BT-Drucksache 18/9551

Rechte Gefahr in Deutschland

Vom 2. September 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/9551
18. Wahlperiode 02.09.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Irene Mihalic, Monika Lazar, Luise Amtsberg,
Britta Haßelmann, Renate Künast, Özcan Mutlu, Dr. Konstantin von Notz,
Claudia Roth (Augsburg) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Rechte Gefahr in Deutschland

Der Verfassungsschutzbericht 2015 konstatiert völlig zutreffend, dass es im
Jahr 2015 einen „enormen Anstieg rechtsextremistischer Gewalt“ gegeben habe.
Die Zahl rechtsextremistischer Anschläge habe sich gegenüber dem Vorjahr ver-
fünffacht, die rechtsextremistische Szene verzeichne wieder Zulauf. Der Verfas-
sungsschutzbericht präsentiert als Beleg dieses Befundes einige Zahlen zum Per-
sonenpotential, rechtsextremistischen Veranstaltungen und Mitgliederbewegun-
gen rechtsextremistischer Parteien, alles jeweils im Vergleich zu den beiden Vor-
jahren. Nicht berücksichtigt sind sozialwissenschaftliche oder kriminologische
Analysen, die ein tieferes Verständnis des Phänomenbereichs Rechtsextremismus
ermöglichen würden. Politik und Gesellschaft benötigen eine solche Analyse
dringend, um Radikalisierungsverläufe im rechten Spektrum besser zu verstehen.
Auf dieser Basis können präventiv Maßnahmen entwickelt werden, um diesen
Tendenzen zu begegnen. Dabei geht es vor allem darum, auch rechtsideologische
Bewegungen stärker in den Blick zu nehmen, die im Vorfeld gewaltorientierter
Personen und/oder Gruppierungen agieren. Außerdem bedarf es einer regelmäßi-
gen qualitativen und quantitativen Analyse der Internetaktivitäten im Bereich der
rechten Szene. Nur auf Grundlage solcher Daten ist es möglich, ideologieprä-
gende bzw. -verfestigende Merkmale auszumachen, regionale Schwerpunkte zu
bestimmen und valide Gefahreneinschätzungen vorzunehmen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele Straftaten wurden seit Beginn des Jahres 2016 in folgenden Daten-

feldern des sog. Themenfeldkatalogs Politisch motivierte Kriminalität
(PMK) registriert
a) zum PMK-Oberbegriff „Ausländer-/Asylthematik“;
b) zum PMK-Unterthema „gegen Asylunterkünfte“ bzw.
c) zum PMK-Unterthema „Unterbringung von Asylbewerbern“
(bitte jeweils nach dem PMK-Themenfeldkriterium, nach Monaten, nach den
vier PMK-Phänomenbereichen, PMK-rechts, PMK-links, PMK-Ausländer
und PMK-Sonstige sowie nach folgenden Deliktgruppen Brandstiftungen,
Sprengstoffdelikte, Körperverletzungen, Tötungsdelikte, Landfriedens-
bruch, einschließlich ggf. des Versuchs entsprechender Taten aufschlüs-
seln)?

Drucksache 18/9551 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
2. Wie viele Straftaten wurden seit Beginn des Jahres 2016 im Themenfeldka-
talog PMK innerhalb des PMK-Oberthemas ,,Ausländer-/Asylthematik“ re-
gistriert
a) zum PMK-Unterthema ,,gegen Asylbewerber/Flüchtlinge“;
b) zum PMK-Unterthema ,,gegen Hilfsorganisationen, ehrenamtliche/frei-

willige Helfer“ bzw.
c) zum PMK-Unterthema wie viele Straftaten erfolgten ,,zwischen Asylbe-

werbern/Flüchtlingen“
(bitte jeweils nach dem PMK-Unterthemen, nach Monaten, nach den vier
PMK-Phänomenbereichen, PMK-rechts, PMK-links, PMK-Ausländer und
PMK-Sonstige sowie nach folgenden Deliktgruppen Brandstiftungen,
Sprengstoffdelikte, Körperverletzungen, Tötungsdelikte, Landfriedens-
bruch, einschließlich ggf. des Versuchs entsprechender Taten aufschlüs-
seln)?

3. Wie viele Straftaten hat die Polizei seit Beginn des Jahres 2016 im Themen-
feldkatalog PMK innerhalb des PMK-Oberbegriffs ,,Konfrontation/Politi-
sche Einstellung“ registriert
a) zum PMK-Unterthema ,,gegen Amts-/Mandatsträger“;
b) zum PMK-Unterthema ,,gegen Medien“;
c) zum PMK-Unterthema „gegen Religionsgemeinschaften“;
d) zum PMK-Unterthema „gegen Polizei“
(bitte jeweils nach dem PMK-Unterthemenkriterium, nach Monaten, nach
den vier PMK-Phänomenbereichen, PMK-rechts, PMK-links, PMK-Auslän-
der und PMK-Sonstige sowie nach folgenden Deliktgruppen Brandstiftun-
gen, Sprengstoffdelikte, Körperverletzungen, Tötungsdelikte, Landfriedens-
bruch, Propaganda, Nötigung/Bedrohung, Beleidigung, einschließlich ggf.
des Versuchs entsprechender Taten aufschlüsseln)?

4. Wie viele Straftaten wurden seit Beginn des Jahres 2016 im Themenfeldka-
talog PMK innerhalb des PMK-Oberthemas ,,Innen- und Sicherheitspolitik“
registriert
a) zum PMK-Unterthema ,,Parteiveranstaltungen“;
b) zum PMK-Unterthema ,,Parteieinrichtungen/-repräsentanten“
(bitte jeweils nach den PMK-Unterthemen, nach Monaten, nach den vier
PMK-Phänomenbereichen, PMK-rechts, PMK-links, PMK-Ausländer und
PMK-Sonstige sowie nach folgenden Deliktgruppen Brandstiftungen,
Sprengstoffdelikte, Körperverletzungen, Tötungsdelikte, Landfriedens-
bruch, Meinungsäußerungsdelikte, einschließlich ggf. des Versuchs entspre-
chender Taten aufschlüsseln)?

5. Wie definiert die Bundesregierung den im Verfassungsschutzbericht einge-
führten Begriff „asylkritisch“ (vgl. auf Seite 69 oben); und wie grenzt sie ihn
hinsichtlich der Motivation von Begriffen wie „fremdenfeindlich“ oder „ras-
sistisch“ ab und gibt es bundesweite bzw. in einzelnen Bundesländern Hand-
lungsanleitungen, nach denen die ermittelnden Polizeibeamtinnen und Poli-
zeibeamten diese Unterscheidung vornehmen sollte, und wenn nein, wie soll
die Polizei diese Differenzierung dann in der Praxis vornehmen?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/9551
6. Werden Straftaten, bei denen eine „asylkritische“ Motivation zu Grunde ge-
legt wird, als PMK-Delikte erfasst, und wenn ja, innerhalb welcher Oberbe-
griffe bzw. Unterthemen des Themenfeldkatalogs-PMK (wie z. B. „Auslän-
der-/Asylthematik“; „gegen Asylunterkünfte“ bzw. „Unterbringung von
Asylbewerber“)?
a) Wenn ja, wie viele „asylkritisch“ motivierte Straftaten wurden in den Jah-

ren 2014 bis 2016 im Rahmen des Definitionssystems PMK durch die Po-
lizei erfasst bzw. durch den Verfassungsschutz als „extremistisch“ einge-
stuft (bitte nach Jahren, nach Deliktsart sowie nach den vier PMK-Phäno-
menbereichen: PMK-rechts, PMK-links, PMK-Ausländer und PMK-
Sonstige aufschlüsseln)?

b) Wenn nein, warum nicht?
7. Inwiefern wurden durch den Beschluss der Innenministerkonferenz im

Juni 2016 (TOP 21) im Hinblick auf die in den Fragen 1 bis 6 genannten
PMK-Kriterien welche inhaltlichen oder systematischen Änderungen vorge-
nommen?

8. Inwieweit zieht die Bundesregierung Schlussfolgerungen aus der Studie „Die
enthemmte Mitte“, die konstatiert, „dass es einen eindeutigen Zusammen-
hang zwischen den verschiedenen Dimensionen des Rechtsextremismus und
der Zustimmung zu den Zielen von Pegida gibt“ (Die enthemmte Mitte. Au-
toritäre und rechtsextreme Einstellung in Deutschland. Brähler/Decker/
Kiess, 2016, S. 139)?

9. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung der Autoren der in Frage 8 ge-
nannten Mitte-Studie, dass „die Befürwortung von Pegida auf Grundlage is-
lamfeindlicher und rechtsextremer Einstellungsmuster entsteht, die als de-
mokratiegefährdend eingeschätzt werden müssen“ (ebd., S. 151)?

10. Hält die Bundesregierung den signifikanten Befund zur Gewaltbefürwortung
der in Frage 8 genannten Studie (Zitat: Je stärker Pegida befürwortet wird,
desto stärker ist auch die Zustimmung zur Anwendung von Gewalt“, ebd.,
S. 150) für verfassungsschutzrelevant, und wenn ja, welche Maßnahmen er-
greift sie?

11. Welche verfassungsschutzrelevanten Erkenntnisse besitzt die Bundesregie-
rung über den pegidanahen Zusammenschluss „Volksgemeinschaft – Projekt
für Freiheit und Identität“, auf dessen Internetpräsenz propagiert wird:
„Auch, wenn es ungewohnt klingen mag: Aber Rassismus ist gut. Es gewähr-
leistet, dass Menschen unterschiedlicher Herkunft auch unterschiedlich blei-
ben können!“ (Internationale Wochen gegen Rassismus 2015, www.provg.
info/internationale-wochen-gegen-rassismus-2015/; Stand: 4. August 2016)?

12. Wie groß ist die Zahl der Rechtsextremisten, die die Bundesregierung aktuell
als Gefährder einstuft?

13. Wie viele aktuelle potentielle rechtsterroristische Bestrebungen/Gruppierun-
gen (neben den im Verfassungsschutzbericht aufgeführten) sind zurzeit im
Blick des Bundesamtes für Verfassungsschutz, und wie ist das Personenpo-
tential einzuschätzen?

14. Welche „formlosen Gruppierungen ohne feste Organisationsstruktur“ die
laut Verfassungsschutzbericht (S. 44) ein wesentlicher Faktor beim Anstieg
des rechtsextremen Personenpotentials sind, hat die Bundesregierung ausge-
macht, und wie lässt sich das Wesen dieser Gruppierungen beschreiben (bitte
Beispiele nennen)?

Drucksache 18/9551 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

15. Wie viele Internetwebseiten bzw. -portale rechtsextremer Gruppierungen

oder Einzelpersonen beobachtet das Bundesamt für Verfassungsschutz regel-
mäßig?
a) Wurden die Ergebnisse dieser Beobachtung analytisch ausgewertet, und

wenn ja, was sind die Ergebnisse der Analyse?
b) Liegen der Bundesregierung Zahlen vor, wie sich die Anzahl der rechts-

extremen Portale sowie die Zugriffe und Sympathiebekundungen in den
letzten Jahren verändert hat?

16. Wie viele Fanzines rechtsextremer Gruppierungen oder Einzelpersonen be-
obachtet das Bundesamt für Verfassungsschutz regelmäßig?
a) Wurden die Ergebnisse dieser Beobachtung analytisch ausgewertet, und

wenn ja, was sind die Ergebnisse der Analyse?
b) Liegen der Bundesregierung Zahlen vor, wie sich die Anzahl der rechts-

extremen Fanzines sowie deren Auflage sich in den letzten Jahren verän-
dert haben?

17. Inwiefern ist der Bundesregierung bekannt, dass innerhalb der letzten Mo-
nate oder Jahre eine Radikalisierung der „Identitären Bewegung (IB)“ statt-
gefunden hat?
a) Gibt es eine bundesweite Koordination?

Wenn ja, wie sieht diese aus?
b) Gibt es Anhängerinnen und Anhänger der IB, die nach Einschätzung der

Bundesregierung aufgrund ihrer Persönlichkeit und/oder ihrer Kontakte
steuernden Einfluss auf eine Partei haben oder haben könnten?

c) Inwiefern bestehen Kontakte zu Mitgliedern der AfD?
Wenn ja, in welcher Form?

d) Gibt es Anhängerinnen und Anhänger des Identitären Bewegung
Deutschland e. V., die Mitglieder in rechtsradikalen Parteien (u. a. DIE
RECHTE, DRITTER WEG, NPD) sind?
Wenn ja, wie viele Personen und in welchen Parteien?

e) Inwiefern bestehen Kontakte von Mitgliedern der IB zu Anhängerinnen
und Anhängern der Reichsbürgerbewegung, und gibt es ideologische
Überschneidungen?

f) Inwiefern bestehen Kontakte von Mitgliedern der IB zu Burschenschaften
und studentischen Verbindungen?
Wenn ja, in welcher Form?

g) Inwiefern ist die Bundesregierung über vergangene und für die Zukunft
geplante Aktivitäten und Treffen der IB informiert?
Wie viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer der IB haben an vergangenen
Veranstaltungen teilgenommen?

h) Liegen der Bundesregierung Informationen über rassistische, fremden-
feindliche oder volksverhetzende Äußerungen durch Mitglieder der IB
vor?
Wenn ja, welche, in welcher Form, wann, und von wem?

i) Liegen der Bundesregierung Informationen darüber vor, dass die IB durch
andere Mittel als einen persönlichen Kontakt Einfluss auf politische Be-
wegungen und/oder Parteien haben könnte?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/9551
j) Liegen der Bundesregierung Informationen darüber vor, dass Agitations-
und Argumentationsmuster, die von der IB entwickelt werden, von ande-
ren Bewegungen und/oder Parteien übernommen werden?

18. Gibt es einen Zusammenhang zwischen Bundesländern, in denen die AfD
stark vertreten ist, und Bundesländern, in denen die IB viele Mitglieder hat?

19. Inwiefern ist die Bundesregierung informiert, ob Mitglieder der IB sich im
gewalttätigen Spektrum bewegen oder in ihrer Vergangenheit bewegt haben?

20. Welche Informationen hat die Bundesregierung über die Werbestrategien
und Vermarktungskampagnen der IB?

21. Wie schätzt die Bundesregierung die Gefahr einer Anwerbung Jugendlicher
und junger Menschen durch die IB ein, und inwiefern ist eine Radikalisie-
rung angeworbener Jugendlicher zu erwarten?

22. Hat sich die Haltung der Bundesregierung zur so genannten Reichsbürgerbe-
wegung (im Folgenden in Anführungszeichen) im Vergleich zur Antwort auf
die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Bundes-
tagsdrucksache 18/6166 hinsichtlich einer Beobachtung durch den Verfas-
sungsschutz gemäß § 3 Absatz 1 und 2 des Bundesverfassungsschutzgeset-
zes geändert auch mit Blick darauf, dass die „Reichsbürger“ vielen gewalt-
bereiten Neonazis einen ideologischen Überbau für ihre Aktivitäten bieten,
und wenn nein, warum nicht?

23. Wie viele Waffen wurden nach Kenntnis der Bundesregierung im letzten
Jahr bei Durchsuchungen von Gruppierungen oder Einzelpersonen gefunden,
die sich der „Reichsbürgerbewegung“ zuordnen lassen?

24. Welche Gruppierungen oder Einzelpersonen der „Reichsbürgerbewegung“
sind der Bundesregierung aktuell bekannt, und wie viele Mitglieder/Aktive
tragen diese Gruppierungen nach Kenntnis der Bundesregierung?

25. Sieht die Bundesregierung in der Reichsbürgerideologie einen Nährboden
für gewaltbereite Rechtsextremisten unter anderem mit Blick darauf, dass
dadurch Gewalt gegen die Sicherheitsbehörden der Bundesrepublik Deutsch-
land legitimiert wird?

26. Sind der Bundesregierung gewaltbereite Rechtsextremisten bekannt, die ihr
Gedankengut erkennbar auf die Ideologie der Reichsbürger stützen, und
wenn ja, wie viele?

27. Liegen der Bundesregierung verfassungsschutzrelevante Erkenntnisse vor,
die das Ergebnis der o. g. Mitte-Studie bestätigen, dass Rechtsextreme in der
AfD eine politische Heimat gefunden haben (Zitat: „Die von Personen mit
rechtsextremen Einstellungen eindeutig präferierte Partei ist die AfD“, ebd.,
S. 40), und wenn ja, welche Schlussfolgerungen zieht sie daraus, insbeson-
dere auch hinsichtlich der jüngsten Wahlerfolge und Mandatsgewinne der
AfD?

Berlin, den 2. September 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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