszwang fallen (in absoluten Zahlen
und prozentual zur Anzahl aller deutschen Staatsangehörigen desselben
Jahrgangs, die die deutsche Staatsangehörigkeit aufgrund von § 4 Absatz 3
StAG erworben haben)?

5. Wie beurteilt der Nationale Normenkontrollrat die Entlastung der Verwal-
tung durch eine vollständige Abschaffung des Optionszwangs?

6. Wie beurteilt der Nationale Normenkontrollrat die Bürokratiebelastung
durch eine Umsetzung der im Referentenentwurf vorgeschlagenen Neu-
regelung des Optionszwangs?

7. Hat die Bundesregierung den Nationalen Normenkontrollrat mit den Fra-
gen 5 und 6 befasst?
Wenn nein, warum nicht?

8. Aus welchem sachlichen Grund sollen optionspflichtige deutsche Staats-
angehörige nach Ansicht der Bundesregierung die deutsche Staatsangehö-
rigkeit verlieren, wenn sie im Inland keinen Schulabschluss erworben haben
bzw. keinen zwölfjährigen Aufenthalt in Deutschland (davon vier Jahre zwi-
schen dem zehnten und dem 16. Lebensjahr) nachweisen können?
Warum enthält der Referentenentwurf des BMI insofern keine Begründung?

9. Aus welchem sachlichen Grund soll der Optionszwang unter Zugrunde-
legung des Referentenentwurfs nicht entfallen, wenn ein deutscher Staats-
angehöriger, der im Alter von neun Jahren mit seiner Familie nach Öster-
reich gezogen ist und dort einen Schulabschluss erworben hat, im Alter von
17 Jahren nach Deutschland zurückkehrt, mithin zwar mehr als zwölf Jahre
vor Vollendung des 23. Lebensjahres, nicht aber vier Jahre zwischen dem
zehnten und dem 16. Lebensjahr in Deutschland gelebt und auch keinen
Schulabschluss im Inland erworben hat?

10. Aus welchem sachlichen Grund soll der Optionszwang unter Zugrunde-
legung des Referentenentwurfs nicht entfallen, wenn eine deutsche Staats-
angehörige, die im Alter von neun Jahren mit ihrer Familie nach Kanada ge-
zogen ist und an einer deutschen Auslandsschule eine deutsche Hochschul-
zugangsberechtigung erworben hat, bevor sie im Alter von 17 Jahren nach
Deutschland zurückkehrt, mithin einen deutschen Schulabschluss, nicht
aber einen nach dem Wortlaut des Referentenentwurfs erforderlichen Schul-
abschluss im Inland erworben hat?

11. Aus welchem sachlichen Grund soll der Optionszwang unter Zugrunde-
legung des Referentenentwurfs nicht entfallen, wenn ein deutscher Staats-
angehöriger, der unmittelbar nach seiner Geburt mit seiner Familie nach
Japan gezogen ist, im Alter von 13 Jahren nach Deutschland zurückkehrt,
zunächst keinen Schulabschluss erwirbt, aber voraussichtlich kurz nach
Vollendung seines 23. Lebensjahres – also etwa einen Monat nach Ablauf
der im Referentenentwurf vorgesehenen Frist – den Erwerb eines Abschlus-
ses nachholen wird?

12. Aus welchem sachlichen Grund soll der Optionszwang unter Zugrunde-
legung des Referentenentwurfs nicht entfallen, wenn eine deutsche Staats-
angehörige, die im Alter von zwölf Jahren mit ihrer Familie nach Frankreich
gezogen ist, mit einem französischen Schulabschluss in Deutschland im
Alter von 17 Jahren ein Studium aufnimmt und vor Vollendung des 23. Le-
bensjahres ein Bachelor-Studium in Germanistik abschließt, mithin zwar
keinen Schulabschluss, jedoch einen vom Wortlaut des Referentenentwurfs
nicht erfassten Hochschulabschluss im Inland erworben hat?

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13. Ist es denkbar, dass optionspflichtige deutsche Staatsangehörige, die weder
einen Schulabschluss im Inland erworben haben noch einen zwölfjährigen
Aufenthalt in Deutschland (davon vier Jahre zwischen dem zehnten und
dem 16. Lebensjahr) nachweisen können, sich dennoch tatsächlich in
Deutschland in einer Weise integriert haben, dass es nicht sachgerecht wäre,
sie dem Optionszwang zu unterwerfen?
a) Wenn ja, unter welchen Voraussetzungen könnte nach Auffassung der

Bundesregierung vom Optionszwang abgesehen werden?
b) Wenn nein, warum nicht (bitte ausführen)?

14. Wie hoch ist gegenwärtig nach Kenntnis der Bundesregierung der Verwal-
tungsaufwand für die Prüfung aller Anträge auf Erteilung von Beibehal-
tungsgenehmigungen nach § 29 Absatz 3 StAG?

15. Wie hoch wird nach Einschätzung der Bundesregierung der Verwaltungs-
aufwand für die Prüfung der Voraussetzungen des Wegfalls des Options-
zwangs bei Zugrundelegung des Referentenentwurfs?

16. Aus welchen Gründen hält es die Bundesregierung für erforderlich bzw.
sachgerecht, dass die im Referentenentwurf für den Wegfall des Options-
zwangs vorgesehene Aufenthaltszeit in Deutschland (zwölf Jahre Aufent-
halt – davon vier Jahre zwischen dem zehnten und dem 16. Lebensjahr)
deutlich länger ist als die Aufenthaltsdauer, die Voraussetzung der sog. An-
spruchseinbürgerung (§ 10 StAG) ist?

17. Wie rechtfertigt es die Bundesregierung, dass sich Verstöße von Eltern
gegen aufenthalts- und melderechtliche Vorschriften negativ auf die staats-
angehörigkeitsrechtlichen Belange ihrer Kinder auswirken können?

18. Wie rechtfertigt es die Bundesregierung, dass ausweislich des Wortlauts des
im Referentenentwurf vorgeschlagenen § 29 Absatz 4 Satz 2 ein einmaliger
Verstoß gegen § 11 Absatz 2 des Melderechtsrahmengesetzes dazu führt,
dass optionspflichtige deutsche Staatsangehörige weiterhin dem Options-
zwang unterliegen, auch wenn sie sich tatsächlich mindestens zwölf Jahre
(davon vier Jahre zwischen dem zehnten und dem 16. Lebensjahr) in
Deutschland aufgehalten haben bzw. einen Schulabschluss im Inland erwor-
ben haben?

19. Wie rechtfertigt es die Bundesregierung, dass der Referentenentwurf den
Wegfall des Optionszwangs an starre Altersgrenzen und Aufenthaltszeiten
knüpft, ohne eine Härteklausel vorzusehen, angesichts der Bedeutung, die
das Primärrecht der Europäischen Union dem Unionsbürgerstatus beimisst
und angesichts dessen, dass das unionsrechtliche Verhältnismäßigkeitsprin-
zip – so der Europäische Gerichtshof (EuGH) – beim Verlust der Staatsan-
gehörigkeit zu beachten ist (EuGH, Urteil vom 2. März 2010, Rs. C-135/08
Rottmann – Rn. 56)?

20. Wie rechtfertigt es die Bundesregierung, dass ein Auslandsschulaufenthalt
– etwa in Frankreich oder in den Vereinigten Staaten von Amerika – dazu
führen kann, dass optionspflichtige deutsche Staatsangehörige weiterhin
dem Optionszwang unterliegen?

21. Wie rechtfertigt es die Bundesregierung, dass der Referentenentwurf den
Wegfall des Optionszwangs von einer bestimmten Aufenthaltsdauer im
Inland abhängig macht angesichts dessen, dass sich alle Unionsbürgerinnen
und Unionsbürger – also auch Minderjährige – auf das allgemeine Verbot
der Beschränkung der Freizügigkeit von Unionsbürgern (vgl. EuGH, Urteil
vom 23. Oktober 2007, Rs. C-11/06 und C-12/06 Morgan) berufen können?

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22. Liegt nach Auffassung der Bundesregierung beim Wegfall des Options-
zwangs für optionspflichtige deutsche Staatsangehörige eine „gleichheits-
widrige Konstellation“ vor, wenn er vom schulischen Erfolg abhängig ge-
macht wird, während der schulische Erfolg ohne Auswirkungen auf die
Staatsangehörigkeit anderer Schülerinnen und Schüler bleibt?
Wenn ja, wie verhält sich die Bundesregierung dazu?
Wenn nein, warum nicht?

23. Hält die Bundesregierung an ihrer in der Antwort auf die Kleine Anfrage
vom 12. Februar 2013 (Bundestagsdrucksache 17/12321, S. 7) geäußerten
Rechtsauffassung fest, die Befreiung derjenigen Personen vom Options-
zwang, die ohnehin gemäß § 29 Absatz 4 i. V. m. § 12 StAG einen Anspruch
auf Beibehaltung ihrer ausländischen Staatsangehörigkeit haben – also etwa
deutsche Staatsangehörige, die zugleich Staatsangehörige eines anderen
Mitgliedstaates der Europäischen Union sind –, komme grundsätzlich in
Betracht, solle aber erst auf der Basis gesicherter Erkenntnisse erwogen
werden?
a) Wenn ja, welche einschlägigen Erkenntnisse liegen der Bundesregierung

vor, und sind diese Erkenntnisse hinreichend gesichert, um die Vorschrift
des § 29 Absatz 4 StAG zu ändern?
Wenn ja, wann ist mit der entsprechenden Änderung zu rechnen?
Wenn nein, was unternimmt die Bundesregierung, um gesicherte Er-
kenntnisse zu erlangen, und welche Anforderungen stellt die Bundes-
regierung an Erkenntnisse, um diese als hinreichend gesichert zu erach-
ten?

b) Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 24. März 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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