BT-Drucksache 18/8611

Bundesprogramm Kita- und Schulverpflegung - Für alle Kinder und Jugendlichen eine hochwertige und unentgeltliche Essensversorgung sicherstellen

Vom 31. Mai 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/8611
18. Wahlperiode 31.05.2016
Antrag
der Abgeordneten Karin Binder, Caren Lay, Herbert Behrens, Heidrun
Bluhm, Eva Bulling-Schröter, Nicole Gohlke, Dr. Rosemarie Hein, Sigrid
Hupach, Kerstin Kassner, Katja Kipping, Sabine Leidig, Ralph Lenkert,
Dr. Gesine Lötzsch, Thomas Lutze, Birgit Menz, Norbert Müller (Potsdam),
Harald Petzold (Havelland), Dr. Kirsten Tackmann, Katrin Werner, Birgit
Wöllert, Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann (Zwickau), Hubertus Zdebel
und der Fraktion DIE LINKE.

Bundesprogramm Kita- und Schulverpflegung – Für alle Kinder und Jugendlichen
eine hochwertige und unentgeltliche Essensversorgung sicherstellen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Über sechs Millionen Kinder und Jugendliche in Deutschland nutzen mittlerweile
Ganztagsangebote in Kindertagesstätten (Kitas) und allgemeinbildenden Schulen.
Sie alle haben Anspruch auf eine gute Essensversorgung in den Einrichtungen. Je-
doch werden die Anforderungen an eine altersgerechte, schmackhafte, ausgewogene
und gesunderhaltende Gemeinschaftsverpflegung in angemessener Qualität insge-
samt nur mangelhaft erfüllt. Das wirkt sich auch nachteilig auf die gesundheitliche
Entwicklung und den Lernerfolg der Kinder und Jugendlichen aus.
Mit dem erfreulichen Ausbau der Ganztagsangebote in Deutschland übernimmt der
Staat im Rahmen seiner Fürsorgepflicht auch die Verantwortung für die angemes-
sene Verpflegung der Kinder und Jugendlichen. Eine gute Qualität des Essens und
der Nährstoffversorgung befördert auch die körperliche und geistige Entwicklung
der Kinder und Jugendlichen. Sie unterstützt die Konzentration, das Lernen und
schützt langfristig vor den Risiken ernährungsbedingter Erkrankungen. Eine gute
Kita- und Schulverpflegung ist auch deshalb von hoher Bedeutung, da auch Kinder
und Jugendliche zunehmend von einer gesundheitsbelastenden Ernährungsweise be-
troffen sind.
Die Bundesregierung muss sich den drängenden Herausforderungen und Problemen
bei der Kita- und Schulverpflegung stellen. Bisher beschränken sich ihre Maßnah-
men auf unverbindliche Projektangebote und Informationsmaterial. Wirksame Maß-
nahmen zur Sicherstellung einer hochwertigen und ausgewogenen Gemeinschafts-
verpflegung, die den Geschmack der Kinder und Jugendlichen trifft, fehlen. Auch
ein geplantes „Nationales Qualitätszentrum für gesunde Ernährung in Schule und
Kita“ soll keine verbindlichen Standards für Kitas und Schulen festlegen. Die Ver-
netzungsstellen Schulverpflegung sind nur unzureichend ausgestattet.

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Mit Image-Kampagnen, wie „Macht Dampf! Für gutes Essen in Kita und Schule“,
wird die Verantwortung auf die Eltern und Schulen abgewälzt. Unverbindliche In-
formationen und Aufklärungskampagnen können die Risiken ernährungsbedingter
Erkrankungen und die Mängel bei der Kita- und Schulverpflegung nicht beheben.
Der Bund muss im Rahmen seiner grundgesetzlichen Fürsorgepflicht seine Verant-
wortung wahrnehmen. Er soll eine angemessene Verpflegung in den Einrichtungen
durch geeignete Rahmenbedingungen absichern. Dazu muss er ausreichend finanzi-
elle Mittel im Bundeshaushalt zur Verfügung stellen. Ziel muss eine hochwertige,
altersgerechte und abwechslungsreiche Kita- und Schulverpflegung sein, an der alle
anspruchsberechtigten Kinder und Jugendlichen unentgeltlich teilnehmen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

sicherzustellen, dass bundesweit alle Kinder und Jugendlichen in Kindertagesstätten,
allgemeinbildenden Schulen sowie Horteinrichtungen und in der Tagespflege mit
Ganztagsangebot eine beitragsfreie, altersgerechte, abwechslungsreiche und anspre-
chende Essensversorgung erhalten. Dazu erarbeitet die Bundesregierung einen Ver-
trag mit den Ländern und legt dem Bundestag einen Gesetzentwurf vor, durch den
das Kooperationsverbot im Bildungsbereich aufgehoben wird und der die Rahmen-
bedingungen und die Finanzierung der Kita- und Schulverpflegung in Einrichtungen
mit Ganztagsangeboten im Bundesgebiet wie folgt regelt:
1. Das Verpflegungssystem für Kitas und Schulen soll eine frische Zubereitung der

Mahlzeiten in den Einrichtungen unter Berücksichtigung regionaler, saisonaler
und ökologischer Lebensmittel sowie die tägliche Einbindung der Kinder und
Jugendlichen und eine Verknüpfung mit der Ernährungsbildung gewährleisten.

2. Der Bund stellt sicher, dass bei Ausschreibungen und Leistungsverzeichnissen
bundesweit einheitliche Rahmenbedingungen für die Kita- und Schulverpfle-
gung gelten. Insbesondere qualitative, geschmackliche, hygienische, ernäh-
rungsgesundheitliche und bildungsbezogene Anforderungen sind zu erfüllen.
Daneben ist die Einhaltung von Kriterien, wie sozialversicherte Beschäftigun-
gen, arbeitsrechtlicher Rahmenbedingungen, tariflicher Entgelte und Standards
sowie eine gute Qualifizierung des Personals sicherzustellen.

3. Die Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) für die
Verpflegung in Kindertageseinrichtungen und für die Schulverpflegung sind
bundesweit verbindlich einzuführen und insbesondere in Hinblick auf Lebens-
mittelhygiene, Geschmack und Vielfalt, Umwelt- und Sozialstandards sowie Ar-
beitsschutz und Personalqualifikation in enger Zusammenarbeit auch mit den
vor Ort handelnden Akteuren weiterzuentwickeln.

4. Zur Absicherung einer guten Verpflegungsleistung in den Einrichtungen stellt
der Bund mit Beginn des Schuljahres 2017/2018 im Rahmen eines neu zu schaf-
fenden „Bundesprogramms Kita- und Schulverpflegung“ jährlich die erforderli-
chen Mittel zur Verfügung. Der Bund zahlt daraus den Ländern eine Pauschale
von mindestens 4,50 Euro je Kind bzw. Jugendlichem und Verpflegungstag zur
Verwendung durch die Träger.

5. Für die Finanzierung der erforderlichen Ausgaben der Träger von Kindertages-
stätten stellt der Bund jährlich ausreichend Mittel dafür zur Verfügung, dass die
geeigneten Voraussetzungen für die Versorgungsleistung erbracht werden kön-
nen.

6. Für die Finanzierung der Aufgaben der Träger allgemeinbildender Schulen trifft
der Bund Vereinbarungen mit den Ländern, damit diese ausreichend Finanzmit-
tel bereitstellen, um die geeigneten Voraussetzungen für die Versorgungsleis-
tung zu schaffen. Der Mittelbedarf ist mit derzeit 1,50 Euro je Kind bzw. Ju-
gendlichem und Verpflegungstag zu veranschlagen.

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7. Es ist sicherzustellen, dass die Kita- und Schulverpflegung fächerübergreifend

verbindlich mit dem Erziehungs- und Bildungsauftrag verknüpft wird. In der
täglichen Praxis soll die Vermittlung von Wissen über die Herkunft, Zuberei-
tung und Zusammensetzung von Lebensmitteln, zu gesundheitsfördernden Er-
nährungsstilen, zur Stärkung sozialer Teilhabe und zur Vermeidung von Diskri-
minierung beitragen.

8. Die gleichberechtigte Einbindung der Kinder und Jugendlichen mit ihren Eltern
wie auch der Erzieherinnen und Erzieher sowie der Lehrerinnen und Lehrer in
die Planung und Umsetzung der Kita- und Schulverpflegung ist verbindlich ab-
zusichern.

9. Der Bund unterstützt durch Schwerpunktförderung die Einrichtung von Lernkü-
chen sowie von Kita- und Schulgärten in den Einrichtungen.

10. Die Vernetzungsstellen für die Kita- und Schulverpflegung werden als Kompe-
tenzpartner durch den Bund dauerhaft finanziell und personell mit mindestens
zwei Millionen Euro im Jahr ausgestattet.

11. Die Mehrwertsteuer für die Gemeinschaftsverpflegung in Kitas und Schulen ist
von derzeit 19 Prozent auf den reduzierten Satz von sieben Prozent abzusenken.
Dadurch werden die Ausgaben für die Verpflegung um rund 1,4 Milliarden Euro
im Jahr gesenkt. Das entspricht 0,50 Euro je Kind und Verpflegungstag.

12. Die Bundesregierung legt dem Bundestag alle zwei Jahre einen Bericht zum
Stand der Kita- und Schulverpflegung vor.

Berlin, den 31. Mai 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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Begründung

Alle Kinder und Jugendlichen haben das Recht auf eine gesunde Entwicklung. Das ist eine Aufgabe der öffent-
lichen Fürsorge im Sinne des Artikels 74 Absatz 1 Nummer 7 GG in Verbindung mit Artikel 72 Absatz 2 GG.
Die „öffentliche Fürsorge“ beschränkt sich nicht auf klassische Sozialleistungen. Sie hat vielmehr eine deutlich
darüber hinausgehende Aufgabe, unter die auch vorsorgende Maßnahmen zur Förderung des Kindeswohls, der
gesunden Entwicklungen und fürsorgende Betreuung und Bildung zählen. Das ist bei der Verpflegung von Kin-
dern und Jugendlichen in öffentlichen Ganztageseinrichtungen zweifellos der Fall. Von einer gesunderhalten-
den Verpflegung in Kitas und Schulen werden in Zukunft auch das Gesundheitswesen und die Sozialversiche-
rungen des Bundes profitieren (siehe Stellungnahme von Dr. Dieter Dohmen zu Anhörung im Ausschuss für
Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz am 30.11.2011 zum Thema „Schulverpflegung“). Alleine
die Krankheitskosten aufgrund von Adipositas in Deutschland betragen mittlerweile über 20 Milliarden Euro
im Jahr.
Soll eine verantwortungsvolle Gemeinschaftsverpflegung in Deutschland umgesetzt werden, die ernährungsge-
sundheitliche, qualitative und bildungsbezogene Anforderungen angemessen berücksichtigt, fallen derzeit je
Verpflegungstag und Kind Kosten von durchschnittlich 4,50 € (bei 7% MwSt.) für die Verpflegungsleistung an
(siehe Protokoll zum öffentlichen Fachgespräch „Bausteine für gutes Schul- und Kitaessen“ der Fraktion
DIE LINKE. im Bundestag am 25.01.2016 in Berlin). Diese Kosten entstehen in der Regel beim Essensanbieter.
Sie beinhalten Wareneinstandskosten für die Lebensmittel und Getränke, Personalkosten für die Zubereitung,
Ausgabe, Reinigung, Fortbildung und Verwaltung, Betriebskosten für Energie, Wasser und Abwasser, Entsor-
gung, Abrechnung, Wartung und Instandhaltung, Qualitätsmanagement und Zertifizierung, EDV und Verwal-
tung, Investitionskosten in Küchen- und Ausgabegeräte sowie Mehrwertsteuer und Gewinn. Die Kosten bezie-
hen sich auf 2 Millionen Kinder in Tageseinrichtungen und 4,2 Millionen Schülerinnen und Schüler in allge-
meinbildenden Schulen mit Ganztagsangebot.
Damit die Träger der Einrichtungen die geeigneten Voraussetzungen für eine gute Verpflegung schaffen kön-
nen, fallen weitere Kosten an. Dazu gehören Gebäudeneubauten und Umbauten, bauseitige Anschlüsse, Grund-
ausstattungen für Küche und Ausgabe, die Ausstattung der Mensen bzw. Speiseräume sowie entsprechende
Betriebs-, Wartungs- und Instandhaltungskosten. Bei den Kitas fallen nach Einschätzung von Fachleuten aus
der Praxis Kosten von rund 1,50 Euro je Kind und Verpflegungstag an. Die Finanzierung erfolgt aus dem lau-
fenden Investitionsprogramm des Bundes zum Ausbau der Kindertagesbetreuung im Rahmen des Kinderförde-
rungsgesetzes. Es muss allerdings sichergestellt sein, dass der erforderliche Anteil auch für den Ausbau und
Betrieb der Küchen und Mensen zur Verfügung gestellt wird. Für die Schulen sind ebenfalls Trägerkosten in
Höhe von rund 1,50 Euro je Kind und Verpflegungstag einzusetzen. Dafür sollen weiterhin die Länder bzw. die
Landkreise und Kommunen zuständig bleiben. Sie sollen bundesweit einheitliche Standards für die Verpflegung
erfüllen, werden aber bei allen anderen Kostenbestandteilen vollständig entlastet. Dazu muss der Bund entspre-
chende Vereinbarungen mit den Ländern treffen.
Die Kosten für eine erfolgreiche Gemeinschaftsverpflegung unterscheiden sich in Kita, Grundschule und Se-
kundarstufe kaum. Voraussetzungen sind eine Zubereitungsfrischküche in der Einrichtung sowie die Einhaltung
der DGE-Qualitätsstandards und die tägliche Verknüpfung mit der Ernährungserziehung und -bildung. In der
Grundschule ist der Wareneinsatz zwar aufgrund des niedrigeren Kalorienbedarfs geringer als in der Sekundar-
stufe, dafür braucht es für die Betreuung der Kinder mehr Personal. In der Kita wiederum kommt trotz des
geringeren Kalorienbedarfs ein Mehraufwand für Frühstück und Vesper als fester Bestandteil der Tagesverpfle-
gung hinzu.
Die Abrechnung von Essensbeiträgen durch Essensanbieter oder Träger ist mit einem hohen bürokratischen
Aufwand verbunden. Auch die Bezuschussung aus dem Bildungs- und Teilhabepaket der Bundesregierung ist
bürokratisch und für ärmere Familien diskriminierend. Das hält viele Familien davon ab, ihre Ansprüche geltend
zu machen. Können sie ihre Beiträge nicht bezahlen, werden die Kinder und Jugendlichen teilweise von der
Verpflegung ausgeschlossen und erfahren Ausgrenzung und Diskriminierung über die Gemeinschaftsverpfle-
gung. Solche Zustände sind aus Sicht der Fürsorge und der Ernährungsgesundheit nicht hinnehmbar. Die Ge-
meinschaftsverpflegung soll deshalb beitragsfrei sein.
Die Verknüpfung des gemeinsamen Essens mit der Ernährungserziehung und -bildung, die in den Einrichtungen
täglich gelebt werden sollte, ist Voraussetzung für eine erfolgreiche Gemeinschaftsverpflegung.

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Es ist unerlässlich, die Kinder und Jugendlichen in die Planung, Zubereitung und anschließende Bewertung der
Mahlzeiten einzubinden und Mitbestimmungsmöglichkeiten zu schaffen. Das Ernährungsthema muss dabei fes-
ter Bestandteil des Erziehungs- und Lernalltags sein und laufend mit der praktischen Handhabung von Lebens-
mitteln und deren Zubereitung verbunden werden. Dazu ist es nötig, dass die Zubereitung der Mahlzeiten in
den Einrichtungen unter Einbeziehung der Kinder und Jugendlichen erfolgt. Die Ernährungsbildung ist auch
deshalb von hoher Bedeutung, weil die Zubereitung von Lebensmitteln bei vielen Kindern und Jugendlichen
immer weiter aus dem Blickfeld verschwindet. Immer häufiger haben sie es mit Fertiglebensmitteln und fertig
gekochtem Essen zu tun. Das macht auch das Verpflegungsangebot in den Einrichtungen intransparent. Um die
Erzeugung und Zubereitung der Mahlzeiten erlebbar zu machen, müssen deshalb auch die Kompetenzen der
Erzieher und Lehrkräfte gestärkt werden.
Die Art des Verpflegungssystems hat einen großen Einfluss darauf, inwieweit eine Verknüpfung mit der Ernäh-
rungsbildung überhaupt erfolgen kann. Aus dieser Perspektive ist das Konzept einer Zubereitungsfrischküche
notwendig. Dabei werden die meisten Menübestandteile in der Einrichtung frisch zubereitet. Es gibt praktisch
keine Beschränkungen bei der Lebensmittelauswahl und Vielfalt. Der Anspruch, Erzeugnisse aus der Region
einzusetzen, kann damit unproblematisch berücksichtigt werden. Auch kurzfristige Änderungen und Anpassun-
gen sind möglich. Das Konzept setzt aber voraus, dass die Einrichtungen vor Ort über eine eigene Zubereitungs-
küche mit Großküchengeräten verfügen und geeignetes Fachpersonal vorhanden ist. Viele Kitas und Schulen
können diese Verpflegungsform nicht anbieten, weil Räume und Ausstattung nicht vorhanden sind. Der Bund
soll daher die rechtlichen, finanziellen und technischen Voraussetzungen dafür schaffen, dass in den Einrich-
tungen gekocht werden kann. Nur so ist eine erfolgversprechende Verknüpfung von Verpflegung und Ernäh-
rungsbildung im Schulalltag möglich.
Vielen Trägern und Kommunen fällt es offenkundig schwer, ein geeignetes Verpflegungskonzept auszuschrei-
ben und auch die entsprechenden baulichen und technischen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Kita- und
Schulverpflegung zu schaffen. Um die aktuellen Defizite bei der Kita- und Schulverpflegung zu beseitigen,
müssen der Bund und die Länder für Kindertagesstätten und Schulen, die ein Ganztagsangebot haben, bundes-
weit einheitliche und genaue Vorgaben für Ausschreibungen und Leistungsverzeichnisse machen. Die Gemein-
schaftsverpflegung muss verpflichtenden Qualitätsstandards unterliegen sowie einen altersgerechten, abwechs-
lungsreichen und ausgewogenen Speiseplan, einschließlich der Getränke sowie Frühstück und Zwischenmahl-
zeiten beinhalten. Räume für Küche, Lager und Speisesaal müssen in ausreichender Größe und Nutzbarkeit
vorhanden sein. Dazu sind auch die entsprechenden Musterraumprogramme den modernen Anforderungen an-
zupassen. Bauseitige Versorgungs- und Entsorgungsanschlüsse, wie Drehstrom, Wasser, Fettabscheider und
Bodenabläufe müssen grundsätzlich vorhanden sein. Die technische Mindestausstattung der Küche und Aus-
gabe muss mit geeigneten Großküchengeräten erfolgen. Die Ausstattung der Speiseräume, einschließlich Lärm-
minderungsmaßnahmen und Sauberkeit, ist zu regeln. Die Einhaltung von Qualitätsstandards, wie die der DGE,
insbesondere in Hinblick auf Warmhaltezeiten, Nährwertverluste, sensorische und optische Qualität und Le-
bensmittelvielfalt, ist sicherzustellen. Sinnvoll kann dazu die Einrichtung einer behördlichen Fachkontrollstelle
sein, wie es in Berlin der Fall ist. Das Verpflegungssystem und der umsetzende Dienstleister müssen eine Ver-
knüpfung mit der Ernährungsbildung in den Einrichtungen und die tägliche Beteiligung der Kinder und Jugend-
lichen gewährleisten. Die Qualifikation und Fortbildung des Personals in den Einrichtungen und bei den Es-
sensanbietern ist ebenso sicherzustellen wie die Einhaltung arbeitsrechtlicher Rahmenbedingungen, sozialver-
sicherungspflichtige Beschäftigung und tarifliche Entgelte. Zur Evaluierung der Kita- und Schulverpflegung,
insbesondere dazu, wie viele Kinder und Jugendliche Anspruch auf eine Gemeinschaftsverpflegung haben, wie
viele tatsächlich teilgenommen haben, was die Gründe für Nichtteilnahme sind und inwieweit Richtlinien und
Leistungen eingehalten werden, müssen regelmäßig Daten erhoben und ausgewertet werden. Zudem ist sicher-
zustellen, dass die Ernährungswirtschaft weder direkt noch indirekt über Werbung und Marketing Einfluss auf
die Speisepläne und die Ernährungsbildung erhalten. Eine tragende Säule bilden die bundesweit aktiven Ver-
netzungsstellen für Kita- und Schulverpflegung, deren Arbeit durch das BMEL langfristig finanziell abgesichert
sein muss.
Immer mehr Kinder und Jugendliche nehmen im Kita- und Schulalltag an einem Ganztagsangebot teil. Gründe
dafür sind meist die Berufstätigkeit beider Elternteile oder des alleinerziehenden Elternteils. Zudem werden
lange Anfahrtswege im ländlichen Raum genannt. Daneben bieten Ganztagsangebote aber auch vielfältigere
und bessere Erziehungs- und Bildungsansätze als die bisher üblichen Halbtagskonzepte und werden zunehmend
als vorteilhaft angesehen. Mit der Verbreitung der Ganztagsangebote müssen auch die Voraussetzungen ge-
schaffen werden, dass jeden Tag eine angemessene Verpflegung gewährleistet ist.

Drucksache 18/8611 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Denn die ausreichende Nährstoffversorgung und die Qualität des Essens beeinflussen die körperliche und geis-
tige Entwicklung der Kinder und Jugendlichen. Eine gute Verpflegung unterstützt das Lernen und die Konzent-
ration und schützt langfristig vor den Risiken ernährungsbedingter Erkrankungen. Das ist von hoher Bedeutung,
da in unserer Gesellschaft auch eine gesundheitsbelastende Ernährungsweise festzustellen ist, von der auch
Kinder und Jugendliche betroffen sind. Jedes siebte Kind ist von Übergewicht betroffen, fast jedes zweite davon
ist fettleibig. Bei fast jeder bzw. jedem vierten Jugendlichen sind Essstörungen zu beobachten. Hintergrund ist
auch ein sich verändernder Ernährungsalltag. Er wird insbesondere durch ein zunehmendes Angebot an Fertig-
mahlzeiten mit intransparenter Zusammensetzung sowie durch allgegenwärtige Werbung vorrangig für unaus-
gewogene Produkte, wie Snacks und Softdrinks, beeinflusst. Frisch zubereitete Mahlzeiten und besonders Obst
und Gemüse kommen zu kurz. Diese Entwicklung durch die modernen Ernährungstrends hin zu stark verarbei-
teten Nahrungsmitteln mit oftmals hohen Beimengungen von Zucker, Salz und Fett verstärkt sich besonders bei
jüngeren Altersgruppen weiter. Darauf weist die EU-Kommission in der Auswertung des EU-Schulobstpro-
grammes hin (Drucksache 5958/14). Diese Probleme spiegeln sich auch in der schlechten Situation der Kita-
und Schulverpflegung wider. Mahlzeiten sind oft zu fett, zu süß und enthalten zu wenige Vitamine und Ballast-
stoffe. Kitas, Schulen und deren Trägern fehlt es an Geld, Fachleuten, geeigneten Räumen und Ausstattung.
Ausschreibungen und Verträge sind sehr uneinheitlich und häufig fehlerhaft und unvollständig. Die Einhaltung
der Vorgaben wird kaum überwacht. Kinder und Jugendliche werden nicht in die Planung und Auswahl der
Mahlzeiten eingebunden. Es fehlt eine Verknüpfung der Verpflegung mit der Ernährungsbildung im Kita- und
Schulalltag. Nur etwa die Hälfte der Schülerinnen und Schüler in den Ganztagseinrichtungen nimmt überhaupt
an der Gemeinschaftsverpflegung teil. Oft konkurriert diese mit umliegenden Schnellrestaurants und Bäcke-
reien oder dem schuleigenen Kiosk.
Um die Verantwortlichen in den Einrichtungen und bei den Trägern, aber auch die Kinder und Jugendlichen
mit ihren Eltern, bei der Umsetzung einer guten Verpflegung fachlich zu unterstützen, hat die DGE umfassende
Qualitätsstandards für die Verpflegung in Kindertageseinrichtungen und für die Schulverpflegung entwickelt.
Sie sind nach Einschätzung vieler Expertinnen und Experten ein geeignetes Mittel zur Absicherung der quali-
tativen Anforderungen an eine ausgewogene Kita- und Schulverpflegung. Damit sie im Verpflegungsalltag auch
greifen, müssten die Standards aber verbindlicher Bestandteil der vertraglichen Vereinbarung zwischen Träger
und Essensanbieter sein und die Umsetzung und Einhaltung fachlich begleitet werden. Leider sind die DGE-
Qualitätsstandards bisher nur Empfehlungen und für die Gemeinschaftsverpflegung nicht verbindlich festge-
schrieben. Nur ein Viertel der Schulen greift überhaupt darauf zurück.
Neben ernährungsphysiologischen und hygienischen Anforderungen muss eine geeignete Kita- und Schulver-
pflegung vor allem den Geschmack der Kinder und Jugendlichen treffen, um eine hohe Akzeptanz und Teil-
nahme abzusichern. Ernährungsfachliche Qualitätsanforderungen müssen sich also mit der wahrgenommenen
Qualität decken. Daneben muss ausreichend Zeit zur Einnahme der Mahlzeiten und auch Raum für soziale
Interaktion in einer angenehmen Atmosphäre sein. Unerlässlich ist zudem die Mitbestimmung der Kinder und
Jugendlichen, aber auch von Eltern, Lehrern und Erziehern bei der Planung und Umsetzung der Verpflegung.
Die Qualitätsstandards der DGE greifen diese Aspekte auf. Sie beinhalten eine vollwertige Verpflegung, die ein
Mittagessen einschließlich Getränken sowie möglichst ein Angebot für Frühstück und Zwischenmahlzeiten um-
fasst. In Kitas wird zudem die Bedeutung von Frühstück und Vesper mit Blick auf die Ernährungsbildung in
der Gruppe besonders betont. Die Qualitätsstandards berücksichtigen auch die Verknüpfung mit dem Lern- und
Erziehungsalltag. Auch Rahmenbedingungen, wie eine ausreichende Zahl an Sitzplätzen in der Mensa, Rege-
lungen zu Pausen- und Wartezeiten sowie die Essatmosphäre und die Möglichkeit zum sozialen Austausch in
der Pause werden thematisiert.
Experten weisen aber auch auf Mängel bei den DGE-Qualitätsstandards hin. So wird die Bedeutung des Mittag-
essens bei den Nährstoffanforderungen möglicherweise nicht ausreichend gewichtet. Zudem erfolgt in der Pra-
xis eine unzureichende Überprüfung von Lebensmittelhygiene, Geschmack, Vielfalt und Abwechslung. Auch
das Thema Arbeits- und Gesundheitsschutz des Personals kommt zu kurz. Bei der Zertifikatsvergabe wird kri-
tisiert, dass nur ein Teil der Vorgaben erfüllt zu werden braucht. Diese Defizite müssen behoben werden. Bei
der Weiterentwicklung der DGE-Qualitätsstandards muss dazu auch der Kreis der unmittelbar in der Praxis
Beteiligten besser eingebunden werden. Das kann durch regelmäßige Befragungen und Fachtagungen sowie
über einen intensiveren Austausch mit den Vernetzungsstellen erfolgen. Durch dieses Vorgehen könnten alle
Beteiligten auch Änderungen bei den DGE-Standards besser nachvollziehen. Das zuständige Bundesministe-
rium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) muss dazu ausreichend finanzielle Mittel bereitstellen.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/8611
Für Speisen, die außer Haus verkauft werden, gilt der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent. Wird
das Essensangebot mit einer Restaurantleistung verknüpft, wie bei der Ausgabe des Schulessens durch den
Essensanbieter vermeintlich der Fall, fällt derzeit der volle Umsatzsteuersatz von 19 Prozent an. Laut der bun-
desweiten Erhebung zur Qualität der Schulverpflegung der Hochschule für Angewandte Wissenschaf-
ten (HAW) Hamburg im Auftrag des BMEL erfolgt die Verpflegung zu etwa 80 Prozent über eine Fremdbe-
wirtschaftung. Die Besteuerung von Essen in Kitas und Schulen, das von externen Essensanbietern geliefert
und ausgegeben wird, sollte daher auf sieben Prozent verringert werden. Damit würde der Bedeutung einer
gesunderhaltenden Kita- und Schulverpflegung Rechnung getragen. Die Ausgaben für eine gute Gemeinschafts-
verpflegung, die ernährungsgesundheitliche, qualitative und bildungsbezogene Anforderungen angemessen be-
rücksichtigt, könnten dadurch um 1,4 Milliarden Euro im Jahr gesenkt werden.
Einer Ermäßigung der Mehrwertsteuer von 19 auf sieben Prozent bei der Verpflegung von Kindern und Jugend-
lichen in öffentlichen Ganztagseinrichtungen steht das Europarecht nicht entgegen. Es ist ohnehin fraglich, ob
es sich hier um eine Restaurant- und Verpflegungsdienstleistung im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 der Mehr-
wertsteuerdurchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 vom 15. März 2011 handelt. Entscheidend für die Be-
urteilung ist, ob der Dienstleistungsanteil gegenüber den Warenkosten sowie der Zubereitung und Abgabe von
Speisen und/oder Getränken bei der Verpflegung in Schulen und Kitas überwiegt. Nach Kostenaufstellungen
der HAW Hamburg und von Essensanbietern (vgl. Öffentliches Fachgespräch „Bausteine für gutes Schul- und
Kitaessen“ der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag am 25.01.2016) beträgt der Waren- und Personaleinsatz für
die Herstellung und Ausgabe der Verpflegung zwischen 70 und 80 Prozent. Unabhängig davon ist ge-
mäß Art. 98 Absatz 1 EU-Richtlinie 2006/112/EG in Verbindung mit Anhang III Nummer 12a ein ermäßigter
Steuersatz für Restaurant- und Verpflegungsdienstleistungen möglich (Mehrwertsteuerrichtlinie 2006/112/EG
in der durch Richtlinie 2009/47/EG geänderten Fassung). Fast die Hälfte der EU-Länder (z. B. Irland, Italien,
Luxemburg, Niederlande, Österreich, Polen) hat von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Deutschland hat
sich gegen eine solche Steuerermäßigung entschieden. Wichtiger war Deutschland die Steuerermäßigung von
Beherbergungsdienstleistungen („Mövenpick-Steuer“), die in den Haushalten von Bund, Ländern und Gemein-
den jährlich rund eine Milliarde steuerliche Mindereinnahmen verursachen (Wachstumsbeschleunigungsgesetz
vom 22. Dezember 2009, Bundesgesetzblatt 2009, Teil I Nr. 81). Man kann für die Ganztagsverpflegung in
Schulen und Kitas unter bestimmten Voraussetzungen eine Sonderregel schaffen, wie eine Ausarbeitung des
Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages „Besteuerung von Schulverpflegung“ vom 15. Au-
gust 2014 (PE 6 – 3000 – 128/14) darlegt. Entscheidend für die bisherige Ablehnung der Reduzierung der Mehr-
wertsteuer für die Verpflegung in Schulen und Kitas sind damit eher fehlender politischer Wille als rechtliche
Hindernisse.

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