BT-Drucksache 18/8866

Datenabgleich des BKA mit dem US-Terrorist Screening Center - Memorandum of Understanding

Vom 15. Juni 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/8866
18. Wahlperiode 15.06.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Irene Mihalic,
Hans-Christian Ströbele, Luise Amtsberg, Katja Keul, Renate Künast,
Monika Lazar, Özcan Mutlu und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Datenabgleich des BKA mit dem US-Terrorist Screening Center – Memorandum of
Understanding

Während seines kürzlich erfolgten Besuchs in Washington D.C. unterzeichnete
der Bundesminister des Innern Dr. Thomas de Maizière mit der US-Justizminis-
terin Loretta Lynch ein sogenanntes Memorandum of Understanding (MoU) und
bewarb dieses Abkommen auf seinen Webseiten damit, „im Kampf gegen den
Terrorismus künftig besser zusammenarbeiten sowie mehr Informationen über
Verdächtige gegenseitig austauschen zu können“ (vgl. Pressemittelung auf der
Homepage des Bundesministeriums des Innern, abgerufen am 6. Juni 2016 www.
bmi.bund.de/SharedDocs/Kurzmeldungen/DE/2016/05/usa-reise.html). Betont
wurde, dass das Abkommen nicht die Arbeit der Geheimdienste erfasse (Meldung
der dpa vom 19. Mai 2016).
Auf die intensive Kritik der Opposition an den unklaren Rahmenbedingungen und
Inhalten des Abkommens antwortete das Bundesinnenministerium dem Deut-
schen Bundestag mit Schreiben vom 25. Mai 2016 mit einem kurzen Sachstands-
bericht. Der eigentliche Abkommenstext soll nach heutigem Stand allenfalls den
Obleuten der Fraktionen im Innenausschuss zur Kenntnis gegeben werden. Wäh-
rend dem Anliegen der Bundesregierung, einen verbesserten internationalen Da-
tenaustausch über mögliche Gefährder zu erreichen grundsätzlich zugestimmt
werden kann, bestehen hinsichtlich des hier gegenüber der Öffentlichkeit weitge-
hend geheim gehaltenen Verfahrens zahlreiche Fragen.
In der Rechtspraxis werden unter einem sogenannten Memorandum of Under-
standing rechtlich unverbindliche Absichtserklärungen bis hin zu verbindlichen
Grundsatzvereinbarungen verstanden. Zu dem abgeschlossenen Memorandum of
Understanding macht die Bundesregierung widersprüchliche Angaben: So soll
das Abkommen in erster Linie den Bedürfnissen der US-Seite entgegenkommen,
welche auf ein derartiges Abkommen gedrungen habe. Die Übermittlungen selbst
richteten sich allein nach den jeweils geltenden nationalen Regelungen. Anderer-
seits betont die Bundesregierung (vgl. Schreiben vom 25. Mai 2016 an den In-
nenausschuss des Deutschen Bundestages), der Sinn und Zweck liege in der Ab-
sprache eines gemeinsamen Verfahrens beim Datenaustausch, wobei das eigens
geschaffene zweistufige Verfahren erwähnt sowie strenge Festlegungen zu Da-
tensicherheit und zur Beschränkung des Datenzugangs hervorgehoben werden.
Auch zur Rechtsgrundlage macht die Bundesregierung unterschiedliche Anga-
ben: Neben ihrem Vortrag, wonach die Datenübermittlung allein nach dem gel-
tenden nationalen Recht der beteiligten Staaten erfolge bzw. für die deutsche
Seite nach § 14 des Bundeskriminalamtgesetzes (BKAG), wird auf die ergän-
zende Bedeutung von Artikel 10 des bilateralen Abkommens über die Vertiefung

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der Zusammenarbeit bei der Verhinderung und Bekämpfung schwerwiegender
Kriminalität von 2008 verwiesen, der allerdings ausschließlich Datenübermittlun-
gen im Einzelverdachtsfall regelt. Erwähnt wird seitens der Bundesregierung fer-
ner, dass die Daten u. a. an Europol übermittelt worden seien, welche ebenfalls
über eine Kooperation mit den US-Behörden in Verbindung stehe.
Ergänzend bleibt festzuhalten, dass die Bundesregierung mit einem bis heute
streng geheim gehaltenen Memorandum of Agreement (MoA) aus dem Jahre
2002 behauptet, die erforderliche Rechtsgrundlage für die Kooperation zur Mas-
senüberwachung mit der US-amerikanischen National Security Agency (NSA) in
Bad Aibling geschaffen zu haben. Der Deutsche Bundestag hat wegen der bis
heute unklaren Dimension geheimdienstlicher Kommunikationsüberwachung
westlicher Geheimdienste und der deutschen Beteiligung hieran einen nach wie
vor andauernden Parlamentarischen Untersuchungsausschuss eingerichtet
(1. Untersuchungsausschuss der 18. Wahlperiode –„NSA-Ausschuss“).
Nach dem Grundgesetz sowie der dazu ergangenen ständigen Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts zum Grundrecht auf informationelle Selbstbestim-
mung sowie dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Artikel 2 Absatz 1 des
Grundgesetzes (GG) müssen alle wesentlichen Aspekte personenbezogener Da-
tenverarbeitungen öffentlicher Stellen zu Informationen über Bundesbürgerinnen
und Bundesbürger in einer normenklaren und hinreichend bestimmten gesetzli-
chen Regelung niedergelegt werden.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Mit welcher konkreten Begründung wird das Abkommen – mit Ausnahme

der angekündigten persönlichen Kenntnisnahme durch die Obleute der Frak-
tionen im Innenausschuss des Deutschen Bundestages – vollständig der
Kenntnis des Deutschen Bundestages vorenthalten, obwohl es im Wesentli-
chen allein grundlegende Regelungen zum rechtsstaatlichen und daten-
schutzrechtlichen Verfahren der Datenübermittlung enthalten soll?

2. Hat es vor dem nunmehr abgeschlossenen Abkommen vergleichbare listen-
mäßige Übermittlungen und Abgleiche gegeben, und wenn ja, mit welcher
konkreten US-Behörde oder US-Stelle?

3. Besteht eine abschließende Regelung hinsichtlich der als Grunddaten zu qua-
lifizierenden Angaben der ersten Stufe, und wenn nein, welche möglichen
anderen Angaben neben den bereits genannten Angaben (Name, Geburtsda-
tum, Nummer von Reisedokumenten) kommen hierfür in Betracht (bitte im
Einzelnen anführen)?

4. Kommen auch einschlägige TK-Merkmale der betreffenden Person als
Grunddaten in Betracht wie IMEI, IMSI, Telefonnummer usw., und wenn
nein, aufgrund welcher Regelung (bitte im Wortlaut) wurden diese ausge-
schlossen?

5. Welche speziellen Schutzvorkehrungen gelten hinsichtlich der aktuellen An-
forderungen zu Datenübermittlungen u. a. aus dem Urteil des Bundesverfas-
sungsgerichts sowie dem bekannten Ausspruch des früheren CIA-Chefs
Michael V. Hayden „We kill people based on metadata“?

6. Auf welche Weise wurden die nunmehr im Abkommen vorgesehenen An-
forderungen bislang, soweit Frage 2 zutreffen sollte, eingehalten?

7. Befinden sich unter den übermittelten, zum Rasterabgleich freigegebenen
Namen auch Bundesbürger und/oder Grundrechtsträger, und wenn ja, in wel-
chem Umfang (bitte so konkret wie möglich aufschlüsseln)?

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8. Handelt es sich beim angedeuteten Verfahren in der ersten Stufe um die Ein-
richtung einer dauerhaft angelegten Datenübermittlung und des gegenseiti-
gen Rasterabgleichs von Gefährderlisten, und wenn ja, in welchem Rhyth-
mus sind weitere Übermittlungen vereinbart?

9. Handelt es sich um ein Push- oder ein Pull-Verfahren?
10. Besteht eine vergleichbare oder ähnliche Vorgehensweise der Übermittlung

von Listen mit möglichen Gefährdern auch zwischen anderen bundesdeut-
schen Behörden und US-amerikanischen Stellen, und wenn ja, zwischen wel-
chen Behörden?

11. Zu welchen Zwecken erfolgten die in Frage 2 genannten Listenübermittlun-
gen, und seit wann erfolgen diese Datenübermittlungen auf welcher konkre-
ten Rechtsgrundlage?

12. Besteht hinsichtlich der übermittelten Grunddaten eine konkrete Regelung
bezüglich der zulässigen Höchstdauer der Speicherung der Listen (Treffer
und Nichttrefferfall) sowie der Pflicht zur Löschung der erhaltenen Daten-
sätze, und wenn ja, wie lautet diese Regelung konkret?

13. Enthält das Abkommen für die erste Stufe der Datenübermittlung Regelun-
gen, wonach ergänzende Informationen zur Erläuterung der Notwendigkeit
des Datenabgleichs für alle angeführten Namen beigefügt werden, und wenn
nein, weshalb nicht?

14. Erhalten alle am Terrorist Screening Center (TSC) beteiligten US-Behörden
sowie anderweitigen Stellen (so etwa weitere Drittstaaten) die übermittelten
Daten zum Rasterdatenabgleich, und wenn nein, welche Behörden oder Stel-
len sind aufgrund welcher konkreten Regelung ausgenommen?

15. Welche Stellen, Behörden und Drittstaaten sind im Einzelnen im US-TSC
gegenwärtig zusammengeschlossen (bitte im Einzelnen aufführen)?

16. Liegt der Bundesregierung der vollständige und aktuell geltende Regelungs-
rahmen des US-TSC (in übersetzter Fassung) vor, und wenn ja, wird sie die-
sen dem Deutschen Bundestag zur Verfügung stellen?

17. Wurde über die Art und Weise des seitens TSC durchzuführenden Abgleich-
verfahrens eine tatsächliche Kontrolle vor Ort seitens des Bundesministeri-
ums des Innern erbeten, ermöglicht oder angeboten, und wenn nein, warum
nicht?

18. Bestehen – ggf. gesonderte – Zusicherungen aller auf US-Seite erhebenden
US-Stellen, Behörden sowie möglicher Drittstaaten, sich an die Regelungen
des MoU zum Verfahren der Datenübermittlung sowie an die Datensicher-
heits- und Datenschutzvereinbarungen zu halten, und wenn nein, warum
nicht?

19. Bestehen für alle auf US-Seite beteiligten US-Stellen, US-Behörden sowie
mögliche Drittstaaten angemessene gesetzliche Schutzvorkehrungen im
Sinne des kürzlich ergangenen Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum
Bundeskriminalamt, und wenn ja, auf welche Weise hat sich die Bundesre-
gierung bzw. das BKA hierüber vergewissert?

20. Geht die Bundesregierung davon aus, sie dürfe an alle im TSC gleicherma-
ßen zusammengeschlossenen Stellen, Behörden und Staaten gleichermaßen
und vollständig die genannten Datenübermittlungen zum Zweck des Daten-
abgleiches übermitteln, und wenn ja, hat sie dazu eine vollständige Einzel-
fallprüfung für die jeweils angeschlossenen Behörden auf der Grundlage der
Grundsätze des jüngsten BKA-Urteils des Bundesverfassungsgerichts
(BKA: Bundeskriminalamt) durchgeführt?

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21. Wurden hinsichtlich aller ca. 1 100 Personen bereits die Ausführungen und
Anforderungen des BKA-Urteils des Bundesverfassungsgerichts an den Ge-
fährderbegriff angelegt und somit eine erneute Überprüfung ihrer Einstufung
durchgeführt, und wenn ja, mit welchem Ergebnis?

22. Bei wie vielen Personen der BKA-Liste handelt es sich um derzeit in
Deutschland präventivpolizeilich geführte Verfahren, bei wie vielen Perso-
nen um strafprozessuale Verfahren?

23. Bei wie vielen der vom BKA auf die Liste gesetzten Personen handelt es sich
um Rückkehrer aus Syrien und Irak, die dort mutmaßlich dem IS (Islami-
schen Staat) angehörten bzw. für diesen tätig waren?

24. Um wie viele Personen handelt es sich bei der von US-Seite zunächst zu er-
wartenden Gefährderliste?

25. Legt die US-Seite zu allen angeführten Namen ergänzende Darlegungen zu
deren Qualifikation als Gefährder vor bzw. gibt es dazu entsprechende recht-
liche Vereinbarungen, und wenn nein, weshalb nicht?

26. Ist der Bundesregierung die im Internet frei abrufbare sog. Watchlisting
Guidance von Homeland Security vom März 2013 zu den Möglichkeiten der
Einstufung von Personen als Terrorgefährder bekannt, und wie bewertet sie
die dort behandelten Beispielfälle und Anweisungen aus rechtsstaatlicher
Sicht?

27. Welche Informationen liegen der Bundesregierung über die gegenwärtigen
Anforderungen für US-Behörden an die Einstufung als Terrorgefährder vor,
und wie bewertet sie diese für rechtsstaatliche Verfahren maßgeblichen
Schwellen?

28. Genügen die in der Watchlisting Guidance genannten Anforderungen an die
Einstufung als Terrorgefährder den rechtlichen Anforderungen an die Erhe-
bung dieser Daten durch deutsche Behörden?

29. Trifft es zu, dass für die sich in der zweiten Stufe im Trefferfalle anschlie-
ßenden Bewertungen und Entscheidungen über mögliche weitere Maßnah-
men gegen die betreffende Person allein und ausschließlich der jeweilige Ab-
kommensstaat verantwortlich zeichnet, und wenn nein, aufgrund welcher
Regelung sollte dies nicht der Fall sein?

30. Wurde über sich anschließende Maßnahmen der Abkommensstaaten ein ge-
genseitiges Verfahren der Unterrichtung vereinbart, und wenn ja, welchen
Inhalts?

31. Welchem Zweck dienen die nach Angaben der Bundesregierung im Treffer-
falle stattfindenden engen Konsultationen konkret, wurden hierfür konkrete
Festlegungen zur Art und Weise getroffen, und wenn ja, welchen Inhalts und
an welcher Stelle?

32. Auf welche Weise hat die Bundesregierung ihrer Auffassung nach konkret
sichergestellt, dass kein Automatismus der Nichteinreise, der Eintragung auf
No-Fly-Lists, der Drohnentötung etc. hinsichtlich der Namen der übermittel-
ten Personen stattfindet?

33. Würde die Bundesregierung die ihrer Auffassung nach strengen Festlegun-
gen zur Datensicherheit und die Beschränkung des Datenzugangs innerhalb
der beteiligten Behörden als datenschutzrechtliche Regelungen bezeichnen,
und wenn nein, weshalb nicht?

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34. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, wonach sowohl § 14 BKAG so-
wie auch das eingangs genannte Sicherheitsabkommen von 2008 ausschließ-
lich Datenübermittlungen für Einzelfälle vorsehen, sieht sie die geplanten
Listenübermittlungen von über 1 000 Namen hiervon umfasst, und wenn ja,
weshalb?

35. Für wie viele der zunächst ca. 1 100 Fälle werden die im BKAG vorgesehe-
nen Benachrichtigungspflichten absehbar zum Einsatz kommen?

36. Welche konkreten und aktuell durchsetzbaren Rechtsschutzmöglichkeiten
sieht die Bundesregierung für die Betroffenen hinsichtlich der durch das
BKA an das TSC übermittelten Daten, und bestehen dazu Kenntnisse der
Bundesregierung über die Effektivität dieser Verfahren, und sei es auch nur
in Einzelfällen?

37. An wie viele weitere EU-Staaten sowie Drittstaaten hat die Bundesregierung
die benannte Liste mit Gefährdern weiter übermittelt (bitte auflisten), und
wurden dabei vergleichbare Verfahren wie im vorliegenden Fall vereinbart?

38. Wurde im Rahmen der Datenübermittlung an Europol die vollständige Liste
übermittelt, und liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, ob
diese von Europol in vollem Umfang auch von dort an US-Stellen gegeben
wurde, und wenn ja, an welche?

39. Welche Rechtsqualität misst die Bundesregierung einem Memorandum of
Understanding konkret zu, bzw. welche konkreten Rechtsfolgen knüpfen
sich nach Auffassung der Bundesregierung an dessen Abschluss?

Berlin, den 7. Juni 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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