BT-Drucksache 18/8391

Vorläufige Anwendung des CETA-Abkommens verweigern

Vom 10. Mai 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/8391
18. Wahlperiode 10.05.2016
Antrag
der Abgeordneten Klaus Ernst, Karin Binder, Susanna Karawanskij, Jutta
Krellmann, Katrin Kunert, Thomas Lutze, Thomas Nord, Richard Pitterle,
Dr. Petra Sitte, Dr. Axel Troost und der Fraktion DIE LINKE.

Vorläufige Anwendung des CETA-Abkommens verweigern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die geplanten Freihandelsabkommen CETA und TTIP der Europäischen Union mit
Kanada und den USA sind extrem umstritten und werden in der Bevölkerung mit
großer Mehrheit abgelehnt. Im Zentrum der öffentlichen Debatte steht die Sorge,
dass hinter dem Rücken der Bürgerinnen und Bürger Entscheidungen getroffen wer-
den, die gravierend in deren Leben eingreifen, zuvor aber niemals mit ihnen bespro-
chen wurden. Die Intransparenz scheint den Abkommen wie naturgegeben anzuhaf-
ten. Sie drohen ein Synonym für Geheimverhandlungen hinter verschlossenen Türen
und für verdeckten Klientelismus zu werden. Folglich ist in der öffentlichen Debatte
die Forderung nach demokratischen Entscheidungsprozessen dominant. Das Klima
des Misstrauens gegenüber der Bundesregierung und der EU-Kommission wird je-
doch zusätzlich dadurch verstärkt, wie sie das ausverhandelte CETA-Abkommen in
Kraft treten lassen wollen.
Die EU-Kommission plant dem Rat der EU im Sommer 2016 vorzuschlagen, neben
der Unterzeichnung von CETA auch dessen vorläufige Anwendung zu beschließen
(s. Deutscher Bundestag, „EU-Sachstand. Aktueller Verhandlungsstand zu TTIP und
CETA“, 7.4.2016). Mit einer solchen vorläufigen Anwendung des CETA-Abkom-
mens treten durch Beschluss des Rates der EU bereits vor der Ratifizierung durch
die EU-Mitgliedstaaten die Teile in Kraft, die in die alleinige EU-Zuständigkeit fal-
len. Auch die Zustimmung des Europaparlaments ist dafür nicht erforderlich (s. Aus-
arbeitung PE 6 – 3000 – 19/16). Ob das EU-Parlament in den Schritt einbezogen
wird, steht „im Belieben von Rat und Kommission“ (vgl. Gutachten von
Prof. Dr. Wolfgang Weiß vom 15.3.2016 auf foodwatch.org). Das EU-Parlament
kann „dem Rat die vorläufige Anwendung weder ganz noch teilweise untersa-
gen“ (ebenda). Doch ob das Abkommen womöglich ausschließlich in der Verant-
wortung der EU liegt, wie die Kommission weiterhin für möglich hält (s. Sachstands-
bericht der Bundesregierung vom 15.3.2016 zu CETA), oder ob es sich um ein ge-
mischtes Abkommen handelt und demgemäß alle EU-Staaten eine parlamentarische
Entscheidung treffen müssen, wie die Mitgliedstaaten fordern (ebenda), das wird erst
endgültig klar sein, nachdem der EuGH dazu im Rahmen des Gutachtenverfahrens
zum EU-Singapur-Abkommen eine Position vorgelegt hat.

Drucksache 18/8391 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Dies wird dem Ratsbeschluss voraussichtlich zeitlich nachgelagert sein. Bis dahin
wird debattiert und gestritten, welche Bereiche überhaupt in den Verantwortungsbe-
reich der Mitgliedstaaten fallen und deswegen nicht vorläufig in Kraft gesetzt wer-
den dürfen. Diese Frage ist u. a. für das Investitionskapitel des CETA-Vertrages of-
fen und damit auch, ob Konzerne bereits gegen die Mitgliedstaaten klagen können,
bevor deren Parlamente über das Abkommen abgestimmt haben.
Verfahren, bei denen eine Kompetenzübertretung der EU droht und weder klar ist,
wer letztendlich entscheidet, noch worüber jeweils zu entscheiden ist, führen eine
parlamentarische Demokratie ad absurdum.
Die vorläufige Anwendung schafft Fakten, die durch nachgelagerte eventuelle par-
lamentarische Entscheidungen in den Mitgliedstaaten kaum rückholbar sind. Fak-
tisch präjudiziert eine vorläufige Anwendung den Ausschluss der Parlamente der
Mitgliedstaaten von der Entscheidungsfindung. Das Interesse der EU-Kommission,
auf eine parlamentarische Beteiligung in den Mitgliedstaaten zu verzichten
(s. z. B. Rechtsgutachten für das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie von
Prof. Dr. Franz C. Mayer vom 28.8.2014 auf bmwi.de), wird dadurch gestärkt. Die
Kommission sucht den Weg des geringsten Risikos, um die Abkommen durchzuset-
zen: Gemischte Abkommen verlangen ein einstimmiges Votum im Rat, eine quali-
fizierte Mehrheit im Rat reicht, wenn die EU alleinige Vertragspartnerin ist.
Die Bundesregierung hat bereits ihre Bereitschaft zur vorläufigen Anwendung sig-
nalisiert (s. Sachstandsbericht der Bundesregierung vom 15.3.2016 zu CETA). Dies
ist nicht nur unverständlich, untergräbt sie doch damit ihre eigene Position, nach der
alle Mitgliedstaaten eine parlamentarische Beschlussfassung treffen müssen, son-
dern auch aus Gründen der demokratischen Kontrolle heftig zu kritisieren. Die mit
dem CETA-Abkommen verbundenen sehr weitreichenden Verpflichtungen für die
Mitgliedstaaten erfordern deren politisch-parlamentarische Beteiligung. Ihre Ent-
scheidung muss frei erfolgen können und darf nicht durch eine vorgezogene Imple-
mentierung präjudiziert sein.
Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang, dass dem Wissenschaftlichen Dienst
des Deutschen Bundestages ein einstimmiger Beschluss im Rat über die vorläufige
Anwendung von CETA erforderlich erscheint (PE 6 – 3000 – 19/16). Wird dies der
Fall sein, kann die Bundesregierung allein die vorläufige Anwendung verhindern.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

im Rat der EU die vorläufige Anwendung von CETA abzulehnen.

Berlin, den 10. Mai 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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